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BERLIN  Montag

14. Juli 1930

Der Abend

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Nr. 324

B 161 47. Jahrgang

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Kopfzerbrechen um Kopfsteuer.

Sonntagsarbeit der Regierungsparteien.

Ein parlamentarisches Nachrichtenbüro meldet: Am Sonntag festen im Reichstage die Finanzfachverständigen und einige Partei­führer der hinter der Regierung stehenden Reichstagsfraktionen gemeinsam mit Bertretern der Finanzministerien der größeren deut­ schen   Länder ihre Besprechungen über die Deckungsvorlagen, be­sonders über ihre Ergänzung durch eine Kopfsteuer fort. An Stelle des Reichsfinanzministers Dietrich leitete Ministerial­direktor Dr. 3 arden die Verhandlungen. Für Breußen waren Finanzminister Dr. Höpter Aschoff und Ministerialdirektor Dr. Hog erschienen, für Bayern   Ministerialdirektor Dr. Hammer, für Württemberg   Gesandter Boster.

In den stündigen Beratungen machte besonders der preu Bische Finanzminister die stärksten Bedenten gegen eine Kopfsteuer und gegen die Möglichkeiten ihrer Durchführung geltend. In nicht ganz so scharfer Form äußerte sich auch der banerische Regierungsvertreter gegen die Kopfsteuer. Trogdem wurden die technischen Möglichkeiten für die Durchführung der Kopfsteuer genau durchgesprochen.

Die Frattionen behielten sich ihre endgültige Stellungnahme vor, doch gelang es, wie verlautet, eine Annäherung in den Auffassungen der Regierungsparteien herbeizuführen. Beschlüsse wurden zwar nicht gefaßt, doch geht die Tendenz dahin, es im wesentlichen bei den vor einigen Tagen von der Regierung auf. gestellten Ergänzungsvorschlägen zu den Deckungsoor lagen zu belassen.

Die Kopfsteuer soll für das Rechnungsjahr 1930 den Gemein­den fakultativ zur Verfügung gestellt werden, und zwar in einer Höhe von mindestens 6 Mart pro Kopf. Falls die Real­steuersätze, die am 1. Juli in Kraft waren, überschritten werden, sollen die Gemeinden zur Einführung der Kopfsteuer verpflichtet fein. Vom 1. April 1931 an soll die Kopfsteuer überhaupt obligatorisch sein.

Die Fraktionen werden sich am Montag mittag mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Das Ergebnis der Fraktionsfizungen foll der Regierung am Montag nachmittag mitgeteilt werden. Die Entscheidung liegt hauptsächlich bei den Demokraten und bei der Bayerischen Volkspartei  , in deren Reihen sich starte Widerstände gegen die Kopfsteuer geltend machen.

Dietrich ist gefund.

Offiziös wird versichert, daß die Nichtteilnahme des Reichsfinanzministers Dr. Dietrich an der gestrigen Bormittags besprechung der Finanzreferenten der Regierungsparteien feines megs in einer Ertrantung des Ministers ihren Grund hatte. Er wollte sich nur schonen und hat heute seinen Dienst wieder aufgenommen.

Bis heute nachmittag 4 Uhr sollen die Fraktionen, die hinter der Regierung stehen, dem Reichskanzler die Entscheidung über die Deckungsfrage mitteilen. In der morgigen Reichstagsjigung wird Dr. Brüning in einer längeren Rede oder in einer Er tlärung den Standpunkt der Regierung mitteilen.

Rote Jugend in Kopenhagen  .

Ministerpräsident Stauning spricht.

Kopenhagen 14. Juli. Vorgestern abend wurde in der Riesenhalle des Forums anläßlich des Internationalen Arbeiterjugend- Treffens eine große Versamm Lung abgehalten. Danach zogen die Teilnehmer in einem Fackelzug mit Musit nach einem sozialistischen   Versammlungslokal. Gestern nachmittag wurde im Volkspark Göndermarken, an den Grenze von Kopenhagen  , unter freiem Himmel eine Bersammlung abgehalten, in der Staatsminister Stauning und der Präsident der schwedi fchen Sozialdemokratie, Per Albi hansson sprachen.

Flugunfall in Staaten.

Absturz einer Maschine für den Europa  - Rundflug. Auf dem Flugplatz Staaten ereignete sich gestern abend ein Flugunfall, der noch ziemlich glimpflich ablief. Der Chefpilot der Deutschen Verkehrsfliegerschule, Steindorf  , steg furz nach 8 Uhr abends mit einem verbesserten Typ des Bäumer- ,, Säujemind". Sportflugzeuges auf, mit dem er an dem in acht Tagen beginnenden Europarundflug teilnehmen wollte. Aus bisher noch nicht bekannter Ursache stürzte der Eindecker bald nach dem Start aus einer Höhe von 30 bis 40 Meter ab und ging bei dem Aufprall auf den Boden zu Bruch. Steindorf   wurde mit erheblichen Gesichts­pounden in das Spandauer   Krantenhaus transportiert,

Am Massengrab in Neurode

20000 Trauernde bei der Feier am Bergabhang

Rechts: Die Massenaufbahrung der Särge, die am Sonntag der Gruft übergeben wurden Links: Reichstagspräsident Löbe nimmt an der Trauerfeier teil

Neurode, 14. Juli( Eigenbericht). scharten sich die Abordnungen der Verbände. Die große rote Fahne Der erste Akt der furchtbaren Grubenkatastrophe in Hausdorf des Deutschen Bergarbeiterverbandes wehte neben den geweihten fand am Sonntag seinen Abschluß. Die bisher geborgenen Opfer der Kerzen. Vor der größten Gruft, die 34 Tote aufnahm, stand der Katastrophe, 106 an der Zahl, wurden zu Grabe ge. Kranz des Reichspräsidenten  , daneben der Gruß der preußischen Staatsregierung. Der Friedhof selbst war ausschließlich den Ange­tragen. Zu welchem Zeitpunkt die noch unter den Trümmern ver­schütteten Bergarbeiter beigesetzt werden, ist vorläufig noch nicht zu hörigen der Opfer reserviert. Doch er reichte nicht aus. Auch hinter den Zäunen mußten noch viele Frauen und Männer, Angehörige der übersehen. Bergarbeiter, die eben zu Grabe getragen werden, Platz nehmen. Es spielten sich erschütternde Szenen ab.

Ein woltenbehangener Himmel lag über Hausdorf, ais in der sechsten Morgenstunde bereits die Massen aus dem gefanten Kreise Neurode herbeieilten. In der Nacht hatten die Kameraden der Ver­storbenen die drei Gemeinschaftsgräber, in denen die Toten, die bisher im Beruf zusammengewirkt hatten, jetzt auch ge= meinsam bestattet wurden, hergerichtet. Auch waren bereits die Särge auf den Neuen Katholischen Friedhof überführt und in der einen Gruit 24, in der zweiten 22 und in der britten sechs Bergleute beigesetzt worden, während die Särge der in den umliegenden Ortschaften Be­heimateten um die Gruft herum aufgestellt wurden. Lange vor der festgesetzten Zeit war der kleine am Bergabhang liegende Dorf friedhof, bereits überfüllt. Ein großer Teil der etwa 20 000 Personen zählender Trauergemeinde hatte sich auf dem Berga bhang auf­gestellt.

Die Trauerfeier begann mit einem Bläser chor. Dann sprachen die Geistlichen beiden Konfessionen. Mehr als 100 Frauen mußten oynmächtig fortgeschafft werden. Die Samariter, die in der Nähe des Friedhofs ein Notlazarett hergestellt hatten, hatten alle Hände voll zu tun. Selbst junge Männer übermannte vorübergehend der Schmerz. Den Schluß der Feier bildete der Totengejang für Bergleute, gesungen von einem Männerchor.

Als die Gräber zum Teil schon mit Erde bedeckt waren, spielten sich auf dem Friedhof immer noch erschütternde Szenen ab. Bis spät in den Nachmittag hinein bewegten sich Trauerzüge zu den Massen­gräbern. Wallfahrten des Todes und des Elends, die man niemals vergessen wird.

Am gestrigen Sonntag, an dem ein großer Teil der Opfer zu Grabe getragen wird, wehten überall in Deutschland   die Fahnen auf Halbmast, nicht nur auf Regierungs- und öffentlichen Ge= bäuden. In Berlin   sah man auf vielen Pivathäusern die Flaggen halbmast gezogen, namentlich in den Arbeitervierteln.

An der Trauerfeier, die auf dem neuen Friedhof in Hausdorf vor sich ging, nahmen zahlreiche Vertreter der Reichs= und preußischen Staatsbehörden teil. Der Reichstag   hatte seinen Präsidenten Paul Löbe   entsandt, die Reichsregierung den Staats­sekretär im Reichsarbeitsministerium, Geib. und Preußen den Mi­nisterial- Oberregierungsrat von Flemming. Außerdem war der Oberpräsident von Niederschlejien erschienen. Als Vertreter des Berg­arbeiterverbandes nahm der jozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Husemann an der Feier teil. Reichspräsident und Reichsregierung hatten einen prachtvollen Kranz aus weißen Rosen mit schwarz- rot­goldener Schleife an den Massengräbern niederlegen lassen. Unzählig waren die Kränze aus den Reihen der Arbeiteror ganisationen, unzählig die Fahnenabordnungen. Schon viele Stunden vor der um adt Uhr früh beginnenden Trauerfeier war der Weg, der von Hausdorf zum Friedhof führt von Menschen dicht besetzt. Auf den Hügeln, zwischen denen der Friedhof liegt, standen Tausende und aber Tausende. In drei Massengräbern waren die Sär ge niedergestellt worden. Die Särge der auswärtigen Opfer standen an den Grabrändern. Sie wurden nach Schluß der Feier in die Heimatorte der einzelnen Opfer überführt. Inmitten des| Friedhofs stand ein schwarz ausgeschlagenet Altar. Um ihn herum zu wählen.

Regierungswechsel in Oldenburg  . Der oldenburgische Ministerpräsident von Finch geflorben.

Oldenburg  , 14. Juli.

Der oldenburgische Ministerpräsident von Finch ist am Sonn­tag in St. Blasien   einem Lungenleiden erlegen. Der Verstorbene stand im 71. Lebensjahre. Er führte seit sieben Jahren ein Beamten­fabinett. Das Rumpffabinett wird wahrscheinlich zurücktreten, so fabinett. daß der Landtag einberufen werden muß, um eine neue Regierung