Auf dem Waggonfriedhof
„Sift du»in Dieb ober nicht?" fragte Filfka seinen Genossen Zlmeljka."„Ich holte dich so für«inen ehrlichen Burschen!" Ameljka lachte häßlich. Dann packte er den Filjka an den Tchullern.„Zähneknirschend schrie er ihm ins Gesicht:„Ein Dieb bin ich.«in Dieb! Was ist weiter dabei, ihaft du mich gefragt, w!« ich dazu g«kormncn bin, du Lump!" Filjka erschrak.„ „Nein, du bist kein Dieb. Du verleumdest dich selbst. Wärst du einer— du..." „Was?", schäumte Ameljka. Filjka geriet in Verwirrung. Was er unter der Barke beob- achtel hatte, gab ihm kein Recht zu behaupten, der Anführer Ameljka lei kein Dieb. Er w»ßte auch, daß durchaus nicht alle Bewohner der Waldbüsche ein ehrliches Handwerk betrieben. Er konnte sie an den Fingern herzählen. lind diese Arbcitseisrigen hungerten zumeist. Woher aber das sorglose, genußreiche Leben der anderem Ameljka an der Spitze. Ja, ja, Ameljka mußte wohl ein Dieb sein. Wenn er aber keiner war, dann wäre es sündhaft, ihn so zu oer- dächtigen. Filjka mußte einen andern Zugang zu ihm finden. Ihm kamen die weisen Worte des toten Blinden Nefed in den Sinn: „Und wenn der Mensch auch schlecht ist— sagst du ihm ins Ge- ficht, er sei gut, so wird er es selbst glauben und wieder hoch- kommen." Und Filjka sandte einen liebreichen Blick nach seinem Gefährten: „Sei nur nicht böse. Bist du auch ein Dieb, so doch kein wirklicher. Solch ein Dieb kann leicht jeder werden. Auch ich war ein solcher. Als mich einmal der Hunger plagte, stahl ich aus einem fremden Hühnernest Eier.. „Schweig Filjka, daß du krepiertest!" In unsinniger Wut schüttelte Ameljka die Fäuste vor Filjkas Gesicht. Filjka prallte zu- rück, starrte den Gesährten an. Hastig atmete Ameljka mit ver- zerrtem Gesicht. Unoerstehen trat trennend zwischen die Beiden. Eine ganze Weile gingen sie in Schweigen. Endlich sagt« Ameljka unerwartet: „Und doch führen wir ein interessantes Leben. Wie mannig» faltig sind doch unser« Diebesbanden. Da gibt es Hausdiebe, die die Wohnungen ausräumen, Marktdiebe, die auf den Märkten ar- beiten, Bodendiebe, die die Wäsche von den Boden herunterholen, Eisenbahndiebe, die gute Einnahmen auf den Eisenbahnen haben, sie suchen die Wagen nach Beute ab. Noch andere gibt es, die den Reisenden di« Proviantsäcke klauen, und in jeder Bande, in meiner zum Beispiel— dabei errötete er—, in jeder gibt es Ausjührende, den Anführer und Untergebene, von denen die einen Wach« stehen, die andern als Kundschafter dienen. Es gibt welche, die bis zu jünfzig Läusen(Tscherwänzen) im Monat verdienen. Auch Wucherer gibt es drunter. Reiche Kerle. Sie haben gar viele in ihrer Gewalt. Sie verleihen Geld und verlangen hinterher Pro« zent«. Sie unterhalten Agenten. Und wer nicht wiedergibt, wird einfach erschlagen." Sie waren auf dem Wagganfriedhaf angelangt, lieber eine ganze Werst zog er sich hin. Bon Klassenwagen allein gab es da an die zweihundert. Ameljka mustert sie aufmerksam. �Hier ist es!" sagte er. Auf dem verrosteten Beschlag eines Rades sah nun Filjka Kreuze, Ringe und Vögel angekreidet. „Da» sind unsere Kennzeichen", sagte Ameljka und klopfte an die abgeschürfte Wand des Wagens. ..Wer da?" „Born Bau. Wir«allen übernachten."'" „Ihr zahlt 2» Kopeken pro Fratze für di« Rächt. Ohne Verpflegung. Stehlen wird nicht geduldet."
Das Innere des Eisenbahnwagens glich einem verschmutzten Schweinestall. Auf dem Baden schmieriges, längst verbrauchtes Stroh. Rinden von Wassermelonen, faule Kartoffeln, Aepfel und Gurkenreste. Quer von Ecke zu Ecke Bindfaden, behängt mit alten Fetzen. Im Wagen war es kälter als draußen, und es gab keinen Ofen, und man hätte auch keinen heizen können— wegen des Strohes. In der Ecke neben dem Fenster lag auf einem zerfetzten Sofa ein gut rasierter etwa zwanzigjähriger Bursche— Petjka Boll. Er roch nach Branntwein und hatte geschwollene Augen. „Hast du Geld Petjka?" fragte Ameljka."„Zahl deine Schuld." „Gern, aber Geld habe ich nicht. Hier hast du zwei Läuse und — Goldsachen" „Jede Goldsache gilt für eine Laus— macht dreißig Rubel. Somit schutoe ich dir nur nach siebzig Rubel." „Du lügst, hast Prozente versprochen." „Na gut, so sinds achtzig." Petjka Bolt holte aus dem Stiefel- schalt zwei Tscherwonzen und einen Goldreif hervor und reichte sie Ameljka. Aus dem Stroh hoben sich zwei zerzauste Köpfe: „Ameljka! Deine Schuld!" �" Ameljka warf ihnen einen Tfcherwonetz zu. „Hier ihr Scheusäle. Und nun sind wir quitt." „Heute Nacht siedeln wir in einen Wagen über", sagte Petjka Bolt.„Gestern hat sich hier ein Fatzke von der G. P. U. henrni« getrieben." „Sa?" sagte Ameljka.„Nun dami auf Wiedersehn." Und er nahm mit Filjka den Rückweg zwischen den Wagen. „Jetzt schnell in die Teebude. Wir lassen uns Tee geben und Fischpastete", sagte Ameljka. Sie näherten sich eben dem Marktplatz. Kaum hatte Ameljka . zu Ende gesprochen, als ihn von hinten ein Polizist packte. Filjka entkam um die Ecke. Ameljka schlug mit einem Aufschrei aus das Trottoir hin. Er wand sich in Krämpfen, verdreht« die Augen. Hände und Füße waren verkrümmt. Die Nägel der Hände bogen sich nach rückwärts. Sein Gesicht war dunkelrot und in Schweiß gebodet. Im Nu war er von einer Menschenmenge umringt. ..Herr des Himmels, ein Epileptischer!" „O. der Unglückliche." „Bürger, man muß ihn zudecken. Hat jemand ein Laken oder eine Schürze?" Ameljka fauchter„Brüderchen... Ins Krankenhaus." „Genosse Polizist, ruf die schnelle Hilfe." Auf die Lippen des Epileptikers trat Schaum. Ueber sein Gesicht ging ein Beben. Das war ausschlaggebend für den Polizisten. „Bürger, paßt auf ihei— er ist ein gewerbsmäßiger Dieb. Ich bin sofort zurück." Und er lies zur Telephqnzelle. Lang ausgestreckt wie«in Toter lag der Epileptiker da. Erschauernd warf er die Arme empor. Die Frauen um ihn her be- kreuzigten sich voller Grauen. Im nächsten Augenblick ober sprang Ameljka unerwartet auf die Beine. Wild drohend schrie er: „Fort oder ich verschlinge euch!" Die Menge stob auseinander und pfeilschnell suchte Ameljka da» Weite. „Ist dort die schnelle Hilfe?*, der Polizist schrie sich Hefter am Telephon. „Fahrt schleunigst zum Markt. Ein Mensch stirbt. Hier Polizeiposten Nr. 37." (Aus iem Russischen ins S ch i s ch k 0 w von Tasch» Rasenthal.)
3)as ffiäifel der Miofynkrafien
Bor einem Jahre beobachteten die Aerzte in Kiel einen eigen- artigen Fall: Eine Patientin war gegen den Genutz oon Fisch- fleisch derart empfindlich, daß sie, als man ihr«in Hundertstel Kubikzentimeter eines stark mit Wasser verdünnten Fischfleischertraktes unter die Haut spritzte, beinahe lebensgefährlich erkrankte. Erst als man ihr vom gleichen Extrakt die winzige Menge von fünf Milliardstel Gramm— 0,000 000 005 Gramm— einverleibte, spürte sie keine Wirkung mehr. Durch ganz langsame Gewöhnung gelang es, die Kranke von ihrer Uebcrempfindlichkeit zu heilen, und nach zwei Monaten war sie tatföchlich so weit, daß ihr selbst eine Menge von 100 Gramm Fischfleisch keinen Schaden mehr brachte. Nun tritt dieses Leiden, das man Idiosynkrasie nennt — das griechische Wort soll ein« ungewöhnliche Mischung der Säfte bezeichnen—, allerdings nicht immer in so krasser Form auf. Recht oft erregen rein seelische Vorgänge solche Abneigung vor bestimmten Dingen und es genügt dann schon der Anblick des Gegenstandes, gegen den man di« Abneigung empfindet, um eine Erregung her- vorzurufen. Dem normal«mpfindcnlKn Menschen scheinen manche dieser unüberwindlichen Abneigungen freilich ganz unoerständlich. Es ist kaum glaublich, daß Napoleon eine�solche Abneigung gegen Katzen halle, daß«r, als er im schloß zu Schöndrunn weilte, eines Abends laut aufschrie, weil et hinter seinem Bettvorhang ein« Katze entdeckte. Auch Heinrich lll. oon Frankreich tonnte keine Katze sehen, und Tieck erzählt einmal, daß auch Kleist in Aufregung geriet, sobald er«ine Katze erblickte. Erasmus von Rotterdam wurde fieberkrank, wenn er Fisch« roch, Tycho de Brahe fühlt« sich schwach werden, wenn er Hasen oder Füchse sah, Gustao Adolf von Schweden schaudert« vor Spinnen, und Kurfürst Max Emanuel von Bayern konnte keine Orange sehen, was ihn inde? nicht hinderte, eine große herrlich« Orangerie anzulegen. Sogar Rosenfeinde kennt die Ge- schichte. Maria von Medici hatte Ausregungszustände. wenn sie Rosen roch, und konnte nicht einmal gemalte Rosen sehen.-,, während der Herzog von Guise ohnmächtig wurde, wenn er Rosen sah und chren Dust spürte. Adelina Patti behauptete, heiser zu werden. wenn sie Beilchen roch, was auch die berühmte Schauspielerin Rachel an sich beobachtete. Pierre Bayle , der französische Philosoph, geriet in Konoulsionen. so oft er Wasser au» seinem metollgnen Krahn sprudeln hörte, und selbst Peter der Große , dieser llfces«, war nicht fr« von dergleichen Angstzu ständen: er zitterte jedesmal, wenn er über eine Brücke gehen mußte. Besonders häufig treten Idiosynkrasien in der Form auf, daß sich Kronkheitzerfcheinurnfeii nach dem Genuß gewisser Speisen ein- stellen. Das Essen von frischen Erdbeeren ruft bei so überempfindlichen Personen die„Crdbeerkrankheit". eine leicht« Haulerkrankung, hervor, bei anderen zeigt sich die gleiche Erscheinung, wenn sie Krebse oder Weintrauben verzehren. Dann gibt es wiederum Menschen, die Erbsen, Bohnen oder Linsen nicht oertragen, sie erkranken dann Resseffucht:«jt derartig«? Fall hat sogar erst vor kurzem einen
tödlichen ausgang genommen. Sehr oft äußert sich die lieber- empsindlichkeit auch nach Berührung von Dingen, die der betreffende Mensch„nicht vertragen" kann. Hierher gehört vor allem die ..Primelkrankheit", jener unangenehm prickelnde und blasenbildende Hautausschlag, der durch die Berührung der Haut mit dem ausge- schiedenen Saft der Drüsenhaare der chinesischen Primel entsteht. ferner die erst in neuerer Zeit beobachtete Erscheinung einer bejon- deren Empfindlichkeit gegen die Berührung von grünen Erbsen. Merkwürdig ist auch die Entstehung einer Hauterkrankung bei Per- sonen, deren Berus , es mit sich brachte, daß sie viel mtt Spargel hantieren mußten, wobei ihre Haut mit Spärgelsaft benetzt wurde. Manch« Menschen werden schon in leichter Form krank, wenn ein Floh oder ein paar Mücken ihre winzigen Giftmengen in die Haut einführen, oder sie werden oon einem richtigen Zlusschlag beiallen, wenn sie von Bettwanzen gestochen werden. Außer Hautkrankheiten beobachtet man an Personen, die überempfindlich sind, auch Hals- erkrankungen, und sogar Magen- und Darmleiden kommen vor. Diesen„allergischen Krankheiten", wie die moderne Medizin alle diese Ueberempsindlichkeitosymptome nennt, reihen sich auch jene Fälle an, bei denen das Einatmen von bestimmten Stoffen Erkrankungen hervorruft. Wer empfindlich ist, erkrankt alljährlich, sobald die Gräser und gewisse Bäume blühen, und ihre Pollen die Lust füllen, mit Sicherheit am Heufieber: oder er wird eines Tages plötzlich von einem quälenden Asthma befallen, nur deshalb, weil er winzige Teilchen von Hunde- oder Katzenhaaren, von Federn— auch von Bettscdern— oder von tierischen Hautschuppen einatmete. Und so gibt es denn wirklich ein« ganze Fülle von Dingen, die den einen Menschen unbedingt trank machen können, den anderen aber wieder ganz unberührt lassen. Wie alle diese so mannigfaltigen und qualenden Leiden zustande kommen, ist eine Frage, die di« Aerzte schon seit langem beschäftigt. Verursacht werden die aller- gischcn Krankheiten.zweifellos durch Stoffe, die im Körper der ent- sprech.md veranlagten Menschen di« Ueberempfindlichkeit hervor- rufen. Man hat neuerdings erfolgreiche Untersuchungen ausgejührt. indem man durch Einspritzungen feststellte, gegen welche Stoft« der Patient empfindlich set. Dann versucht« man. durch langsame Ge- wöhnung an den betreffenden Stöfs eine Art von Abhärtung und dämit Heilung zu erzielen. Die Idiosynkrasie selbst scheint nicht«blich zu sein, hoch wird die Anlage, aus der sie entstehen kann, tatsächlich vererbt, und zwar in etwa 3—5 Prozent aller Fälle. Das Leiden als solches wird vermutlich so erworben, daß die Stoise, öie einem bestimmten Men- sitten schädlich sind, wiederholt aus ihn einwirken: der Tierversuch — denn auch Tiere leiden an Idiosynkrasien— ergab, daß erst eine wiederholte Einwirkung die Ueberempsmdlichkeit hervorruft. Wenn die Idiosynkrasie nur durch seelische Borgänge und Vorstellungen verursacht wird, kann Heilung auch durch Hypnose gelingen,
lllörder Auto 3>ie Opfer ton Erdbeben und �Kraftwagen Da» letzte Erdbeben in Italien hat wieder viele Meiftchenopser gefordert, und wenn wir die Größe der Katostrophe, die sich aus einem verhältnismäßig kleinen Raum abspielte, bedenken, so müssen wir glauben, daß diese sich immer wiederholenden Erderschütterungen der Menschheit schwere Wunden schlagen. Tatsächlich aber sind die alltäglichen Unglücksfälle, die höchstens eine Erwähnung in der Lokal- chronik finden, in ihrer Gesamtheit sehr viel bedeutender als di« Erdbebenkatastrophen. In einem kürzlich erschienenen Werk„Unsere bewegliche Erde" beruft sich Professor R. 21. Doli)»m die Schätzung eines früheren Seismologen Robert Mallet , nach der die Erdbeben in fast 4900 Jahren 13 Millionen Äiienschenleben vernichtet haben, und er fügt hinzu, daß diese Ziffer, im Verhältnis der Jahre ge- rechnet, nur ein Sechstel von dem ausmache, was„die neuest« Pestilenz, der Krailwagen" allein in den Vereinigten Staaten an Menschenopfern fordert. Ein anderer Geologe, Charles Daoison, versucht jetzt in einem Aussatz der Times, die d u r ch s ch n i t t l i ch e n jährlichen Menschenverluste durch Erdbeben zu berechnen. Die Ziffer Mallets dürfte zu niedrig sein, denn er hat cinge der furchtbarsten Erdbeben nicht in Betracht gezogen, so das indische Erdbeben von 1737, bei dem 3lX)Ü00 Personen getötet wurden und das chinesische von 155b, in dem mehr als 830 000 Menschen das Leben verloren haben sollen. Sogar in unserem Jahrhundert würden die drei großen Erdbeben von Messina 1908. Nordwestchina 1920 und Japan 1923, wenn sie aus das ganze Jahrhundert ver- rechnet würden, durchschnittlich wenigstens 3800 Tote im Jahr er- geben, eine Zdhl, die etwas höher liegt als die Durchschnittsziffer Mallets für all« Erdbeben eines Jahrhunderts. Nach dem großen Erdbebenkatalog von Professor Mllne beläuft sich die Gesamtzahl der Erdbeben, die von 1800 bis 1899 verzeichnet wurden, als 200b: davon waren 1222 stark genug, um einige Mauern zu bersten oder ein paar Schornsteine uirzzuwersen, 510 deckten Dächer ab und führten zu Hauseinslürzen. 364 waren so gewalttg. das ganze Städte zerstört und Gebiete verwüstet wurden. Diese dritte Klasse würde auch das jüngste italienische Erdbeben umfassen. In seinem Katalog der italienischen Erdbeben gibt Dr. Mario Baratta die Zahl der Menschenleben an, die bei den wichtigeren Erderschüttc- rungen der letzten drei Jahrhunderte zugrunde gingen. Sein Register umfaßt 43 Erdbeben der dritten Klasse und 125 der zweiten. Die Gesamtzahl der Toten bei den Erdbeben der dritten Klasse wird mit 181 567 beziffert, d. h. 4222 Tote auf das Erdbeben. Den Erdbeben der zweiten Klasse fielen 971 Menschen zum Opfer, 8,3 aus ein Beben. Wenn man diese italienischen Ziffern aus die Erdbeben in der ganzen Welt während des 19. Jahrhunderts anwendet, so ergibt sich eine durchschnittliche Zahl von 15 368 Toten jährlich bei den Erdbeben des dritten Grades und von 42 Toten, bei denen zweiten Grades, im ganzen also von 15 410 Toten. Allerdings dürfte diese Ziffer zu hoch gegriffen sein, denn die Opfer bei den italienischen Beben sind besonders groß wegen der schlechten Anlage der älteren italienischen Häuser und der Lage vieler Städte auf steilen Erhebungen. Wurden doch 41 Proz. der Ein- wohner von Casamicciola bei dem Erdbeben von Ischia 1883 getötet. 50 Proz. bei dem von Messtna, und die Toten von Montemurro beliefen sich bei dem Beben von 1857 sogar aus 71 Proz., die von Terranova bei dem kalabrischen Erdbeben von 1783 auf 77 Proz. und die von Auendita bei dem Erdbeben von Norcia 1703 aus 81 Proz. Andererseits ist das zerstörte Gebiet bei den italienischen Beben meist ungewöhnlich klein, betrug z. B. bei dem Erdbeben von Ave.zzano 1915 nur 130 Quadratkilometer und bei einigen sicheren Beben weniger als 10 Quadratkilometer, während in anderen Län- dern die erschütterten Gebiete sich über 2000 bis 10 000 Quqdrat- lilometer ausdehnen. Bei nur drei oder oier italienischen Beben überstieg die Zahl der Toten in den letzten drei Jahrhunderten 10 000. Das einzige andere Land, für das wir ähnliche Zahlen besitzen, ist Japan . Hier ereigneten sich nach den Zählungen von Professor Inamura im 18. und 19. Jahrhundert 8 groß« Erdbeben mit 31140 Toten, durchschnittlich 3892. auf ein Erdbeben. Bei einer Berechnung der Gesamtziffer der jährlichen Todesfälle auf der ganzen Welt würde die Zahl 14 169 herauskommen. Wenn man nach diesen Berechnungen die durchschnittliche Zahl oon Menschen, die jährlich durch Erdbeben getötet werden, mit 14 000 bis 15000 annimmt, so ist das noch immer weniger als die Zahl der Personen, die jedes Jahr allein in den Vereinigten Staaten den Autounfällen erliegen. Autos töten also bedeutend mehr Men- schen als Erdbeben. £iegc. Schreibe, Schiebe, fReibe, bleibe Eine lebende Sprach« steht niemals still in ihrer Entwicklung, sie gleicht nicht(wie eine tote Sprache) einem See mit festen, ring« umschließenden Usern, sondern einem Strome, der unablässig weiter- flytend stets neu« Erscheinungen(Formen, Fügungen, Worter) auf seiner Oberfläche heroortreten läßt. Eine.Halbkutsch«, einen halb- verdeckten Wagen bezeichnen wir mit dem Fremdwart„diaise", ein Halbsofa mit einer Lehne, ein Liege-, Ruhesosa, ein Lang- polster mit„diaise longue". Warum nennen wir es nicht kurz Liege? Unsere Kinder sagen für den Schreibstift und wohl auch sür die Schreibtafel Schreib«, für das Schießgewehr Schieße. Reibe ist das Werkzeug zum Reiben, das Reibeisen, wir haben z. B.«ine Mandelreibe,«in« Käsereibe. In neuerer Zeit hgt sich auch die Bleibe hernorgewagt, zunächst nur schüchtern, obwohl wir schon lange die'Verkleinerung „Bleibchen" hatten:„Denn sie wollten gern ihr künstiges Bleibchen kennenlernen."(Hippel.) Wir haben hier kein« bleibende Statt. Sehe jeder, wo er bleibe! Trotzdem suchten wir ein Logis oder eine Schtafftelle, und jähen das Nächstliegende nicht, die Bleibe. Die Wandervögel haben dieses Wort eingeführt. In einem etwas anderen Sinn« war das Wort schon früher gebräuchlich und ist es vielleicht heute noch, nämlich beim Kegeln. Wenn die Kugel zwischen der Bande und dem Eckkegel hindurchlöust, ahne diesen umzustoßen, so wird der Schub«in Loch genannt, auch«ine Rage, womit für den Schieber«in gewisser Nachteil verbunden ist. Rollt die Kugel aber zwischen dem Eckkegel und den beiden sogenannten Tanten hin- durch, ohne einen Kegel zu treffen, so hat'der Schieber weder einen Nachteil noch einen Dorteil. der Schub hat keinen Wert,«s bleibt dabei, man nennt den Schub eine Ble-be.
Em Apparat zur Meftuna.d« tichtgefehwindigkei� Auf Veranlassung de» berühmten Physikers der Umoerfttch Chikagc», Michel- son, wird gegenwärtig ein« Apparatur hergestellt, um di« Ge. schwindigkeit des Lichte« ganz genau zu messen. Roch den Berech. nungen�des Gelehrten durchläuft ein Lichtstrahl 299 793 Kilometer in der Seikunde. Nun soll aber jede Ungenauigkeit bis zu ft'moo Proz. ausgeschlossen werden. Dazu dient der Apparat, der nach einem Bericht der Frankfurter „Umschau" in einer luftleeren Röhre besteht. Durch diese wird ein Lichtstrahl geschickt und am Ende zum Zlus- aangspunkt zurückgewotien. Di« Zeit, die das Licht zu diejem Wege braucht, wird von einem Kontrollapparat aufgezeichnet. Die genaueste Kenntnis der Lichtgesehwindiickeit ist für die Begründung der Rela- ttoittrtscheotie wichtig.