Nr. 353 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Kürzlich ist der zum ehemaligen Rittergut Britz gehörende| mauer wieder aufbauen lassen, es ist dieselbe, die heute noch steht. Park für den öffentlichen Besuch freigegeben worden. Für Im Gutspart steht auch die sagenhafte Stammutter der deutbie Bevölkerung des in den letzten Jahren dank einer großzügigen schen Ata zien. Wie ein Porzellanschildchen am Fuße des BaumSiedlungspolitik start vergrößerten Ortsteils ist damit ein herrlicher Erholungsplatz geschaffen worden. In unmittelbarer Nähe des Gutsparks steht, von Feldsteinen erbaut, auf einer kleinen Halbinsel des Dorfteichs die alte Kirche von Briz. Die Kirche dürfte gegen Ende des 13. Jahrhunderts erbaut worden sein. Die Glocke, die ,, Alte von Brit", wie sie genannt wird, ist mit Schriftzeichen verziert, die auf dieses Jahrhundert hindeuten. Im Laufe der Zeit mußte die Kirche oftmals Umbauten über sich ergehen lassen, so daß schließlich heute faum noch etwas aus jener Zeit erhalten sein dürfte. Die Patronatsrechte über die Kirche besaßen die jeweiligen Gutsbesitzer, als deren erster der aus dem Geschlecht der Brigtes zu nennen ist. Neben den Brittes saßen hier noch die Familien Barfus, Luckenwalde und Wyghus, doch erwarben die Brittes nach und nach den ganzen Grund und Boden, den sie fünf Jahrhunderte bewirtschafteten. Im Jahre 1699 wird dann der Kammerpräsident von Chwalkowsky als Eigentümer genannt. Nachdem ging der Besitz on den Minister von Ilgen über. Nach Ilgen bewirtschafteten Graf von Herzberg, Minister Friedrichs II., und die Verwandten Herzbergs, Knyphausen und Eckardstein, das Gut. Nach diesen folgte ein Herr Jouanne, dann der Altertumsforscher Dr. Riedel und schließlich der Bankier Julius Wrede, dessen Erben 1925 das Gut an die Stadt Berlin verkauften. Das Innere der Kirche enthält heute noch Stiftungen aus jener Zeit. So den Altar und die Kanzel, die Ilgen 1720 der Kirche zum Geschent machte. Kanzel und Altar find merkwürdigerweise mit dem Stern Davids gekrönt. An der Ostseite der Kirche befindet sich die Gruft, die Herzberg sich 1766 erbauen ließ. Hier haben dann auch die Herzbergs, Knyphausens und Ecardsteins ihre letzte Ruhestätte gefunden. Allerdings wurden die Särge elf an der Zahl, darunter auch ein Kinderfarg bei einem Umbau in einem Gewölbe unter dem Mausoleum beigesetzt. Die mächtigen Eichenfärge find alle gut erhalten, nur die Metallbeschläge sind vom Rost zerfressen. Bei dem: Umbau der Kirche stieß ein Arbeiter auf ein bisher untekanntes Grabgewölbe, das seine seine Forschungslust erregte. Doch der alte Wrede war dafür nicht zu haben und ließ das Gewölbe sofort wieder schließen. Niemand weiß, wer hier beigesetzt ist, fein Plan weist die Gruftstelle nach... Neben den Herzbergs haben die Wredes hier ein Mausoleum zu ebener Erde. Von den damaligen Rittergutsbesitzern fanden dann schließlich nur noch die Jouannes hart an der Kirche ihre Ruhestätte. Jouanne war ein sehr robuster Herr. Als sich seine Dorfstraße in schlechtem Zustande befand, liebäugelte er mit der Kirchhofsmauer, die ihm ein gutes Pflastermaterial abzugeben schien. Selbstverständlich wehrte sich der damalige Pastor mit Namen Ringeltaube gegen diesen Plan, den aber Jouanne doch zur Durchführung brachte, als der Pfarrer 14 Tage dienstlich in Berlin weilte. Es gab einen großen Streit, den die Kirchenbehörde für sich entschied: Jouanne mußte die Umfassungs
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Vor dem Ende des Europafluges.
Nicht alle werden Berlin vor Toresschluß erreichen. Heute morgen wird sich das Ziel für die letzten der noch auf Strecke befindlichen Teilnehmer des Internationalen Rundfluges entscheiden. Nach den Ausschreibungen ist am heutigen Donners tag um 4 Uhr nachmittags Kontrollschluß auf dem Tempelhofer Feld, so daß die später Ankommenden ausscheiden müssen. Durch den unfreiwilligen Aufenthalt in Bau ist aber für einige Flieger die Frist bis zum morgigen 1. August verlängert worden, aber nicht allgemein bis morgen nachmittag 4 Uhr, sondern zu verschiedenen festgelegten Zeiten, je nach der Länge des betreffenden Aufenthaltes in Pau. So muß der deutsche Flieger von Gravenreuth, der gestern nachmittag Wien erreicht batte, am morgigen Freitag mittag um 11,20 Uhr den Flughafen
SINCLAIR LEWIS
ST
DER ERWERB
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Im Jahre 1710 gepflanzte Akazie.
riesen berichtet, wurde sie 1710 in einem Blumentopf von Amerika nach Hamburg gebracht. Friedrich I. schenkte sie seinem Minister Ilgen. Ein zweites Exemplar ging ebenfalls als Geschenk nach dem Schönbrunner Schloßpart. Die in Briz stehende Akazie soll die Stammutter der deutschen Akazie sein. Bahr oder nicht wahr, jedenfalls wurde sie gehegt und gepflegt und ist gleich den hier stehenden vielen fremdländischen Baumarten das Ziel vieler Naturfreunde.
Tempelhof erreicht haben, wenn er nicht der Disqualifikation verfallen will. Er muß demnach heute mindestens bis nach Danzig tommen. Ferner haben bis zum 1. August die Schweizer Pierroz und Kolp Zeit, von denen der erstere gestern bereits in Polen , der andere aber noch in Wien war. Auch der Pole Dudzinski, der sich gestern in München befand, hat noch bis zum morgigen Freitag Zeit, nicht dagegen sein Landsmann Muslewski, der gestern abend noch nicht in Wien gemeldet war, aber am heutigen Donnerstag nachmittag in Berlin sein müßte, was er unmöglich schaffen kann. Heute Vormittag sind Böhling auf BFW. und Gothe auf Junkers- Junior zu erwarten, die in Danzig übernachteten. Im Laufe des gestrigen Nachmittags traf außer den Klemm- Fliegern Spengler und Benz auch noch Aichele ein, allerdings außer Wettbewerb wegen seiner Havarie bei Schivelbein .
Unbeschadet der Fristverlängerung für einzelne Teilnehmer beginnen am morgigen 1. August in Staaten die technischen
sich unsere hochlöblichen Persönlichkeiten an diesem flaren und balsamischen Abend? Was doziert Eure Scharfsichtigfeit, Herbertchen? Was ist das Stichwort des Tages, Fräulein Golden? Ja, ja, ja, was täten wir, wenn wir nicht unseren guten alten Freund, Ehrwürden J. Pilkington Büchsenfleisch hätten! Wie gehts, Bilfchen? Auch wohlauf, Frau Weißlohl? Natürlich, wir streiten schon wieder übers
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Donnerstag. 31. Juli 1930
Prüfungen, und zwar beginnen sie mit der Anlasserprüfung, der Auf- und Abrüstung und mit der Cincichtungswertung der Maschine.
Schloß Ruhwald.
Eine neue Tagesfurstätte für 80 Frauen.
Am 1. Auguft eröffnet das Bezirksamt Char lottenburg im jogenannten kavalierhaus des Schlosses Ruhwald eine Tageskurstätte für Frauen.
An der Spandauer Chaussee liegt inmitten eines herrlichen alten Parkes das Schloß Ruhwald, das nach mehrfachem Besizwechsel schließlich der staatlichen Fachschule für Landwirtschaft und Verwaltung überlassen wurde; das zum Schloß gehörige Kavalierhaus ist nach erfolgtem Umbau zur Tageskurstätte für Frauen umgewandelt worden. Vier Räume im Erdgeschoß und ein Teil der davor gelegenen Veranda dienen als Aufenthaltsund Speiseraum, während der größere Teil der Veranda als gedeckte Liegehalle Verwendung findet. Die Tagestur dauert von morgens 8 1hr bis abends 6 Uhr, die Verpflegung besteht in einem zweiten Frühstück, Mittagessen und Besper, wofür ein Verpflegungsbeitrag von 2 Mart erhoben wird. Aufnahme finden Frauen und Mädchen über 14 Jahre, die schwächlich, blutarmy oder tuberkuloseverdächtig sind, ebenso Personen, die infolge Ueber. füllung in einer Heilanstalt nicht Platz finden konnten. Um Anstedungsgefahr zu vermeiden, finden Personen mit anstecender Tuberkulose oder anderen infektiösen Krankheiten keine Aufnahme. Die Aufnahme selbst ist abhängig von einer vorherigen ärztlichen Untersuchung im Fürsorgeamt für Lungenkranke in der Berlinet Straße 137; es genügt aber auch die Beibringung eines ärztlichey Attestes einer anderen Fürsorgestelle, oder des behandelnden Arztes. Außer den Liege und Aufenthaltsräumen steht den Erholungs bedürftigen auch noch ein großer Teil des ausgedehnten Parkes zur Verfügung. Die Tagesturstätte hat freie Wirtschaftsführung, lediglich für Miete, Pacht und bauliche Unterhaltung stehen ihr städtische Mittel zur Verfügung.
Ueberschwemmtes Laubenland.
60 Koloniffenfamilien obdachlos, Ernte vernichtet. In der Siedlung„ Hoffnungstal Reinidendorf- Ost, Teichstraße, hat das Unwetter der vorigen Woche eine Szene der Berwüftung geschaffen.
Der in der Nähe der Siedlung befindliche Schäfersee war über seine Ufer getreten und um eine Ueberschwemmungsgefahr für die dort liegenden Häuser zu vermeiden, pumpte man die gewaltigen Wassermassen auf das benachbarte Laubenland, wo sie, aber feinen richtigen Abfluß fanden und die Kolonie zum großen Teil überschwemmten. Häuschen und Garten von 60 Siedlern, meist Erwerbslosen, stehen seit 5 Tagen unter Wasser; die Ernte ist vernichtet, alle habe dem Verfall preisgegeben. Flucht artig mußten die Menschen alles verlassen, das Wasser stieg bis zu 1,20 Meter, das Kleinvieh mußte preisgegeben werden und der ganze bescheidene Besiz. Die Wege sind in breite Wasserstraßen verwandelt und die Bewohner müssen verzweifelt zusehen, wie auch noch das Letzte im Wasser zerfällt. Eine Dampfsprize der Freiwilligen Feuerwehr arbeitet ununterbrochen seit Tagen, aber es ist zu wenig was da geleistet wird, die großen Wassermassen Zwei, drei Familien hausen nun verschwinden nur allzu langsam. eng zusammengepfercht in den winzig fleinen Wohnräumen derer, die von dem Unglück verschont blieben. Die trostlose Szene ist zum Schauobjekt geworden, in dichten Scharen stehen die Menschen vor der Unglücksstätte, den traurigen Resten mühseliger und hingebender Arbeit.
Das Bezirksamt Reinickendorf hat zur vorläufigen Unterbringung von obdachlos gewordenen Familien oder Kindern Unterkunftsräume angeboten, ferner in Aussicht gestellt, in dringendsten Notfällen Unterstüßung zu gewähren.
Theaters angehört hatte. Er pflegte ihr Verse zu zitieren Es imponierte ihr, daß er in einem Wortgefecht darüber) ob Longfellow oder Whittier der größere Dichter sei, sogar die Leihbibliotheksdame beinahe zum Schweigen brachte.
Una bildete sich ein, daß sich hinter Phils läsefarbenem Gesicht die Seele eines Dichters verberge.
Er sprach auch davon, gute Bücher zu lesen und gute flüssen in dieser bösen Stadt.
ROMAN Rino, Herbertchen? Haben unsere Ansicht über Mary Pick Theaterstücke zu sehen, und von dem Mangel an guten Ein
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ford etwa geändert? Ja, ha, hören Sie, ich hab da' nen Kauz fennengelernt, der ist gerade so süß wie Sie, HerbertEr hatte wie die meisten Leute seiner Art chen: er hält Herrn Bryan für einen großen Staatsmann."| de Kunst gelernt, überhaupt nichts zu tun. Mit Aus- Der fleine Mann war nie zufrieden, ehe er nicht alle nahme eines einstündigen Spazierganges im Central Park Leute in einen so wütenden Streit verwickelt hatte, daß und einer Partie Schach mit Herbert Gray tat er den ganzen irgendeiner aufsprang, seine Serviette hinwarf und schrie: Sonntag nichts, als in seinem Zimmer herumlungern ,,, Gut, menn das alles ist, was Sie von der Sache wissen, schlafen, wie in tiefes Nachdenken versunten auf seine Fuß wenn Sie ein solcher Ignorant sind, lohnt es sich einfach Spigen starren, gähnen und in der Sonntagszeitung blättern. nicht, mit Ihnen darüber zu reden", und hinausrannte. Doch zeigte er höfliches Interesse für Unas Tätigkeit bei Troy Wilkins, sagte sehr freundlich ,, Guten Morgen " und wurde für sie eine ebenso selbstverständliche und wohlbekannte Erscheinung wie der Gasofen im Badezimmer.
Die zweite Mieterin war eine sehr beschäftigte, zurüdhaltende Frau, die aus Kansas City stammte und irgend etwas mit der Filiale einer Leihbibliothek zu tun hatte. Sie hatte das Problem der alleinstehenden Frau in der Großstadt dadurch gelöst, daß sie alle ihre Gefühle, ihre Abenteuerluft und Sehnsucht nach Menschen in ihrem Innersten eng verschlossen hielt. Nachdem sie herausgefunden hatte, daß Una teine besondere Meinung über die beste Kinderlektüre für das Alter zwischen neun und elf Jahren besaß, sprach sie überhaupt nicht mehr mit ihr.
Diese freundlichen, unbedeutenden, heimatlosen Groß stadtmenschen waren für Una nicht mehr als die Menge, die ihr auf der Straße so nahe tam und sie doch gar nichts anging. Aber der dritte Mieter belästigte sie durch sein lärmendes Gerede. Er war ein ungebildeter und gänzlich unerzogener Mensch mit scharfen, wafferblauen Augen, einem dünnen Schnurrbärtchen, großen Zähnen und einem so unbedeutenden Kinn, daß man es gar nicht erwähnen müßte. Er war imftande, eines Abends hereinzustürzen, wenn die anderen schön sittsam und gelangweilt im muffigen Speisezimmer saßen, und draufloszuschnattern: Run, wie fühlen
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Dieser Mensch hieß Filmore J. Benson. Fremde nannten ihn Benny, aber seine ,, näheren Bekannten", die Leute, mit denen er sich mindestens eine Stunde unterhalten hatte, wurden gebeten, ihn Phil zu nennen. Er mar jelt famerweise ein Doktor nicht einer, der sich mit der Wissenschaft befaßt hatte, sondern mit der Leichtgläubigkeit der menschlichen Natur. Er hatte sich irgendein Diplom verschafft und eine fleine Braris unter fleinen Kaufleuten, die fich vom Geschäft zurückgezogen hatten. Er war einer jener sonderbaren, unverschämten Schwindler, welche die Gescheiten" plündern. Er erwartete nicht, daß ihn jemand bei den Grays ,, Doftor" nannte.
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Er frank Whisky und spielte um fleine Geldbeträge, war in seinen Beziehungen zu Frauen unmoralisch, und ebenso dickhäutig wie großsprecherisch. Er war Zeitungsjunge gewesen, dann Agent, und hatte sich später durch sein bißchen Verstand allmählich hinaufgearbeitet. Er las ungeheuerlich viel: Zeitungen, billige Zeitschriften, medizinische Bücher; über alles hatte er eine Meinung und verwickelte meist alle Leute bei den Grays in Debatten. Seinen Patienten tat er dadurch wohl, daß er sie bemitleidete und massierte.
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Er übertrieb die Sache nicht. Nach etwa zehn Minuten verabschiedete er sich verabschiedete er sich um gute Einflüsse an einem Billardtisch in der Dritten Avenue zu suchen. Gegen zehn tehrte er in sein Zimmer zurück, legte die Schuhe ab und saß mit hochgezogenen Beinen auf dem Bett, wo er eine pifante Ge schichte las. Während Una, jenseits der dünnen Wand, die weichen Arme hinter dem schmerzenden Kopf verschränkt, im Bette lag und sich über Phils Mangel an guten Einflüssen Gedanken machte.
Am nächsten Abend änderte Phil seine Taftif, fam frühzeitig zum Effen, berührte nur flüchtig Unas Hand, als sie das Speisezimmer betrat und murmelte leise: ,, Ich habe so viel über die guten, flugen Dinge nachgedacht, die Sie mir gestern abend gesagt haben, Fräulein Golden."
Später erzählte ihr Phil von seinem großen Wunsch, ein berühmter Arzt zu werden wobei er den ungeheuren Vorteil hatte, es beinahe aufrichtig zu meinen. Er begleitete fie den Korridor entlang bis zu ihrem Zimmer und sagte gute Nacht, während er einen Augenblick zögernd ihre Hand in der seinen hielt.
Una ging in ihr Zimmer, schloß die Tür und stand volle fünf Minuten lang völlig ratios ftill. Ja!" sagte sie, tief Atem holend, der fleine Mann da versucht wohl, mir den Hof zu machen."
Dann lachte sie, weil ihr das Ganze so dumm vorfam. Lieber Gott ! Ihr Jdeal fah ganz anders aus!
Sie setzte sich nieder, versuchte ein wenig Zeitung zu lesen, versuchte, nicht an Bhil zu denken. Aber der Gedante an ihn fam immer wieder. Sie bildete sich ein, feine Stimme im Borzimmer zu hören. Sie ließ die Zeitung fallen, um Una fühlte sich durch Phil Benson erst abgestoßen, dann zu horchen. verwirrt. Er fonnte sie in flingenden shakespearischen ,, Ich interessiere mich tatsächlich schon für ihn!" staunte Phrasen anreden, die er als Junge von der Galerie eines I fie. D, das ist doch zu lächerlich!"( Fortsetzung folgt.)