Morgenausgabe
Nr. 345
A 174
47.Jahrgang
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Sonnabend
26. Juli 1930
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Britische Besitzbelastung. Beltparlament im Werden
Große Unterhausmehrheit für Snowdens Budget.
London , 25. Juli. ( Eigenbericht.) Der von der Arbeiterregierung dem Unterhaus vor. gelegte Etat wurde am Freitag in dritter Lesung mit gelegte Etat wurde am Freitag in dritter Lesung mit 223 gegen 185 Stimmen angenommen.
Selten ist ein Budget so endlos und bis zum letzten Komma debattiert, kritisiert, angegriffen und verteidigt worden als diesmal Nicht nur die Höhe der sozialen Ausgaben und die hierfür eingesetzten Posten hatten das Mißfallen der bürgerlichen Parteien und besonders der Konservativen erregt. Vor allem fand die
völlige Abwälzung der Mehrausgaben auf die Schultern der Besitzenden
mehr als drei Monate die heftigste Obstruktion der bürgerlichen Parteien. Daß Snowden die Einkommensteuer zu erhöhen wagte, hat ihm so sehr den Zorn und die Kritik des Bürgertums und seiner Bresse eingetragen, daß heute der nach der Haager Konferenz so ge= feierte Schazkanzler der Arbeiterregierung der best gehaßte Mann in England ist. Es gibt kein Beispiel in der englischen Geschichte für eine derartige Besteuerung der befizenden Klasse, wie jetzt durch Snowden. Mehr als einmal in dieser dreimonatigen Finanzdebatte schien das Schicksal der Arbeiterregierung besiegelt zu sein. Einmal waren es sogar die Liberalen, die einen Antrag auf erhebliche Verminderung der Einkommensteuer eingebracht und damit das Signal zum Sturz der Regierung gegeben hatten. Er wäre geschehen, wenn nicht in legter Minute vier Liberale für die Arbeiterregierung eingesprungen wären, wodurch diese mit zwei Stimmen Mehrheit gerettet und das Unterhaus seiner, von den beiden bürgerlichen Parteien so sehr gefürchteten Auflösung entgangen ist. In all diesen Monaten aber faß Snowden mit eiserner Ruhe auf seinem Platz. Keine Herausforderung, fein Sohn und kein Schlag seiner Gegner blieb unerwidert, und vor allem: der Schahz tanzler gab teinen Punft seines Programms und feines Etats preis. Bis zum frühen Morgen dauerte zumeist die Obstruktion der Konservativen. Snowden war nicht zu ermüden. Einmal ließ er sogar das Unterhaus Tag und Nacht bis in den folgenden Mittag ununterbrochen beraten, bis
endlich, in der 25. Stunde, die Obstruktion gebrochen war. Snowden hat seinen Etat und seine Zuschläge zur Einkommen steuer durchgesetzt.
Die im englischen Budget vorgesehenen Mehrausgaben werden allein durch die besitzende Klasse getragen. Von 2 400 000 englischen Steuerpflichtigen tragen die 400 000 Reichsten die Erhöhungen, und die progressive Besteuerung dieser großen Bermögen ist weit fühlbarer und schwerer noch als ihre proportionale Belastung. Ein Selassen etat, aber diesmal zugunsten der arbeitenden Klasse und der Verbraucher. Snowden und die Labourregierung haben sich den ihnen jetzt entgegengebrachten Haß der englischen Bourgeoisie ehrlich verdient!
Wenn feine unvorhergesehenen Zwischenfälle eintreten, wird das Unterhaus vom 1. August bis zum 1. Oktober in die Ferien gehen. Sofort nach der Vertagung des Parlaments tritt Mac donald seinen Erholungsurlaub an, der ihn zunächst nach Ober
ammergau führen wird. Außenminister Henderson, dessen Gesundheit in letzter Zeit fehr zu wünschen übrig ließ, ist bereits zu
Vor neuen Verordnungen.
Beratungen des Reichsfabinetts. Das Reichskabinett ist gestern nachmittag zusammengetreten, um über neue finanzielle Notverordnungen zu beraten. Die Beratungen dauerten bis in die späten Abendstunden.
Die Veröffentlichung der Berordnungen soll erst zu Beginn der bächften Woche erfolgen.
Monarchist Hugenberg. Schwarzweißrot- die Parteifahne der Hugenberger.
Im Verlauf der Besprechungen zwischen der Exekutive der Ar
beiterpartei und dem Vorstand der Unabhängigen Arbeiterpartei über die Fraktionsdisziplin wurden Henderson und marton beauftragt, die fünftigen Regeln für das Verhalten der Marton beauftragt, die fünftigen Regeln für das Verhalten der unabhängigen Abgeordneten bei den Abstimmungen im Unterhaus festzusetzen.
Die Boykottbewegung in Indien nimmt immer schärfere For men an. So sind jetzt aus Amritsar 100 Siths in Lahore eingemen an. So sind jetzt aus Amritsar 100 Siths in Lahore eingetroffen, um mit Hilfe von Kongreßfreiwilligen den Boykott gegen die Trinkstuben und die ausländischen Tuchgeschäfte in stärkerem Maße durchzuführen. Aus Protest gegen die Repreffalien der indischen Regierung hat die Stüdgutverkaufsvereinigung in Bomban, die hauptsächlich englische Tuche einführte, be= schlossen, vom 26. Juli ab ihre Geschäfte auf unbestimmte Zeit ein zustellen. Die Gesellschaft hat jährlich für etwa 15 Millionen Pfund Tuche nach Indien eingeführt.
,, Daily Mail" berichtet aus Bomban, man nehme an, daß das Schreiben, das Gandhi den beiden Unterhändlern, die ihn aufsuchten, für die beiden Nehrus mitgegeben hat, die Einstellung der Ungehorsamkeitsbewegung unter gewissen Bedingungen anregt.
Aegyptischer Parlamentstrutz.
Heute Demonstrationstag.
Kairo , 25. Juli. ( Eigenbericht.)
Die Unabhängigkeitspartei Wafd beschloß, in aller nächster Zeit unter allen Umständen eine Parlaments igung abzuhalten. Falls der König sich weiterhin ab lehnend verhält, sollen die Abgeordneten irgendwo in ein Privathaus zu einer Sikung zusammenberufen werden.
Die Instanzen des Wafd tagten am Freitag in Permanenz und beschlossen, für den Fall, daß der König die außerordentliche Barlamentssession entgegen anfänglicher Erwartung endgültig ablehnen follte, am Sonnabend in ganz Aegypten große Demon ftrationen gegen das Regime der Diktatur zu veranstalten. Kommt es soweit, dann muß mit neuen Zusammenstößen gerechnet werden, obwohl die Parteiinstanzen des Wasd entschlossen sind, die Demonstrationen in friedliche Bahnen zu lenken. Die Möglichkeit von Zusammenstößen ist jedoch dadurch gegeben, daß unter tom munistischem Einfluß stehende Elemente schon seit Tagen auf Zusammenstöße mit der Polizei hinwirken und die für Sonnabend in Aussicht genommenen Demonstrationen wahrscheinlich zur Erfüllung von Befehlen benutzen werden.
Zahlreiche europäische Kaufleute in Kairo , Port Said und Alexandria haben wegen der ihnen bei den letzten Unruhen zugefügten Schäden außerordentlich übertriebene Erfazan fprüche an die Regierung gestellt.
ein. Sie wird ihn führen getreu ihren großen nationalen, chriftlichen und sozialen Zielen, getreu ihren monarchistischen Grund sätzen, getreu der Fahne schwarzweißrot!"
Die Gruppe Hugenberg ist also die letzte Säule des Monarchismus in Deutschland , schwarzweißrot ist die Parteifahne der Hugenberger. Selbstverständlich ist dies Pochen auf die monarchistischen Grundsäge in erster Linie ein Konkurrenz manöver gegen Westarp, der dadurch in eine peinliche Situation gerät.
Karl Demmler gestorben. Ein Kampfgenoffe Bebels und Wilhelm Liebknechts. Chemnih, 25. Juli. ( Eigenbericht.)
Es ist bemerkenswert, daß feine der Gruppen, die sich Im Alter von nahezu 90 Jahren starb in Geŋer im Erzgebirge von der Deutschnationalen Volkspartei losgelöst haben, sich Karl Demmler , der mit Wilhelm Liebknecht und August Bebel programmatisch zur Monarchie und zu Schwarzweißrot befannt hat. Auch im Gründungsaufruf der Gruppe Westarp- zu den Mitbegründern der Parteiorganisationen im oberen fannt hat. Auch im Gründungsaufruf der Gruppe Weſtarp Treviranus fehlt ein Bekenntnis zur Monarchie. Gestern hat Erzgebirge gehörte. In vielen Orten des Erzgebirges schuf Demmler die Parteivertretung der Deutschnationalen nun eine Ent- Arbeiter- Bildungsvereine, die Vorläufer der sozialdemokratischen Ortsgruppen. 1890 gründete er den Konsumverein in Geyer , dessen schließung gefaßt, deren Schluß lautet: 1909 wurde Demmler Dom Geschäftsführer er bis 1918 war.
In Fortsetzung des von ihr mit Volksbegehren und Volks: entscheid eingeleiteten Freiheitstampjes tritt die Deutschnationale Boltspartei in neuer Kraft und Geschlossenheit in den Wahlkampf
19. Reichstagswahlkreis in den Sächsischen Landtag gewählt. 1918 eröffnete er als Alterspräsident die Sächsische Voltskammer.
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Die der Interparlamentarischen Union
Der Bölkerbund ist eine Organisation der Regierung gen. Nicht einmal aller, denn die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind nicht beteiligt. Die Delegierten und Sprecher im Völkerbunde vertreten die Politik ihrer Rea gierungen. Die Stimme der Oppositionen wird nicht gehört. Unterdrückte Klassen und nationale Minders heiten fönnen nur von außen her als Petenten auf den Bölkerbund Einfluß zu gewinnen suchen.
Es liegt nahe, den Bölkerbund der Regierungen durch einen Bund der Parlamente zu ergänzen, neben den Völkerbund mit seiner Politik der Regierungen die freie Tribüne eines Volksparlaments zu sehen, die Arbeit der Völkerbundsdelegierten durch ein internationales frei ges wähltes Parlament kontrollieren und vervollkommnen zu lassen. Erst dann würde der Völkerbund seinen großen Namen zu Recht tragen: er hätte nun nicht nur Organe der Regierenden, sondern auch der Regierten. Nicht zuletzt für die sozialistische Internationale würden sich daraus große Möglichkeiten ergeben. Da sie in nur wenigen Rea gierungen vertreten ist, würde erst eine parlamentarische Bölfervertretung beim Völkerbund, ein freies Weltparlament die Forderungen und Ziele der Arbeiterklasse in Genf voll zur Geltung bringen können.
Den Anspruch dieses Weltparlaments, zu werden, erhebt die Interparlamentarische Union , die soeben ihr 26. Konferenz in London beendet hat. Die Interparla mentarische Union ist ebenso alt wie die sozialdemokratische Internationale: 40 Jahre. Sie besteht aus Parlamentariern fast aller Länder der Welt. Die meisten Parteien sind in ihr vertreten. Der deutschen Gruppe gehörten in dem jetzt aufgelösten Reichstag 217 Abgeordnete an, und zwar aus allen Parteien. Nationalsozialisten und Kommunisten ausgenommen. Vor dem Kriege hat sich die Sozialdemokratie. in den allermeisten Ländern der Union ferngehalten. Nach dem Kriege sind die Sozialisten fast überall beigetreten und haben sich rasch eine führende Stellung errungen. Auf der Londoner Konferenz sind etwa 80 sozialistische Parlamentarier vertreten gewesen. Ihr Einfluß dürfte sich auf kom= menden Konferenzen noch stärker bemerkbar machen als bisher.
Vor dem Kriege beschäftigte sich die Interparlamentas rische Union im wesentlichen nur mit dem internatio nalen Schiedsgerichtsgedanken und der Ab rüstungsfrage. Nach dem Friedensschluß hat sie ihr rüstungsfrage. Nach dem Friedensschluß hat sie ihr Das AbrüstungsTätigkeitsgebiet wesentlich erweitert. problem spezialisierte sich und fam aus theoretischen Erörte rungen immerhin in den Kreis praktischer Vorschläge. Die neuen Grenzziehungen vermehrten die Zahl der nationalen Minderheiten, zumal in Osteuropa . Die vielen neuen staatlichen Grenzen erhöhten die 3ollschwie rigkeiten. Der internationale Hochkapitalismus schuf internationale Riesengebilde von Kartellen Trusts , die mächtige Gegenspieler der Regierungen und
und
der Parlamente wurden. Ein Uebermaß von wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen Schwierigkeiten schuf die internationale Krise des Parlamentarismus . Nicht mehr von monarchisch absolutistischen Kräften, sondern von faschistischen und bolschewistischen Bewegungen wurden die Demokratie und das parlamentarische System von Grund auf in Frage gestellt. Alle diese vielfältigen und verwickelten Probleme zieht die Interparlamentarische Union in das Gebiet ihrer Erörterungen. Sie läßt diese Fragen durch Studienkommissionen von Barlamentariern dauernd untersuchen und die Ergebnisse auf ihren großen internationalen Konferenzen beraten und zur Entscheidung stellen.
Bindende Beschlüsse faßt die Interparlamentarische Union nicht. Ihre Beratungen enden mit programmatischen Entschließungen, die den einzelnen nationalen Gruppen als Richtlinien für die Arbeit in ihren Barlamenten dienen. Berücksichtigt man die interfraktionelle Zusammensetzung jeder nationalen Gruppe, so ist es verständlich, daß die Beschlüsse nur sehr allgemein gehalten sein Das tönnen. Immerhin ist ihr Einfluß unverkennbar. Generalsekretariat der Union in Genf , dessen Generalsekretär der Nobelpreisträger Lange ist, sorgt für die dauernde internationale Verbindung der Parlamentarier.
Die Interparlamentarische Union ist einer der stärksten Beweise dafür, daß keines der großen Probleme mehr aus engen nationalen Räumen zu lösen ist. In allen Kultur