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Morgenausgabe

Ar. 391

A 197

47.Jahrgang

Böchentlich 85 Bt., monatlich 3,60 m. bm voraus zahlbar, Postbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bfg. Postzeitungs- und 72 Bfg. Postbestellgebühren. Auslands abonnement 6, M.   pro Monat. *

Der Borwärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit" und Kinderfreund". Ferner Frauenstimme". Technit", Blid in bie Bücherwelt", Jugend- Borwärts" und Stadtbeilage".

Vorwärts

Berliner   Bolksblatt

Freitag

22. August 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die ein paltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs. mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes weitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imHaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Fernsprecher: Dönhoft 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin  .

Hindenburg im Wahlkampf.

Greift der Reichspräsident ein?- Oder wird sein Name mißbraucht?

Am 18. August wurde amtlich folgendes bekanntgegeben:| Ratgeber verlassen, denen es nicht zusteht, hinter seinem Zu den aufgetauchten Gerüchten über eine Vermittlungsaktion breiten Rücken Deckung zu nehmen. Das ist ganz einfach ein des Reichspräsidenten zwischen Herrn Schiele und Herrn v. Olden Kneifen vor der eigenen Berantwortung. burg- Januschau, sowie über eine angebliche Zusammenkunft mit den nationalsozialistischen Führern Hitler   und General v. Epp in Diet­ ramszell   wird nochmals festgestellt, daß alle diese Meldungen frei er funden sind. Der Reichspräsident hat nochmals erklärt, daß er sich grundfählich nicht in den Wahlkampf einmische. Seine Erklärung wegen der Strafverfolgung des Herrn Goebbels   habe feinen poli­tischen Hintergrund, sondern entspricht rein persönlichen Gründen.

Gestern aber, am 21. August, wurde folgender Wahl­aufruf veröffentlicht:

Die unterzeichneten Parteien haben sich im letzten Reichstag für das vom Reichspräsidenten v. Hindenburg   begonnene Reformwert auf finanziellem, sozialem, wirtschaftlichem und staatlichem Gebiet und seine Sicherung und Erweiterung eingesetzt. Sie halten seine Durchführung für das dringendste Gebot der deutschen   Innenpolitik zur Sicherung der deutschen   Wirtschaft, insbesondere der deutschen  Landwirtschaft, zur Rettung des deutschen   Oftens, zur Erhaltung der Grundlage der Sozialgefeßgebung, zur Wiedereingliederung des Millionenheeres der Arbeitslosen in den Wirtschaftsprozeß sowie zur Herstellung der Autorität des Staates.

Angesichts der Not von Bolk und Baterland halten fie an diesem

Biele fest und werden sich dafür im Wahlkampf einsehen.

Darüber hinaus aber werden die Parteien bei voller Aufrecht erhaltung ihrer politischen und organisatorischen Eigenart und Gelb ständigkeit dafür Sorge tragen, daß auch im fünftigen Reichstag   die Grundlagen parlamentarischer Zusammenarbeit zur Durchführung dieses Hindenburg  - Programms geschaffen werden...

Deutsche   Bolkspartei

gez. Scholz, gez. Remptes

Wirtschaftspartei

gez. Dremiz, gez. Sachsenberg Ronservative Volkspartei

gez. Treviranus  , gez. Lindeiner Bildan Selbstverständlich fann der Reichspräsident nicht ver hindern, daß sich einzelne Politiker illoŋalerweise auf ihn be­rufen, obwohl er nicht in den Wahlkampf hineingezogen werden will.

Nach alledem ist anzunehmen, daß der Aufruf noch zu Weiterungen im Regierungslager führen wird. Uebrigens hört man, daß die Veröffentlichung vorzeitig und unbefugter weise erfolgt sein soll, worüber im Lager der Wirtschafts­partei helle Entrüstung herrsche. Der Staatspartei hat man das Schriftstück mit Frist von dreimal vierundzwanzig Stunden zur Mitunterzeichnung vorgelegt, es zuvor aber schon veröffentlicht!

Dies ist das Neueste von Treviranus  . Und was tommt morgen?

Erklärung! Erklärung! Es gilt nicht! schon ein wahrer Rattenkönig von Erflärungen angeschlossen. An die vorzeitige Veröffentlichung des Aufrufs hat sich Die wichtigste davon ist eine Erklärung der Zentralleitung der Wirtschaftspartei, die lautet:

Barteien, Konservative Boltspartei, Deutsche Bottspartei und Die bekanntgegebene angebliche Erklärung( 1) der drei Wirtschaftspartei, ist ein Anfang der Woche ausgearbeiteter Ent­wurf, der noch die Genehmigung der zuständigen Bartelinftanzen finden follte. Deshalb war vereinbart, eine Veröffentlichung erst am Freitag oder Sonnabend vorzunehmen.

Die vorzeitige Veröffentlichung ist also erfolgt ohne Zuffimmung der Leitung der Wirtschaftspartei,

die ausdrücklich am Donnerstag auf telephonischen Anruf in der Barteizentrale abgelehnt worden ist. Der Reichsausschuß der Bartei, welcher in derartigen Dingen zu entscheiden hat, tagt am 26. August.  ( Das ist Dienstag nächster Woche! Red. d. B.").

eine ultimative Erklärung an die Staatspartei erlaffen, die Inzwischen hat bereits die Deutsche Volkspartei  sich bis Freitag zur Unterzeichnung entschließen soll.

erfolgen.

Nachdem der Herr Bertreter der Staatspartei fich aus den früheren Verhandlungen selbst ausgeschaltet hat, Hier jedoch liegt der besondere Fall vor, daß diese Be pird hier noch einmal der Staatspartei die Hand der Deutschen  rufung auf den Reichspräsidenten   in einem Wahlaufruf er Boltspartei zur gemeinsamen Arbeit hingehalten. Möge sie er­folgt, der von einem verantwortlichen Reichsgriffen und festgehalten werden auch für die Zeiten nach dem minister unterzeichnet ist. Es muß also die Frage Bahlkampf. Die Einigung des Staatsbürgertums, aufgeworfen werden, ob Herr Treviranus dazu vom Reichs- der sich immer noch Hindernisse in den Weg stellen, wird und muß präsidenten die Ermächtigung hatte oder ob der Name des Reichspräsidenten mißbraucht worden ist. Hingegen legt die Konservative Boltspartei Sachlich bedeutet es zweifellos eine grobe Irrefüh. Wert auf die Feststellung, daß sie an dem Schritt, den die Irrefüh- Deutsche Volkspartei   bei der Staatspartei unternommen hat, rung der Wähler, wenn man das Programm der nicht beteiligt ist. Bon den drei Unterzeichnern sagt also Brüning- Regierung dadurch unangreifbar zu machen ver- einer: Es gilt nicht!" der andere will die Unterschrift der sucht, daß man es als Hindenburg- Programm" Staatspartei gar nicht haben. Der dritte fordert sie ultimativ! bezeichnet. Herr v. Hindenburg   ist weder auf dem Gebiet der Finanzpolitik, noch auf dem der Steuerpolitit, noch in zollpolitischen oder verfassungsrechtlichen Fragen Fachmann. Er muß sich in all diesen Fragen auf seine verantwortlichen

Sozialdemokratische Reichsliste

Parteivorstand und Parteiausschuß der Sozialdemokratischen Partei haben folgende Reichsliste aufgestellt:

1. Hermann Müller  

2. Otto Wels  3. Artur Crispien

4. Rudolf Silferding

5. Marie Juchacz  6. Otto Landsberg  7. Wilhelm Dittmann  

8. Johanna Reite

9. Friedrich Stampfer

10. Dr. Ludwig Marum  

11. Franz Scheffel

12. Friz Tarnow

13. Dr. Völter

14. Mar Seppel

15. Heinrich Schulz  16. Toni fülf 17. Nikolaus Bernhard 18. Rudolf Lengersdorff 19. Victor Schiff 20. Dr. Hübler

21. Beruh. Schwerdtfeger 22. Luise Schiffgens 23. Mag Westphal 24. Pfändner 25. Leo Horlacher

Bon der diesmal eingereichten Liste kandidieren an erster oder zweiter Stelle in Wahlkreisen: Müller, Bels, Crispien, M. Juchacz, Johanna Reize, Toni Pfülf  . Sie haben bei der letzten Wahl sämt lich ihre Kandidaturen für die Wahlkreise angenommen.

*

Die Wahlkreise 28( Dresden  - Bauzen) und 30( Chemnitz  - Zwidau) stellen ihre Kandidaten am tommenden Sonntag auf. Die Delegierten des Unterbezirks Plauen sprachen sich einstimmig dafür

Und der deutsche   Dichter, der die klassische Komödie des politisierenden deutschen   Bürgertums schreibt, ist noch immer nicht da? Vielleicht deshalb nicht, weil feine Phantasie an diese Wirklichkeit heranreicht!

aus, den Genossen Seydewig wieder als Spigentandi daten zu benennen. An zweiter Stelle war Genosse 3 eigner von mehreren Ortsgruppen des Unterbezirts sowie des Chemnitzer  Bezirks vorgeschlagen worden. Zeigner hat jedoch brieflich erklärt, daß er nicht tandidieren werde, so daß von seiner Aufstellung abgesehen wurde. An seiner Stelle wurde die Kandidatur Graupe vorgeschlagen.

Abstufung bei Hugenberg  .

Der Arbeitnehmer und der Herr Arbeitgeber. Die Deutschnationalen geben in Berlin   ein Winkelblättchen heraus, das parteiamtlichen Charakter trägt. In der neuesten Nummer befindet sich neben vielem anderen Untraut auf Seite 3 ein Aufruf An die Arbeitnehmer innerhalb der Deutsch  nationalen Boltspartei". Auf der nächsten Seite ist ein Aufruf ,, An die Herren Arbeitgeber" wiedergegeben. Ein Berliner   Blatt bemerkt dazu: Der Herr fängt bei der Hugenberg  - Partei erst beim Arbeitgeber an!

Protest gegen Floffengefeh. Die Borstände der Sozialistischen Arbeiterpartei und des Gewerkschaftsbundes der Niederlande   fordern und eine gefeßlich geregelte Ferienwoche. Ferner protestieren sie gegen das von der holländischen Regierung eingebrachte Flotten gefes, das 200 millionen Mart erfordert

Boftscheckkonto: Berlin   37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter. Angestellten und Beamten. Wallstr 65 Dt. Bu. Disc.- Ges.. Depofitentafle Lindenstr. 3.

Berfehlte Experimente.

Die Wahlrechtsreform des Dr. Wirth.

Von Franz Klühs  .

Bier Wochen vor dem entscheidenden Wahltermin unter­breitet die Regierung Brüning durch den amtierenden Innen­minister Wirth dem deutschen   Volke die Vorlage eines neuen Wahlgefeges das ziemlich in allem das Bis­herige umzustürzen geeignet ist. Freilich an die Beseitigung des Verhältnissystems und an die Heraufsetzung des Wahlalters, das heißt den Raub des Wahlrechts der Jung­wähler, wie ihn die Volkspartei und die Wirtschaftspartei forderten, traut sich die Vorlage nicht heran. Denn diese beiden Fragen würden eine Alenderung der Reichsverfaffung be­deuten und legalerweise nur mit 3weidrittelmehrheit des Reichstags beschloffen werden können. Daß eine solche zu stand fäme, wagt man vorläufig selbst bei der Volkspartei nicht zu glauben.

Für die nächste Reichstagswahl tommt das neue Ges sez praktisch nicht in Frage. Es sei denn, und das ist wohl die Absicht, als Propagandazeichen für den Reformmillen" der Bürgerblockregierung, vielleicht auch, um durch die Erörterung über die Wahlrechtsform die Aufmerksamkeit abzulenten von den antisozialen Finanzverordnungen, die mit diesem Aus­der verfassungswidrigen Anwendung des Artikels 48 und von nahmeartifel über Deuschland verhängt wurden.

Hat die Vorlage, die einstweilen an den Reichsrat ge= gangen ist, auch praktisch zunächst feine Bedeutung, so muß man sich doch mit ihr beschäftigen, schon um die Verwirrung aufzuzeigen, die durch diese Arbeit vom grünen Tisch herauf­beschworen werden kann. Das Wesentliche an ihr ist die Be­seitigung der großen Wahltreise und deren Auf­lösung in nicht weniger als 162 Einzeltreise. Wie sich das auswirkt, mag das Beispiel Berlins   aufzeigen. Die Stadt Berlin   umfaßt bekanntlich 20 Verwaltungsbezirke, von denen die ersten sechs( Mitte, Tiergarten, Wedding  , Brenz­ lauer Berg  , Friedrichshain   und Kreuzberg  ) das alte Berlin  darstellen und den bisherigen Einheitskreis Berlin   bildeten. Die 14 weiteren Verwaltungsbezirte waren den Wahlkreisen Potsdam I und II zugeteilt. Nach der Vorlage soll Groß­

Berlin in 11 Kreise zerlegt werden, und zwar:

Berlin   I: Bezirk Mitte, Einwohnerzahl 1925: 295 837; Berlin   II: Bezirk Kreuzberg  , Einwohnerzahl 1925: 377 253; zahl 1925: 515 245; Berlin IV: Bezirke Tempelhof   u. Neukölln, Berlin   III: Bezirk Tiergarten   und Schöneberg  , Einwohner­Einwohnerzahl 1925: 358 336; Berlin   V.: Bezirke Wilmersdorf  , Zehlendorf   und Stegliz  , Einwohnerzahl 1925: 379 752;, Berlin  VI: Bezirk Charlottenburg  , Einwohnerzahl 1925: 345 139; Ber= tin VII: Bezirk Wedding  , Einwohnerzahl 1925: 351 798; Ber lin VIII: Bezirk Prenzlauer Berg  , Einwohnerzahl 1925: 326 311; Berlin   IX: Bezirk Friedrichshain  , Einwohnerzahl 1925: 336 338; Berlin   X: Bezirke Treptow  , Köpenid und Lichtenberg  , Einwohnerzahl 1925: 362 121; Berlin   XI Bezirke Spandau  ,

Weißensee  , Bankow und Reinidendorf, Einwohnerzahl 1925: 376 035. mit der vom grünen Tisch aus organische Gebilde ausein­Schon an dieser Aufteilung Berlins   zeigt sich die Willkür, andergerissen werden. Ganz ähnlich spielt sich die Sache im Reich ab. Durch langjährige Praxis zusammengewachsene Ge­biete, wie Magdeburg  - Anhalt, werden auseinandergezogen und Anhalt wird wieder zu einem selbständigen Wahlkreis gemacht. Was liegt näher als die Vermutung, daß dadurch das Hineinwachsen in die Reichseinheit fünstlich aufgehalten und neuer Wahlkreispartikularismus großgezüchtet wird? Neben diesen Einzeltreisen sind Wahlfreisver bände vorgesehen, die die Reststimmen auffangen sollen, und baneben zwölf Ländergruppen, die den Zwed haben, die Reichslisten zu ersehen. Ueber die Einzelheiten dieser Borschläge wird, wen sie überhaupt an den Reichs tag gelangen sollten, noch ausführlich und zu gegebener Zeit zu reden sein. Wir beschränken uns heute auf einige allgemeine und grundsägliche Anmerkungen zu dem ganzen Plan.

Als treibendes Motiv zu den beabsichtigten ,, Reformen" wird angegeben, daß durch die Wiedereinführung der fleinen Wahlkreise die Persönlichkeit der Kandidaten oder Abgeordneten mehr in die Erscheinung trete und daß eine engere Verbindung zwischen Abgeordneten und Wählern her= gestellt werden müsse. Die bisherigen großen Wahlkreise ver­hinderten eine solche Fühlungnahme ,, sie nähmen dem Wäh­ler jede Möglichkeit, auf die Auswahl des Kandidaten zu wir­ken. Jeder, der die politischen Kräfte im Lande auch nur oberflächlich fennt, sieht auf den ersten Blick, daß es sich hier um ein Erperimentieren im Sinne der zerfallen­den Parteien des Bürgertums handelt. Gehören doch zu den lautesten Rufern nach der Wahlreform mit der Kandi baten- ,, Persönlichkeit" die bisherigen Demokraten, nachdem sie bei dem System der Listenwahl unter Anrechnung aller Wahlkreisreststimmen auf nur 25 Abgeordnete im letzten Reichstag zusammengeschrumpft waren.

Für die Sozialdemokratie gelten alle die wünsche und Befürchtungen gar nicht. Sie hat eine durch­gebildete feste Parteiorganisation mit voller Parteidemokratie. Wer einen Blick auf ihre Kandidatenlisten tut, die mir ver­