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Beilage

Sonnabend, 12. Juli 1930

Der Abend

Umbau der Welt!

Spalausgabe des Vorwärts

Weltwirtschaftsprovinzen in Lateinamerika  

In zunehmendem Maße verschiebt sich das Schwergewicht der Wirtschaft aus den alten Zentren europäischer Volkswirtschaft in neue Zentren der Weltwirtschaft. Diese gewaltige Umgruppierung der Kräfte, vor dem Kriege schon angebahnt, durch die besonderen Wirtschaftsbedingungen während des Krieges weitgehend verschärft und beschleunigt, ruft fortlaufend die großen Wirtschaftskämpfe und Wirtschaftskrisen hervor, denen sich kaum ein Land entziehen kann. Nicht mehr ist Europa   allein Ausgangspuntt.weltumjpan­nender Industrien, nicht mehr fämpft es mit Amerita allein um die Absazmärkte der industrielosen", neuen Länder. Japan   hat sich mit erstaunlicher Entwickelung in die Front der Großmächte eingereiht, die Rap staaten stellen im britischen  Imperium ein selbständiges Glied dar, Kanada   und Aust alien betreiben eine eigene Welthandelspolitik, weitgehend gelöst von der einstigen Vorherrschaft des Mutterlandes", und der grandiose Kampf Indiens   findet seine Antriebskräfte immer wieder in der Verschiebung dieser ökonomischen Basis, wie auch der Kampf in China   und um China   dieser Ursache entspringt.

Aber diese Umgruppierung vollzieht sich nicht nur im Hinblick auf die Absatzmärkte der alten Industriestaaten, sondern umgekehrt ist auch das Verhältnis der Rohstoffländer zu diesen Industrie­ländern ein anderes geworden. Der Begriff der Kolonien, von der einseitigen Bedarfsdeckungspolitit der merkantilistischen Wirtschaft eingegangen in die imperialistische Politik der kapitalistischen   Volks­wirtschaft, hat seine Gültigkeit verloren. Die Kolonien sind selb­ständige Wirtschaftszentren, felbständige Staaten geworden und treiben ihre eigene, nach den Notwendigkeiten des eigenen Landes ausgerichtete Wirtschaftspolitit. Doch der Regulator der aufeinander­stoßenden Wirtschaftskräfte ist nicht mehr die in nationalen Grenzen ge­bundene Volkswirtschaft, der große Regulator ist vielmehr die Gesetz­mäßigkeit der Weltwirt schaft

Längst find unsere Bedürfnisse und damit die Anforderungen an die Wirt­schaft über die Möglichkeiten einer nationalen Wirtschaft hinausgewachsen, lange schon sind wir in jedem auf die Wirtschaft anderer Staaten und Länder angewiefen. International baut sich die gesamte Wirtschaft auf, international wird die Wirtschaftspolitik jedes Lan­bes bestimmt und internatio nal nur tann und muß die Ausrichtung der einzelnen Wirtschaftsträger fein.

In diesen großartigen Prozeß der Umgruppierung der Wirtschaftsfräfte Einblid zu erhalten muß das Bestreben des Marristen sein.

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portes, und sei es nur um Tage, ruft wiederum wirtschaftliche Störungen hervor. So ist der Entfernungsfattor ein nicht zu unterschätzender Wertmesser in der Marktfähigkeit einer Wirt schaftsprovinz.

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Für diese Größenverhältnisse hier einige Beispiele: Die Ost­küste Südameritas mißt vom Panamalanal bis Recife   de Pernambuco   über 6000 Kilometer 15 Tage für ein Frachtschiff und 9 Tage für ein Passagierschiff, beide in voller Fahrt. Bon Recife bis Buenos Aires   ist es noch ungefähr die gleiche Entfernung. Ein Frachtschiff fährt von Hamburg   bis New York  ( etma 6800 Kilometer) in 17 Tagen, ein Passagierschiff in 10% Tagen. Recife   nimmt gegenüber Südamerika  , USA  . und Europa   ungefähr Mittelpunktstellung ein, die Entfernungen nach den wichtigsten Welt­häfen um den Atlantischen Ozean   sind daher nahezu gleich. Setzen wir die Entfernung Recife  - London   gleich 100, so ist sie für Recife  bis Hamburg   gleich 102, für Recife  - Philadelphia  ( USA  ) gleich 96, für Recife  - Galvestone( Golf von Merito) gleich 104, Recife   bis Magallanes( Südfpizze Südameritas) gleich 80. An Reisetagen bedeutet das( Frachtschiff: Passagierschiff) für Recife  - London  18:11 Tage, Recife  - Hamburg   19: 11% Tage, für Recife  - Phila­dephia 17:10 Tage, für Recife  - Galvastone 20:12 Tage, für Recife  - Magallanes 15: 9 Tage.

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Für die Raumgröße sei noch folgendes Beispiel angeführt. Die beiden großen Ströme Parana Paraguay und Uruguay  münden als La Plata   ins Meer. Dieser La Plata ist aber mehr ein großer Mündungstrichter als ein Fluß. Er ist in der engeren Einbuchtung 100 Rilometer breit und bei Monte video 210 Kilometer. Sein Flächenraum ist weit größer

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Statistische Uebersicht von Südamerika

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Die Diagramme zeigen nach geographischer Lage geordnet in vergleichbarer Darstellung 1. die Größe, 2. die Einwohnerzahl, 3. den Außenhandel der südamerikanischen Staaten

der Hauptfluß mit seinen großen und kleinen Nebenflüssen, mißt von der Quelle bis zur Mündung des Hauptflusses 2300 Rilo­meter in der Länge bei etwa 2200 Kilometer größter Breite; das so erfaßte Land hat mit 3 Millionen Quadratkilometer die Flächengröße von einem Drittel Europas  !

Leider übersehen so viele Neu­erscheinungen auf wirtschaftspolitischem Gebiet diese Zusammen, als die Provinz Schleswig- Holstein  . Das ganze Stromsystem, d. h. hänge. Um so wertvoller ist uns eine Arbeit, die von dieser Basis ausgeht. Dr. Hermann Lufft, bekannt durch seine beachtenswerten Aufsätze und Veröffentlichungen über Wirtschaftspolitik und Weltwirtschaftsprovinzen, hat jetzt ein Werk über Lateinamerita*) herausgebracht, das die höchste Beachtung verdient. Schöpfend aus eigener Anschauung und tiefster Kenntnisse der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge und des jüd­amerikanischen Kontinents ist dieses Buch sowohl eine umfassende Darstellung der mittel- und südamerikanischen Staaten und ihrer Eingliederung in die Weltwirtschaft als auch ein wertvoller Beitrag zur Erkenntnis der weltwirtschaftlichen Umgruppierungen überhaupt.

Früher waren die südamerikanischen Staaten Niederlassungen, Kolonien Spaniens  ( daher Lateinamerika   im Gegensatz zu Anglo­ amerika  ). Als solche hatten sie den einseitigen Raubbau des Merkantilismus zu ertragen. Aber schon eher als andere Rolonien erlangten fie eine gewisse Selbständigkeit, weil das Mutterland ständig an Bedeutung und Kraft verlor. Diese Zeit des Eintretens in die Weltgeschichte ist gekennzeichnet durch die vielen Revolutionen, die auch heute noch nicht völlig überwunden find. In zunehmendem Maße wird aber dieses Land, werden diese Staaten Wirtschaftszentren und damit Wirtschaftsfaktoren von welt­politischer Bedeutung. Die Welt hat schon heute mit ihnen zu rechnen.

Unvorstellbare Weiträumigkeit

Bon europäischen Verhältnissen aus sich in Südamerika   zurecht­zufinden wird schon äußerst erschwert durch die unvorstell­bare Weiträumigkeit dieses Kontinents. Wir sind gewohnt, die außereuropäischen Länder in unseren Atlanten auf der gleichen Blattgröße zu sehen wie die einzelnen europäischen   Staaten, ohne eine Anschauung von der Maßstabsverschiedenheit zu haben. Da­durch wird uns selten bewußt, wie außerordentlich unsere Größen­verhältnisse hinter denen dieser Länder zurückbleiben.

Das Stromgebiet des Amazonas   ist noch doppelt so groß, auch hat der Amazonas   infolge reicherer Niederschläge größere Wassermengen. Der Hauptstrom ist an der peruanischen Grenze, 3000 Kilometer von der Mündung entfernt, schon 2,5 Kilometer breit und bei Santarem, noch 500 Kilometer vom Ozean entfernt, 16 Rilometer! Die Stromenge bei Obidos   drängt ihn zwar auf 1,8 Kilometer zusammen, bewirkt aber gleichzeitig eine Tiefe Don 400 meter. Zum Vergleich sei erwähnt, daß die Unter­elbe unterhalb Hamburgs bei einer Breite von 1,2 bis 2 Kilometer eine ungebaggerte Tiefe von 3 bis 5 Meter erreichte und die Nordsee  in ihrem südlichen Teil nicht über 60 Meter, in ihrem nördlichen Teil 100 bis 130 Meter Tiefe hat. Durch diese gewaltigen Ströme in Südamerika   fönnen natürlich die Ozeanschiffe tief in das Land eindringen und Flußschiffe stoßen vor bis an den Fuß der Anden. Aber andererseits setzt der Amazonas   jährlich für einige Monate Gebiete von der Größe Preußens unter Wasser und erschwert durch Hoch- und Tiefwasserunter­schiede von oft 15 bis 20 Meter den regelmäßigen Verkehr.

Die Landmassen entsprechen diesen Größen, wie es die bei­gegebene Stizze( Europa   in Südamerika   hineingezeichnet) zeigt. Selbstverständlich rufen solche Größenverhältnisse besondere Wirt­schafts- und Kulturformen hervor, wie es denn auch überall zu beobachten ist.

Aufteilung in Wirtschaftsprovinzen

Diese Weiträumigkeit ist aber ein unmittelbarer wirtschaftlicher Faftor, er wirkt sich aus in der Uleberwindung von Beit und Kraft. Dies gilt für die Ausfuhr der Agrarprodukte und Rohstoffe wie für die Einführung der Fertigfabrikate, besonders der Maschinen und ihrer Ersatzteile. Jede Verzögerung eines Trans- schaftlich in Erscheinung treten. In dem Maße, wie die Staaten

*) Dr. Hermann Lufft: Lateinamerita". Mit 17 Karten, 202 Abbildungen und Diagrammen. Bibliographisches Institut A.-G., Leipzig   1930. 484 Seiten, Ganzleinen 28 m. Leider erscheint das Buch, wie so viele heute, auf Glanzpapier. Trotzdem dies für die Schärfe der Bilder nötig scheint, wird der Preis so hoch, daß weite Kreise der Interessierten ausgeschlossen werden. Es wäre zweck­dienlicher gewesen, die Bilder in Anlagen zu bringen und den Preis niedrig zu halten.

Der südamerikanische Kontinent wird ohne die mittelamerikani­schen Staaten von 11 Staaten eingenommen, die an Größe, Ein­wohnerzahl und wirtschaftlicher Bedeutung äußerst ungleich sind. Diese Staaten sind ebensowenig ,, naturbedingt" wie die 28 Staaten Europas  . Vielmehr sind durch Lage ,, Aufgeschlossenheit und Ere giebigkeit Wirtschaftsprovinzen entstanden, die als solche weltwirt. sich um diese wirtschaftlichen Zentren gruppieren und dadurch an ihren Schätzen Anteil haben, sind sie bedeutungsvoll und politisch mächtig.

Südamerika   hat im Gegensatz zu Europa   am Meere hoch­getürmte Gebirge mit schmalem Vorland und riesige Beckenlandschaften im Innern, die erst durch die Strom­systeme erschlossen werden. So ergeben sich wirtschaftlich drei Land­schaftstypen: das Küstenland, das Gebiet des La- Plata- Systems und das des Amazonas  .

Die folgende Statistit zeigt, wie sich die Staaten vor allem an die Küstenzone anschmiegen, zugleich aber auch um die Beden­landschaft des La Plata   gruppieren:

Raumverteilung der Landschaften Südamerikas   nach Staaten in Mill. qkm Fläche, Mill. Einwohner, Mill. Dollar Ausfuhr. Küstenland und Randgebiet

Amazonas  

La Plata  

Fläche

Ein Aus­wohn fuhr

Fläche

Ein Aus wohn. fuhr

Fläche

1. Argentinien   1,2 0,35 97 2. Uruguay 3 Paraguay 4. Brasilien  

2,6 36,0 378 5. Guayanas. 0,5 0,48 22 6. Benezuela 1,0 3,0 0,9 6,9

7. Colombia 8. Ecuador 9. Peru. 10. Bolivia  . 11. Chile  .

Insgesamt

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1,6 10,3 875

Ein Aus wohn. fuhr

0,2 1,76 98

0,4 0,83 14 1,6 0,5

40 4,3 2,32 13

0,4 0,2 0,5 0,2 0,2 0,5

81

121

0,1 1,8

12,2

5,0 5,5 0,3 2,67

88,1

0,9 0,65 1,6

0,8 4,0

43,3 0,3 0,25 204

1,0 0,05 0,4

| 7,9 60,7 1046,6| 4,1 13,64 1027| 6,8 3,42 16

Diese Statistik ist in mehr als einer Hinsicht aufschlußreich. Sie zeigt einmal die Vorherrschaft der ABC Staaten ( Argentinien  , Brafilien, Chile  ), die vor allem noch auf der wirt­schaftlichen Stärke der Küstenlandschaft beruht. Zugleich zeigt sie aber auch die große Bedeutung der einen Beckenlandschaft, der La- Plata- Landschaft, an der fünf Staaten teilhaben.

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Gewiß ist heute noch die Küstenlage ausschlaggebend und bleibt es auch insofern, als fie einen direkten Zugang zum Meer sichert. Gewiß ist auch das La- Plata  - Becken heute noch unvollkommen be­siedelt und bewirtschaftet. Aber schon jetzt zeigt sich, daß das La­Plata Beden bei zunehmender wirtschaftlicher Durchdringung die ertragreichste Wirtschaftsprovinz Südame= ritas und damit ein bedeutender Faktor der Weltwirtschaft zir werden beginnt. Die Stellung Argentiniens   stüßt sich in erster Linie auf den Anteil an dieser Wirtschaftsprovinz( siehe Statiſtif). Uruguay   nimmt mit 98 Millionen Dollar Ausfuhr ebenfalls großen Anteil an den Schäßen und Paraguaŋ beginnt in era staunlichem Maße seine Stellung auszubauen. Brasiliens  Anteil am La Plata   ist bei 40 millionen Dollar auch bedeutungsvoll, doch beruht seine wirtschaftliche Machtstellung auf den Kaffeeanbau­provinzen, die zur Kaffeemonopolstellung Brafiliens geführt haben.

Das Amazonasgebiet, auf das der größte Teil Brafiliens entfällt, ist wegen seines Regenreichtums im tropischen Klima nicht oder nur gering besiedelbar. Die feuchtwarme Atmosphäre rufen die vielen Tropenfieber( Malaria) hervor, so daß das Gebiet mirt­schaftlich unbrauchbar ist. So schiebt sich das La- Plata  - Gebiet vor, hinter dem auch die kleinen Staaten der Westtüfte zurückbleiben, menngleich sie heute noch an der Ausfuhr stark beteiligt sind. Die große Einheitlichkeit, Aufgeschlossenheit und landwirtschaftliche Brauchbarkeit des La Plata   bei auch für Europäer   gesundem Klima werden mit zunehmender Kolonisierung die größte und bedeutungsvollste Wirtschaftsproving Südamerikas   hervorrufen.

Ausschlaggebend für den Welthandel ist dieses Gebiet durch die Agrarprodukte Weizen, Hafer, Mais, Leinsamen, Roggen, Gerste, durch Viehzucht und in Weiterung dieses durch Wollproduktion und Fleischverarbeitung. Das gilt für alle Staaten gleichermaßen. Insbesondere ist die Ausfuhr von Weizen und Mais erheblich, für

Amazones

La Plata  

Buenos Aires  

Südamerika   und Europa  

Recife

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im Größenverhältnis zueinander, Europa   ist im gleichen Maßstab in Südamerika   hineingelegt. Zur besseren Uebersicht Karte so drehen, daß die Südspitze waage­recht linker Hand liegt

Argentinien   20 Proz. bzw. 23 Pro3. des Gesamthandels. Uruguays  Außenhandel besteht zu 85 Proz. aus den Produkten der Vieh­wirtschaft( Gefrierfleisch, Wolle, Häute). Für Paraguay   tommt aus der Waldzone noch die Ausfuhr der forstwirtschaftlichen Produkte hinzu, vor allem Mate und Quebrachoertrakt.

Die erste Berarbeitung der Rohprodukte wird jetzt schon vielfach durch die eigene Industrie vorgenommen, wie auch der einfachere Bedarf aus der eigenen Industrie gedeckt werden kann. In steigen­dem Maße wird die Industrie ausgebaut. Hier macht sich die Ver. felbständigung der ehemals politisch und vor allem wirtschaftlich abhängigen Staaten deutlich bemerkbar. Wilhelm Tietgens.