1930
Der Abend
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Nr. 402
B 200 47. Jahrgang
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Geisteskranker tötet zwei Frauen
Revolverschüsse in der Laubenkolonie- Der Täter verhaftet
Auf dem Laubengelände an der sogenannten Moos. villa in Nowawes wurden hente vormittag zwei Frauen, eine von etwa 60 Jahren und eine etwa zehn Jahre jüngere, von einem anscheinend geistes. franken Mannerschossen. Der Mörder hat sieben bis acht Schüsse abgegeben, die sofort tödlich wirkten.
Der Potsdamer Kriminalpolizei, die unter Leitung des Kriminalarztes Degner die ersten Ermittelungen am Tatort vornahm, ist es überraschend schnell gelungen, die Bluttat zum großen Teil aufzuklären. Der Täter wurde als der 48jährige Weichensteller Gustav Brüggemann aus Drewitz festgestellt. Seine Opfer find feine Schwägerin und eine 61jährige Frau Warzacha aus Nowawes .
Enteignungsrecht
gegen Bodenspekulanten
Aufsatz auf der 3. Seite
Die furchtbare Tat hat sich folgendermaßen abgespielt: Brüggemann hatte in der vergangenen Nacht Dienst. Er war in Drewiz als Weichensteller bei der Reichsbahn angestellt. Auf seinem Rade fuhr er furz nach 8 Uhr nach Nomames, offenbar schon mit der Absicht, seine Schwägerin, eine Frau Müller, die in Romames wohnt, zu töten. Man nimmt bisher an, daß sich Brüggemann in der Nähe ihrer Wohnung verborgen gehalten hat. Gegen 10 Uhr verließ Frau M. in Begleitung von Frau Barzacha das Haus, un fich nach ihrem Laubengrundstück am Horstweg, unweit des Unionplatzes, zu begebn. Brüggemann ist den beiden dann vermutlich unauffällig gefolgt. Kurz nach 10 Uhr hörten Laubenfolonisten, die ihr Grundstück in der Nähe von Frau Müller haben, in furzer Folge zahlreiche Schüffe fallen, denen mehrere laufe Aufschreie folgten. Als die Leute nachsahen, bot sich ihnen ein furcht bares Bild. Auf dem Boden vor der Laube lagen Frau M. und ihre Begleiterin blutüberströmt. Beide gaben feine Lebenszeichen mehr von sich. Ihre Körper waren von mehreren Kugeln durchbohrt. Andere Laubenkolonisten sahen einen Radfahrer, in dem sie Brüggemann erkannten, wild davonjagen. Der Täter wurde später noch einmal auf der Chauffee Drewiß- Jüterbog am Jagdschloß Stern von mehreren Bekannten getroffen. Die Leute wunderten sich noch, daß Brüggemann, der einen verstörten Eindruck machte, auf ihren Gruß und ihre Zurufe nicht reagierte. Man dachte sich zunächst weiter nichts dabei, da Brüggemann in Nowawes auf dem Fahrrad häufiger Besuche abstattete.
Erschütternde Szenen
spielten sich auf dem Laubengelände am sogenannten Horstweg in Nowawes ab. Die Leichen der beiden Frauen, die zwischen hohen Blumenbeeten liegen, werden jetzt von den Angehörigen refognosziert. Der Ehemann der erschossenen Frau Wartzehn bricht in laute Schmerzensrufe aus, eine Viertelstunde später kommt die Tochter der Erschossenen, ein 17jähriges junges Mädchen, und schreit: Wo ist meine Mutter, wo ist meine Mutter. Sie bricht an der Leiche ihrer Mutter zusammen, eine Fürsorgeschwester erscheint und sucht die 8 Jahre alte blinde und taubstumme Tochter der erschossenen Frau Müller auf. Diese war noch kurz vor der Tat am Laubengelände gesehen worden, sie ist von einer Frau mitgenommen worden, damit sie das Furchtbare nicht erfährt.
Der Täter verhaftet.
Bei Schluß des Blattes wird bekannt, daß Brüggemann um 13 Uhr in Drewik verhaftet worden ist. Er muß sich also nach der Tat direkt nach Drewih in feine Wohnung begeben haben, wo ihn die Landjäger festnahmen. Brüggemann wurde sofort nach Potsdam gebracht, um über die Gründe zu der blutigen Schredens. tat vernommen zu werden.
Die Auslandsflucht der Sowjetbeamten Fast 150 find nicht zurückgekehrt.
Riga , 28. Auguff.( Eigenbericht.)
Uus Moskau wird gemeldet, daß sich bisher insgesamt 134 im Ausland lätige Beamte der Sowjetregierung geweigert haben, der Auffordernng nach Rußland zurüczukehren, zu entsprechen.
Das Großfeuer in der Lutherstraße
Gestern mittag brach im Hause Augsburger Straße 69, Ede Lutherstraße 21/22, ein Großfeuer aus, das den Dachstuhl des Hauses vollständig zerstörte.( Neun Löschzüge der Berliner Feuerwehr waren nötig, um den Brand einzudämmen.)
26 Personen durch Chlordämpfe schwer erfranft. Denver ( Kolorado ), 28. Auguft.
Ein mit 110 Tonnen flüssigem Chlorin beladener Tankwagen wurde vor einer Fabritanlage für feuerfefte Tonprodukte led. Es entwidelten fich fofort gelbe Schwaden von Chlordämpfen. 26 personen, darunter mehrere Feuerwehrleute, mußten in bedentlichem Zustande gasvergiffet ins kranten. haus gebracht werden, über 100 Arbeiter konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.
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Norton( Virginia ), 28. Auguſt. Die Leitung einer Pulverjabrit wollte 40 Kiften Explosivstoffe, die sie für unbrauchbar geworden hielt, verbrennen. Es erfolgte eine furchtbare Explosion, die in einer nahegelegenen Ortschaft vier Häuser zerstörte und in einer etwa 1½ Kilometer weit entfernten Schule sämtliche Kinder von ihren Sizen warf. Zahlreiche Personen wurden verlegt. Die Erschütterung war in weitester Umgebung 34
verspüren und man dachte allgemein an ein Erdbeben.
Gluthitze über England.
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Bereits 5 Todesopfer. Abfühlung nicht zu erwarten. Die feit einigen Tagen in England herrschende Hize hat bisher fünf Todesopfer gefordert. Alle Anzeichen lassen darauf schließen, daß ein Temperaturumschlag in nächster Zeit nicht zu erwarten ist.
Die gegenwärtig im ganzen Lande herrschende Hihe ist so stark, daß zum Beispiel in Bilbao zahlreiche Betriebe schließen mußten.
Das schöne Wetter bleibt!
Ueberall heiter und sehr warm.
Die Wetterausfichten find für die nächste Zeit äußerst günftig. Seit Dienstag herrschen überall hochjommerliche Temperaturen, und wenn nicht alles täuscht, ist mit einem weiteren Steigen der Quecksilberfäule zu rechnen.
In Berlin wurden heute früh um 8 Uhr 20 Grad Wärme ge= meffen, mittags zeigte das Thermometer bereits 27 Grad. Auch in den übrigen Teilen des Reiches herricht überall sonniges und warmes Wetter. Westlich der Elbe betrugen gestern die Temperaturen durchschnittlich 30 Grad, stellenweise sogar 33 bis 34 Grad Wärme. Geradezu grotest wirkt sich der Wetterwechsel in den deutichen Gebirgen aus. Die Zugspiße, die vor etwa acht Tagen
Schnee und 7 Grad Kälte meldete, hatte gestern 13 Grad Wärme. Auf der Schneetoppe betrug die Tageshöchfttemperatur am Mittwoch 16 Grad Wärme. Auch hier hatte das Quecksilber vor einigen Tagen bei Regen und Schnee schon den Gefrierpunkt erreicht.
Nach einer Meldung des Amtlichen Wetterdienstes erstreckt sich über ganz Mittel- und Westeuropa ein schönes und ausgedehntes Hochdruckgebiet. Es reicht von Südeuropa ( Mittelmeergebiet ) bis nach Nordstandinavien herauf. Der Kern dieses gewaltigen Hochs liegt über Südschweden. Sogar ein Teil Ostrußlands steht unter dem Einfluß des Hochdruckgebiets.
Nach einer Londoner Meldung ist auch in Südengland herrliches Sommerwetter zu verzeichnen. London verzeichnete 31 bis 32 Grad Wärme. In Frankreich lagen die Temperaturen gestern zwischen 30 und 35 Grad Wärme.
Der Bombenlegerprozeß.
Wiborg wollte nur das Fahrgeld verdienen.
Altona , 28. August. Bor Eintritt in die Berhandlung nimmt der Vorsitzende heute Stellung zu den geftrigen Aeußerungen des Rechtsanwalts Hütt mann gegen den Berichterstatter eines Altonaer Blattes. Der Vorfigende bittet dringend, Borfälle, die außerhalb des Saales liegen, nicht in die Verhandlung hineinzuziehen und persönliche Angriffe zu unterlassen. Zudem sei er außerstande, eine Zenjur über die Bresse auszuüben. Der Angeflagte Salomon redet das zwischen und zieht sich eine Rüge zu. Rechtsanwalt Hütt mann wiederholt nochmals feinen Antrag, den betreffenden Presse vertreter von der weiteren Teilnahme an dieser Verhandlung aus= zuschließen, weil er geschrieben hätte, nur ein Teil der Angeklagten seien Bauern, der Reft gekaufte Elemente". Das Gericht geht jedoch zur Tagesordnung über.
Es wird in det
Berlesung der Protokolle fortgefahren, nachdem festgestellt ist, daß heute die Eheleute Holländer und der Angeklagte Matthes fehlen. Die Brotokolle über die Bernehmungen des Angeklagten Matthes kommen also in seiner Abwesenheit zur Verlesung. Sie ergeben im wesentlichen ein Geständnis mit der Einschränkung, daß er nur an ganz ungefährliche Demonstrationen geglaubt haben will.
Die nächsten Berlesungen betreffen den Angeklagten Wiborg. Dieser will von Heim den Auftrag erhalten haben, mit Nidels nach dem Rheinland zu fahren und will von diesem dann erfahren haben, daß es sich um die Abholung von Sprengstoffen handele, die in Mülheim- Ruhr aus einem Steinbruch entwendet werden sollten. An dem Einbruch will er nicht beteiligt gewesen sein, sondern nur mit seinem Kraftwagen in der Nähe gewartet haben. Die Sprengstoffe sind nach seiner Aussage an ein anderes unbekanntes Auto
übergeben worden. Ihm selbst sei
nur an dem von Heim gezahlten hohen Fahrgeld von 435 Mark gelegen gewesen, weil er Wechsel einlösen mußte.
Die verschiedenen Protokolle decken sich inhaltlich. Wiborg gab von Anfang an zu, daß er, wenn er auch nicht in alles eingeweiht war, doch
genau gewußt hat, Teilnehmer an unerlaubten Handlungen zu sein.
Auch die Gefährlichkeit des von ihm ausgeführten Sprengstofftransports ist ihm genau bekannt gewesen. Außer Nickels will er feinen der bei der Tat in Mülheim beteiligten Leute kennen; jedoch soll Nickels ihm verschiedene Andeutungen gemacht haben. Er hat nur mitgemacht, weil er an vaterländische Ziele der Führer Heim und Genossen glaubte und überzeugt war, daß seine Helfer= schaft ganz geheim bleiben würde. Gelegentlich einer Ausführung aus der Untersuchungshaft nach Mülheim zeigte er dort die Stelle, an der am 27. Januar 1929
das Roburit gestohlen
worden ist. Rechtsanwalt Dr. Brandes bezweifelt die Rechtsgültigkeit dieses Protokolls, weil bei dieser durch den Untersuchungs. richter Dr. Masur geführten Bernehmung Staatsanwalt Dr. Eichholz und Kriminalkommissar Braschwiz zugegen gewesen sind, dies sich aber nicht aus der Niederschrift ergibt. Der Verteidiger muß zugeben, daß er non feinem Einspruchsrecht feinen Gebrauch gemacht hat.
Staatsanwalt Dr. Eichholz erklärt, es feien lediglich zum persönlichen Schuh Dr. Masurs Polizeibeamte zugegen gewesen. Rechtsanwalt Dr. Quetgebrune findet es jedoch auffällig