Beilage
Donnerstag, 10. Juli 1930
Der Abend
Spalausgabe des Vorward
Nicht strafen: verstehen und nachsehen!
Sehr geehrte Frau Meier!
Ein pommerscher Landlehrer an frau Meier
Etwas viel zugemutet, jetzt zur„ Sauren- Gurfen- Zeit", wo nicht einmal Ihre sauren Gurten gehen, einem Leserpublikum solche Probleme mit in die Ferien zu geben. Aber wer wäre nicht interessiert und sofort wieder eingespannt, wenn es sich um unsere Kinder handelt.
Nun machen Sie die Antwort nicht leicht, weil Sie selbst sie in den meisten Sachen vorwegnehmen. Mir scheint aber, als handle es sich um Grundsätzliches und nicht um oberflächliche Einzelheiten. Ich bin nicht Vater, ich bin„ nur“ Lehrer und versorge als solcher täglich vierzig 11-14jährige vorpommersche Jungen. Ajo irgendwie und wo berühren mich Ihre Fragen bis ins Innerste meiner Seele. Sie berühren mich 40mal 40mal; denn in einer Schultlasse häuft sich das Erziehungselend, das zu Hause die Bäter und Mütter mit ihren Hänschens" erleben und bewirken. Denn die Schuldigen sind in meinen Augen nicht die Kinder, sondern die Eltern und deren Ehe und Erziehungsleben.
Alle Konflikte, alle asozialen und antisozialen Tendenzen, die in der Schulgemeinschaft auftreten, find Wiederholungen uralter, im vorschulpflichtigen Alter erlebter Konflikte, an denen also Bater und Mutter schwerwiegendst Anteil haben. Die Frage: An welchen Fehlern leidet euer Kind?" sollte also richtiger heißen: ,, An welchen Fehlern leidet ihr und euer Zusammenleben?" Abgesehen von ehelicher Disharmonie| zwischen den elterlichen Partnern sehe ich als markantesten Fehler Uneinigkeit und Infonsequenz im Erziehungsgeschäft. Das bedeutet, daß das Kind als Opfer zwischen Vater und Mutter aufgerieben wird. Es vereinsamt und sucht sich eigenwillig die Wege seelischer und förperlicher Entwicklung. Das tritt in seinen Unarten" in Erscheinung.
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Dieses Wort, verehrteste Frau Meier, ist Ihre Achillesferse. Es ist eine Wertung der findlichen Art vom Erwachsenen aus und ist sachlich richtig nur insofern, als es zum Ausdruck bringt, daß die findliche Art anders ist als die des Erwachsenen. Die Zerlegung des findlichen Seelenlebens, die Erforschung seiner Anlagen und Gegebenheiten( Strukturen)- man bezeichnet diese Richtung der Seelenkunde( Psychologie) als Psychoanalyse, ein sehr gelehrtes Wort für eine kindhaft natürliche Sache, das nächste, was Sie Ihrer Kundschaft verzapfen müssen, Frau Meier! hat ergeben, daß alle„ Unarten" notwendige und sinnvolle Entwicklungsstufen sind, die den Organentwidlungen parallel laufen, damit also dem jeweiligen findlichen Entwicklungsstande entsprechen. So die findliche Art zu sehen, heißt sie verstehen, sie zu verstehen, heißt sie richtig zu behandeln. Nicht mit„ Strafen", Frau Meier, das häßliche Wort streichen wir aus unserem Erziehungsbuch, sondern mit Berstehen und Nachsehen.
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Das ist leichter gesagt als getan, und wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen". Man fann eben für die täglichen Einzelfälle, von denen bei Tausenden nicht einer dem anderen gleicht, feine Generalnormen geben. Ich glaube, die meisten Eltern Die Meinung: fangen mit dem Erziehungsgeschäft zu spät an. „ Später, wenn er größer ist wenn er verständiger ist!" rächt sich bitter. Die Erziehung setzt ein mit dem ersten Lebenstage oder, wie jener Landarzt sagte:„ Sobald das Kind hell und dunkel unterscheiden kann!" Und das Erziehungsmittel ist nichts weiter als Konsequenz, sich selbst und dem jungen Menschen gegenüber, cisernste Konsequenz. Das flingt wiederum außerordentlich plausibel. Und in der Tat ist es auch einfach, wenn man seine Einstellung zum Kinde nicht orientiert von den überlebten Begriffen ,, Unart"( Schuld) und„ Strafe" aus, sondern sich bemüht, das Eigenleben( Individualität) des jungen Menschen nach seiner Eigenart zu begreifen.
Siegmund Freud ist nicht nur der Vater der Psychoanalyse, sondern auch der Vater einer sehr gelehrten, kinderlieben Tochter Anna. Diese hat eine Einführung in die Psychoanalyse geschrieben, die allen Müttern nur empfohlen werden kann. Also, Frau Meier, wenn Sie mit Ihrem letzten Zeitungsroman fertig find! Es wäre schade, wenn Sie schon von der pädagogischen Bühne des Abend" abtreten wollten. Fritz Heimke, Wolgast .
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Eine Mutter erzählt
Erfahrungen mit zwei Knaben
Ich habe zwei Knaben von zehn und fünf Jahren. Der Zehnjährige will stets über den Fünfjährigen bestimmen, und wenn der es sich jetzt nicht immer gefallen läßt, dann knufft er den Kleinen. Ich versuche mun dem Großen klarzumachen, daß es zwecklos wäre. menn man mit seinem Willen nicht durchkommt, nun den anderen zu schlagen und sage ihm, daß wir Großen es doch auch nicht so machen können, denn dann wäre doch eine dauernde Prügelei. Wenn er sich jetzt keine Mühe gibt, sich zu beherrschen, dann würde er später immer ganz allein dastehen, und wenn er einmal Hilfe braucht, hilft ihm auch feiner. Meine Gardinenpredigt wird nach einigen Tagen vergessen, ich wiederhole sie, mit dem gleichen Resultat, als es mir zuviel wurde, habe ich nach zigmaligen Ermahnungen gezeigt, daß dieses 3miden auch meh tut. Nun hat es sich gelegt. Hin und wieder einmal fommt es ja noch vor, aber nur noch selten.
fann mich darauf verlassen, wenn er sagt, er macht dies oder jenes. I kam dazu und wollte wissen, was das für ein Geschrei sei. Ich schrie nicht nur für mich, auch für die anderen Hausbewohner und Be- ihr zu, ich hätte heute den Bock, den der Kleine gestern gefannten, er macht es denn auch. habt hat; weil ich das Geschirr für ihn holen solle. Die Frau merfie, worauf ich hinaus wollte. Sie fing an mir gut zuzureden. Also beruhigte ich mich. Dem Kleinen wurde sein Wunsch erfüllt. Prompt fing er an: ,, Mama , sah das aber aus!" ,, Das sah doch fein aus, nicht wahr?" ,, Nein, gar nicht, zum lachen!" So sah es bei dir aber gestern auch aus. Wenn du meinst, es ist nicht schön, dann wollen wir beide doch nicht mehr so brüllen und strampeln." Nur noch einmal wiederholte es sich, seitdem ist der Bod fort.
Nun der Kleire. Er hatte vor etwa drei Jahren einen ganz Wenn er nicht das bekam, was er fürchterlichen Bod. wollte, oder er sollte z. B. seine Hausschuhe holen, bevor die Stiefel ausgezogen wurden, dann warf er sich hin, strampelte mit den Füßen und fing ganz fürchterlich an zu schreien, als ob der Kopf abgeriffen wurde. Meine Mitbewohner kamen dazu und wollten sehen, weshalb der Kleine solche Prügel bekam, die er aber gar nicht erhielt. Nun wurden mir Ratschläge erteilt. Eine Frau, Mutter von drei erwachsenen Kindern, ging in die Küche und holte den Aus lopfer, damit sollte ich den Jungen tüchtig verprügeln, dann ginge der Bock fort. Ich ersuchte sie aber, den Klopfer an den Ort wieder hinzuhängen, wo sie ihn hergeholt hat, denn der Junge hatte ein blutrotes Gesicht und ich hatte den Eindruck, wenn ich zuschlage, betommt er womöglich einen Herzschlag oder sein kleines Seelchen fann von dieser Unart nicht gefunden. Ich habe den Jungen austoben lassen und nicht weiter beachtet. Als er nun merkte, daß sich feiner mehr um ihn fümmert, auch die Nachbarn, nachdem sie noch über verkehrte Erziehung gesprochen hatten, sich verzogen, stellte er das Gebrülle ein und fam mit seinen Hausschuhen an. Ich tat, als ob ich es nicht bemerkte, er schluchzte noch sehr häufig, am liebsten hätte ich ihn in die Arme genommen und getröstet, tat es aber nicht. Er kam dann auch allein und sagte mir, er wolle wieder artig sein. Am anderen Tag, er war schon im Bett, verlangte er noch einmal das Nachtgeschirr. Ich setzte mich auf den Stuhl, fing mit den Beinen an zu strampeln und markierte, als ob ich meine, genau so wie er es am vergangenen Tag gemacht hatte. Durch den Spiegel beobachtete ich sein Gesicht. Eine ganze Weile war er sehr erstaunt, als er noch einmal mahnte an Erfüllung seines Wunsches, schrie ich noch mehr. Nun fing er an zu lachen. Eine Nachbarin
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Die Versuche des Lügens, was mohl bei jedem Kinde vorkommt, habe ich auch jetzt beseitigt. Ob sie noch einmal zum Vorschein kommen, muß ich abwarten. Da ich meine Kinder immer sehr genau beobachtet habe und in ihren Gesichtern zu lesen verstehe, habe ich sie erzählen lassen, und wenn sie fertig waren, fing ich an, das Gespräch fortzusetzen und habe ganz did aufgetragen, so daß die Kinder darüber stolperten, und menn sie mich dann ganz erstaunt ansahen, sagte ich, sie wären doch mit ihren Märchen noch nicht fertig gewesen und ich habe mun den Schluß erzählt. Darauf sagten sie nur ganz verwundert, daß du aber auch alles gleich weißt!
Ich komme ohne viel Gezanke und ohne viele Ermahnungen aus. Ich frage meine Kinder, was wollen wir unternehmen, dann kommen Vorschläge. Dann komme ich mit meiner Zeiteinteilung, Hausarbeit, Gänge, Bersammlungen, und wir drei unterhalten uns darüber, wie wir alles unter einen Hut bringen können.
Ich hoffe, daß ich durch meine Methode, daß ich auf ihre Wünsche eingehe, aber auch verlange, daß sie auf meine Wünsche Rücksicht nehmen, sie zu guten überzeugten Sozialisten, die im Interesse ihrer Mitmenschen, der Allgemeinheit, arbeiten, erziehen werde. Sollte der von mir eingeschlagene Weg nicht der richtige sein, bin ich gern bereit, mich eines anderen belehren zu lassen. Klara Maschke.
Bildungskurse für Erwerbslose
Ein Vorschlag/ Bon Heinrich R. Pröschold
Die Erwerbslosigkeit wirkt sich für den jungen Erwerbslosen deshalb besonders schwer aus, weil er in einer Zeit( 18. bis 30. Lebensjahr), in der er förperlich und geistig ausreifen sollte, durch die lange Dauer der Untätigkeit unter einem starken seelischen Druck lebt und daher allen schädigenden Einflüssen der Umwelt leichter nachgeben wird, als in Zeiten der relativen Sicherheit. Bei vielen wird der Drud jo groß, daß sie unfähig sind, eine Lieblingsbeschäftigung in so Angriff zu nehmen oder eine geregelte Denfarbeit zu leisten. Ersatzhandlungen und Ersatzvergnügungen müssen dann über die Leere hin weghelfen, und oft nimmt die jugendliche Aktivität Formen an, die sie mit den Gesetzen in Konflikt bringt.
Daß die durch die Erwerbslosigkeit verursachten Schädigungen unheilvoll für das ganze Leben des jungen Menschen wie auch für die junge Generation und die Gesellschaft wirken, wurde von Jugendämtern und freien Bereinigungen rechtzeitig erkannt. Man versucht diesen Gefahren zu begegnen, indem man etwa jugend liche Erwerbslose in von den Jugendämtern eingerichteten Erwerbslosenheimen, einem guten Werfunterricht zuführt, wo befähigte Meister in Werkstätten( meist Tischlerei, Buchbinderei. Metallbearbeitung) zur Handfertigkeit anleiten. Umschulungsfurse, die sich früher manchmal noch als notwendig erwiesen haben, dürfen wohl mit der fortgeschrittenen Rationalisierung nur noch in ganz seltenen Fällen in Betracht kommen, es sei denn für Spezia!- arbeiter, die gerade start auf dem Arbeitsmarkt verlangt werden. Ein tesonderer Wert wird, hauptsächlich in den Sommermonaten, auf die iportliche Betätigung gelegt. Da all diese Fürsorgemaß nahmen immer nur für jugendliche Erwerbslose unter 21 Jahren in Frage kommen, so sind die darüber hinausgehenden Altersstufen von diesen Hilfen im allgeminen abgeschnitten.
Ein Mangel an den gewiß sehr wichtigen Einrichtungen ist, daß sie meist an der Frage der geistigen Bildung vorübergehen. Und doch wäre es wichtig, den jungen Menschen Einsicht in das öffentliche und wirtschaftliche Leben zu geben, dem er zumeist fremd und ablehnend gegenübersteht. Hier hätte eine Bildungsarbeit einzusetzen, die von der Lebenswelt des jungen Menschen, von seiner Arbeitslosigkeit, von seiner Stellung in der Gesellschaft als Jugend licher auszugehen hat, die ihn für die Fragen seines Lebens als Arbeiter interessiert und ihn für die Aufgaben der Arbeiterschaft in der Wirtschaft und im Staate schult.( Wobei ihm feine bestimmte Doktrin ausgedrängt werden darf, es sei denn, er habe sich zu einer eigenen Auffassung durchgefunden, die dann noch mit wissenschaftlichem Material zu unterbauen ihm geholfen werden muß.) Solche Kurse haben wir noch nicht, abgesehen von längeren Lehrgängen in Seimvolkshochschulen oder anderen Schulen. Sie müßten etwa nach folgendem durchgeführten Plan ins Leben gerufen werden.
Aus einer mehrjährigen Erfahrung in Heimvolkshochschulen fannte ich die seelischen und geistigen Nöte der erwerbslojen Teilnehmer solcher Schulen und übernahm im Frühjahr d. I. den beim Bolfsbildungsamt und Jugendamt, Charlotten schule Groß- Berlin als eine ihrer Aufgaben durchführte, wobei die beiden Aemter in Charlottenburg die Bekanntgabe dieser Kurse durch Blafate und Rundschreiben übernommen hatten. Man war sich flar, daß ein solcher Kursus ein erster Versuch sein sollte, und gab sich gerade für die Sommermonate feinen großen Erwartungen in bezug auf die Besucherzahl hin. Der Lehrgang war auf 16 Doppel. stunden vorgesehen, die zweimal in der Woche von Anfang Mai bis Anfang Juli durchgeführt wurden. Denn es fonnte sich nicht darum handeln, gelegentliche Vorträge bildender Art zu halten, jondern es tam hierfür nur ein zusammenhängender Kursus in Frage. Ais Thema war gewählt:„ Der junge Arbeiter und Angestellte in Wirtschaft und Recht", um die Teilnehmer in einen Fragenkomplet einzuführen, der ihnen nicht fremd war.
Eines Tages sollte der Große für mich etwas erledigen. Ich sagte ihm, er solle sich beeilen mit dem Schulweg. Die Eiie mar sehr groß, denn er fam% 4 Stunden später wie jonit. Auf dem Nachburg angeregten Kurjus für junge Erwerbsioje, den die Volkshoch hausewege hatte sich ein Radfahrer mit einem Schupo gezanft. Natür lich mußte sie dabeistehen. Ich kann es begreifen, ich hatte es als Kind auch so gemacht. Da mir mein Junge aber versprochen hatte, mir den Weg abzunehmen, war ich über dieses Nichteinhalten des Versprechens verärgert. Als er nach Hause fam, um 25 Uhr, mußte er ins Bett. Als einige Zeit vorüber war, habe ich dann mit ihm den Fall besprochen und ihm gesagt, daß man, wenn man etwas verspricht, auch daran denken muß, es zu halten. Auf wen man sich nicht verlassen fann, der wird es selbst spüren, wie es meh tut und unangenehm ist, wenn er selbst eine Bitte hat, die er gern erfüllt ſehen möchte, und die nun nicht erfüllt werden fann, weil er sich auf den anderen nicht verlassen fonnte. Am anderen Tag mar Schulausflug. Er durfte nicht mit. Er hat gebettelt und ge beten, aber ich blieb hart. Ehrlich gestanden, es fiel mir verflucht fchwer, fest zu bleiben. Nun, daß ich fest blieb, hat sich gelohnt. Ich
Die Kurje fanden vormittag von 10 bis 12 Uhr statt, damit die Teilnehmer vorher stempeln gehen fonnten und die Nachmittage und
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ouch Abende frei waren. Das Jugendamt Charlottenburg hatte in dem Jugendheim Spreestraße einen Raum zur Verfügung gestellt, ferner lieferte es ein Kataofrühstück mit Schrippen. Die Anfangsziffer des Besuchs mit 12 Teilnehmern war nicht ermutigend, wenn man auch nicht mit einem Massenandrang gerechnet hatte. Davon wünschten einige Besucher Unterricht in Englisch und Stenɔ= graphie, die an die entsprechenden Lehrgänge der Volkshochschule Groß- Berlin verwiesen wurden. Mit den nächsten Veranstaltungen stieg die Besucherzahl auf 21 Teilnehmer. im ganzen haben 27. junge Erwerbslose im Alter von 17 bis 24 Jahren an dem Kursus teilgenommen, darunter 5 Mädchen. Der größte Teil davon gehörte Jugendbünden an. Mit dem Einseßen des heißen Wetters, schwankte naturgemäß die Ziffer sehr, ein Stamm aber blieb.
Sehr bald fügten sich die Teilnehmer zu einer Gruppe, wozu Das gemeinsame Frühstück, das alle oft sehr lange zusammenhielt, beitrug, ferner die Besichtigungen und Fahrten. Die Zugehörigkeit zur Gruppe zeigte sich deutlich daran, daß sich die regelmäßigen Besucher stets bei einem Fehlen entschuldigten. Nicht zuletzt war wohl auch der Umstand, daß ich als Leiter des Kursus erwerbslos war, ein Mittel für die Bereitschaft zu einem solchen Kursus. Neber dem Unterricht fanden Betriebsbesichtigungen statt, die eine Berbindung mit der Wirklichkeit herstellten oder, wie der Besuch der Stadtbücherei Charlottenburg, die Teilnehmer mit diesen Bildungsmitteln bekanntmachen sollten. Zur Uebung im schriftlichen und mündlichen Gebrauch der Muttersprache wurden Berichte und Protokolle, wie auch eine größere Arbeit ,, 2 us meiner Arbeitswelt" angefertigt. Diese Arbeit ist besonders aufschlußreich für die Psychologie dieser jungen Erwerbslojen, aus allen flingt die Not und das Unbefriedigtjein vom Leben; interessant ist daran auch die Stellung zum Berus , dessen Wahl oft von Zufälligkeiten abhing. Der meist eben erst Ausgelernte und schon Erwerbslose sieht feine Aussicht, bald wieder in seinem Beruf arbeiten zu können, und io spürt man hier eine Resignation dem Beruf wie dem Leben gegenüber, die bei jungen Menschen auf das tiefste erschrecken muß. Die Teilnehmer des Kursus wünschten eine sofortige Fortsetzung der Arbeit, verlangt wurde ein staatsbürgerliches Thema. Wie stark das Bedürfnis nach geistiger Betätigung, aber auch das erweckte Bewußtjein gemeinsamen Arbeitens ist, zeigt der Umstand, daß ein Teil der Hörer aus eigener Initiative heraus zusammen das ,, Kapital" von Marg liest.
Eine Weiterführung und nötigenfalls Ausbreitung solcher Kurse ist bei der im Herbst zu erwartenden Verstärkung der ArbeitsInfigkeit zu wünschen. Dabei ist die Auswahl des Unterrichtsstoffes von größter Wichtigkeit. Es ergäben sich wahrscheinlich in den meisten Fällen Fragen des Wirtschaftslebens, Ursachen der Erwerbslosigkeit, Wirtschaftsgeographie, Arbeiter und Gewerkschaftsbewegung, Stellung zum Staat usw. Zu dem Wert der Schulung tritt noch die Bildung des jungen Menschen selbst, zum Teil durch die Kurse unmittelbar, wo er allen negativen Einflüffen der Straße entzogen ist. Dann aber fann er sich auch in dem Zusammenleben mit den Kameraden eine eigene Welt schaffen, wodurch weitere geistige Bedürfnisse in ihm geweckt werden, die von den verschiedensten Bildungseinrichtungen der Parteien u. a befriedigt werden könnten. Die Kurse fönnten z. B. in Berlin leicht an die von den Bezirks. ämtern eingerichteten Wertheime angegliedert werden, wobei die obere Altersgrenze dieser Heime( 21 Jahre) jedoch nicht eingehalten werden dürfte. Die Lehrer sollten praktisch erfahren sein, vielleicht werden Erwerbsloje gefunden, die den Schülern durch Schicksal und Generation nahe stehen und das nötige sachliche Wissen und pädagɔ< gische Geschick haben. Dadurch könnte ein gutes Füreinanderarbeiten intellektueller Erwerbsloser für ihre anderen Schicksalsgenossen einsetzen, wie auch beabsichtigt ist, erwerbsloje Schauspieler für diese Frage zu gewinnen. Auf diese Weise könnte jungen Erwerbslosen geholfen werden, so lange ihnen die Wirtschaft teine Arbeit gibt.