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BERLIN  Sonnabend 26. Juli

1930

Der Abend

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Nr. 346

B 172 47. Jahrgang

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Der Hinauswurf bei Siemens

_____Vorgefecht für die ganze Berliner   Industrie

Die Hintergründe der geplanten Maffenenflaffungen im Siemens- Konzern werden jeht deutlich sichtbar. Die Ver­

Brünings Steuerfüche.

bände der Angestellten find der Ueberzeugung, daß diefer geplante Notverordnungen fertiggestellt.- Pensionsregelung später

Massenabbau von Herrn von Siemens als Gegenaftion gegen die Entscheidung des Reichsarbeitsministeriums in der Frage des Gehaltsabbaus bei dem Siemens- und AEG.- Konzern gedacht ist.

Man muß hierbei auf die Verhandlungen des Verbandes Berliner   Metallindustrieller mit den Angestelltengewerffchaffen zu­rückgreifen. Die Industriellen forderten von den Angestellten verbänden

die Zustimmung zu einer Gehaltskürzung von 20 Proz

bei gleichzeitiger Verminderung der Arbeitszeit, um dadurch Maffen­entlaffungen vorzubeugen. Die Gewerkschaften machten ihre Zu­ftimmung von Garantien abhängig, daß in der Zeit des Ab­tommens mit den Unternehmern, also bis zum 31. Dezember d. 3., Teine weiteren Entlassungen und kündigungen folgen sollten. Da die Unternehmer in der Frage der Kündigungen diese Garantie nicht abgeben wollten und gleichzeitig in der viel. umstrittenen Frage der Ueberffunden halsstarrig blieben, haben sich die Verhandlungen mit den Gewerkschaften zer­schlagen. Darauf versuchten Siemens und die AEG., ihre An­gestelltenschaft durch Einzelabkommen zu binden, was einen glatten Tarifbruch darstellte. Diesen Standpunkt nahm auch das Reichsarbeitsministerium ein, daß bei den beiden Konzernen deutlich durchblicken ließ, daß Aufträge aus dem großen Arbeits­beschaffungsprogramm der Reichspost und Reichsbahn

für tarifbrüchige Firmen nicht in Frage kämen. Siemens will jetzt seine Enttäuschung und feine Wut über die Entscheidung des Reichsarbeitsministeriums an den Angestellten auslaffen. Es ist gar kein Zweifel, daß der Brief, der gestern in Form eines Platates in den Siemens- Betrieben ange­schlagen wurde und den wir im Wortlaut veröffentlicht haben, nichts anderes bezwedt, als die Angestelltenschaft, die infolge der Ratio­nalisierung schon seit Jahr und Tag unter schwerstem wirtschaftlichen Drud steht, so fitte zu machen, daß sie sich dem Diktat der Konzernmagnaten in der Berliner   Metallindustrie beugt.

In Gewerkschaftstreifen vertritt man den Standpunkt, daß Siemens mit seinem Schreiben an den Vorstand des Siemens- on­3erns ein großer Bluff für die Deffentlichkeit ist. Nach dem bereits durchgeführten scharfen Abbau der Angestelltenschaft wird

eine

Massenentlassung von 10 Proz., also von an nähernd 200 Angestellten,

weder für wirtschaftlich notwendig noch überhaupt für die Siemens­Werte selbst erträglich gehalten. Es kommt hinzu, daß die Kündi­gungsfrist bei den Angestellten 3 bis 6 Monate im Durchschnitt läuft, so daß die Entlassungen bei einem Teil erst zum 31. Dezember und bei einem weiteren Teil erst zum 31. März 1931 wirksam würden. Bis dahin kann sich aber die Beschäftigungs­lage bei Siemens bereits wieder so gebeffert haben, daß die aus­gesprochenen Kündigungen wieder zurüdgezogen werden.

Wenn also C. F. von Siemens jetzt mit einem Massenabbau droht, fo verfolgt er damit rein politische Zwede, um die Angestelltenschaft sowie ihre Gewerkschaften für die General­offenfive des Berliner   Unternehmertums sturmreif zu machen.

Amtlich wird mitgeteilt:

Die mehrtägigen Beratungen des Reichsfabinetts über den dem Herrn Reichspräsidenten   vorzuschlagenden Entwurf einer Notver­ordnung wurden heute vormittag in der Reichskanzleit zu Ende geführt. Sie ergaben eine völlige Einigung. Ein abschließender Vortrag des Reichskanzlers Dr. Brüning beim Herrn Reichspräsi denten über die Kabinettsberatungen ist noch für heute mittag in Aussicht genommen.

Das Reichskabinett beschäftigte sich sodann mit der Frage einer Neuregelung der Pensionen und beschloß, noch im August einen diese Fragen regelnden undd Mißstände beseitigenden Gesetz entwurf dem Reichsrat vorzulegen.

Osthilfe wird auch notverordnet.

Die Rotverordnung der Reichsregierung umfaßt, wie die Telegraphen- Union erfährt, außer dem Reichshaushalt für 1930/31 u. a. auch die sofort durchführbaren Maßnahmen zur Osthilfe. Im Reichshaushalt werden 126 Millionen vorgesehen, die im ein zelnen nach Maßgabe des ursprünglichen Ofthilfegefeßes in Betracht fommen für Frachtenerleichterungen, Erleichterung der fommunalen Lasten, Senkung der Schiffahrtsabgaben, Zinsverbilligung, Betriebs ficherung und sonstige fulturelle Maßnahmen.

Außerhalb des Haushalts werden Garantien für Sied lungskredite und für Umschuldungskredite übernommen und der Bollstreckungsschuß in Kraft gesetzt. Die Bürgschaft für Siedlungs fredite beträgt 50 Millionen, die für Umschuldungskredite 100 Mil­lionen. Die Rentenbant- Kreditanstalt hat sich bereit erklärt, einen Teil der Umschuldungskredite sofort aus eigenen Mitteln bar flüssig zu machen. Der Rest wird durch Ablösungsscheine aufgebracht. Der Vollstreckungsschuß ist unverändert in der im Osthilfegesetz vor­gesehen gewesenen Form in die Verordnung übernommen.

15000 Menschen vergiftet!

Frick wird anspruchsvoll.

Er verlangt das Reichswehr  - und Reichsinnenminiſterium.

München  , 26. Juli.

In einer nationalsozialistischen Versammlung sprach am Freitag abend im Zirtus Krohne in München   der thüringische Innenminister Dr. Frick über das Thema Mein Kampf   in Thüringen  Kampf um das Dritte Reich".

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ein

Nach einleitenden Worten des nationalsozialistischen Abgeord neten Wagner, in denen er den Abgeordneten Straßer als Mann bezeichnete, den Hitler als Innenminister für Sachsen  ausersehen habe, begann Dr. Frick seine Rede. Er führte aus, wenn nicht alles täusche, so stehe Deutschland   an einem Wendepunkt seiner Geschichte und an dieser Wendung sei auch sein Kampf in Thüringen   um das Dritte Reich beteiligt. Dr. Frick schilderte in großen Zügen seine verwaltungsmäßige Tätigkeit als Minister, die Restaurierung der thüringischen Finanzen und besonders die Ein­sparungen durch starten Beamtenabbau in den oberen Stellen. Er erklärte weiter, der ganze Kampf zwischen Thüringen   und Berlin  murzele in dem Geist von Weimar  . An der Spike seiner Politik stehe das deutsche   Bolkstum, und feine zehn Severings, feine zehn Wirths und feine zehn Staatsgerichtshöfe(!) fönnten ihn von dieser Politik abbringen. Der Ausfluß dieser Politik sei auch die Einführung der Schulgebete an den Volksschulen gewesen, sei ebenso der bekannte Bolizeistreit. Zur endgültigen Entscheidung, die im Oktober gefällt werden sollte, werde es wohl faum mehr tommen, weil diese Frage schon am 14. September durch das deutsche  Bolt entschieden werden würde. Man habe ihm nahegelegt, auf die Handhabung der Polizei in Thüringen   zu verzichten. Darauf tönne jedoch Herr Wirth lange warten, bis er- Frick auf ein solches Kompromiß eingehe. Wenn die Zahlungen Thüringen   vom Reich tatsächlich eingestellt würden, dann bliebe nichts anderes übrig, als eine Not polizei in Thürin gen einzurichten; die Kräfte hierzu seien längst vorhanden. Ueber­haupt gebe es im Streit Thüringen  - Berlin   fein Kompromiß, sondern entweder das eine System oder das andere Wenn wir," so schloß der Redner, am 14. September siegen, dann werden wir entsprechend unserer Stärke das Reich sinnenministe- rium und maßgebenden Einfluß auf das Reichs= aus werden wir versuchen, das deutsche   Schicksal zu wenden mit völlig legalen Machtmitteln."

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Taufende durch Schmuggelschnaps an Händen und Füßen mehr ministerium verlangen, und von diesen Machtpositionen

gelähmt.

Manchester Guardian" ergeben hat, im Laufe der lehten Reichsbanner sagt die Wahrheit

New York  , 26. Juli. Ungefähr 15 000 Personen sind, wie eine von der amerikanischen Regierung durchgeführte Untersuchung zufolge einer Meldung des Monate nach dem Genuß von jogenanntem Jamaifa. 3ngwer an Lähmungserscheinungen erkrankt. Dieser Jamaika  - Ingwer stammt von Alkoholschmugglern und ist fast aus­fchließlich von unbemittelten Personen gekauft worden, bei denen sich Lähmungen der Hände und Füße nach dem Genuß dieses Getränkes" einstellten. Viele von ihnen können sich nur noch mit krüden fortbewegen. Die Urjache dieser merkwürdigen Krankheit glaubt man darin fuchen zu können, daß die Alkohol. ich muggler teine echten 3ngwerwurzeln verwendeten, sondern eine giftige Art, die aus Santo Domingo   stammen und die fie bedeutend billiger erstehen konnten. Die Mehrzahl der Opfer ist im Süden und Südwesten der Bereinigten Staaten beheimatet. Im Staate Mississippi   allein find 8000 Erkrankte zu ver. zeichnen und je 1000 in den Staaten Kentudy und Cuisiana. Det Reft verteilt sich auf die übrigen Staaten der Union  .

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Weitere Zeugenvernehmungen im Röntgental Prozeß.

Schon die Aussagen der ersten Reichsbannerzeugen unter­scheiden sich vorteilhaft von den Aussagen der Nazi- Angeklagten und Zeugen. Die Reichsbannerleute jagen nämlich die Wahr­heit. Mitunter sehr unbeholfen. Sie haben viel vergessen, selbst zugunsten der Angeklagten. Sie sagen eben, was fie im Augenblid noch wissen.

Walter Ulm, nach dessen Trommel der Nazi Köppner mit den Fuß gestoßen hatte, schilderte den Vorgang ähnlich wie sein Bruder Erwin. Was soll das bedeuten?" hatte er den Rowdy gefragt und die freche provozierende Antwort erhalten: Wenn Ihr was wollt, dann kommt heran!" Erwin holte die Kameraden. Der Zeuge bestreitet mit aller Entschiedenheit, daß er oder sein Bruder den Nationalsozialisten auch nur in irgendeiner Form provoziert hätten. Als die lebungsstunde zu Ende war, unternahm er auf Veranlassung des Reichsbannermanns Tietz gemeinsam mit Oskar Nespital und Kurt Genert gewissermaßen einen Patrouillengang. Sie waren noch nicht weit weg, da erscholl vom Meiselschen Lokal her das Pfeifsignal, fich zu sammeln, gleich darauf hörte er ein ihm der Gedenktag an den Ausbruch der großen unbekanntes Signal, und unmittelbar danach fielen Schüsse. Menschheitstragödie, den vierjährigen Welt- Alles stürmte in das Lokal zurüd. Während das lleberfallkommando krieg, wird Gelegenheit zu einer großen

Der letzte Zote von Neurode geborgen. Der 1. August,

Das Bergrevieramt Waldenburg gibt bekammt, daß Freitag vor­mittag der letzte Tote aus dem Betrieb geborgen werden konnte. Immerhin sind die Aufräumungsarbeiten längst noch nicht beendet. Es sind bis jetzt nicht weniger als 1800 agen Rohlen. stüde aus dem Unglüdsschacht herausgeholt worden,

obwohl man fich vorläufig nur auf die notwendigsten Räumungs Kundgebung

arbeiten beschränkt hat. Wie ungeheuer der Druck der Kohlensäure gewesen sein muß, geht u. a. auch daraus hervor, daß nicht nur die 65 Zentner schmere Schrämm- Maschine, sondern auch ein Kohlen bloď von 25 bis 30 Quadratmeter Fläche aus dem Unglücksabbau herausgestoßen wurde.

Neuer Chefredakteur der Jsweftija". Das Präsidium des Zentralvollzugsausschusses hat zum Nachfolger des bisherigen Chef redakteurs der Jsmestija", Sameljem, der in die Redaktion der Prawda" versetzt wird, Krumin ernannt. In dieser Ernennung wird ein Zeichen dafür erblickt, daß Stalin   mit der Haltung der größten Moskauer   Blätter unzufrieden war.

gegen Krieg und Kriegsrüstungen jagen vor Gericht etwa verabredet worden seien. Beuge: Nein,

geben. Die Sozialdemokratische Partei   ruft zum Abend dieses Tages zu einer Kund­gebung im Lustgarten auf. Diese Kundgebung wird die Geschlossenheit und Schlagkraft der sozialdemokratischen Organi­sation zeigen und gleichzeitig werden zu einem weithin sichtbaren wuchtigen

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angerufen wurde, flirrten die Scheiben. Aus dem Meiselschen Lokal wurde nicht geschossen. Er fann aber nur immer wieder­holen, daß er es eben jezt nicht mehr anders wisse. Die Verteidiger aber fallen über ihn her und wollen von ihm wissen, ob die Aus­es wurde nur gesagt, wir sollen die Wahrheit sagen." Dann wird der Stabsführer des Tambourforps, der 27jährige Arbeiter Nespital, vernommen. Er ist ein heller Berliner  Junge und läßt sich nicht aus dem Konzept bringen. Am 5. März mar er bereits um 48 Uhr im Meiselschen Lokal. Kurz vor 8 Uhr ftürzte Erwin Ulm herein und rief:

Kameraden, wir find überfallen worden. Nationalsozialisten find draußen!

Nespital und seine Kameraden stießen auf der Straße auf eine

Massenaufmarsch zum Wahlkampf! Gruppe von etwa fünf Berjonen. Später wurden es mehr. Im