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dSeilage Sonnabend, 26. Juli 1950

Sfrinmift

Es war im Sommer, in meinem zwölften, da versuchte meine Tante mit List, mich aus der übermütigen Lausbubenclique, in der mein Körper, mein Verstand und mein Ehrgeiz vortrefflich gedieh, herauszulocken, um mich zubilden", und um mich(das erfuhr ich von meinem darüber hocherfreut gewesenen Vater)artig" zu machen, damit ichanhänglicher" werden solle. Sie lud mich also bei ihrem Desuch in meinem Elternhaus ein, morgen, am Mittwochnochmittag, einmal zu ihr ins Schloß des Millionärs Mayer zu kommen. Diese Einladung in ein Schloß eines Mllionärs wirkte auf mich gerade so begeisternd, als wenn mich der Häuptling der Sioux- indianer zu sich in die große Prärie eingeladen hätte. Ich lief in meiner Begeisterung, ohne weiter an meine noble Tante zu denken, auf die Straße und berichtete in meiner Lausbubenclique die er- halten« Einladung. Da horchten meine Kameraden plötzlich betrübt auf, und einer murrte:Dann is morge der ganze Mittwochnach- mittag kaputt.. Das tat mir leid. Ich fragte daher heraus- fordernd, ob sie denn mit mir gehen wollten, morgen, ins Schloß des Millionärs. Und oll« jubelten auf. Am folgenden Mittag, während der Mahlzeit, schien die Sonne prächtig, und mein« Mutter empfahl mir, zur Ehre meiner Tante mich feiertäglich anzukleiden. Aber ich hatte ohnehin schon immer ieine Abneigung gegen diestillen Sonn- und Feiertage" und be- sonders gegen meinen feiertäglichen Anzug, der mich so ganz von selbst zwang, nicht so froh und so lebendig zu sein, wie im werktäg- lichen Toben. Und außerdem genierte ich mich, am Mittwochnach- »nittag feiertäglich gekleidet im Kreise meiner Kameraden zu er- scheinen, weil unserSportanzug" im Sommer nur aus einer alten kurzen Hose, aus einem Gürtel und bei den meisten anstatt aus einem gewöhnlichen Hemd, aus einem Blusenhemd bestand. Ich ant- »ortete daher meiner Mutter, als sie mir auch noch riet, mich zuvor lieber noch einmal fest zu waschen und meine Haare ordentlich zu bürsten, daß ich ja sowieso er st baden ginge, aber im Main . Meiner Mutter war das recht. Mein Vater aber sah voraus, vergnügt... Ich vermutete, er hatte meine Antwort als Ausrede erkannt. Als meine Mutter nach dem Essen in der Küche arbeitete, forschte ich einmal aus meiner Vermutung gegen meinen Dater: ».Awwer Vatter," sagte ich bedeutsam,wenn der Millionär mich sieht und zu mir sogt, ich soll'm mal'was vormache; meintweche den Riesenschwung an dem Reck in seun'm Garte, an dem er seune Dcbbisch ausNoppe läßt, oder: wenn er zu mir sagt, ich soll e mal an seun'm höchste Baum nufftlcddern, in Rull-komma-nix, oder:

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wenn er zu mir sagt, ich soll'm mal de Todessprung vormache? Dann steh' ich natürlich da wie'n Ochs, der nix kann, weche meun m Sonntagsanzug." betonte ich, well ich sah, daß er sein Lächeln nun- mehr nicht ganz verbeißen konnte,ich blamier' mich net, und dich dabei auch net. da tannste dich druff verlasse!" Hastig entkleidete ich mich. Und stand im Nu in meinemSportanzug" und stürmte nun ganz erleichert aus die Straße zu meinen Kameraden, die alle voll froher Erwartung auf mich lauerten. Unser« freudige Beg.ijlerung platzte laut. Und einige stopften noch schnell bei meinem RufLos, mcr gch'n!" ihren Hcmdzipfel, der ihnen wie ein junger Lämmer- fchwanz hinten abstand, fest in die Wunde des Hosenbodens. Dann Gilten wir, ein geschwätziges Rudel von zwanzig, nach dem friedlichen

Westen der Stadt, zum Schloß des Millionärs Mayer, in dem meine Tante mich nun erwartete. Als wir sehr m die Nähe jenes Schlosses kamen, sagte ich zu meinen Kameraden:Mer misse langsamer gehe und dürfe jetzt nemehr so laut schwätze..." Da drängten sie sich von ollen Seiten an mich heran; und einer fragte mich flüsternd nach meinemGe- heimnis". Und da blieb ich stehen und verriet, ich hätte gerade daran gedacht, daß wir uns nicht von meiner Tante erblicken lassen dürsten.

Auf die Fragen:Warum, warum?" antwortete ich verlegen:Mer sin zuviel..."" Da geh halt allaa zu ihr; mer warte hier uff dich," schlug einer vor. Ein anderer ergänzte den Vorschlag:Mer renne halt solang, bis du widder bei uns bist, hier um des schöne Straßenquadrat, im Nachlauf: mer könne aoch ganz gut, bis du widder bei uns bist, hier mal Räuber und Geiü>arm spielen." Während sich meine Kameraden zu der bevorstehenden Hetzjagd in zwei Parteien teillen, rief ich:Paßt uff!" Und sie horchten. Und ich sagte:Da Hab' ich erst gar net dran gedacht: meine Tante is e noble, die schmeißt mich ja doch zum Schloß naus, wenn s« sieht, daß ich kaa Schuh anhab', paßt uff! Mer sin hier in dem Viertel fremd; mer spiele deswege liewer in dem große Park von dem Schloß dort drüwe, des dem Millionär gehört, bei dem meu Tante is; da sin mer net mehr so ganz fremd, cinverstande?" Der Park schien tief und dicht. Seine bemoosten Wege lockten uns, zu kundschaften: und wir entdeckten hinter verwildertem Ge- büsch auf einem Rasen eine weißlackierte, Hochherrschast- l i ch e S ch a u k e l. Die besaß anstatt des üblichen Sitzbrettes einen geruhsamen Chaisentorb, der zwei bequeme Plätze sogar für Wohl- beleibte bot. Fünf von uns nahm er auf einmal auf, obwohl da seine Rippen knacksten. Immerhin: mit überschwenglicher Freude brachten wir ihn in Schwung, stehend, die Pendelkraft verstärkend, indem wir uns, im Schrei vor Lust, jedesmal von oben herab in 5kniebeuge mitfallen liehen. Und unsere Kameraden, die zuschauten, jauchzten auf und wippten vor drängendem Uebermut, als schließlich der schöne Schaukelkorb mit uns derart durchwuchtet« in die Höhe, daß wir beim Blicken nach unten auf unsere Füße nicht mehr den Rasen, sondern ganz entzückt den Himmel fanden. So sausten wir. Der ungehemmte Schwung nahm uns den Atem. Und da schrien plötzlich, fast er- schreckt, die Kameraden auf dem Rasen zu uns auf:Stoppt! Stoppt! Da kimmt aaner mit'm Stock..." Und da wir in dem Schwung, den wir nicht brenrsen konnten, obwohl wir uns hals- starrig steiften, in die Gefahr gerieten, erwischt zu werden, deshalb rief einer von uns aus Leibeskrästen den fluchtbereitcn Kameraden zu:Net ausreiße! Auf ihn mit der Bohnestange! Und auf ihn!" Und die fünfzehn unten stürmten hin, zu den gestapelten Stangen; und jeder zog da eine an sich. Dann liefen sie mit ur- waldfreudigem Geschrei und mit den angelegtenLanzen" an unseren Feind heran. Der war ein dicker, grünbeschürzter Mann mit einem gelben Stock und mit verbissener Miene. Sie drangen aber auf ihn ein und stupsten ihn zurück, obwohl er grimmig focht. Und als die aufgeregte Schaukel sich endlich beruhigt hatte, daß wir es wogen konnten, abzuspringen, da eiferte vom Schloß her eine schlanke und schwarz gekleidete Dame dem sehr bedrängten Mann zur Seite. Sic trug(das ahnte ich) zu meiner Ehre heute die Man- scheiten; aber: sie hielt mit beiden Händen ihren langen Rock, der sie

in ihrem Zorn über uns wohl sehr bchinderte, an seiner Vorder- seite hoch. Da wären meine Kameraden vor lauter Lachen über diese Dame beinahe dem dicken Gegner unterlegen. Und darum rief ich ihr in hartem Ton zu:So kämpft mer net mit junge Leut', Tante! Laß' deine Röck doch runterhäng«...!" Und meine Kameraden schrien fast erbost:Jawohl, laß' deine Röck' herunterhänge! Bei uns wird nur reell gekämpft!" Der Kampf ward heiß. Denn jener dicke, grünbeschürzte Mann drang vor mit einer Stange, die er eroberte, weil meine Kameraden chre Freude über die bespitzten Unterhosen, die meine Tante ihnen vor Entrüstung viel zu offen zeigte, nicht überwinden konnten. Be- geistert von unserem Gelächter ging meine Tante nun zur Attacke über, mit jenem gelben Stock. Wir mußten ihr aus Anstand weichen. Und unsere Situation wurde schlimm. Da stolperte ich auf einmal rücklings auf dem Rasen über den langausgestreckten, schamroten Gartcnschlauch und verfiel auf den Gedanken, die Wut der beiden etwas abzukühlen. Und ich verband mit Lust den Gartenschlauch mit dem Hydranten. behende. Denn meine Tante dachte nicht zu fliehen. Das fühlle ich geradezu... Sie war ja auch seit vielen Jahren im Schloß des Millionärs ermächtigt, sür Ruhe und Ordnung energisch einzu» treten. Sie schrie mir zu:W e g m i t d e r S p r i tz e, S ch l i n g e l!" Sie bleckte chre schönen Zähne und eilte unter dem Gejubel meiner Kameraden nebst jenem Dicken mit der Bohnenstange gar wütig auf mich zu. llnä» da auf einmal blähte sich in meiner Hand des Garten- schlauches Gurgel: er fauchte erst nach ihr; dann aber plötzlich strahlle" ich in ihr Gesicht, aus purer Wonne, so dick wie der Zy- linder einer Lampe. Und auch der grünbeschürzte Dicke durfte, so- bald er seinen Mund auftat, zu unserer Freude schlucken wie ein Fisch. Und überhaupt ich dachte: Es ist ja alles reines Wasser und doch nur Scherz! Zumal der dicke Grünbcschllrzte, während er die Stange fallen ließ, mir zunickte, erheiternd, wie ein Photograph:Ich bitte, ich bitte..." Auch meine Tante verneigte sich sehr tief vor mir und mit gekreuzten Armen vorn: Gesicht, just so, als sei ich nun«inRa", ein Sohn des Sonnengottes. Jedoch in ihrer Atempause, da schnappte sie nach Höhenlust, aus der mein Strahl", so schön gebogen, den grünbeschürzten Dicken über»

schwemmte. Ja, sie reckte sich sogar, wie man sich reckt, wenn man noch sehr begierig ist. Und ich bedachte sie holt wieder mit meinem Ueberfluß an Wasier und an Luft. Aber da auf einmal flatterten ihre Arme, und sie begann dabei zu hüpfen, als wolle sie aus dieser Ueberslutung fliegen: sie flitzte plötzlich pudelnaß hinter den sehr abgekühlten Mann und schob ihn also gut geduckt und kräftig gegen dieBestrahlung". Und da erst fühlte ich das Spiel zu ernst: ich warf den Garten- schlauch zur Seite und meine Kameraden folgten mir in Hast zurück, nach jener Mauer. Die überwanden wir nach diesemfeinen" Nachmittag spielend. Und dann verließen wir mit fröhlichem Gesang und mit der Sonne den schönen Westen unlerer Stadt.