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Morgenausgabe

Nr. 323

A 163

47.Jahrgang

3,60 Dr.

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Der

Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Frauenstimme", Technit", Blick in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" und Stadtbeilage".

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Sonntag

13. Juli 1930

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflame eile 5,- Reichs­mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Wort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, mochentäglich Don 81/2 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Dauerkrise und Wochenende Defisit und Artikel 48.

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Sonntagsverhandlungen im Reichstag.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen im Steuer­ausschuß traten gestern nachmittag 4 Uhr die Steuerfachver­ständigen der Mittelparteien mit dem Reichsfinanzminister Dr. Dietrich zu einer Besprechung zusammen, die nach zwei Stunden abgebrochen wurde, um heute 10 Uhr vormittags fortgesetzt zu werden. Dem Vernehmen nach ist man da bei nicht wesentlich weitergekommen. Die Vertreter der Deutschen Volkspartei   beharrten auf der Kopfsteuer, die nach ihrer Versicherung die Schaffung einer Steuermehrheit nach rechts ermöglichen soll, und fanden damit lebhaften Widerspruch bei den Demokraten.

Eine für 6 Uhr nachmittags vorgesehene Rabinettssigung fonnte mangels Beteiligung nicht abgehalten werden. Die Herren waren fast sämtlich fern von Berlin  .

Kampf um die Krankenversicherung.

Heftige Debatten um die Gplittertranfenfaffen. Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstags nahm am Sonnabend in der Beiterberatung der Kranten versicherungsnovelle eine von den Sozialdemokraten be­antragte Verbesserung an, wonach durch Satzung Sterbegeld nicht nur den Ehegatten oder Kindern, sondern auch sonstigen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angehörigen gewährt werden kann.

Die Frage der Betriebs- und Innungstranten tafien löfte eine große Debatte aus. Der von Litte( Sog) be gründete Antrag, daß zur Errichtung solcher Kaffen statt 150 mindestens 1000 und bei gemeinsamen Betriebstrantenfassen 2000 Versicherungspflichtige erforderlich sein sollen, wurde abgelehnt. Ministerialdirektor Grieser betonte, die Vorlage bringe infofern einen Fortschritt, als die Errichtung der Kassen nur noch für das Handwert, nicht mehr für gemischte Inmungen zugelassen werde. Die Regierungsvorlage wurde unter Ablehnung aller Berbesserungsanträge angenommen. Durch einen Burjaz der Regierungsparteien wurde noch eine Erweiterung beschlossen. wonach mehrere Snnungen gemeinsam eine Kaffe errichten können.

Furcht vor der Entscheidung. Das Pensionsfürzungsgesetz wieder verschoben. Im Haushaltsausschuß des Reichstages ging, nach Erledigung der Hilfsaktion für Neurode, bei der fortgeführten Bee ratung des sozialdemokratischen Bensionstürzungsgefeges eine große Zahl von Anträgen ein, deren sofortige Erledigung nicht bewirkt werden konnte. Es wurde zwar versucht, die Beratung fort- Ein fozialdemokratischer Antrag, wonach für die Kranten­zuführen, doch wurde alsbald von der Wirtschaftspartei be- taffen angestellten der Tarifvertrag den Vorrang antragt, die Regierung zu ersuchen, vergleichendes Material vor der Dienstordnung haben soll, wurde von dem Zentrums über das Pensionsrecht anderer Kulturländer bis zum Herbst vorzu abgeordneten Beder- Arnsberg   in einer gerabzu unglaub legen und die Beratung bis dahin zu vertagen.dlichen reaktionären und tariffeindlichen Weise bekämpft. Die Deutschnationalen beantragten die Bertagung des von der Schließlich gelangte aber gegen Beder mit 15 gegen 13 Stimmen Regierung angekündigten Entwurfs eines Ausgabesenfungsgefeßes. eine Entschließung zur Annahme, in der die Reichsregierung er­Das Zentrum schließlich wünschte die Bertagung bis zum Diens sucht wird, alsbald eine Vorlage über die Dienstvertragsverhältnisse tag, da dann alle Anträge gedruckt vorliegen tönnten. Dieser An- der in der Sozialversicherung tätigen Arbeitnehmer zu machen, trag wurde mit großer Mehrheit angenommen, die Erledigung der worin der Vorrang des Tarifvertrags vor der Dienstordnung Frage also wieder hinausgeschoben. gefichert wird. Weiterberatung wird am Montag fortgesetzt.

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Hilferuf aus Finnland  .

Gegen Kommunismus und Reaktion.

Zürich  , 12. Juft.( Eigenbericht.) Die von der Sozialistischen Arbeiter- Internationale heraus­gegebene ,, Internationale Information" veröffentlicht einen Aufruf des Parteivorstandes der Sozialdemokratischen Partei Finnlands  an die Arbeiter aller Länder, in dem es heißt:

,, Die unverantwortliche Politik der finnischen   Rommunisten hat die faschistischen Bestrebungen in der letzten Zeit ungeheuer ge­fördert. Die in Finnland   betriebene fommunistische Propaganda ist zwar unfähig, die bestehende staatliche Ordnung ernstlich zu be­

drohen. Indem aber

ihre Stüße in Rußland   die unabhängige staatliche Stellung und die gesetzliche Ordnung des eigenen Landes Bielen   bedroht serscheinen läßt,

hat fie in der patriotischen finnischen   Bevölkerung lebhafte Ent­rüstung erweckt.

Diese Entrüstung nutzen die Reaktionäre aus, um auch solche Elemente unter thre Führung zu bringen, die sonst teineswegs willig waren, die Reaktion zu fördern. Die Leidenschaften werden aufgepeitscht, so daß ruhige Ueberlegung erschwert wird. Eine ganze Reihe faschistischer Untaten hat ein Gefühl der Unsicherheit hervorgerufen.

In dem Aufruf wird dann über die Politik der Regierung be richtet, die, um den Wünschen der Reaktionäre entgegenzukommen, im Reichstag   Gesetze eingebracht hat, die die wichtigsten staats­bürgerlichen Rechte einschränken sollen. Die finnische Sozialdemo­tratie hat ſeit Anbeginn der fommunistischen Bewegung fie durch Aufklärungsarbeit befämpft und diese habe ihren Ein­fluß zum großen Teil bereits verloren. Zugleich aber bekämpft die Sozialdemokratie.

Unterstützung der Arbeiter anderer Länder, wenn wir gegen mächtige reaktionäre Kräfte die Demokratie und die Möglichkeit eines fünftigen sozialen Fortschritts verteidigen."

Alle Kommunisten steckbrieflich verfolgt.

Helsingfors  , 12. Juli.

Die Polizei hat den kommunistischen   Abg. Väisenen fest­genommen, als er in das Reichstagsbüro fam, um seine Diäten zu halen. Alle kommunistischen Abgeordneten werden sted brieflich verfolgt. Bäisenen ist 70 Jahre alt und gehört zu jenen Kom munisten, die sich den Sozialdemokraten nähern. Er ist der erste tommunistische Reichstagsabgeordnete, der gemäß der Verfügung des Innenministers, wonach alle Kommunisten festgenommen werden sollen. in Haft genommen worden ist. Alle anderen sind ver­schwunden. Nur die beiden, vor einer Woche von den Lappoleuten aus dem Berfaffungsausschuß herausgeholten Abgeordneten find ebenfalls im Gewahrsam der Polizei. In Kotta find fünf Kom munisten und in Kymmene drei Kommunisten festgenommen

worden.

Die Leningrader Prawda vom 6. Juli berichtet, daß nach und nach 25 finnische Kommunisten, darunter eine An. zahl Abgeordnete, in Leningrad   eingetroffen sind. Die Faschisten hatten fie über die Grenze gejagt.

Ein Teil der Erilierten behauptet, in der schlimmsten Weise miß­handelt worden zu sein. Der Abgeordnete Perele hat beim finnischen   Parlament telegraphisch   protestiert, ebenso hat der Ab­geordnete Cheifla dem Zentralrat der finnischen   Gewerkschaften Einzelheiten seiner Entführung gebrachtet.

Bor dem Rathaus- Gericht in Basa standen sechs Bersonen, die an der erfolgten Zerstörung einer fommunistischen Zeitungsdruderet beteiligt waren. Drei der Angeklagten wurden zu je zwei Mo­die Bestrebungen der Reaktion, die die angebliche kommunistische naten Gefängnis, drei andere zu je 300 Mark Geldstrafe Gefahr ausnutzen, um die Rechte der Arbeiterschaft und der Außerdem wurde den Angeklagten aufgegeben, der Druckerei den auf 300 000 finnische Mark geschätzten Schaden zu Demokratie zu bedrohen. erfeßen. Den Berurteilten wurde eine Bewährungsfrist Schließlich heißt es in dem Aufruf: Bir bedürfen der von zwei Jahren zugebilligt.

verurteilt.

Regierung und Parteien am Scheideweg.

,, Bersagt das Parlament, so wird die Reichsregierung das, was für die Lebensnotwendigkeiten des deutschen   Volkes erforderlich ist, auf anderem Wege durchsetzen."

Mit diesen Worten schloß in der Reichstagssigung vom 12. April der Reichstanzler Brüning seine Rede. Der Bericht verzeichnet: Beifall in der Mitte und rechts, Unruhe lints." Ein Parlament, das etwas auf sich hält, hätte einen Regierungschef, der so zu reden wagt, noch an demselben Tage davongejagt. Der Deutsche Reichstag parierte. Am 14. April beschloß er die neuen Agrarzollerhöhun­gen mit 250 gegen 204 Stimmen, die Tabat. und 3udersteuern mit 230 gegen 224, die Bier, Um­a- und Konsumvereinsteuern mit 229 gegen 224, die Mineralwassersteuer mit 229 gegen 225. Die herabsetzung der Zuweisungen für die Invalidenver­ficherung wurde mit 249 gegen 204 Stimmen beschlossen. icherung wurde mit 249 gegen 204 Stimmen beschlossen. Am Tage darauf fonnte man in den Zeitungen der Re­gierungsparteien lesen, daß es der Regierung Brüning ge­lungen sei, den Etat für 1930 ins Gleichgewicht zu bringen und die Reichsfinanzen zu sanieren. Man mußte in der Tat annehmen, daß dem so sei. Denn nur ein großes Ziel konnte die Anwendung so außerordentlicher Mittel rechtfertigen. Bloß um zwei Monate wursteln zu können, droht ein ver­nünftiger Mensch nicht mit dem Staatsstreich.

Indes, nach zwei Monaten war es so weit! In dem Etat, der mit so ungewöhnlichem Energieaufwand angeblich ins Gleichgewicht gebracht worden war, sant die Schale der Ausgaben abermals, während die der Einnahmen in die Höhe schnellte. Hätte man im April schärfer gerechnet und im Juni den Kopf oben behalten, so hätte die einmalige Aktion im April zum mindesten bis zum Herbst gereicht.

Einnahmen und Ausgaben müssen in Einklang mitein­ander gebracht werden. Niemand vertritt diesen Grundsatz schärfer als die Sozialdemokratische Partei  . Deswegen aber heiligt der Zweck, einen Fehlbetrag im Reichshaushalt zu vermeiden, noch lange nicht jedes Mittel. Ein. Vero fassungsumsturz fann mit all den Konsequenzen, zu denen er möglicherweise führt, dem deutschen   Volk und der deutschen   Wirtschaft so teuer zu stehen kommen, daß ein Fehlbetrag von einigen hundert Millionen dagegen noch gering erscheint.

Bon den bürgerlichen Parteien der Mitte aber sollte man die Einsicht erwarten, daß ein Regime, das die Wirt­schaft alle paar Wochen aufs neue durch Panikstimmungen und innerpolitische Konfliktdrohungen beunruhigt, nicht länger ertragen werden fann. Sie sollten es darum Herrn Brüning nicht gestatten, noch einmal vor den Reichstag mit einer Erklärung zu treten, wie er sie am 12. April abgegeben hat. Noch weniger sollten sie ihm gestatten, im Sinne dieser Erklärung zu handeln.

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Nach den Ausführungen, die gestern morgen hier ge macht wurden, hat sich in der bürgerlichen Presse ein Raunen erhoben von einer Anbiederung" oder einem ,, Angebot" der Sozialdemokratie. Mögen diejenigen, denen es Spaß macht, es so nennen! Richtig ist, daß die Sozial­demokratie niemals ihre Bereitschaft verleugnet hat, mit den bürgerlichen Mittelparteien über eine erträg liche Lösung der augenblicklichen Schwierigkeiten zu ver­handeln. Keine bürgerliche Partei wird daher behaupten fönnen, sie sei gezwungen gewesen, der Rechten widerwillig Ronzessionen zu machen, weil sich die Sozialdemokratie der positiven Mitarbeit versagt habe. Und ebensowenig wird die Regierung, wenn sie den Artikel 48 zur Anwendung bringt, behaupten können, sie habe, bevor sie zu diesem Ver­zweiflungsmittel gegriffen, alle parlamentarischen Möglich­feiten erschöpft.

Das gerade Gegenteil ist Wahrheit. Die Regierung Brüning hat, seit sie am Ruder ist, nur den Bürger­mit kostspieligen Konzessionen bezahlt. Scheitert sie mit dieser blod gewollt, nur die Hilfe der Rechten gesucht und diese Politit. so beweist das nur, daß eine andere versucht werden muß. Reinesfalls aber gewinnt die Regierung das Recht, den normalen Gang der Gesetzgebung auszuschalten und sich ein Verordnungsrecht anzumaßen von einem Umfang und einer Fülle, wie sie die Verfassung nicht kennt.

Die Sozialdemokratie hat den lebhaften Wunsch, Schädi gungen, die der Arbeiterklasse von der bisherigen Politik der Regierung Brüning drohen, zu vermeiden und Torheiten