10 Pf.
Der Abend™
Erscheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3
Spätausgabe des„ Vorwärts"
47. Jahrgang
Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Vf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Postscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönhoff 292 bis 297
Held tritt zurüc.
Landtag hebt Schlachtfteuer auf.
München , 20. Auguft.( Eigenbericht.)
Der Landtag frat am Mittwoch vormittag unter außer. ordentlichem Andrang auf den Tribünen zu feiner letzten entscheidenden Sigung über die Schlachtsteuer zu fammen. Nach dem Ergebnis der vorausgegangenen Sigung des Haushaltsausschusses rechnet man mit der endgültigen Ablehnung der Schlachtsteuer bestimmt. Die sozialdemofratische Fraktion hat, trotzdem sie in der Opposition steht, Dedungsanträge eingebracht, durch die der Ausfall durch die abgelehnte Schlachtsteuer reichlich wieder wettgemacht werden könnte. Sie verlangle, daß endlich einmal mit allem Ernst an die längst fällige Bereinfachung der Staatsverwaltung herangegangen werde und daß mit den kirchlichen Oberbehörden in Berhandlungen getreten werde mit dem Ziel eines Abbaus der freiwilligen Leistungen des Staates an die Kirchengesellschaften. Für den Fall, daß diese Verhandlungen zu feinem Ergebnis kommen sollten, beantragte die sozialdemokratische Fraktion, daß zunächst einmal ein Betrag von 8 millionen von den 28 Millionen Mark betragenden freiwilligen Leistungen an die Kirchen abgestrichen werde. Nach der Haltung der in diesem Punkte ausnahmsweise völlig einigen bürgerlichen Parteien ist aller. dings auch mit der Ablehnung dieser Anträge zu rechnen, so daß der bayerische Finanzminister tatsächlich am Ende feines Cateins angelangt ist. Die Sigung begann mit letzten beschwörenden Mahnungen des Finanzministers und des Ministerpräsidenten Dr. Held. Der Ministerpräsident erklärte, in der Ablehnung eine Kundgebung des Mißtrauens zu erblicken und die politische Konsequenz ziehen zu wollen.
Gegen 13 Uhr wurde zur Abstimmung geschriffen. Der sozialdemokratische Antrag auf Aufhebung der Schlachtsteuerverordnung der Staatsregierung wurde mit 65 Stimmen der Sozialdemokraten, kommunisten, Nationalsozialisten, der Deutschen Volkspartei und des Bauernbundes gegen 58 Stimmen der Bayerischen Volkspartei und der Deutschnationalen ange. nommmen. Hierauf erklärte der Fraktionsvorsitzende der Bayerischen Bolkspartei, Dr. Wohlmuth, daß nunmehr der Oppo. sition die Pflicht zufalle, selbst die Bildung einer neuen Regierung zu übernehmen.
Ministerpräsident Dr. Held hat unmittelbar nach der Plenarfihung des Landtages den Landtagspräsidenten schriftlich von dem Rüdfritt des gesamten Ministeriums unterrichtet.
Magistratsbeschluß: Sofort Mittel für die vom Hochwasser Bedrängten.
Der Magistrat ift in feiner heutigen Sitzung dem Beschluß der Stadtverordnetenversammlung betr. Entschädigung der im Bezirk Reinidendorf durch Hochwasser geschädigten Laubenbesitzer beigetreten. Die erforderlichen Maßnahmen werden mit größter Befchleunigung durchgeführt.
Der durch die Initiative der Sozialdemokraten gefaßte Stadtverordnetenbeschluß lautete:„ Die Stadtverordnetenversammlung erkennt den durch die Hochwasserkatastrophe im Verwaltungsbezirk Reinidendorf entstandenen Notstand an und ersucht den Magiftrat, sofort mittel zur Linderung der Not bereitzustellen. Die Berteilung der Mittel hat im Einvernehmen mit der durch die Gefchädiglen gewählten Vertretung zu erfolgen."
Familientragödie in der Kleinstadt. Die Frau erwürgt, sich selbst erschossen.
Kolberg , 20. Auguff. Der Maurer Hannemann in Treptow a. d. Rega, ein Mann von 24 Jahren, er würgte seine 20jährige Frau, die in kurzer Zeit der Geburt des ersten Kindes entgegenfah. Hannemann erichoß sich darauf mit einem Tefching.
Staatspartei beim Kuhhandel.
Demokraten übers Ohr gehauen.
Aus den Kreisen bisheriger Demokraten wird uns über einen amüsanten Kuhhandel in Potsdam I geschrieben:
Im Wahlkreis Potsdam I kommt die Staatspartei" nicht zur Ruhe. Erst hat man ihr den Mahraun Mann Artur Adolph, der erst vor wenigen Wochen sein republikanisches, vorher für Hugenberg schlagendes Herz entdeckt hatte, auf die Nase setzen wollen. Die Demokraten, die ihren bisherigen Abgeordneten Georg Bernhard nicht fallen lassen wollten, lehnten ihn einmütig ab. Sie mußten zwar doch nachgeben, weil sie gegen Finanzminister Höpker Aschoff , der sich persönlich sehr start für eine volksnationale Spizenkandidatur einsetzte, nichts unter nehmen konnten. Aber sie setzten wenigstens durch, daß Adolph, der Mann mit der deutschnationalen Vergangenheit, durch den jungdeutschen oder„ volksnationalen" Major a. M. Herrmann ersetzt wurde.
Doch die Mahraun - Leute wissen, was sie wollen. Sie ver. anlaßten Herrmann, auf die Kandidafur zu ver
Am Leitseil
Je stärker die Rechte, desto leichter wird fie die Regierung am Leitfeil halten." v. Oldenburg Janusau.
BURGER BLOCK
zichten, um die Kandidatur Adolphs von neuem aufs Tapet zu bringen. Dabei sind Mahrauns Freunde auf einen gar nicht üblen Gedanken gekommen. Sie erklärten sich damit einverstanden, daß der ehemalige Demokrat August Weber an Georg Bernhards Stelle Spizenkandidat werden sollte. Die zweite Stelle auf der Liste verlangen sie für ihren Freund Adolph, die dritte ist für das demokratische Fräulein Else Fisch vorbehalten.
Das scheint sehr selbstlos von den Volksnationalen", aber es scheint nur. Herr Weber soll nämlich einen Platz auf der Reichsliste erhalten. Erfolgt nun seine Wahl in Potsdam I, dann soll er auf der Reichsliste annehmen und die guten Demofraten von Potsdam I find die Geneppten: sie haben dann im Reichstag als ihren Vertreter doch Herrn Artur Adolph, der es sich noch vor wenigen Wochen in Hugenbergs Gefolgschaft wohl fein ließ! Wir gratulieren!
Die kommunistische Presse kann sich nicht genugfun mif Berichten, wie fabelhaft die Sowjetunion unter dem Fünfjahresplan fich entwickelt. Arbeitslose Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet find unter Versprechungen nach dem Donezbeden gegangen, um an dem kommunistischen Aufbau zu helfen. Zwei von ihnen, Bruno Wrobel und Gustav Rokitter( dieser mit seiner Frau), beide aus dem Kreis Redlinghausen, tamen dieser Tage zurüd. Sie haben uns erzählt, wie es ihnen erging und was sie erlebten. Hier der Bericht:
Am 16. Juli d. J. wurden wir im Ruhrgebiet von der russischen Organisation Sujusu gol als Bergarbeiter für das Bergwert in Rutschenkowo( Donezgebiet), Schacht Lidewka 2, angeworben. Es wurde eine Entlohnung von 160 Rubel monatlich bei sechsstündiger Arbeitszeit und vollständiger Arbeitsruhe an jedem fünften Tage zugesichert. Die Verheirateten sollten eine Wohnung von 3 Zimmern
,, Vertiefter Sozialismus"
( Siehe 3. Seite)
erhalten, die Küche von zwei Familien gemeinsam benutzt werden. Ein gutes Mittagessen sollte nicht mehr als 35 Ropeten, 1 Pfund( 400 Gramm) Fleisch nur 15 Kopekten, 400 Gramm Butter 75 Ropefen fosten.
-
-
Nach unserer Ankunft am 21. Juli passierten wir die Grenze mußten wir
in verwanzten, verlauften, schmutzigen Räumen hausen, die von Taufenden von Fliegen überfät waren und in denen eine Temperatur von 30 bis 40 Grad Celsius herrschte. Waschgelegenheit war nicht vorhanden, das Wasser zum Trinken nicht genießbar, das Effen ebenso.
Schon nach drei Tagen erhielten wir dieselbe schlechte Kost, wie der russische Arbeiter. Pro Tag und Mann gab es 500 Gramm Brot, für die Frau 300 Gramm Brot. Rohe Gurken mit der Schale und Salz, Tomaten, Weißkohl, Heringe, Zwiebeln, Sonnenblumenkernöl bildeten die übrige Nahrung. Es herrschte große Unzufriedenheit unter den enttäuschten, aus Deutschland eingewanderten Arbeitern, die wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten. Der vom Wirtschaftsministerium ins Lager entsandte Beamte Schneider( ein Deutscher) machte uns beruhigende Ver= sprechungen, wir sollten ein Klubhaus, ein Kinderheim usw. erhalten. Aber statt in den versprochenen Wohnungen mußten wir weiter in dem dreckigen Lager hausen. Der Verdienst betrug für einen ungelernten Arbeiter 60 Rubel monatlich, für einen geschickteren Arbeiter 80 Rubel, für einen der Kommunistischen Partei ongehörenden Arbeiter, der sich eifrig am Aufbau" betätigt, 100 Rubel. Arbeitende Frauen erhalten in den Zechen und Bergwerken 30 Rubel monatlich.
Wir wollten uns diese Zustände, diese Lebensweise nicht gefallen lassen und nahmen uns Fahrkarten und erreichten beim deutschen Konsul in Charkow , daß wir Fahrkarten für die Rückreise erhielten. In Charkom hielten wir uns acht Tage auf. Hier mußten wir im Martesaal des Bahnhofs schlafen, wurden um 1 Uhr nachts nebst allen Insassen desselben hinausbefördert und schliefen dann auf der Straße. In den Straßen in der Nähe des Bahnhofs liegen 200 bis 300 Personen herum, sofern sie nicht im Wartesaal schlafen. Elternlose Kinder, nur mit Badehosen bekleidet, betteln um Brot, Frauen in zerrissener Kleidung, ohne Wäsche, ohne Strümpfe und Schuhe, irren in den Straßen umher.
Die Stadt ist schmutzig, die drei in die Luft gesprengten Kirchen sind ausgeplündert. Hunderte von bettelnden Invaliden trifft man in den Straßen. Es gibt Lebensmittelfarten, aber kaum Lebensmittel dafür. Nach stundenlangem Anstehen gibt es aller= dings für eine Person im Monat 1. Pfund( 400 Gramm) Zucker, 1 Päckchen Tee, 4 Liter Sonnenblumenkernöl.
Am Abend beginnt man schon mit dem Warten auf die Ausgabe der Lebensmittel und schläft dabei gleich draußen. Auf dem Markt erhält man ohne Lebensmittelfarte für 4,50 Rubei 400 Gramm Fleisch, für 5 bis 6 Rubel 400 Gramm übelriechenden, in unglaublich verschmutzten Lappen gewickelten Sped, den in Deutschland fein Mensch anrühren würde. Für 7 bis 8 Rubel gibt cs 400 Gramm Butter, für 1,40 Rubel 1 Liter Milch, für 1,50 Rubel