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Der Abend™
47. Jahrgang
Erfcheinttaglio aufer Sonntag Sugleich Abenbausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW 68, Lindenstr. 3
Spalausgabe des„ Vorwärts"
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Nach amtlichen Mitteilungen beträgt die Gesamtzahl der Toten im süditalienischen Erdbebengebiet 1778, die der Verwundeten 4264. Vollkommen eingestürzt sind 3188 Häuser, während 2757 Häuser beschädigt wurden.
Die Nachrichten aus dem Erdbebengebiet lauten immer beängstigender. Der Umfang der Katastrophe ist trotz der vielen erschütternden Einzelheiten, die die heutigen Morgenblätter enthalten, auch jekt noch nicht zu übersehen. Es ist außer Zweifel, daß die Zahl der Todesopfer ständig im Steigen begriffen ist. Aus den kleinen Ortschaften und aus dem flachen Land treffen dauernd neue Unfallmeldungen ein. Die höchsten Totenziffern liegen aus der Provinz Avellino und dem Gebiet der Irpina vor, wo die Bauweise der Häuser, die schwere Dächer als Windschuk tragen, geradezu katastrophale Wirkungen hervor. gerufen hat. Während bis zum Spätabend des Mittwoch 400 Zote ermittelt waren, sind nach den letzten Nachrichten der Morgenblätter im Hauptbebengebiet allein mindestens 700 Menschen ums Leben gekommen. Es ist also zu befürchten, daß diese Zahl, unter Berücksichtigung der Todesopfer in den weniger heimgesuchten Provinzen Süditaliens, die 1000 erreichen wird. Die Zahl der Verwundeten, unter denen sich viele Schwerverlette befinden, ist zweifellos ganz erheblich größer; ihre Bergung und ihr Abtransport mit Militär und Kraftwagen ist schon seit gestern im Gange.
Das Erdbebengebiet erstreckt sich von Neapel in nordöstlicher Richtung auf den Golf von Monfredonia zu und umfaßt die Gebiete von Sorrent , Avellino , Benevent , Melfi und Foggio mit den Städten gleichen Namens.
Provinzen des Todes.
Die Zahl der Toten allein in Melfi , das unmittelbar im Epizentrum( d. i. die Stelle senkrecht über dem Herd des Erdbebens. Der Herd, die Ursprungsstelle des Erdbebens, wird mit Sypozentrum bezeichnet. D. Red.) des Erdbebens liegt, wird heute früh mit 200 angegeben, 400 Personen sollen verletzt sein. Auch in dem zum Hauptbebengebiet gehörenden Lacedonia sollen mehrere hundert Menschen umgekommen sein. Eine Anzahl kleiner Dörfer ist ebenso wie Melfi fast völlig zerstört. Mit anderen Dörfern konnte überhaupt noch keine Verbindung hergestellt werden. Die Hilfsaktion aus der Hauptstadt, aus Neapel , Potenza , Foggia , Avel lino ist in vollem Gange. Der Popolo di Roma" berichtet von 600 Toten in den Gemeinden Lacedonia , Biscia , Rocchetta und Monteverda und von 100 in den Gemeinden Montecalvo, Cungoli und Savignano. Im Hinblick auf die schlechten Straßen und das Fehlen von Verkehrsmitteln fonnte vielen Einzelsiedlungen noch keine Hilfe gebracht werden. Einen trostlosen Eindruck machte Ariano. Zwei Kirchen und die Karabineri- Kaserne find völlig dem Erdboden gleichgemacht worden. Von den meisten Häusern stehen nur noch die Seitenmauern.
Unter den Trümmern der eingestürzten Häuser sind ganze Familien begraben.
In Caserta find viele Häuser, darunter mehrere öffentliche Gebäude, schwer beschädigt. In Salermo ist der Oberteil des Doms samt dem Gesims eingestürzt, wobei eine Berson ihr Leben einbüßte. In Rionero find mehrere Kinder eines Waisenhauses beim Einsturz des Gebäudes verwundet worden. Eine Frau wurde tot aufgefunden. Sie hatte mit ihrem Körper eines ihrer drei Kinder, die ebenfalls ums Leben kamen, zu schützen versucht. In Melfi , der am schmersten betroffenen Stadt, find unzählige Häuser eingestürzt. Die Zahl der nicht mehr bewohnbaren Gebäude ist noch größer. Das historische Kastell Friedrichs des Zweiten ist zum größten Teil zerstört und dem Bahn hofsgebäude droht der Einsturz. In Rionero und in Ripacandida droht die Pfarrkirche einzustürzen. Zwischen Monte Salvo und Criftina in der Provinz Foggia ist der Eisenbahnverkehr
unterbrochen.
Die Rettungsaftionen.
Die Rettungsarbeiten im Erdbebengebiet merden jetzt unterstützt durch Flugzeuge, die vor allem über das Schickjai ( Forffehung auf der 2. Scite.)
Blick auf Amalfi , nahe Neapel , das ebenso wie die ganze Umgebung von dem furchtbaren Erdbeben betroffen wurde
Dietrich gegen Brüning.
Und gegen den Aufruf, den er selbst unterschrieb.
Der Aufruf der Reichsregierung, der auf das Konto des Reichs: Tanzlers Dr. Brüning zu setzen ist, enthält die unwahre Behauptung: Der Reichstag hat die Mittel verweigert, deren das Reich zur Durchführung seiner Aufgaben bedarf." Damit sollte der Sozialdemokratie der Vorwurf gemacht werden, sie sei nicht bereit gewesen, dem Reiche die nötigen Mittel zu bewilligen. Wir haben diesen Bormurf bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung des Aufrufs der Reichsregierung zurückgewiesen.
Jetzt wird unsere Auffassung durch den Reichsfinanzminister Dietrich bestätigt. Nach dem Bericht der„ Vossischen Zeitung" hat Dietrich in der Wahlversammlung der Demokraten gesagt:
,, Es ist aber festzustellen, daß alle verantwortungsbewußten Parteien im Reichstag, auch die Sozialdemokraten, an sich bereit waren, neue Mittel zu bewilligen zur Abdeckung des Defizits, und daß sie sich nur über das ,, Wie" nicht verständigen konnten."
Dietrichs Behauptung ist zutreffend. Damit widerlegt er aber zugleich die unwahrheiten des Wahlaufrufs der Reichsregierung, den er selbst mitunterzeichnet hat.
In diesem Plan spielt der Reichspressechef eine michtige Rolle. Der Reichskanzler Brüning hat deshalb einen Wechsel auf diesem Posten ins Auge gefaßt. Der bisherige Reichspressechef 3 e ch Iin soll gehen, an seine Stelle foll Herr Dr. Frig Klein, bis jetzt Chefredakteur der Deutschen Allgemeinen Zeitung", treten. Von amtlicher Stelle wird diese Absicht zwar entschieden bestritten- auf wie lange, ist eine andere Frage.
Herr Dr. Klein ist ein Freund von Treviranus, er ist einer der unentwegtesten Vertreter der scharfmacherischen Richtung im deutschen Unternehmertum. Unter seiner Leitung war die ,, Deutsche Allgemeine Zeitung" verschiedenen Richtungen des Unternehmertums dienstbar, ihre Subventionierung durch die Deutsche Reichsbahngesellschaft ist bekannt. Während der Regierungszeit Brünings hat Herr Klein, der in seiner Zeitung grundsätzlich mit dem italienischen Faschismus sympathisiert, die Regierung systematisch zur Ausschaltung des Parlaments und zum Bürgerblockkurs im Geiste der Scharfmacher animiert.
Der Schuß ins Schwarze.
Die agrarische ,, Deutsche Tageszeitung" beschäftigt sich mit dem Aufruf der Konservativen Volkspartei " Westarp- Treviranus und fagt
Brüning sucht Scharfmacher. bazu:
Ein neuer Reichspressechef soll den Wahlfeldzug leiten.
Die Herren Brüning und Treviranus , die führenden Männer in der gegenwärtigen Reichsregierung, sind entschlossen, den gesamten amtlichen Apparat des Reich es zu einem verzweifelten Propa gandafeldzug gegen die Sozialdemokratie zu benutzen. Sie wissen, daß fie politisch tote Männer sind, wenn die jetzige Regierungsfoalition bei der Wahl keine Mehrheit erhält. Das Reichsfabinett wird in seinen nächsten Sigungen über den Feldzugsplan beraten, den Brüning und Treviranus vorbereitet haben.
,, Wir haben wiederholt betont, und wir unterstreichen es heute noch einmal, daß es notwendig ist, dieser inneren Gesinnungsverlegenheit auch nach außen hin Ausdruck zu geben, dafür nach organisatorischen Formen zu juchen." Das Wort von der Gesinnungsverlegenheit" ist so schön, daß fie es jollen lassen stahn", um mit Martin Luther zu reden.
Es trifft wirklich ins Schwarze.