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Är. 341- 47. Zabrgang
± Beilage des Vorwärts
Oonnersiog, 74. Juli 1930
Die roten von Koblenz  . Bisher 36 Opfer geborgen. Trauer über Deutschland.   Fahnen auf Halbmast.
KSl«. 23. Juli.  (CftgcwbcridM.) Jt» Koblenz   wurden bis Mittwochabend 8 Uhr 3k Seichen geborgen. Man rechnet damit, dag noch 4 oder 5 Tote im Wasser liegen. Von den cheborgeuen sind 13 Männer. 18 Frauen und 4 Kinder. Unerkannt find noch 2 Männer und 6 Frauen. Unter den Toten befinden sich eine Mutter mit ihrem Sohn und eine Mutter mit ihrer Tochter. Am Mittwochnachmittag hat die Rheinstrombauverwaltung einen Taucherschacht an die Unglücksstelle beordert, um nach den restlichen Qpfern der Katastrophe durch einen Taucher suche« zu lassen. Tie Unglücksbrücke ist nicht durchgebrochen, son- dern seitlich abgerutscht. Sic liegt etwa S Meter unter Wasser. » Jäh ist die Stadt AoMmz aus dem Taumel der Je- freiungsfeier erwacht. Ein Hauch von Schmerz und bitterem Weh liegt über ihr. Die F q h n e n find auf H o l b m oft gehißt. Der Schmuck der Häuser, zum Teil schon abgerissen, wirkt wie ein bitterer Hohn. Der Unglücks st eg liegt dem Deutschen   Eck gegenüber auf dem linken Moseluser. Er ist etwa 18 Meter long und 2H Meter breit. Er führt über einen tiefen schachtähnlichcn Eingang zum Hafen und besteht fast nur aus Eisen. Daher die Schwere des Unglücks. Die Verunglückten sind zum großen Teil von den nieder. stürzenden Eisenmossen erschlagen worden und unter die Trümmer geraten. Am Mittwoch waren zwei Kräne damit beschäftigt, die Eisenteile zu heben. Der eingestürzte Steg diente nicht dem öffentlichen Verkehr. Er war auch durch eine Kette zur Zeit der Katastrophe abgesperrt. Augenscheinlich hat das Publikum diese Kette jedoch gelöst, um die Brücke, die einen näheren Weg zur Stadt darstellt, zu benutzeir. Noch jetzt hängt an der Brücke ein Schild, das besagt: die Hafenbrücke ist für den offen t- lichen Verkehr gesperrt. Zur Zeit der Katastrophe befand sich an der Brücke ein Schupobeanüer, der auch versucht hat, Ordnung in die zurückströmenden Massen zu bringen. Es ist ihm aber nicht gelungen, di« Uebcrlastung des kleinen Steges zu verhindern. Den ganzen Mittwoch über fuhren Feuerwehrleute, Schupo- bsanrte und Samariter die Ilngliicksstclle mit einem Nachen und einem Schleppnetz ab. Wiederholt sah man, wie sie einen verlorenen Gegenstand, eine Handtasche, einen Schirm, ein Bekleidungsstück usw. aus dem Master zogen. Bisher fanden sie nach einer amtlichen Meldung 35 Tote., Alan vermulel jedoch, daß insgesamt 45 Menschen dem Unglück zum Opfer gefallen sind. Meist hondekt es(ich um Bewohner aus Koblenz   und seiner Nach- barschost. Nach den bisherigen Feststellungen sind aus Koblenz  ertrunken: 7 Mämtcr, 4 Frauen und 4 Kinder, aus dem Land- kreis Koblenz  : 4 Männer und 8 Frauen. Außerdem ist ein 6 Jahre alter Junge namens Raimund P a w l e r. der aus Akron   im Staate Ohio   in den Vereinigten Staaten   stammt und bei seinem Großvater in Koblny zu Bestick) weilte, dem Unglück zum Opfer gefallen. Aus einem Mädchenpcnsionat in Rheinbrohl   sind ollein 7 Mädchen
verunglückt. Man befürchtet, daß noch zwei Mädchen aus dem gleichen Pensionat unter den Trümmern im Waster siegen. Die Ver- unglückten sind zum Teil stark verstümmelt. Dos ist zum Teil auf die auf sie niedergegangenen Eisenmassen zurückzuführen, zum Teil auf die Art, wie die Toten geborgen werden müsten. Sie werden mit einem sogenannten Wolf, ein Gerät mit vielen Haken, von: Boden ..ausgekratzt".
Die Trauerkundgebung. Im Koblenzer   Stadwcrovdnetensitzungsfaal fand gefteren mittag die T r a u c r k u n d g c b u n g für die Opfer des furchtbaren Koblenzer   Unglücks statt. Der Saal war schwarz verhängt, die Fenstervorhange zugezogen, und nur di« umflorten Leuchter ver- breiteten ein schwaches, gedämpftes Licht. Schwarzumflort war«in großes Kruzifix, das auf beiden Seiten von Kandelabern umgeben war, im Saal aufgestellt. Als der Reichspräsident am Stadt- haus varfuhr. verharrte die Menge in ernstem Schweigen. An der Trauerkundgebmrg nahmen neben Otto Braun   auch die in Koblenz   anwesenden Minister des Reichs und von Preußen teil. Zu Beginn der Trauerseier berichtet« Oberbürgermeister Russell über das entsetzliche Unglück. Dann nahm der Reichspräsident das Wort. Er sagte: Tiefbewegt stcl>e ich als ehemaliger Bürger von Koblenz   und Ehreitbürger in Ährer Mitte, um. Ihnen mein innigstes Mitgefühl auszusprechen über das große Unglück, das in so so jäher Weise'die gestrige Festesfreude abgeschlossen hat. Ich gedenke mit Wehmut der Verstorbenen und mit warmer Teilnahme ihrer Hinter- bliebenen. Wo es möglich ist, werde ich in der Not Helsen  . Ln der Toienhalle... In der Turnhalle der Telegraphenkaserne liegen die Opfer olle in langer Reche, Männer, Frauen, Mädchen, Mütter und in der Mitte sechs Kinder. Draußen werden die Särge angefahren und drinnen fleht und weint eine junge Frau, die ihren kleinen sechs- jährigen Jungen zum Vater mitnehmen will. Sie ist in Amerika  verheiratet und wollte den Jungen, der in Koblenz   bei den Groß-
eltem gewesen war, wieder zu sich nehmen. Er war mit seinem Großvater zum Feuerwerk gegangen, und beide fanden den Tod. Ein großer, kräftiger Mann liegt in der Reihe. Er Hot sich noch selbst am Rettungswert beteiligt. Eine junge Diakonistin liegt neben einer ihrer Schülerinnen, und weiter unten in der Reihe ein« barmherzige Schwester. Nacheinander kommen die Angehörigen und Verwandten der Koblenzer   Toten in die.Halle, um ihre Lieben zum letzten Male zu sehen. Beerdigung am Sonnabend. Die Beerdigung der Todesopfer ist aus Sonn- abend. 16 Uhr. festgesetzt worden. Das preußisch« Staats­ministenum hat angeordnet, daß die staatlichen und kommunalen Dienstgebäude und Schulen, die bereits gestern in Berlin   halb' mast flaggten, in ganz Preußen am Beerdigungstoge halbmast zu beflaggen find. Oesterreichs   Beileid- Frankreichs Miigefühl. Wien  , 23. Juli. 1 Bundespräsident Mitlas hat nachstehendes Telegramm an Reichspräsident van Hindenburg   gerichtet: Tief erschüttert durch die Nachricht von den: entsetzlichen Unglücksfall in Koblenz   spreche ich Euerer Exzellenz mein innigstes Mitgefühl aus. Bundeskanzler S ch.o 6er hat dem Reichskanzler Dr. Brüning folgende Depesche gesandt: Wollen Sie, Herr Reichskanzler, aus Anlaß des fürchter- lichen Unglücks nach der Befrciungsfcier in Koblenz   die Berfiche- rung meiner innigsten Teilnahme cntgcgeimehmeu. Der öfter- reichische Gesandt« in Berlin  , Dr. Frank, wurde beauftragt, der Reichsregierung dos Beileid der österreichischen Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen. Paris  . 23. Juli.  (Eigenbericht.) Das furchtbar« Unglück von Koblenz   hat auch in Frank- reich bei der Presto sämtlicher Partcischattierungcn starkes Mitgefühl ausgelöst. Insbesondere derTeinpS* und derJntransigcont aber auch die cxtrem-rcchleLibertä finden mehr oder minder warme Worte des Beileids jür die Verunglückten.
Italiens   Heimsuchung. Immer mehr Todesopfer des Erdbebens. 7!cuer Erdstoß in polenza. Rom  . 23. Zuli. Die genaue Zahl der Todesopfer des Erdbebens steht noch nicht fest. In p o t e n z a wurde gegen 15 Uhr ein weiterer Erdstoß verspürt, der jedoch keinen Schaden«m- richtete. Der B c s u v hat während des Erdbebens keine ungewohnle Tätigkeit an den Tag gelegt. Der Leiter des Vesuvobjeroatoriums bezeichnet das Erdbeben als tektonischen Vorgang ohne vulkanische Zusammenhänge. Die Stadt M a i f i. die am meisten gelitten Hot, ist bereits im Zahre 1851 fast vollständig durch ein Erdbeben zer­stört worden. Aus weiteren Nachrichten aus dem Erdbebengebiei ergibt sich, daß die Zahl der Todesopfer ständig im Steigen begriffe» ist. Aus den kleinen Ortschaften und aus dem flachen Land tresfc» dauernd neue Unfallmeldungen ein. In Caserto sind viele Häuser, darunter mehrere ösfentlich« Gebäude, schwer beschädigt. I» S a l e r m o ist der Oberteil'des Doms samt dem Gesims eingestürzt, wobei eine Person ihr Leben einbüßte.
Herr Troy Wilkms beklagte es, daß die gediegenen Stein- bauten der neunziger Jahre aus der Mode gekommen waren, aber er ging mit seiner Zeit und er hatte neue Ideale, Villen mit Fachwerk, Dielenmöbeln, Garagen und Tchlafbalkonen in sein Repertoire aufgenommen. Doch glaubte er, wie er selbst oft sagte,ebensowenig an Wochenendhäuser wie an diese Arbeitergewerkschaften". 2. Una Golden war nun seit sieben Monaten die erste der beiden Stenotypistinnen, die Herr Troy Wilkins beschäftigte cz mar Sommer, und sie war sechsundzwanzig Jahre alt. Sie hatte ein Gehalt von dreizehn Dollars wöchentlich er- reicht. Die paar hundert Dollars, die sie für Hauptmann Goldens Hypothekarvcrsicherung erhalten hatte, waren in- zwischen längst aufgebraucht, und sie und ihre Mutter mußten Ersparungskunststücke machen an Millch. Brot, Wäsche und Zahnpasta. Aber das war eigentlich gleichgültig, da Una niemals ausging, außer zu Saziergängen oder Kinobesuchen mit der Mutter. Sie hatte keine Vedürfnisse. brauchte keine Kleider, um auf Bewerber Eindruck zu machen... Sie hätte vier abgenützte Briefe von Waller Babson, die sie alle paar Wochen einmal durchlas; sie. hatte ihre Mutter und stets ihre Arbeit. llna, ein Laufbursche und eine junge jüdische; Steno- typistin namens Bestie Kraker bildeten dos Büropersonal Troy Wilkins'. Das Büro lag im aasten Stockwerk des Septimus-Gebaudes, eines schmalbrüstigen, unsolid gebauten Hauses mit überladener Fassade, ristigen Mauern und schmutzigen Gängen. Das Büro des Herrn Wilkins war klein«und unruhlg. Es bestand aus zwei Zimmern und einem winzigen Vor- räum. Der enthielt eine Wasserleitung, einen Posttarif, einen Stoß Zellungspapier nnd einen mürrischen Laufburschen der den ganzen"Tag Mädchentopfe von Ansichtskarten aus her- umliegende Stücke Packpapier kopierte und Una mindestens
einmal in der Woche anvertraute, daß er einen Kursus für Auslagenarrangeure machen wolle. In einem der beiden Zimmer zeichnete Herr Wilkins bedächtig an einem langen Tisch, oder sah an seinem kleinen, altmodischen Schreibtisch nachdenklich die Korrespondenz durch, oder er sog an seiner Pfeife und kratzte sich am Kopfe, wenn er nämlich neue Texte für Zirkulare zusammenstellte, um seinem Geschäft aufzü- helfen, mit dem es langsam aber sicher bergab ging. Im zweiten Zimmer waren die Briefordner und zwei Schreibtische untergebracht, einer davon gehörte Una, der ersten Stenotypistin, der andere dem kleinen Tippmädel, Bestie Kraker, die gewissenhaft, einschließlich aller Fehler, Zirkulare abschrieb, und, wie Herr Wilkins klagte, kein Diktat richtig aufnehmen konnte, in dem schwierigere Worte vorkamen alshochachtungsvoll". Von ihrem Fenster aus tonnten die beiden Mädchen die Fenster eines Büros auf der gegenüberliegenden Straßen- feite sehen. Ungefähr einmal im Monat beugte sich ein inter  - cssanter Jüngling mit lockigem Haar aus einem dieser Fenster. Sonst gab es keine Aussicht. 4. Zwölf Uhr mittags, die Stunde, zu der die meisten Büros im Sommer am Sonnabend Schluß machen, rückte aufregend näher. Die Büromädchen im ganzen Haus, die schon vom frühen Morgen an in Sonntagskleidern umherstolziert waren, beellten sich, ihr« Briefe fertigzuschreiben, oder in den Damen- Waschraum zu stürzen, um über den Schnitt neuer Kleider zu reden. Bestie.Kraker hatte den ganzen Vormittag einen Monolog gehalten, der so begann:Sagen Sie, hören Sie einmal, Fräulein Golden, ich hätte heute nachmittag mll meinem Freund zum Strand hinuntergehen sollen; sa. hören Sie-, wissen Sie, was der Unglücksmensch.mir da einreden will? Er muß den ganezn Rdchmittag arbeiten, sagt er. Mir ist'S egal gastz egal! Und ich geh' mit Sodie nach Coney Island  , unkTich wette mll Ihnen, wir werden uns schon irgend jemand auftreiben und einen Rummel veranstallen bis halb dreizehn." Aber natürlich werden wir ganz anständig fein", sagte Bestie eine halbe Stunde später ohne jede Beranlassung. Gott  , es ist schreckllch schwer, daß man sich nie unterhallen kann, ohne was zu riskieren. Guter Gott! Mein Vater brächte inich uni. wenn irgendwas passierte. Er liest immer im Talmud   und haßt die Gojim  . Ja. aber ich hall' das nicht aus, immer nur so sittsam sein. Ich wollt' ich wär' ein Junget Ich war' bestimmt Flieger gewordenl"
Bestie hatte eine wunderbare neue Bluse mit einem tiefen, dreieckigen Ausschnitt an, der ein wenig klaffte und den Ein- druck erweckte, daß man mehr sehen könnte, als man anfangs gemeint hatte, wenn man es klug anstellte. Troy Wilkins hatte am Morgen unter dem Vorwand, zerstreut bei den Briefmappen herumzuhantieren vergessen, daß er sehr verheiratet war, und verstohlen nach dem Halsausschnitt ge- blickt. Una hatte es bemerkt, und seine unsaubere Neugierde berührte sie so peinlich, daß sie zu schreiben aufhörte und klopfenden Herzens mit der Hand nach dem Kragen ihrer eigenen hochgeschlossenen Bluse fuhr. Um elf Uhr siebzehn ging Herr Wilkins nach Hause, nach- dem er den beiden genug Arbeit gegeben hatte, um sie bis mittags zu beschäftigen. Zwei Minuten später verduftete der Laufbursche, und nach zwei weiteren Minuten Bestie. Dieie Verspätung war nur dadurch verursacht worden, daß sie ihren Strohhut noch ein wenig zurechtzupfen mußte. Una blieb bis zwölf. Ihr Ehrgeiz hatte sich zu einer un- sinnigen Gewissenhaftigkeit verdichtet. Nachdem Bestie fortgegangen war, wurde die Stille ringsumher wahrhaft beängstigend. Das kleinste Geräusch hallte wider: alle Augenblicke unterbrach Una das laute Ge- klappe r der Maschine, um zu lauschen. Um zwölf Uhr nahm sie hastig ihren Hut und eilte mit einem beseligenden Gefühl der Freiheit zum Fahrstuhl. Der war schon vollgestopft mit Mädchen in neuen weißen Kleidern, die laut und vergnügt von ihren Nachmittagspläncn schwatz- ten. Eine trug eine Roisetasche. Sie ging, wie sie erzählte, für zwei Wochen auf Urlaub; auch ein paar Jungens würden dort fem, und sie würde einegottvolle Zell" verleben. Una hatte im Juni wiederum mit ihrer Mutter eine Woche in Panama   verbracht, und nun fielen ihr wieder die klaren, freien Morgen und die wundervollen langen Abend- dämmerungen ein. Sie wußte nickst, wohin sie an diesem freien Nachmittag gehen sollte und wäre nur zu gerne in lauter, lustiger Ge­sellschaft gewesen. An Waller Babson dachte sie nicht. Trotzig nahm sie sich vor, ihre freie Zeit auszunützen. Warum sollte sie, fragte sie sich ziwersichllich, warum sollte sie mit sich allein nicht glücklich und zufrieden sein. In übertriebener Heiterkeit streichelte sie ihr schwarzes Handtäschchen. Sie segelte zur Hochbahn hinüber, um zu den großen Waren- Häusern zu gelangen. Das abenteuerliche, große Ereignis des Einkaufens mußte nun genau überlegt werden. (Fortsetzung folgt.)-