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Morgenausgabe

Nr. 361

A 182

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

5. August 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen das fettge druckte Mort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Borte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

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Treviranus ohne Reffort. Juftis unter Rasiterror.

Das Ende des Ministeriums für die besetzten Gebiete.

Die Unabhängigkeit der Rechtspflege in Gefahr.

Am 12. Juli dieses Jahres hat die sozialdemokratische Fraktion des Preußischen Landtags eine Große Anfrage ein­gebracht, die sich auf die damals bekannten Standalfälle in Prozessen gegen Nationalsozialisten bezog. Die Große An­frage beginnt mit der Feststellung:

Während sich die blutigen Ausschreitungen der Nationalsozia listen gegen Andersdenkende von Tag zu Tag mehren, behandelt die Rechtsprechung auch bei schwerwiegenden Folgen diese Exzesse immer noch als Bagestellen. Hierdurch entsteht in der Bevölke­rung das Gefühl, daß gegen Ueberfälle und Mißhandlungen durch Nationalsozialisten ein wirksamer strafrechtlicher Schuy nicht gewährt werde. Dieses Gefühl wird bestärkt durch die Beobachtung, daß nationalsozialistische Angeklagte im Gerichts. Wesen zur Schau tragen dürfen, ohne daß dies von den sonst sehr ja al ein außerordentlich dreistes und provozierendes esen zur Schau tragen dürfen, ohne daß dies von den sonst sehr strengen Gerichtsvorfizenden gerügt wird.

Das Ministerium für die besetzten Gebiete wird auf-| habe. Die besondere Rolle, die Herr Treviranus im Kabinett gelöst, der Minister für die besetzten Gebiete ,, Herr Tre spielt, ist ebenfalls nicht mehr bestritten. Die Tatsache, daß piranus, ist ohne Reffort. Man tönnte ihn einsparen- man nicht mehr für das Ressort einen Minister, sondern für aber damit würde die Regierung Brüning einen Teil ihres den Minister ein Ressort sucht, würde ein Bestreiten auch Sinnes verlieren. Denn Herr Brüning sollte nicht nur zwedlos machen. eine Regierung ohne die Sozialdemokratie bilden, sondern auch eine Regierung mit Treviranus und Der Reichspräsident hat unter dem 28. Juli 1930 folgende Ber­Schiele. Für diese Regierung ist Herr Treviranus unent- ordnung über die Auflösung der Reichsverwaltung behrlich, weshalb man ihm auch das Reichstommissa= für die besetzten Gebiete erlassen: Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete und die Reichsvermögensver riat für die Osthilfe übertragen wird. 1930 aufgelöst. Von den aus dem bisherigen Geschäftsbereich maltung für die besetzten Gebiete werden am 30. September des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete verbleibenden Auf­gaben gehen die Verwaltung der reichseigenen Liegenschaften fomie die sonstigen Aufgaben der Reichsvermögensverwaltung für die be- Wegen der Parlamentsferien fonnte die Große Anfrage setzten rheinischen Gebiete auf das Reichsfinanzministe noch nicht zur Erörterung gelangen. Wenn dies im Herbst rium über. Bon den weiteren Aufgaben des Reichsministeriums geschieht eine sehr balbige Erledigung der Anfrage für die besetzten Gebiete gehen die Saargängerfragen auf ist dringend geboten, so wird sich die Besprechung aller­das Reichsarbeitsministerium, die übrigen noch ver­bleibenden Aufgaben auf das Reichsministerium des dings nicht mehr auf den oben formulierten Tatbestand be Innern über. Die Ueberleitung im einzelnen regeln bie betei- schränken können. In den drei Wochen, die seit der Ein­

Das sind Dinge, die heute nicht mehr bestritten werden. Die geschichtliche Wahrheit setzt sich allmählich durch. Als einst in der sozialdemokratischen Presse behauptet wurde, daß der Reichspräsident eine Regierung unter Ausschluß der Sozialdemokratie gewünscht habe, führte dies zu wütenden Entgegnungen der Zentrumspresse, die bis zur Drohung mit der Sprengung der Preußenfoalition führten.

Inzwischen hat am 27. Juli Herr Stegerwald in Essen ausdrücklich festgestellt, daß der Reichspräsident im März eine Regierung ohne die Sozialdemokratie gewollt| ligten Reichsminister.

Doch noch Falscher Hafe?

Die Köche haben wieder Hoffnung.

Am Donnerstag hat der Führer der Deutschen Bolkspartei, Dr. Scholz, nochmals eine Besprechung mit den maß= gebenden Persönlichkeiten der Staatspartei.

Nicht über die Frage, ob Scholz und Koch- Weser ihre Aemter als Barteiführer niederlegen werden, wie es Koch vorgeschlagen hat, rder über die Frage einer organisatorischen Verschmelzung der Volks­partei mit der Staatspartei mird verhandelt werden, sondern dar­über, ob sich die Staatspartei dem von Scholz vor mehreren Tagen für die Dauer des Wahlkampfes in Vorschlag gebrachten Waffen stillstand der Mittelparteien und der Konservativen Volkspartei doch noch anschließen wird oder nicht. Die Verständigung über diesen Waffenstillstand soll noch außen ihren Ausdruck finden in einem gemeinsamen Aufruf, der im Entwurf bereits fertig­gestellt ist, und in dem die Unterzeichner sich u. a. auch zu so etwas mie einer Arbeitsgemeinschaft im neuen Reichstag verpflichten. In der Volkspartei ist man sicher, daß die Staatspartei, die den Burgfrieden" anfänglich nicht mitmachen wollte, sich die Sache inzwischen anders überlegt hat und jetzt bereit ist, mit der Bolkspartei des Herrn, Scholz und den schwarzweißroten Herren Westarp und Treviranus gegen die Sozialdemo tratie in den Wahlkampf zu ziehen. Man ist in der Umgebung des Herrn Scholz überzeugt, daß Konsequenz ebensowenig wie in der Demokratischen Partei die starke Seite der Staatspartei ist und hofft deshalb zuversichtlich, daß der große Mischmasch gegen die Sozialdemokratie schließlich doch noch das Licht der Welt

erblickt.

An der Seite der Arbeitenden! Landtagsabgeordneter Rave zur Gozialdemokratie über­getreten.

Wie der dem Verband preußischer Polizeibeamten angehörige bisher demokratische Landtagsabgeordnete Rave ber ,, Beamten- Korrespondenz" mitteilt, ist er zur Sozialdemo tratifchen Partei übergetreten.

Absage an Weftarp.

Die Alt- Konservativen lehnen ihn ab. Bestarp war lange Zeit der Repräsentant der Altkonservativen innerhalb der Deutschnationalen Partei. Er war sogar Borsigender deshauptvereins der Konservativen"- sowas giebts immer noch! , der nichts anders hinter sich hat als eine fleine Gruppe adliger Großgrundbefizer und beschäftigungsloser Difiziere älteren Datums. Sein Nachfolger im Vorsiz war der Gutsbesizer von Seydlig­Sandreczky, der gerade vor dem Zusammentritt des Borstandes dieses tonservativen Hauptvereins gestorben ist.

Besagter Borstand hat nun am Montag in Berlin gefagt und babei einen scharfen Trennungsstrich gegen seinen früheren Freund und Vorsitzenden Westarp gezogen, indem er beschloß und ver

Bündete:

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Die neue Bartei, die sich den Namen Ronservative Boltspartei" beigelegt hat, führt die Bezeichnung konfer vativ" zu unrecht und ist überhaupt feine Rechtspartei. Sie steht vielmehr viel weiter links als die Voltspartei noch vor nicht langer Zeit. Unter den Gründern befindet sich kein ein ziges Mitglied des Hauptvereins der Konservativen, der Zusam­menfassung aller wahrhaft Konservativen in Deutschland . Auch Graf West arp ist bereits seit 1928 ausgeschieden. Auch er. hat leider eine politische Wandlung durchgemacht, die seit dem zweiten Eintritt der Deutschnationalen in die Regierung und be sonders seit dem Uebergang der Parteiführung von ihm auf Hugenberg immer deutlicher geworden ist. Unter den bei der Gründung Anwesenden befanden sich sehr weit linksstehende Ber­sönlichkeiten. Den vollzogenen Abfall vom Konservatismus be­weist die neue Splitterpartei schlagend dadurch, daß sie in ihrem Wahlaufruf nicht wagt, das Wort Monarchie" anzudeuten. Da­mit hat fie die monarchische Form verleugnet und verworfen. Ohne Bekenntnis zur Monarchie gibt es in Deutschland eben feinen Konservativismus. Wo dieser fehlt, bedeutet die Beilegung des Namens tonjerpatio" einen Zäuschungsversuch der Wähler.

So, da hat Westarp eine Meinungsäußerung,.die fich gewaschen hat. Wie fonnte er auch mit einem Lambach zusammengehen, der noch vor kurzem öffentlich erklärte, die Monarchie sei nur noch etwas für Bühne und Film? Jetzt darf er sich zur Strafe nicht mehr tonservativ nennen, dieweil das ein Täuschungs­versuch gegen die Wähler ist!

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Freude an der Erklärung der Altkonservativen werden aller ding gewisse Kreise der neuen Staatspartei" haben. Denn wenn Westarp noch weiter links als die Bolkspartei steht, warum soll er bann nicht gleich zu Mahraun gehen?

Uebrigens empfehlen wir, um alle Führerstreitigkeiten zu be­heben, die Neugründung einer Sammelbedenpartei mit dem zufam menfassenden Namen Konservative Staats- und Bolts. partei." Patent ist angemeldet!

Dietrich über die Staatspartei. Reichsfinanzminister Dr. Dietrich hat am Montag auf einer Rundgebung der Staatspartei in Karlsruhe eine Rede über die Aufgaben der neuen Partei gehalten. Er betonte die Not­mendigkeit einer Sammlung der Mitte. Es habe feinen 3wed, von einer Dachgesellschaft zu reden, die die Mitte mit der Rechten verbinden soll. Diese Dachgesellschaft bedeute, richtig gesehen, meiter nichts als daß man im kommenden Reichstag eine Koalition mitein ander machen wolle. Dazu aber bedürfe es einer solchen Zu­fammenarbeit nicht. Wie die Rechte, so müsse auch die Mitte sich zusammenschließen. Die Demokratische Partei sei in der Staats­partei aufgegangen, die Volkspartei habe dieselbe Auf­gabe. Eine starte und fortschrittliche Mitte sei eine Notwendigkeit auch für die Flügelparteien der Sozialdemokraten und der Konser vativen. Die Sorge um Mandate und die persönlichen Interessen müßten dabei in den Hintergrund treten. Ob Scholz oder Kahl, ob Koch oder Dietrich führen, sei ebenso nebensächlich wie die Frage, ob einer der anderen von diesen vier wiedergewählt werden.

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bringung der Großen Anfrage verstrichen sind, haben sich neue Fälle ereignet, die sich nicht mehr als ein dreistes Betragen, sondern nur noch als organisierter Terror ber Nationalsozialisten gegen die Unabhän gigkeit der Rechtsprechung bezeichnen lassen.

Die nationalsozialistische Raufhandelstaktik ist immer die gleiche. Sie ist, dies nebenbei bemerkt, das Gegenteil des Berhaltens politischer Ueberzeugungstäter, die für ihre Taten geradestehen und sich mit Stolz zu ihnen bekennen. Bei den Nazis gilt das Schulbubenprinzip: sich nicht erwischen lassen! Nach der Tat davonlaufen, im Dunkeln verschwinden. Wird doch einer gefaßt, dann leugnen auf Teufel- tomm- raus, alles abstreiten! Tatsachen haben, falls direktes Lügen zugunsten der Angeklagten unmöglich ist, an Gedächtnisschwund zu leiden und auf alle Fragen mit einem stereotypen ,, Ich weiß nicht zu antworten.

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Wo aber diese Mittel nicht ausreichen, da gibt es noch eine legte Chance für die Angeklagten: den organisiera ten Gerichtssaal terror. Er beginnt mit den schnoddrigen Antworten der einzelnen auf Fragen von Staatsanwalt, Nebenkläger usw. immer mit dem Unterton: Ihr könnt uns ja doch nichts." Er steigert sich in geschlosse nen Demonstrationen wie in der faschistischen Begrüßung der Oberhäuptlinge oder in dem gemeinsamen Saalverlaffen siehe Schweidnizer Prozeß. Er wird begleitet von den Bei­falls- und Mißfallensäußerungen des von Anhängern ge= füllten Zuhörerraums, wodurch mindestens auf ängstliche Schöffen der Eindruck gemacht wird: hinter denen steht eine geschlossene Macht, mit denen ist nicht gut anbinden. Wer weiß, ob uns nicht morgen die Fensterscheiben eingeworfen werden, wenn wir die Angeklagten hart verurteilen."

verurteilen."

Lassen sich auf diese Weise schon Schöffen und Ge­schworene unter Druck sehen, wieviel mehr unbequeme Bea Iaftungszeugen. Der Zeiger Fall Cuvelier ist ein Musterbeispiel. Die Begleiterin Cuveliers hat der Wahrheit gemäß über die Beschimpfungen der sie und Cuvelier verfolgenden Nationalsozialisten ausgesagt. Was ist Die Folge? Der Ortsgruppenleiter der Hitlerpartei sendet der Zeugin einen Drohbrief, in dem er mit der Meineids­anzeige fuchtelt. Bagatelle? O nein, man versezze sich ein­man in die Psyche eines alleinstehenden Mädchens, das sich einer geschlossenen, fanatisierten Horde gegenübersieht. Wenn es den Angreifern und Verfolgern schon gelungen ist, durch ihr vereintes Zeugnis den angegriffenen Franzosen als Schuldigen" hineinzulegen, warum sollen sich nicht da vier oder fünf finden, die mit gemeinschaftlich gerecktem Schwur­finger die Wahrheitszeugin in eine Meineidige" ver­wandeln?

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Muß sich die Zeugin Hösel nicht sagen, daß sie im Falle eines solchen Komplotts bei einer Zeißer und Weißenfelser Justiz als wehrlose Angeklagte bastände, nachdem sie erlebt hat, daß zwar der beschimpfte Franzose 24 Stunden nach dem Vorfall abgeurteilt wurde, daß aber bis heute feiner der Gassenbuben unter Anklage ge­stellt ist, die ihm ihr ferndeutsches, französisches Schwein" Nimin e nachgebrüllt haben?!

Oder soll die Zeugin Höfel sich darauf verlassen, daß