Beilage
Mittwoch, 27. August 1930
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Eine Studie über den englischen Menschen
Seit langem hatte ich fein so instruttives Buch über ein fremdes Land gelesen wie das von Karl Siler: John Bull zu Hause. ( Berlag A. E. Seemann, Leipzig .) Fast jeder Reiseschriftsteller sucht das Auffallende, das Farbige, Besondere zu entdecken. Silex stellt, mas viel schwieriger ist, das alltägliche Leben methodisch dar. Der Untertitel seines Buches: Der Engländer im täglichen Leben gibt zugleich seinen Inhalt an, den nicht einer, der England bereist hat, sondern nur einer, der England bewohnt hat, derart 3rsammenfassen konnte. Gileg versichert mehrfach, daß nicht die sonderbaren oder verlockenden Einzelzüge das englische Wesen ausmachen, sondern ihre Addition. Er, der den Engländer liebt, der das einzigartige Wesen der englischen Gesellschaft wegen seiner Vorzüge und deshalb trok seiner Mängel bewundert, zieht aus allen seinen Erfahrungen die Konsequenz, die zugleich das schmeichelhafteste Lob Englands ist; daß der englische Organismus ein unteil= bares Ganzes ist und deswegen weder übertragbar noch imitierbar. Wohl fann jeder Einzelzug dieser Kultur, sei es Herrenmode oder Sport, Schulerziehung oder Aufbau der Beamtenschaft, erportiert werden, aber eine Wiederholung des Ganzen auf anderem Boden ist unmöglich. Zwischen Sport und Spiel, Abenteuer und Lebensweise der Engländer und denen aller anderen Völker ist ein himmellanger Unterschied. Deswegen wirkt das Hervorkehren oder Betonen einer echt englischen Einzelheit auf den Engländer absolut unenglish. Der Kurfürstendamm Berliner erlebt nach Sileg in London immer wieder die größte Enttäuschung. Seine Bemühung, den Engländer zu marfieren, stempelt ihn zum unver= fennbaren Ausländer. Was nach seiner vorgefaßten Meinung in England groß sein müßte, existiert gar nicht oder in viel kleinerem Maßstab als in Deutschland . Was aber dort wirklich und einzig ist, das sucht er nicht, weil er es nicht versteht. So zeigt sich immer wieder, daß die vermeintlichen Kenntnisse der Völker voneinander noch immer primitive Mißverständnisse sind.
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Karl Giler unternimmt es aus diesem Grunde, das englische Reben systematisch darzustellen. Er sucht nicht bedeutende Erfenntnisse über das englische Wesen zu vermitteln, sondern er umschreibt den alltäglichen Berlauf, um daraus die Unterschiede zwischen der englischen und nichtenglischen Welt hervorgehen zu lassen. Er geht von der Vorstellungswelt eines bürgerlichen modernen Berliners aus und zeigt ihm das englische Leben aus dem Gesichtskreis eines entsprechenden Londoners. Weder das Leben des ganz Reichen noch das Leben der Arbeiterschaft beschäftigt den Verfasser. Es wäre recht vulgär gedachi, das Buch wegen dieser seiner Begrenzung zu übergehen.
Das größte Rapitel des Buches zählt die Feste des englischen Jahres auf. Diese Kalendergeschichte ist bereits eine Geschichte der englischen Gesellschaft und ein Spiegelbild des englischen Lebens. Kein Monat vergeht, ja nicht mal ein Zeitraum von wenigen Wochen, in dem es nicht in London eine season gibt, die für weite Boltsjedes Jahr wieder ein Erlebnis ist. Season: das heißt nichts anderes als die saisonmäßige Wiederkehr eines bestimmten Ereig niffes. Ganz im Gegensatz zur neudeutschen Betriebjamfeit vermeidet die englische Kultur das Ausschlachten und Zutodehezen eines Ereig niffes. Berlin wartet jedes Jahr auf eine neue Sensation; London jedes Jahr auf dieselbe. Unzählige Sportfeste sind Boltsfeste und selbst wenn sie sich nur zwischen zahlenmäßig engen Gruppen abspielen, nimmt doch die ganze Deffentlichkeit daran teil. Ein folcher Boltstag ist ein Day. Day heißt Tag, aber hier zugleich Fest tag, Gedenktag, Boltstag. Das englische Jahr ist eine Folge von Days, zwischen denen man auf den nächsten wartet.
Wie hier die Massen tage-, ja mochenlang ihr Interesse auf ein Ereignis fonzentrieren, welche Unjumme von 3 eit die Geschäftswelt im 20. Jahrhundert dafür übrig hat, ist unfaßbar. Schon daraus geht hervor, was ja im übrigen alle Kenner Englands bestätigen, daß der Engländer durchaus kein Arbeitsmensch ist, viel eher ein Spieler, ein Abenteurer, ein Waghals- freilich möglichst auf Basis einer auskömmlichen Rente. Auf dieser Basis haben tausende Existenzen, die nur in England denkbar waren, das britische Imperium geschaffen. Heute freilich ist die Klage, daß der jungen Generation der Abenteurergeist der alten fehlt, allgemein. Merk
Teddy und Willy
Ein Heldengesang/
In Berlin da lebt ein Geschwisterpaar, Das gleicht sich beinah bis aufs Haar, Es besteht nur ein kleiner Unterschied, Und den erseht ihr aus meinem Lied. Zuerst also Song an
Teddy
Thälmann ist für die Diktatur
Werden in Moskau Bombengeschwader gebaut, Lacht Teddy,
Werden in Deutschland Soldaten einexerziert, Flucht Teddy,
Denn er, Teddy, ist ein historischer Führer Und weiß, was sich gehört.
Auf alle Fragen des arbeitenden Deutschland Hat er nur eine Antwort: Heil Moskau !
Wird einer in Moskau an die Wand gestellt, Lacht Teddy,
Wird einer in Deutschland auf Festung geschickt, Flucht Teddy,
Denn er, Teddy, ist ein historischer Führer Und weiß, was sich gehört.
Auf alle Fragen des arbeitenden Deutschland Hat er nur eine Antwort:
Thälmann ist für die Einheit der proletarischen Klasse In Moskau ,
Thälmann ist für die Spaltung der proletarischen Klasse In Deutschland ,
Wird einer in Moskau nach Sibirien geschickt, Lacht Teddy,
Wird einer in Deutschland zur Ordnung gerufen, Flucht Teddy,
in Berliner Arbeitervierteln selbstverständlich sind, sind in England Lurus. Der Deutsche wohnt fomfortabel in Mietwohnungen, der Engländer ohne Komfort im eigenen Haus. Erst in den letzten Jahren find Wohnungskomplere gebaut worden, in denen Einzelwohnungen mit allem Komfort vorhanden sind. Die Preise sind ungeheuerlich. So kostet in diesen Neubauten eine Zweizimmerwohnung mit Bad 12 000 m. jährlich, eine Sechszimmerwohnung mit zwei Bazimmern 30 000 m., eine Zehnzimmerwohnung mit drei Bädern 60 000 m. Trotzdem find diese Wohnungen, bevor noch geschäftes, das fast so umfassend ist wie das amerikanische, eine der Bau beginnt, verkauft. Die Mehrheit der Bevölkerung wohnt große Rolle.. Die Jugend bleibt zu Hause, weil sie mit Werten vom aber in eigenen Häusern oder in Häusern mit 99jähriger Pacht. Ratenhandel bevorschußt wird, die sie im Lande abzuverdienen verDas vielgestaltige Wesen der englischen Gesellschaft an Beispielen führt oder auch gezwungen ist. Auf eine Anzahlung von 400 Mark bekommt man ein eigenes Haus, auf eine Anzahlung von 3 Mart bekommt man ein eigenes Haus, auf eine Anzahlung von 3 Mart 3u demonstrieren ist gewiß schwierig, aber Sileg gelingt es, Einzelein Klavier, und dieses Kaufen auf Raten ist so allgemein, daß selbstheiten hervorzuheben, in denen das größere Ganze symbolisch entder Stadtrat von Middlesborough eine neue goldene Oberbürgermeistertette auf Teilzahlung erwarb.
würdigerweise spielt dabei die Entwicklung des Raten
Ueberhaupt gehört es zu den in Deutschland wenig beachteten Kennzeichen des englischen Lebens, daß der Gemeinschaftsgeist und der Gemeinschaftssinn äußerlich in einer alles erfaffenden Uniformierung zum Ausdrud fommt. Die Klugheit der herrschenden eng lischen Klaffe äußert sich nicht zum geringsten darin, daß sie das Bolt geistig und körperlich uniformiert, aber, und darin ist sie ganz unpreußisch, sie zwingt der Allgemeinheit feine Uniformierung auf, sondern sie läßt ein uniformes Wesen aus dem Leben selbst hervorgehen, sie schafft Gewohnheiten, Freiheiten, Bindungen, die der Engländer nicht nur trägt, sondern auch liebt, die der Engländer als seine nationale Eigenheit betrachtet, die anderen Völkern zu geben er gar fein Interesse hat.
Und trotzdem ist dieses so einheitliche und fonservative England in einer mächtigen Umwandlung begriffen. Siler stellt sehr richtig den beharrenden Charakter des englischen Wesens in den Bordergrund. Damit stehen die fabelhaften Freiheiten, die die Engländer sich gegenseitig gewähren, in feinem Widerspruch. Der Engländer darf als Engländer so ziemlich alles. Reinem Tunicht. gut ist die Rückkehr in die beste Gesellschaft und in die höchsten Würden verschlossen, sofern er nicht die ungeschriebene Segualmoral verlegt hat. Und dabei lebt dieses Volk einschließlich der Reichen in Beschränkungen, die fontinentalen Begriffen unfaßbar find. Immer wieder betont Sileg, daß London ( das er so sehr liebt) nichts anderes ist als die größte Provinzstadt der Welt. Ganz" London geht um 9 1hr 30. schlafen. Zu den Märchen über England gehört auch der englische Komfort und die eigene Badewanne, mit der jeder englische Säugling zur Welt kommt. Nach Sileg wohnt ,, ganz" England ohne Komfort, im Winter frieren alle. Mahnungen, wie fiel
halten ist. Interessant ist der Versuch der Engländer, ihr eigenes Wesen zu formulieren, ohne daß sie übertriebenen Wert auf diese Formeln legen. Hier zeigt sich das unwägbare Wesen eines lebendigen Organismus mit großer Deutlichkeit. Eine fulturell und politisch gleich interessante Folge davon ist die Unverbind tichkeit, die der Engländer bevorzugt. Gewiß ist sein 3a, be sonders in der Geschäftswelt, ein zuverlässiges Ja. Aber der Enge länder hat, wie Siler sehr hübsch darstellt, eine ganze Stala dafür, Ja zu sagen, ohne Ja zu meinen. Diese Stala scheinbarer 3u ftimmungen täuscht eine fonventionell höfliche, aber gar nicht existierende innere Beteiligung vor. Die Engländer fassen untereinander diese halben, unverbindlichen Jas richtig auf, nur der Aus länder nimmt eine solche scheinbare Zustimmung ernst und erwartet etwa einen Engländer zu einer Verabredung, die nach Auf faffung des Ausländers abgeschlossen, nach Auffassung des Engländers nur mit einer unverbindlichen Freundlichkeit zur Kenntnis ge nommen worden ist. Daß diese Mißverständnisse über ein angeb liches Ja der Engländer in der internationalen Politik der letzten Jahrzehnte eine beträchtliche Rolle gespielt haben, ist bekannt. Daraus ergibt sich dann für die einen der Vorwurf des falschen" Albions , während die Engländer selbst nicht verstehen, wie der Ausländer ihre höfliche Art, Sachen zur Kenntnis zu nehmen, als Zuficherung auffaffen konnte. Dem Engländer liegt an nichts mehr als daran, sich seine Handlungsfreiheit bewahren und instinttmäßig richtig handeln zu können.
Alle diese Dinge beleuchtet Siler im Verlauf seiner Darstellung. So lernt man Tatsachen und Deutungen fennen, die sich gegenseitig ergänzen, manchmal wohl auch widersprechen, und tommt im ganzen dem Wesen eines Volkes nahe, dessen eigentlicher Ruhm ist, daß
niemand es imitieren, alle aber viel von ihm lernen fönnen.
von Edwin Fetzer
/ von
Denn er, Teddy, ist ein historischer Führer Und weiß, was sich gehört.
Auf alle Fragen des arbeitenden Deutschland Hat er nur eine Antwort:
Nieder mit den Sozialfaschisten!
So redet Teddy mit der Faust,
Der Mitmensch hört und flieht. Ihm graust.
Dann hört er Willy und er weiß: Heiß wird hier kalt und kalt wird heiß! Darum also:
Willy
Teddys geschickterer Bruder heißt Willy, Heil Moskau!
Er macht pathetisch in edelster Menschheit, Heil Erdball!
Er schickt zwei Zeitungen auf den Strich der Straße, Heil Moskau!
Sie schwelgen täglich am liebsten in Lustmord,
Heil Blutrausch!
Denn Willy ist auch ein historischer Führer
Und weiß, was sich gehört.
Auf alle Fragen des arbeitenden Deutschland Hat er viele Antworten:
Heil Moskau ! Heil Gandhi! Heil Gorki!
Lesen Sie die W. a. A.! Lesen Sie B. a. M.!
[ Rußland!
Treten Sie ein in den Bund der Freunde des neuen
Besuchen Sie den Solidaritätstag der IHAHA.
Heil Stalin ! Nieder mit Trotzki !
Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Lest den roten Juhu!
den roten Jup
Nieder mit der SPD.!
Es lebe die eiserne Kohorte, die KPD.! Prometheus- Filme sind die besten!
[ Hungersnöte
Empfehle mich für jegliche Arten aller vorkommenden Heil Erdball!
Werdet Mitglied der Ozean- Bücherei!
Lest die einzige Illustrierte Arbeiter- Zeitung , Die 1AZett mit den kassenbewußten Inseraten! Heil Stalin ! Heil Moskau !
Heil Erdball! Heil Willy!
Nur zehn Minuten...
Ein wahres Geschichtchen
Man schreibt uns:
In der meinem Referat folgenden Aussprache wurde den sich zum Wort Meldenden zehn Minuten Redezeit vom Versammlungsgenau die Zeit, die sozialdemokratischen leiter zugestanden Rednern in gegnerischen Versammlungen bewilligt wird.
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Ein Kommunist hatte das Wort ergriffen. Er wetterte in schlecht gespielter Entrüftung darüber, daß er nur zehn Minuten sprechen dürfe. Das sei eine Bergewaltigung der Berfammlungsteilnehmer. In dieser kurzen Zeit tönne er natürlich die 1½stündigen Ausführungen des Referenten nicht
widerlegen.
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Ich merkte nach den ersten Säßen. wes Geistes Kind der Kom munist war. Sein großes Maulwert sollte ihm selbst die treffendste Abfuhr erteilen darauf gründete ich mein Vorhaben. Ich unterbrach seinen Entrüstungsschwall, indem ich dem neben mir fizenden Bersammlungsleiter zurief:
Ich beantrage, dem tommunistischen Redner uns
beschränkte Redezeit zu gewähren!" beschränkte Redezeit zu gewähren!"
Der Versammlungsleiter stußte einen Augenblid, dann aber ging er auf meinen Vorschlag ein und verkündete die unbeschränkte Redezeit für den Kommunisten.
Was ich erwartet hatte, trat ein: Ein paar alte, abgedroschene Phrasen gegen die Sozialdemokratie schleuderte der hilflose StalinJünger in den Saal dann trat er ab.
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Ich erhob mich mit der Uhr in der Hand und wandte mich an die Bersammlung:
Ich stelle hiermit fest, daß der Kommunist nicht einmal die ihm ursprünglich bewilligten zehn Minuten Redezeit ausgenutzt hat. Nach genau sechs Minuten war er mit seinem Batein zu Ende!"
Die Versammlung erledigte den Maulhelden durch Gelächter und Zurufe vollends.
Der arme Kerl, der auf Befehl der kommunistischen Ortsleitung reden mußte, tat mir leid. Er faß da wie eine geplante Leberwurst. Er wird sich in einer sozialdemokratischen Bersammlung nicht mehr zum Wort melden.