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47.3abrgang 1. Beilage des Vorwärts
Wochenende
Mark
in den
Sonnabend, 26. Juli 1930
Die letzten Meldungen aus dem Erdbebengebiet lassen schließen, daß die Zahl der Toten sich auf ungefähr 3000 beläuft. Es ist aber immer noch nicht zu überschen, ob es bei dieser Zahl bleiben wird, solange die Trümmer nicht aufgeräumt sind und nicht festgestellt worden ist, wieviel Zeichen unter den einge= stürzten Häusern begraben sind. In den Kranken
Ausflüge in die weitere Umgebung häusern find inzwischen eine Reihe von Berlekten ge
Freienwalde.
Freienmalde ist eine alte märkische Heilstätte, die zur Zeit des absoluten Königiums vom Herrscherhause sehr begünstigt wurde. Zahlreiche Bezeichnungen durch Worte, die mit ,, König " anfangen, erinnern an die Vergangenheit: das Schloß ist bekanntlich seit 1927 als Rathenau Stiftung Eigentum des Kreises. Das archi. tettonische Gepräge des als Amts- und Geschäftsstadt wichtigen Ortes ist teils einfach, teils modern. Was Freienwalde an Altertümlichem besitzt, gipfelt in der kleinen St.- Georgs- Kapelle, die die älteste Fachwerfkirche Deutschlands sein soll.
Die Natur hat desto mehr für Freienwalde getan; am Rande des Barnimer Hochplateaus gelegen, ist feine Umgebung reich an malerischen ,, Gründen", deren Laub- und Nadelwaldbestände den Naturfreund entzücken. So ist denn auch das Bad Quartier in dem das Berggebiet durchziehenden Brunnental entstanden und hat in der reinen Waldlust einen weiteren Heilfaktor. Die Hügel find Freienwaldes Schönheit und sein Schah," schreibt Fontane , der oft hier mar, da sein Vater im nahen Schiffniühle mohnte ,,, wer hätte nicht nnm Ruinen- und Kapellenberg, von der Königshöhe und dem Monte Caprino gehört!"- ,, Diesen Bergen verdanft es alles," heißt es an anderer Stelle ,,, mas es ist: von dort aus tommen seine Quellen und von dort aus gehen die Fernsichten ins Land hinein. Diesen Fernbliden hat Fontane eine gewisse Monotonie augesprochen; mir aber, die mir sie nicht so häufig genießen mie der ,, märkische Wanderer", halten uns on sein anderes Urteil:„ Der Anblid ist schön in seiner Art Dom Ruinenberg blickt man auf die malerisch in der Tiefe liegende Stadt, dann in die duftige Frische der Bruchlandschaft hinein."
Der heutige Wandersmann wird sich nicht mit den diversen Berggipfeln ist man doch in der Märkischen Schweiz ! be gnügen: er mird im Süden den romantischen Baa See aufsuchen ( hin und zurüd 2½ Stunden) und diese Tour zum Pittgrund ausdehnen( hin und zurück 3% Stunden), oder er wird Falken= berg und Schiffmühle besichtigen, oder aber er mird sich meitere Ziele stecken und Dderberg, Eberswalde , Brieaen, ja Budow und jogar dem Blumenthal mit Straus
Bon Stufe zu Stufe...
Die Kriminalpolizei nahm einen 36 Jahre alten Kauf mann A. fest, der jegt dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. 2. stammt aus angesehenem House" und war früher als Profu rist bei einem größeren Unternehmen angestellt. Als er diesen Bosten verloren hatte, ging es mehr und mehr mit ihm bergab, um so mehr, als er auch mit seinen Angehörigen zerfallen war und von ihnen feine Unterstützung zu erwarten hatte. Der mittellos Gemordene, der auch feine fefte Bohnung mehr besaß, verfiel nun auf einen Trid. Angeblich im Auftrage seiner Mutter, die in Berlin ein Hausgrundstüd befigt, spiegelte er Malermeistern
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DER ERWERB
6.
ROMAN
Als Una die dumpf flingenden Steinstufen hinaufzu fteigen begann, verspürte sie im Kopf einen Schmerz, als drücke jemand auf ihre Augapfel. Deutlich drang bei jeder Bewegung des Kopfes der Schmerz in einer Welle in sie ein. Das Stiegenhaus mar erfüllt nom Geruch gebratener Fische und Zwiebeln, der mit den ersten Mietern eingezogen mar. Kinder zerrten lärmende Gegenstände im Vorhaus umher. Am ständig zunehmenden Klopfen ihres Herzens mährend all der Jahrhunderte, die sie brauchte, um die ersten drei Treppen hinaufzufteigen, bemerkte Una erst, mie heiß ihr war und wie die feuchte Kühle des Stiegenhauses von heißen Luftmellen unterbrochen wurde, die von der Straße her durch die sonnenbeschienenen Treppenfenster eindrangen.
Una flopfte an der Eingangstür ihrer Wohnung mit jenem leichten fröhlichen Hämmern ihrer Nägel, das mie Elfengetrippel flang, und auf das hin ihre Mutter meist eilig herbeigelaufen fam, um sie einzulaffen. Sie war sich nun mit einem beinahe physischen Empfinden der Nähe ihrer Mutter bewußt; sehnte sich danach, sie zu umarmen und in der Wonne dieser Liebfosung alle Müdigkeit des Büros von ihrem Herzen abzuschütteln. Die ,, fleine Mutter- Heilige" jezt mürde sie gleich fommen jetzt lief fie schon herbei.
Aber die fleine Mutter lief nicht herbei. Niemand antmortete auf Unas Klopfen. Als sie sich niederbeugte, um im trüben Lichte des Treppenhauses den Schlüssel in ihrem Handtäschchen zu suchen, fuhr ihr der stechende Schmerz wieder und die Sehnwild durch den Kopf. Sie öffnete die Tür und die Sehnsucht nach der Mutter Umarmung wich gesundem Merger. Das Wohnzimmer war in Unordnung. Die Mutter mar hatte den ganzen Tag über feinen Handgriff getan- mar fortgegangen und hatte alles gelaffen, wie es mar.
Das ist doch zu arg!" rief Una unwillig.
berg als leztem Wanderziel zustreben. Das vom großen Verkehr scheinbar abseits gelegene Freienwalde ist, wie man sieht, ein Ver fehrszentrum für sich. Phot. B. Schroeter.
größere Bestellungen auf Ausbefferungsarbeiten in diesem Hause vor. Erfreut über den lohnenden Auftrag, zögerten die Meister nicht, dem Besteller auf seine Bitte ein Darlehn zu gewähren, für das er als Sicherheit einen Wechsel gab. Später mußten die Geldgeber einsehen, daß die Unterschrift gefälscht und der Wechsel wertlos mar. 2. gibt zu, in 10 Fällen missentlich gefälschte und mertlose Wechsel in Umlauf gebracht zu haben, deren Beträge 100 bis 150 Marf ausmachten.
Ueber den Aufmarsch der Parteien spricht im Programm der Aktuellen Abteilung der Funk- Stunde am Sonnabend, dem 26. Juli, abends 7.30( 19.30) Uhr Reichsinnenminister Dr. Birth.
nach Hause kommen! Ich fann mich auf die Mutter einfach nicht mehr verlassen. Sie hat überhaupt nichts getan überhaupt nichts. Und es ist nicht das erstemal! Beinahe jeden Tag ist es so. Sie hat den ganzen Tag geschlafen und ist dann spazierengegangen. Jetzt natürlich wird sie nach Hause kommen und sagen, sie habe vergessen, daß heute Sonn abend ist und daß ich früher heimkomme. Natürlich!" Aus dem Schlafzimmer ertönte ein leises Husten, dann mieder eines. Una bemühte sich, ihr meiches fleines Herz lange genug in dem gegenwärtigen Zustand der Berbitterung zu erhalten, um einigen Eindruck zu machen und die häusliche Disziplin zu verbessern. Sm!" brummte sie. Wieder er fältet. Wenn sie nur mehr in frischer Luft wäre..
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Sie schritt auf die Schlafzimmertür zu. Die Jalousien waren heruntergelaffen, das Fenster geschlossen, das Zimmer ron erstickender Luft und ungesundem, gelbflimmerndem Licht erfüllt. Vom Bett her rächelte der Mutter Stimme, nicht heiter flingend wie sonst, sondern rauh und düster wie das dämmerige Zimmer. Bist du's Una Liebling? Ich habe eine Sommererfältung tut mir leid- ganze Arbeit zurückgebliebenWenn du nur die Fenster offen laffen moltest, Mutter Una ging zum Fenster, zog die Jalousien hinauf, stick das Fenster auf und verließ das Zimmer.
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Das fann ich mirklich nicht verstehen!" sagte sie noch, ohne ihre Mutter anzusehen.
Sie schlug beim Aufräumen des Wohnzimmers mit den Dingen herum, als wären Bettzeug und Zeitungen unartige Rinder. Dann stellte sie Kartoffeln ans Feuer und setzte sich, nachdem sie den engen Kragen ihrer Bluse ein wenig aufgefnöpft hatte, um die Zeitung durchzublättern und die Fortsetzung des Familienromans zu lesen.
In ihrem Zeitungsroman fam sie zu der Stelle: Ich merde nie vergessen, Amy, daß alles, was ich bin, meine gute alte Mutter aus mir gemacht hat, mit ihrer unermüdlichen Liebe und all den gütigen Worten, die sie zu mir sprach, menn ich betrübt und von Zweifeln geängstigt mar.
Una warf die Zeitung hin, rannte ins Schlafzimmer, fouerte an der Seite ihrer Mutter nieder und rief: Oh, Mütterlein, liebes, gutes Mütterlein, du bist ja alles, was ich habe", und füßte sie zärtlich auf die Stirne.
Die Stirn mar feucht und falt mie eine Kellermauer. Sie jetzte fich auf das Sofa und stöhnte: Dazu muß ich Una sprang voll Entsetzen auf. Das Gesicht der Mutter mar
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storben. Mit einem Sonderzug trafen in Foggia die aus dem schwer beschädigten Gefängnis in Melfi stammenden überlebenden Gefangenen, im ganzen 80 an der Zahl, cin.
maren.
Wirbelstürme und Hizewelle.
Aus dem Dolomitengebiet werden schwere Stürme gemeldet, die von heftigen Hagelschlägen und Schneefällen gefolgt Die Gebirgsflüsse führen alle hochwasser, und es besteht Ueberschwemmungsgefahr. Auch die Etsch ist bedenklich gestiegen. Ueber die verheerenden Folgen des Wirbelsturmes in Norditalien treffen ergänzende Meldungen ein, nach denen zwischen Mantebelluna und Nervosa eine Reihe von Dörfern schwer mitgenommen wurde. Einige von ihnen, die erst nach dem Kriege wieder aufgebaut wurden, sind in Trümmerhausen verwandelt. Jahrhunderte. alte Platanen wurden von dem Wirbelsturm entwurzelt, Telegraphenstangen wie Strohhalme umgefnidt, Häuser abgedeckt und umgeworfen. Unter der Bevölkerung verbreitete sich eine immer steigende Panit. Eine igemelle hat in einem Teil des Erdbebengebietes, fomic in ganz Apulien cine erhebliche Temperatursteigerung hervorgerufen. In der Gegend von Foggia ist das Thermometer um die Mittagszeit auf 40 Grad tm Schatten gestiegen.
Die Hilfsaktion.
Die Regierung hat eine großzügige Aftion zur provi forischen Unterbringung der durch die Erdbebenkatastrophe obdachlos gewordenen Bevölkerung in Schulen und Baradenlagern eingeleitet. In der Provinz Foggia wird die Räumung der betroffenen 13 Gemeinden in aller Eile fortgesetzt. Die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung ist gesichert. übrigen ist in allen italienischen Städten eine weitgehende Hilfe für die betroffenen organisiert.
Im Laufe des Freitag ist wieder eine große Anzahl von Hilfsfolonnen im Erdbebengebiet eingetroffen, darunter ein Sonderzug des Malteserordens. Bei Melfi ist ein Lager von mehreren Tausend von 3elten entstanden, in denen die Arbeitskommandos und die Bevölkerung untergebracht
find.
Der Unterstaatssekretär des Ministeriums für öffentliche 2frbeiten, ber das Bergungswerk leitet, hat sämtliche Präfetten Der betroffenen Gebiete zu einer Sizung einberufen und ihnen die notmendigsten Richtlinien für die einheitliche Fortsetzung der Bergungsarbeiten erteilt.
In der Nacht zum Freitag murde das bulgarische Erdbebengebiet durch eine Anzahl von Erdstößen erschüttert. Sechs Häuser wurden dabei beschädigt. Nähere Meldungen liegen aus diesem Gebiet, das sich seit der großen Erdbebentatastrophe von Philippopel im Jahre 1928 nie ganz beruhigt hat, nicht vor. Die Erdbebenstöße waren im alten Zentrum Orschaff Stobelmo am stärksten.
dunfelgerötet, doch die Lippen fahl mie geronnenes Blut. Die Arme maren steif und fühlten sich hart an. Der Atem ging schnell und unregelmäßig, wie ängstliches Keuchen, und wurde eben wieder von einem Husten unterbrochen, der wie das Knattern steifen Backpapiers flang und auf den Lippen eine farblose Flüssigkeit hinterließ.
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,, Mutter! Mutter! Meine kleine Mutter du bist ja frant, du bist wirklich frant, und ich wußte es nicht und war so roh. Oh, was ist denn was ist denn los, Mütterchen?" ,, Arge Erkältung", flüsterte Frau Golden. Hab schon vergangene Nacht zu husten angefangen hab die Türe zugemacht hast mich nicht gehört, warst im anderen Zimmer-" Wieder schüttelte sie ein röchelndes Husten, gurgelte in ihrem gelben, rungligen Hals.- kannst du nicht das Fenster zumachen?"
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,, Nein. Ich merde jetzt deine Krantenflegerin sein. Eine schredliche, abscheuliche, zänkische alte Krankenschwester, die alles besser weiß. Und du mußt frische Luft haben."
Frau Goldens Stimme arbeitete sich mühsam durch, wie ein Dampfer bei hohem Seegang: das Klopfen ihres Herzens Maschine. Sie legte zitternd und mühsam ihre hand an nerursachte ein regelmäßiges Stoßen, mie das Stoßen einer die rechte Seite. Dort lag fie, gelb gegen das weiße Nachthemd, und fiel wieder fraftlos aufs Bett wie ein totes Ding. na zitterte vor Angst, als ihre Mutter fortfuhr: Mein Puls -geht so schnell ich atme so schwer Seitenstechen..." ,, Ich werde dir einen Eisumschlag machen, und dann geh ich einen Arzt holen."
Frou Golden versuchte, fich im Bett aufzurichten. D nein, nein, nein! Keinen Arzt! Reinen Arzt!" ,, Ja, aber- ..Und
Aerzte erschrecen einen so- er wird sagen, ich hab eine Lungenentzündung, wie Sams Schwester- ich merde mich schrecklich ängstigen es ist ja nur eine Er mird mieber alles gut sein, Liebling. fältung. Morgen D nein, nein- bitte hol feinen Arzt. Rostet zu viel Geldmirklich-"
Lungenentzündung! Dieses Wort, das die tödliche Bitterteit des Winters in dieses stinkende Augustzimmer trug, jagte Una in einen Schauer von Angst und stärfte sie zugleich in ihrem Bertrauen auf ihrer Mutter Tapferfeit. Meine tapfere, tapfere teine Mutter!" dachte fie.
( Fortsetzung folgt.)