Erkelenz wirbt für den sozialen Volksstaat Gegen die Junker- und Kapitalsherrschast— Alle Schaffenden zur Sozialdemokratie
Der frühere Vorsitzende der Temokratisctien Partei, Anton Erkelenz , wirbt in diesem Aufsatz für die Sozialdemokratie um die Stimmen der Arbeiter und Angestellten, die sich aus ihren anti- marxistischen Vorurteilen noch nicht haben lösen können. Er zeigt ihnen, worum es in dem gegen- wärtigen Wahlkampf geht: um die endgültige Er- oberung der Macht zum Ausbau des sozialen Volks- staates aller Arbeitenden. Mein Austritt aus der Deutschen Demokratischen Partei und mein Uebertritt zur Sozialdemokratie hat dem„Demokratischen Zeitungsdienst" Anlaß gegeben zu nachstehender Bemerkung: ..... Unverständlich bleibt sein Weg zur Sozialdemokratie. Ein solcher Weg bedeutet für einen Demokraten wie Erkelenz es war, einen so grundsätzlichen Wandel der Auffassungen, daß dieser Uebertritt zur Sozialdemokratie einstweilen überhaupt nicht ver- standen werden kann." Diese Bemerkung verdient eine Antwort, denn sie ist in Kreisen derjenigen, die man im Sinne der englischen Begrifssanwendung als„radikale Liberale"(Radicals) bezeichnen kann, noch recht verbreitet. Eine Erörterung darüber hilft wohl auch vielen Tausenden bei ihren eigenen Entschlüssen. Gemeint ist bei dieser Kritik des„D. Z." wohl in erster Linie der Gegensatz gegen den Sozialismus. Die Demokraten bettachten sich vielfach als Hüter des Privatkapitolismus, des Privat- eigentums, der Privatwirtschaft. Nach verbreiteter Auffassung ist das alles das Gegenteil des Sozialismus, den die Sozialdemokratie ersttebt. Aber die Dynamit des Lebens läßt sich schon seit einem halben Jahrhundert nicht mehr so ohne weiteres in diese Begriffe einspannen. Vielleicht ist der rechte Flügel der bisherigen Demo- kratifchen Partei, etwa der Hanfabundflügel, wenigstens theoretisch noch Anhänger dieser Ueberreste der manchesterlichen Auffassungen. Aber selbst diese Kreise haben sich seit 1918 schon manche„sozialisti- schen" Maßnahmen gern gefallen lassen, wenn sie ihnen nutzten. Sie haben manchmal Pate gestanden, wenn Verluste, Bankrotte„sozialisiert", d. h. aus Staatskosten. aus Soften der Allgemeinheit, Irrtümer der Privatwirtschaft korrigiert wurden. Und ihre Bundesgenosien vom Landbund bemühen sich so stark um den Sozialismus der„O st h i l f e", der Schutzzollpolitik, der Subventionen aller Art, daß ihnen die reine Privatwirffchaft ganz nebensächlich erscheint. Für eine konsequente Privatwirtschaft, die stolz und selbstbewußt auf sich selbst steht, ließe sich manches sagen. Die Prioattoirtschast von heute, die stets mit einem Auge nach der ihr nützlichen und dienlichen Staatshilfe schielt, und sie auch gern nimmt, wenn sie unter dem dünnen Mäntelchen sozialer Fürsorge geleistet wird, hat kein Recht sich als die allein gläubige Vertreterin der privaten Initiative und Selbstverantwortung der Unternehmer und der Unternehmungen zu bezeichnen. Dem Wissenden nötigt dies« Konsequenzenreiterei nur ein Lächeln ab. Aber der Liberalismus hat in ollen Ländern und auch in Deutschland seil je nicht nur einen rechten, sondern auch einen linken Flügel gehabt. Der Unke Flügel, der übrigens geistig stets der bedeutendere war, beurteilt diese Dinge schon seit Jahrzehnten wesent- lich anders. Am klarsten ist sich darüber seit langem der linke Flügel des englischen Liberalismus. Ihn hat nie ein prinzipieller, ein unüberbrückbarer Graben von den Vertretern sozialistischer An- schauungen getrennt. Ob eine Maßnahme sozialistffch war oder nicht, hat ihn nie irritiert(übrigens ebenso wenig wie den deutschen Katholizismus), er hat nur gefragt, ob sie von den Erfordernissen des lebendigen Lebens verlangt, ob sie in der gegebenen geschieht- lichen Lage notwendig ist oder tpar. Das bekannte Gelbbuch der englischen liberalen Partei von 1928 enthält mehr Sozialismus ols die englische Labourpartei z. Zt. zu fordern wagen kann, mehr als die deutsche Sozialdemokratie in langen Jahren durchzusetzen I'zffen darf. Leopold Sonnemann , ja seiner Zeit teilweise sogar Max Hirsch , haben schon in der Frühzeit der deutschen Arbeiter- bewegung manchen praktischen Forderungen der Sozialisten— oder sie ihnen— sehr nahegestanden. Einer der ersten Entwürfe für eine gesetzliche Arbeitslosenversicherung rührt von Veopold Sonnemonn her, ttre ich nicht von 1895. Und Nau- mann, der in seinen jungen Jahren als Christlich-Sozialer scharf die Forderungen der Abschaffung des Zinses vertreten, hat i» seiner„Neüdeuffchen Wirtsthaftspolitik", die in ihrer ersten Form in den Jahren um 1910 herum entstanden fft, ober noch in der Kriegszeit neu aufgelegt wurde, folgende Sätze geschrieben: „Sozialismus ist heute keiae reine Gegenbewegung gegen die Gcgenwarlswirtschafi als solche mehr, sondern ein Kamps um ?Nacht und Einfluß der Besitzlosen in dieser Wirtschaftswelt, die allseitig dem Ziele der Vereinheitlichung zustrebt... Sozialismus ist derselbe Vorgang im Kapitalismus wie Liberalismus im Staat... Kapitalismus ist die aristokratische Auffassung desselben Wirtschaftslebens, dessen demokratische Ausfassung Sozialismus lstiht." Die Gedanken der Wirtschaftsdemokratie sind zuerst und mit erheblichem Radikalismus von Naumann vertreten worden. Sollen Naumann, Sonnemann und zahlreiche andere aus der Ahnen- galerie der Demokvatffchen Partei gestrichen werden? Das würde nichts beweisen gegen diese Männer, sondern würde nur bestätigen, k iß unter dem verwirrenden Einfluß der Nachkriegszeit bei ihren Epigonen das grundsätzliche Denken völlig verkümmert wäre. Das wieder würde erklären, worum die Demokratische Partei sich besonders in der Regierung Brüning soweit von ihren Grundlinien enffernen tonnte. Ob und inwieweit die nähere Zukunft der Wirt- schaftsentwicklung kapitalistisch oder sozialistisch ist, entscheidet sich nicht nach den Wünschen der einzelnen oder der Parteien, sondern nach den Notwendigkeiten des dynamischen Lebens im Zeitatter des Spätkopttalismus. Diese drängen in aller West mehr zu s o z i a- l i st i s ch« n als zu kapitalistischen Lösungen, falls man den Gegensatz einmal in diese Worte fassen will. So wirkt die gewaltig« Wirtschaftskrise und die große Arbeitslosigkeit tausendmal mehr im sozialistischen Hinne als alle Agttatton der sozialistffchen Parteien es tun könnte. Die Produktivkräfte der Welt, die Leistungen der Technik und der Techniker sind unvergleichlich viel größer als die Organffattonskunst der Wirtschaftsführer und der Staatsmänner. Wir haben Ueberfluß an Brot in der Welt und doch müssen Willionen weufchen hungern, Zehntausende verhungern. In den großen Getteidesabriten der amerikanischen Westens, Cana- das. Argentiniens , kann man den Zentner Weizen für drei Mark produzieren und liefern. Der deutsche Bauer verlangt dreizehn Mark, und kommt trotz schwerster Arbeit damit nicht aus... Das ist die Katastrophe der privaten O r g a n is a t i o n s k u n st. Vielleicht wird rnan antworte ne die linverjohnlichkett des Sega»-
satzcs zwischen Demokratie und Sozialdemokratie besteht nicht in den Fragen des Sozialismus, sondern des Marxismus . Das Wahl- ichlagwort der Reaktion richtet sich ja auch nicht gegen den Sozialis- mus, sondern gegen den„Marxismus ". wieviele von den Menschen, die gegen den Marxismus reden, haben jenes Mindestmaß von Kenntnis darüber, das man haben müßte, um mitreden zu dürfen? Obwohl ich vielleicht mehr darüber gelesen und gehört habe, als 95 Prozent derjenigen, die dagegen reden, traue ich mir nicht zu, ein endgültiges Urteil abzugeben. Ich halte mich zunächst mal an das� was die Männer, die im Marxismus groß geworden sind, denken, reden und tun. Und da finde ich im praktischen Leben keinen unüberbrückbaren Gegensatz. Da habe ich mich zu der Erkenntnis durchgerungen, daß mir z. B. die Politik des Herrn Brüning weltenweit ferner lag oder liegt als das Wollen und Tun Eberls, Hermann Müllers, Lobes, Breit- s ch e i d t s, Landsbergs, Bernsteins, Wels, Legiens, Leiparts und hunderte anderer. Ob da irgendwo ganz im tiefften Herzen schwere grundsätzliche Gegensätze schlummern, weiß ich nicht, aber sicher weiß ich, daß diese Gegensätze nicht größer sind wie manche andere, die ich mit bisherigen Parteisreunden hatte, mit denen ich jahrelang gearbeitet habe. Ganz sicher weiß ich, daß diese Gegensätze nicht so groß sind wie diejenigen, die ich gegen die wiederslottmachungen de» deutschen Großgrundbesitze», jene» Todfeindes aller deutschen Demokratie, durch Schieie-Vrüning. habe. Wenn ich einen Aussatz lese, wie den des Belgiers Bänder- oelde in der neuesten Nummer der„Gesellschaft", wenn ich Aufsätze Renners, Hilferdings lese, dann finde ich ebenfalls kenn? unerträglichen Gegensätze. Und endlich: mir ist nicht bekannt, daß die deutsche Soziakdemokratte von ihren alten oder neuen Mitgtiedern ein Bekenntnis, eilten Schwur, ein Glaubensbekenntnis zu dem „Kapital" von Marx fordert..Bon mir ist bis heute keine be- sonder« marxistische Taufe verlangt worden. Aber wenn das alles auch ganz anders wäre, im ungünstigen Sinne anders: in der deutschen Politik steht beute und für die zwanzig Jahre, die ich vielleicht noch zu leben habe, weder die allgemeine Einführung des Sozialismus noch gar die Einführung des Marxisnms auf der Tagesordnung. In Wirklichkeit handelt es sich um ganz andere Dinge. Es handelt sich, um mal kurz mit dem eben in dieser Stunde beerdigten Ludwig Haas zu reden, um die Frage, ob die deutsche Republik eine ptutokratische oder eine soziale sein wird. Es handelt sich darum, ob der deutsch « Großgrundbesitz mit seinen Anhängseln und Trabanten in Stadt und Land wieder die maßgebende Kraft der deutschen Republik'wird. Es handelt sich darum, ob die Feinde des neuen Staates, die diesen stets verachtet haben und zerschlagen wollten, ihn jetzt— das ist der historische Sinn der Brüningpolitik— beherrschen sollen. E« handelt sich darum, ob den Arbeitnehmern, den Arbeitenden überhaupt, der endlich allzu spät errungene spärliche Einslvß auf Staat und Gesellschaft wieder genommen werden soll. Es handelt sich darum, den guten und gesunden Kern der deut- schen Sozialpolitik zu retten, soviel ich selber an System und an Einzelheiten au susetzen habe. Es handelt sich darum, zu verhüten, daß Militaristen und Gewaltpolitiker!n Deutsch- land wieder ausschlaggebend werden. Es handelt sich darum, den Arbeitnehmek, alle Arbeitenden zum Bürger, zum Vollbürger zu machen, und nicht den Ehrentitel Bürger und bürgerlich für eine Partei oder Geistesrichtting zum monopolisieren. Kurz gesagt: ich bin der Meinung, daß wir erst die äußere Form des neuen Dolbs staates errungen haben, und daß jetzt erst der lange Kampf um den Inhalt dieser Form einsetzt. Im Kampf um den inneren Wert, um die Seele des Volks-
staates, fällt ober der Sozialdemokratie die entscheidende Führung zu. Sie hat die Monopolisierung der wirklich lebendigen Kräfte des Forffchritts und der Freiheit zu besorgen. Diese Aufgabe, dieser Kampf um die Macht liegt ihr als geschichtliche Notwendigkeit, als gewiß schwere historische Last ob. Wahrscheinlich wird es in der Sozialdemokratie viele geben, denen diese vom Schicksal ihnen zugewiesene Ausgebe gar nicht behagt, die rückwärts blicken»ach der romantischen Vorkriegszeit, als man noch �venigcr mit Verantwortung belastet war und mehr der Reinheit der Lehre leben mußt«. Auch für die Sozialdemokratie gilt, daß das Schwer- gewicht der> Dinge stärker ist als die Lehre. In der Durchführung dieser Pflicht haben auch andere Parteien gewiß noch wichtige Aus- gaben zu erfüllen. Dos Zentrum wird dazu unentbehrlich sein. Die Staatspartei dient vielleicht als zeitweilige Brücke, um Menschen mit an diese Aufgabe heranzuführen, die jetzt noch nicht reif sind dafür. Auch das ist verdienstlich, ober der entscheidende Impuls kommt nicht von da. Er muß von der mächtigen Partei der Freiheil ausgehen. Und deshalb bin ich dorthin gegangen, wo ich glaube, daß am meisten Arbeit für diese Ausgabe geleistet werden muß und geleistet werden kann. Hunderttausende deutscher Bürger und Bür. gerinnen, besonders aus der Bildungsschicht, stehen in oder vor derselben Entscheidung. Es gehört mit zur deutschen Tragödie, daß. so viel« von ihnen so langsam im Denken sind und alle, ve r s a u i t e und verfallene„bürgerliche" Hürden nicht zu über- steigen wagen. Bor all diesen Barrieren habe ich dreißig Jahre lang selber gestanden. Fast habe ich die Hindernisse mit der Muttermilch eingesogen im niederrheinischen katholischen Handwerkerhause. Muß man mit 50 Iahrest vor denselben Hindernissen stehen bleiben, vor denen man mit 29 Jahren stand? Ruft man allerwege nach Jugend, damit die älteren doch recht unbeweg- lich und verkalkt bleiben sollen? Das fft so etwa meine Antwort an jene, die da sogen, daß dieser Uebertritt„einstweilen überhaupt nicht verstanden werden kann". Ich wende mich gegen diejenigen, die in 1939 noch glauben, daß die sozialdemokratischen Arbeitnehmer ihnen fremd und unverständlich seien, weil 1854 auf dem Nürnberger Arbeitertag die Richtung Bebel sich von der Richtung Sonnemann trennte. Wenn Karl Marx 1847 im Kommunistischen Manifest schrieb:„Die Arbeiter haben kein Vaterland. Wie kann man ihnen nehmen, was sie nicht haben." Dann scheint mir das kein Grund zu fein, um sich 1939 den sozialdemokratischen Arbeitern fern zu hallen. die mit Blut und Leben ihr Vaterland, die Deutsche Republik, geschaffen und verteidigt haben. Wenn Bismarck von 1878 bis 1899 mit allen Mitteln der Demagogie die Sozialdemokratie zum„Bürgerschreck" gemacht hat. dann scheint mir das kein ausreichender Anlaß, daß hunderttausend, die sachlich kaum anders denken als sie, heute immer noch in dieser Partei den Bürgerschreck sehen. Irgendwo heißt es bei Marx , für den Engländer feien die Ideen Hüte, für den Deutschen seien die Hüte Ideen. Ich möchte mir dieses Wort nur beschränkt zu eigen machen, nämlich so, daß ein großer Teil der besten Freiheitskämpfer in Deutschland Hüte tragen, die ihnen in der Jugend, unter ganz anderen Verhältnissen aufgesetzt wurden. Diese Hüte sind aber inzwischen so fest an die Köpfe ange- wachsen, daß ihre Eigentümer selbst glauben, sie trügen ewige Ideen auf dem Haupt«. 1939 sind andere Zeiten als 1859. Es ist nicht nötig, daß in der deutschen Politik alles so bleibt oder alles wieder so wird, wie«s in dem Jahrzehnt zwischen 1369 und 1879 geworden fft. Im Zeitalter der parlamentarischen Demokratie sind die Notwendigkeiten des Parteiwesens andere wie 1871., Es handelt sich darum, wer die wacht im Staate hol. Und jeder gehört, unbeschadet von Abweichungen im einzelnen dahin, wo er für die Durchführung seiner Ideen am meisten wach' schaffen kann.
Diktatur und Heldenverehrung Bürgerliche Biographien der„Ltebermenschen"
Imnux gncfcec tauchen neue Biographien mehr oder minder großer Mann«r au» der ffrder hilrgerlicher Schrift st»II»r auf. Wir ficht der sozialtstifchr Leser zu dieser Literatur. Das ist eine notwendige ffrage. Wie stehen wir heute zum Problem der biographischen Literatur? Erscheint uns die Lebensbeschreibung des Einzelmenschen noch wichtig, bedeutungsvoll und darum notwendig oder müssen wir ihre Notwendigkeit vom sozialistischen Standpunkt aus verneint? Die Frage nach Wert und Bedeutung von Biographien geht viel weiter und tiefer, als es im ersten Augenblick scheinen mag. Sie rührt eben an ein Arundproblem sozialistischer, aber auch bürgerlicher Well- anschauung schlechthin. Und man kann hier zu keiner klaren, sicheren Haltung gelangen, ohne zuvor ein« andere Frage nach der einen oder anderen Seite beantwortet zu hoben. Diese Frage lautet: Welches fft die Rolle des Einzelmenschen in der Gesellschaft? Bildet die große Persönlichkeit den eigentlichen Motor im Weltgeschehen oder sind hier unpersönliche, soziale Kräfte das einzige Entscheidende? Gibt es eine dritte Möglichkeft? Im Bereich bürgerlichen Denkens sehen wir heute mehr als je den Glauben an große Persönlichkeiten vorherrschend, von deren Wirksamkeit das Heil in Staat und Gesellschaft erwartet wird. Ia Deutschland gehört jedenfalls neuerding» der Gedanke der persönlichen Diktatur zum politischen Programm eines großen Teile» de» Bürgertum». Zweifellos wurzelt solcher Glaube an die Allmacht des Führertums in nie ganz absterbenden Restest metaphysischer Denkformen. Der große Führer, der Diktator, der Heros erscheint nur als anderer Ausdruck für den Gedanken einer weltbewegenden, absoluten Idee. Man wird vielleicht einwenden, daß dieser oder jener bürger- liche Autor, der etwa an die Biographie Napoleons , Wilhelms II., Mussolinis oder irgendeines beliebigen Prominenten herangeht, sich gar nicht bewußt zu sein braucht, al» Träger jenes eben skizzierten Gedankens aufzutreten. Das mag sein, ober daraus kommt es gor nicht an. Wichtig ist allein der Umstand, daß hier objektiv eine derartige Klassentendenz vorhanden ist und daß das„gebildete" Publikum solche Biographien verlangt, weil ihr Grundchorakter einer bestimmten Weltanschauung enffpricht. Damit soll über ihren literarischen Wert im allgemeinen nichts gesagt sein. Nur kann das für uns niemals den ausschlaggebenden Gesichtspunkt bedeuten. Diese Art Bücher sind für unsere Begriffe nicht nur wertlos, sie sind sogar
Sie zeigen die historische Entwicklung in oerzerrtem Licht und— was schlimmer ist— sie stellen sich durch ihre ganze Haltung zum Gedanken des Massenwillens in direkten Gegensatz, wollen oder bewirken zum mindesten politische Passivität. Es enffteht also wiederum die Frage: Ist die biographische Literatur grundsätzlich abzulehnen oder wie muß sie beschaffen sein, daß der proletarische Leser aus ihrer Lektüre Nutzen zieht? Der Sozialismus denkt gar nicht daran, den Einfluß epochaler Figuren auf das Weltgeschehen irgendwie zu leugnen oder jene gar zu seelenlosen Marionetten zu degradieren. Es wäre ja auch Blindheit, die Rolle eines Bonaparte oder Lenin zu unterschätzen. Nur sieht der Sozialismus die Funktion der großen Männer, die „die Geschichte machen", anders, als es beim Bürgertum und beim — Bolschewismus geschieht. Sie erscheinen ihm nicht als„Helden", d. h. als Faktoren, die über den Gesetzen der Geschichte stehen. Nein, auch der.Pebermensch" bleibt hier nur Vollstrecker bestimmter historischer Tendenzen. Ein Bonoporte kann nur das Programm der bürgerlichen Revo- lution zu Ende führen, er kann nicht mehr das paneuropäische Ideal verwirklichen, das zu den Aufgaben einer späteren Epoche gehört. Mit anderen Worten: der einzelne kann den Strom ge- schichtlicher Entwicklung hemmen oder beschleunigen, aber tf kann ihn nicht willkürlich in diese oder jene Richtung ablenken. Es ist eben auch eine ganz oberflächliche Beurteilung der Dinge. wenn behauptet wird, wir hätten es darauf abgesehen, die Be- deutung der Masse zu überwcrten und die Funktion des einzelnen zu leugnen. Der Sozialismus, der immer von einer gegebenen Wirklichkeit ausgeht, kann gar nicht Dinge außer acht lassen, die einen Teil dieser Wirklichkeit bilden. Warum sollten wir uns also gegen Biographien sträuben, wenn sie mit den Grundlinien unserer Weltonscbauung übereinstimmen! Aber gibt es bereits eine der- artige Literatur? Es kann sich für die proletarische Ltteratur nicht etwa darum handeln, eine Art neuen„Plutarchs" heraufzubeschwören. Der Lebensraum, in dem sie sich bewegt, ist di»se Gegenwart. Und nur. soweit es gelingt, die Problematik der heutigen Gesellschaft und ihre Grundtypen im einzelnen Portrait zu ersossen, werden wir die Notwendigkeit biographischen Schrift- tum» bejah«« dürfen. A. G.