Morgenausgabe
Nr. 351
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47.Jahrgang
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Mittwoch
30. Juli 1930
Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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An der Seite der Arbeitenden!
Anton Erkelenz tritt zur Sozialdemokratischen Partei über.e Ein Protest gegen Brüning Politif und soziale Reaktion.
Der bisherige demokratische Reichstagsabgeordnete Es ist unmöglich, sich in einer Partei zurechtzufinden, die nach Anton Erkelenz , der bis vor furzem gemeinsam mit Dr. Koch- Weser Vorsitzender der Demokratischen Partei mar, ist zur Sozialdemokratischen Partei übergetreten. Er begründet seinen Schritt in einem Schreiben an Dr. Koch. Die politischen Ausführungen des Schreibens geben wir im folgenden wieder:
Berehrter Herr Kollege Koch!
29. Juli 1930.
In Anbetracht der politischen Gesamtlage sehe ich mich genötigt, mein Amt als stellvertretender Vorsitzender des Parteiausschusses
niederzulegen. Gleichzeitig erfläre ich hiermit meinen Austritt
aus der Deutschen Demokratischen Partei. Das mir
von den beiden Heimatwahlkreisen angebotene Spigen mandat für die Wahlkreise Düsseldorf - Ost und West habe ich mit herzlichem
Dank für das mir entgegengebrachte Bertrauen abgelehnt.
Nach der Revolution von 1918 habe ich eine große demokratische Partei für eine geschichtliche Notwendigkeit gehalten. Mit den Jahren hat sich aber immer deutlicher gezeigt, daß die Kreise, die. nach ihrem inneren Wesen zur, Demokratischen Barlei gehören müßten, für die großen Aufgaben der Partei in der Außen und Innenpolitit nicht das erforderliche Verständnis und die nötige Opferwilligkeit aufbringen.
Sie sind immer mehr die Opfer nationalistischer und antisozialistischer Schlagworte geworden
und haben ihre Mithilfe verweigert bei dem national so außer ordentlich wichtigen Hineinwachsen der deutschen Arbeitnehmerschaft in den neuen Staat und seine Aufgaben. Die Partei ist deshalb von Wahl zu Wahl fleiner geworden und hat unter größter persönlicher Aufopferung ihrer Führer in Stadt und Land nur noch einen Teil ihrer Aufgaben erfüllen fönnen. Ich glaube nicht, daß man im ganzen an dieser ungünstigen Entwicklung den Führern eine persönliche Schuld beimessen fann, sondern sehe in dem allen Notwendigkeiten, denen die Partei nicht entrinnen kann. An fich wäre für die Grundaufgabe der Partei als demofratisch- soziale Mittler- und Vortruppgruppe noch auf lange hinaus Raum. Sie könnte als kleine Partei, wenn auch mit verminderter Kraft, ihre Ziele verfolgen. Und wenn ich nicht durch einen nervösen Erschöpfungszustand infolge langjähriger Ueber
Art der alten nationalliberalen Partei heute links, morgen rechts steht, die aber immer dabei sein soll. Ich habe es abgelehnt, für die Maßnahmen dieser Regierung je meine Stimme abzugeben und fann auch im Wahlkampf diese Politik nicht mit verteidigen. Wenn die Wortführer des. deutschen Bürgertums einen Entscheidungskampf suchen gegen den Teil des Volkes, der in Not und Verzweiflung am treuesten zum neuen Staat gestanden hat, dann ist mein Platz an der Seite der Arbeitenden, an der Seite derjenigen, die für die Freiheit der Arbeit, der Arbeit des Geistes und der Hand eintreten.
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fratiſchen Bärtei in diesem Stamps ſeit Jahren auferlegt, muß ich mun, angesichts des offenkundigen Borstoßes aller reaktionären
Kräfte, abstreifen.
der Demokratischen Partei und So bleibt für mich kein anderer Entschluß als der Austritt aus
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der Eintritt in die deutsche Sozialdemokratie, die seit Jahren schon einen großen Teil der Aufgaben übernommen hat, die man ursprünglich der Demokratischen Partei stellen mußte. Damit löse ich für mich persönlich auch die Frage, die an ein mich tiges Uebel des deutschen Parlamentarismus rührt: die Bersplitterung des deutschen Parteiwesens.
Wer die deutsche Demokratie erhalten will, muß lernen, sich in große Parteiförper einzufügen. In dem Augenblic, in dem ich aus der Partei scheide, darf ich auch vielleicht daran erinnern, daß Naumann selbst zweimal vor dem Entschluß gestanden hat, zur Sozialdemokratie überzutreten, 1903 und 1918."
Der Weg der Demokratischen Partei wird in. diesem Schreiben von einem Manne fritisch geschildert, dessen ganze Arbeit und Hoffnung dieser Partei gehörte. Anton Erkelenz ist seit längerer Zeit trant- aber er hätte sich dennoch mehr der praktischen Politik gewidmet, wenn er nicht dauernd ge= hemmt worden wäre durch das Bewußtsein, daß er damit in ständigen Gegensatz zur Demokratischen Partei geraten würde.
Er hat in der Hilfe", deren Mitherausgeber er ist, immer wieder seine Stimme erhoben, scharf fritisierend und mahnend, aber seine Stimme wurde nicht gehört. Der Weg der Demokratischen Partei ging unaufhaltsam nach rechts.
Anton Erkelenz ist aus der Hirsch- Dunderschen Gewerk
vereinsbewegung hervorgegangen, er war in der Demokratischen Partei der Repräsentant des sozialen Elements. Er war Demokrat aus lleberzeugung, für ihn war die soziale Gefinnung die selbstverständliche Konsequenz des demokratischen Bekenntnisses. Sein Austritt und sein lebertritt zur Sozialdemokratischen Partei zeigt, daß der Rest der einst starken Demokratischen Partei mit den demokratischen Grundsäzen zugleich die soziale Gesinnung aufgegeben hat.
Es gibt in Deutschland außer der Sozialdemokratie feine Partei mehr, um die sich die wirklichen demokratischen Elemente scharen könnten! Anton Erkelenz scheidet sich von der Partei, die bisher noch den Namen ,, Demokratische Partei " führte, und die nun den Namen den demokratischen Grundfäßen nach über Bord wirft. Wir hoffen, daß dieser Schritt für alle, die aus dem parteimäßigen Zusammenbruch der Demokratischen Partei demokratische und soziale Gesinnung gerettet haben, ein Signal und ein Wegweiser sein wird!
Bürgerliche Verwirrung.
Der Schrei nach dem Retter.
Das Führerproblem in der„ Staatspartei". Die Rölnische Zeitung" meldet ihre Wünsche an die por mandatsjag b" und schreibt im Anschluß an ihre Ausführungen über die Kandidatenfrage:
Führerqualitäten zuschreibt es ist aber zugleich bezeichnend für die Ideologien, die in dieser Neugründung spufen! Der Retter" soll es wieder einmal machen, der neue, bisher noch nicht bekannte Mann, der begnadete Führer, der die und weiß auch, was sich dahinter verbirgt! Es ist nur logisch, jetzt diesen Ruf aneignet. Das ist also der Weisheit legter wenn die bürgerliche Mitte in ihrem Zusammenbruch sich Schluß!
arbeitung in den letzten zwei Jahren in meiner Tätigkeit wesentlich Neugründung der Koch, Mahraun und Co. an. Sie warnt zündende Idee aus der Tasche ziehen soll. Man fennt diesen gewesen widlung der Partei in diesem Sinne zu beeinflussen.
Aber die Partei war durch den Mikerfolg der Wahlen von 1928 so eingeschüchtert, daß sie ein immer stärke. res Bedürfnis nach Anlehnung und Verschmelzung mit weiter rechts stehenden Parteien erkennen ließ. Eine solche Anlehnung und Verschmelzung hat gewiß parlamentarisch- taktisch ihre Vorteile. Sie verändert aber den Grundharakter der Partei so start, daß von den Parteianhängern, die durch die Schule Friedrich Naumanns gegangen sind, ein großer Teil in einer solchen rechts angelehnten ,, bürgerlichen" Partei nicht mehr die Partei sehen kann, der sie ihre Lebensarbeit weiter widmen fönnen. Das gilt besonders auch von der in Bildung begriffenen neuen Staatspartei", die mur in starter ideologischer und politischer Anlehnung an Rechtsbestrebungen einen Sinn hat. Die Beteiligung der Demokratischen Partei an der Regierung Brüning und die Mit
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Unferes Erachtens fann diese Frage überhaupt erst entschieden werden, wenn sich die Zusammensetzung der Partei einigermaßen übersehen läßt und das sehr viel wichtigere Führerproblem gelöst ist. Die Gründer der Deutschen Staatspartei werden sich darüber felbst im flaren sein, daß sie einen neuen Mann herause lastet ist und schon darum überall Vertrauen erwecken kann, die stellen müssen, eine Persönlichkeit, die unbe aber auch wirkliche Führerqualitäten befizt und dem Programm aber auch wirkliche Führerqualitäten befizt und dem Programm die zündende Idee geben kann, die ihm vorerst noch fehlt." Das ist bitter für Herrn Koch, der sich natürlich alle
Denkt daran!
Am 1. August, dem Tage des Kriegsausbruchs, veranstaltet die Sozialdemokratie Groß- Berlins
verantwortung für die Politik dieser Regierung zeigte, daß das im Lustgarten um 19% Uhr
falsche Schlagwort des ,, Kampfes gegen den alles überwuchernden Sozialismus" in der Demokratischen Partei mehr Zustimmung gefunden hatte, als sich mit dem Charakter der Partei als demokratische und soziale Mittlergruppe vereinbaren ließ.
Die Politik Brünings hat die Demokratische Partei in ihrem inneren Kern tödlich verletzt. In der Regierung Brüning wurde die demokratische Fraktion die Gefangene aller reattio. nären Wünsche der Deutschen Volkspartei , der Wirtschaftspartei, des Landbundes. Fast alle neuen Casten wurden auf die nicht. oder Wenigbefihenden abgelegt und der Abbau der Sozialpolitik und der Löhne mit einem Eifer
eine Kundgebung gegen Kriegshetzer und Kriegstreiber, für Verständigung der Völker und für den Frieden der Welt.
Diese Kundgebung wird gleichzeitig durch wuchtigen Massenaufmarsch den Wahlkampf einleiten gegen die Sozialreaktion, gegen Diktaturgelüste, gegen kapitalistische Bürgerblockpolitik, aber für die großen Ziele der Sozialdemokratie, für
betrieben, der fich nur aus dem Gefühl befriedigter Rache erklärt. Demokratie und Sozialismus!
Aber so ernst ist es auch hier nicht gemeint. Noch vor furzem hat die Kölnische Zeitung ", als sie eine solche Staatspartei empfahl, geraten, den an solcher Sammlung beteiligten Organisationen hinreichend Führerstellen anzubieten und schließlich war ja auch die Rettung der alten, befannten, politisch schon belasteten Führerpersönlichkeiten" für das Parlament der Zweck der Uebung!
Sammlung mit Krach.
In der Deutschen Allgemeinen Zeitung" schreibt der langjährige Brivatsekretär Stresemanns, Henry Bernhard, gegen die Deutsche Staatspartei.
,, Diese Parteigründung ist nicht im Sinne und Geiste Stresemanns. Denn Stresemann hätte nie und nimmer trotz aller Schwierigkeiten und Bitternisse, die er in und von seiner Partei erlebt hat- diejenigen starten Kräfte verlassen, die in der Volkspartei in wahrhaft liberalem Sinn und Geist vorhanden sind."
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Die Nationalliberale Correspondenz" veröffentlicht Erklärungen der Volksparteiler Prof. Kahl, Curtius und Dingeldey, daß fie zu Unrecht mit der Deutschen Staatspartei in Verbindung gebracht würden.
H
Dr. Koch Weser veröffentlicht eine sehr lange Erklärung gegen der er sich auf eine Unterredung mit Stresemann neun Tage vor die gestrige Erklärung der„ Nationalliberalen Correspondenz ", in feinem Tode beruft und sich gewissermaßen als Vollstrecker des letzten Willens Stresemanns zu erkennen gibt.
Die neue Partei ist zwar noch nicht richtig fertig, aber der Krach
um sie ist schon ganz schon im Gange