Morgenausgabe
Nr. 321
A 162
47.Jahrgang
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1900 190
14 es
17:
Sonnabend
12. Juli 1930
Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichsmart. Aleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgebrudte Borte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imHaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich Don 81/2 bis 17 Uhr.
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Bürgerblocks Durcheinander.
Sozialdemokraten bei Brüning.- Rechtsregierung bleibt Rechtsregierung.
Der Reichskanzler hat am Freitag nachmittag die fozialdemokratischen Abgeordneten Dr. Breitscheid und Müller- Franken zu sich gebeten, um sie in Anwesenheit des Reichsfinanzministers Dietrich über die inner politische Lage zu informieren und ihnen seine Meinung über die Möglichkeiten der weiteren Entwicklung der Dinge vorzutragen. Die Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion beschränkten sich im wesentlichen darauf, von den Darlegungen des Reichskanzlers Kenntnis zu nehmen.
Die Mitteilungen Brünings können faum etwas enthalten haben, was nicht auch ohnehin schon bekannt gewesen wäre. Das Kabinett betont noch immer den Wunsch, seine Vorlagen auf dem geordneten parlamentarischen Wege durchzubringen und wenn irgendmöglich auf die Anwendung des Artikels 48 zu verzichten. Aber seine Aussichten sind feineswegs glänzend. Sehen wir zunächst ganz von den Forderungen ab, deren Erfüllung die Deutsche Volkspartei als Voraussetzung für ihre Mitwirkung betrachtet, so ist einstweilen nicht zu erkennen, wo das Kabinett für seine unsprünglichen Entwürfe eine Mehrheit finden soll. Alle Wahrscheinlichkeit spricht zur Zeit dafür, daß der größte Teil der Deutschnationalen bei seinem unbedingten Nein verharren wird. Was der Regierung dann noch an Anhängern bleibt, reicht nicht aus.
Wenn die Dinge so laufen, so ist damit das Scheitern des Versuchs, die Finanzreform mit der Rechten zu machen, besiegelt. Aber etwas ganz anderes ist es, ob dieser Ausgang der Regierung die Rechtfertigung zur Anwendung des Artikels 48 geben würde. Stellen wir uns einmal auf den Standpunkt, daß überhaupt die Voraussetzungen für den Rückgriff auf den Diktaturparagraphen gegeben wären, wenn der Reichstag seine Zustimmung zu Steuer- und Arbeitslofen gesehen verweigert, so läßt sich doch beim besten Willen nicht
die einfachste Art erreicht, daß die Reichshilfe progreffio mit der Höhe des Einkommens steigt. Wie viel sozialer und gerechter der sozial demokratische Vorschlag gegenüber dem Regierungsentwurf ist, ergibt fich aus folgenden Beispielen:
Nach der Regierungsvorlage hat ein lediger Beamter mit einem Monatseintommen von 200 mart eine Reichsbeihilfe von 5 Mark zu zahlen. Da er bisher 7,50 Mark Lohnsteuer monatlich zu entrichten hatte, bedeutet also die Reichs: hilfe einen Zuschlag von 67 Proz. zu seiner bisherigen Steuer. Ein ebenfalls lediger Beamter mit einem Monatseinkommen von 2000 Mart hat nach dem Regierungsvorschlag eine Reichshilfe von 50 Mart monatlich zu entrichten. Gemessen an seiner Lohnsteuer von 280 Mart monatlich stellt also die Reichshilfe für diesen hohen Beamten nur einen Steuerzuschlag von 18 Pro3. dar.
Noch frasser ist die unsoziale Wirkung der Regierungsvorlage bei einem verheirateten Beamten mit zwei Kindern. Hat ein solcher Beamter mur 200 Mart Monatseinkommen, so macht feine Reichshilfe von 4 Mart monatlich eine Steuererhöhung von fast 90 Pro3. aus. Handelt es sich aber um einen Beamten mit 2000 Mart Monatseinkommen, so bedeutet die dann zu zahlende Reichshilfe von 49 Mart nur einen Steuer zu schlag von 21 Proz. Diesen Uebelstand will der sozialdemofratische Vorschlag beseitigen. Er sieht vor, daß in allen Fällen ein Zuschlag von 40 Proz. der bisherigen Steuer entrichtet wird. Dadurch würde also ein verheirateter Beamter mit 2 Kindern mit 1,80 Marf monatlich belastet werden, während er nach der Regierungsvorlage 4 Mart zu zahlen hätte. Umgekehrt müßte der Be amte bei 2000 Mart Monatseinkommen nach dem sozialdemokratischen Antrag 92 Mart monatlich zahlen, während die Regierung ihm nur 49 Mart auferlegen will.
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Der sozialdemokratische Antrag sieht aber für die kleineren Eintommen noch weitere Vergünstigungen vor. Nach der Regierungsvorlage sollten nur die wenigen Beamten von der Reichshilfe befreit sein, die weniger als 2000 Mart jährlich verdienen. Berdient dagegen ein solcher Pleiner Beamter 2020 Mart, so muß er fofort eine Reichshilfe von über 50 Mark entrichten, muß also einen höheren Betrag zahlen als sein Einkommen die Freigrenze überschreitet. Nur
fleineren und mittleren Einkommen in jedem Falle die Freibeträge der Lohnsteuer berücksichtigt werden. Es würden also für jeden ledigen Beamten 1200 Mart, für jeden verheirateten mit 2 Kindern 1680 Mart jährlich von der Reichshilfe freibleiben.
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Fricks Niederlagen.
Der Staatsgerichtshof gegen die Schulgebete. 2eipzig, 11. Juli.
Nach mehrstündiger Beratung verkündete Reichs gerichtspräsident Dr. Bumke furz nach 17 Uhr in dem Verfassungsstreit um die thüringischen Schulgebete die Entscheidung des Staatsgerichtshofes dahin, daß die im Amtsblatt des thüringischen Ministeriums für Volks. bildung vom 22. April 1930 veröffentlichte Empfehlung von Schulgebeten vom 16. April 1930, soweit sie sich auf die Gebete 2, 3 und 4 bezicht, mit Artikel 148, Absatz 2 der Reichsverfassung nicht vereinbar sei.
S1075 201
Die Einführung von Schulgebeten, die in Gebetsform gefaßte Programmsäße der Nationalisten darstellen, mar einer jener Streiche gegen die Verfassung, mit denen Herr Frick den ausgesprochen nationalsozialistischen Charakter feines Ministeriums zu dokumentieren suchte. Die Empfehlung der Schulgebete stammt aus der Heldenzeit des Herrn Frid in Thüringen . Im Ablauf seiner Regierungszeit find deutlich zwei Abschnitte zu erkennen: die Zeit der frischfröhlichen Bocksprünge über die Schranken von Gesetz und Verfassung hinweg und die Zeit des vorsichtigen Rückzuges. Der Rückzug begann, als Herr Frick die ersten Niederlagen vor dem Staatsgerichtshof davongetragen hatte und als er entdeckte, daß auch das Reichsinnenministerium unter Wirth unangenehm werden fonnte. In der ersten Zeit seiner Minifterherrlichkeit hat Herr Frick entschieden mehr Mut gezeigt als in der zweiten. Die Wendung wurde eklatant, als Herr Frick, der eben erst im Hauptausschuß des Thüringischen Landtags den grob- antisemitischen Charakter seiner Schulgebete unterstrichen hatte, kurze Zeit darauf seine eigenen Erklärungen zu verleugnen begann. An diesem Zeitpunkt wurde aus dem teden Tirailleur der Hakenkreuzputschisten der Minister, der klebt.
Er fann fleben, weil die Regierungsparteien in Thü ringen einschließlich der Deutschen Volkspartei aus Haß
behaupten, daß die von dem Kabinett vorgeschlagene Lösung Demgegenüber sieht der sozialdemokratische Antrag vor, daß bei allen gegen die Sozialdemokratie und aus Angst vor Neuwahlen der Probleme die einzige überhaupt normalen Bahnen der Gesetzgebung abweichen müsse. Weil Herr Brüning es sich in den Kopf gesetzt hat, die Vorlagen so zu gestalten, daß die Zustimmung aller Rechtsparteien erwartet werden könnte, soll, nachdem diese Hoffnung sich als eitel erwiesen hat, zu einer Maßnahme geichritten werden, die das Gebäude der Verfassung in seinen Grundfesten erschüttert.
Es hätte Wege gegeben und gäbe sie heute noch, die von allen Seiten als notwendig erkannte Gesundung unseres Finanzwesens auf andere Weise zu erreichen. Das Kabinett hat nicht einmal den Versuch gemacht, diese Wege zu beschreiten. Es hat nicht einmal ernstlich geprüft, ob eine Mehrheitsbildung auf anderer Grundlage als der von ihm gewünschten zu erreichen gewesen wäre, und es schickt sich nun an, den Staat und sein Gefüge der größten Gefahr auszusetzen, nachdem es mit seinen privaten Wünschen nicht durch gedrungen ist. Wenn das die so häufig gerühmte Staatspolitit der Regierung Brüning ist, dann wissen wir wirklich nicht, wie nach Ansicht derer, die den gegenwärtigen verantwortlichen Leitern der Reichsgeschäfte Ruhmesfränze winden, ein frivoles Spiel mit den elementarsten Interessen des Staates aussieht.
Veredelung der Reichshilfe.
Ein fozialdemokratischer Antrag für gerechte Staffelung. Die Erhöhung der Beamtengehälter im Jahre 1927 hatte den höheren Beamten wesentlich größere Vorteile gebracht als den unteren. Wenn die Regierung im jeßigen Augenblick eine Kürzung der Beamtengehälter für erforderlich hielt, hätte es daher selbstver ständlich sein müssen, daß auch bei dieser Kürzung die höheren Gehälter schärfer erfaßt würden, als die unteren. Die von der Regierung vorgeschlagene Reichshilfe trägt aber diesem Gefichtspunkt in feiner Weise Rechnung. Sie sieht vielmehr von allen Beamteneinkommen chne Rücksicht auf ihre Höhe einen gleich mäßigen Abzug von 2% Pro3. vor. Sie mildert infolgeSie mildert infolge deffen das Besoldungsunrecht vom Jahre 1929 nicht, sondern ver
schärft es noch.
Um diesen schwersten Mangel der Regierungsvorlage zu be feitigen, hat die Sozialdemokratie im Steuerausschuß vorgeschlagen, an Stelle des Abgabejages von 2% Proz. vom Einkommen einen Zuschlag von 40 Proz. der Lohn- und Einkommen steuer zu erheben, die die einzelnen Beamten bisher entrichtet haben. Durch einen solchen Zuschlag zur Einkommensteuer wird auf
Obgleich somit durch den sozialdemokratischen Antrag nur die selbstverständlichen Forderungen steuerlicher Gerechtigkeit erfüllt werden sollten, haben sich die bürgerlichen Parteien nicht gescheut, diesen Antrag in allen Bunkten abzulehnen. Die Sozialdemokratie wird ihre Anträge im Plenum des Reichstags nochmals zur Ab. stimmung stellen.
Ein Programm der Demokraten.
Die demokratische Reichstagsfraktion hat einen Initiativantrag eingebracht, der das Finanzausgleichsgesetz durch folgende Bestim
mungen ändern will:
,, Die Gemeinden sind verpflichtet, zur Dedung ihres haus haltplanmäßigen Bedarfs vor der Erhöhung irgendwelcher anderen Steuern eine Steuer auf den örtlichen Ausschant von Getränken, mit Ausnahme von Milch, zu erheben. Die Landes. regierungen fönnen für einzelne Gemeinden, insbesondere für Kurund Badeorte, Ausnahmen zulassen.
Die Gemeinden find berechtigt, zur Dedung von allem in Gemeindebezirk wohnenden Personen eine Verwaltungs. fostenabgabe nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu er heben: 1. Abgabepflichtig sind alle über 20 Jahre alten Personen mit selbständiger, auf eigene Rechnung geführten Lebenshaltung. 2. Befreit von der Abgabe sind Kleinrentner, Sozialrentner, Schwer friegsbeschädigte und Personen, die ihnen gleichstehen. Die Abgabe darf mit feinem niedrigeren Jahresbetrag als 6 Mart und mit feinem höheren Jahresbetrag als 36 Marf erhoben werden. Eine Erhöhung der Gemeinde zuschläge zu den Realsteuern jomie die Erhöhung bestehender oder die Einführung neuer Steuern ist in den Gemeinden unzulässig, solange die Verwaltungskosten. abgabe nicht mit dem reichsgesetzlichen Höchst fat erhoben wird." abgabe nicht mit dem reichsgesetzlichen Höchst jazz erhoben wird." Die demokratische Fraktion will bei den weiteren Beratungen über die Dedungsvorlage dafür eintreten, daß die Reichshilfe eingebaut wird in ein notopfer aller Leistungsfähigen, und daß eine gleichmäßige Belastung aller dieser Kreise erfolgt. Das gleiche zeitlich begrenzte Notopfer, das von den Beamten erhoben wird, soll auch von allen übrigen Einkommen, die 4800 m. übersteigen und infolgedessen der Arbeitslosenversicherungspflicht nicht unterliegen, erhoben werden. Der besondere Einkommensteuer zuschlag würde unter diesen Um. ständen fortfallen. Man hält es in demokratischen Kreisen für möglich, daß auf diese Weise die Rechshilfe vielleicht von 2% auf 2 Proz. gesenkt werden. kann.
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die fürchterliche Serie von Niederlagen geduldig hinnehmen, die Herr Frick der thüringischen Regierung bereitet hat. Fast jede Amtshandlung des Herrn Frick hat einen Konflikt heraufbeschworen, sei er rechtlicher, sei er verfassungsrechts licher Natur. Fast jeder dieser Konflikte hat mit einer Niederlage des Herrn Frick oder der Regierung, die er engagiert hatte, geendet. Es begann mit dem Gesetz über den Beamtenschub, den Herr Frick durchdrückte, und das sofort die Klage der Beamtenorganisationen und die Niederlage des Herrn Frick hervorrief. Dann tamen die ,, fulturpolitischen" Experimente: die Bannbulle gegen die Jazzmusik und der Versuch, eine nationalsozialistische Filmzensur aus eigener Machtvollkommenheit zu errichten. Die Filmoberprüfstelle hat Herrn Frid dabei einen Strich durch die Rechnung gemacht. Herr Frick hat weiter versucht, das Republikschutzgesetz zu einer Waffe gegen die Republikaner zu machen. Aber als er unser Eisenacher Parteiblatt auf Grund des Republitschutzgesetzes verbieten wollte, hat ihm der Staatsgerichtshof eine sehr entschiedene und empfindliche Belehrung erteilt. Bei Amtsgerichten und Staatsanwaltschaften in Thüringen und außerhalb Thüringens holte sich Herr Frick bei seinen Experimenten mit dem Republitschutzgesetz weitere Niederlagen.
Bei allen Niederlagen verblieben ihm noch zwei Aktivposten: die Einführung der antisemitischen und nationalistifchen Propaganda in den Schulen mit Hilfe der Schulgebete und die Verseuchung der Polizei mit Nationalsozialisten. Der eine dieser Aktivposten ist durch den Spruch des Staatsgerichtshofs gefallen, der andere wird ihm nachfolgen, wenn der Staatsgerichtshof seine Entscheidung in Sachen der Sperre der Polizeizuschüsse durch die Reichsregierung fällt. Es bleibt ihm dann nur die Tatsache, daß er Minister ist und durch sein Dasein die nationalsozialistischen Elemente in der Berwaltung ermutigt.
Passivposten. Die innere Verwaltung des Landes unter Frid hat nur Unordnung und Verwirrung hervorgerufen, die finanzielle Lage und Zukunft des Landes ist durch die von Herrn Frid provozierte Sperre der Reichszuschüsse gefährdet. Die Rechtsunsicherheit ist vollkommen. Thüringer muß annehmen, daß eine Anordnung, die der thüringische Innenminister heute erläßt, morgen schon als ungefeßlich oder verfaffungswidrig gekennzeichnet sein wird.
Jeder
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