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Nr. 403 47. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Freitag, 29. August 1930

Europawirtschaft gegen Weltfrise. Wie sieht die Produktion?

Europa muß ein Markt, ein Wirtschaftsgebiet werden.

Eine neue Tagung des Bölkerbundsrats steht bevor. Gleichy zeitig werden am 8. und 9. September nachmittags die Be­ratungen der von Briand einberufenen Europatonferenz abgehalten werden. 15 Staaten haben bisher ihre Teilnahme an diesen Beratungen zugesagt. In Deutschland kümmert sich die Deffentlichkeit um diese Dinge auffallend menig; aber sie sind heute, wo Existenzfragen der Völker nicht mehr von Land zu Land, sondern Don Kontinent zu Kontinent entschieden werden, lebenswichtig ge worden. Sie sind auch lebenswichtig geworden, weil man auf Dauer der Ursachen der jetzigen Weltwirtschaftskrise nur durch die wirt­schaftliche Rationalisierung Europas Herr werden tam.

Als Briand Ende vergangenen Jahres den Borschlag machyte, eine Art

Bundesverhältnis zwischen den europäischen Völkern einzurichten, war der Gedante im Munde des französischen Außen ministers eine Sensation. An Zutunftsbildern von der gegenseitigen Anmäherung der europäischen Volkswirtschaften", von der Einrich tung eines gemeinsamen Marktes zur Höchststeigerung des Niveaus der menschlichen Wohlfahrt" und ähnlichen schönen Worten fehlte es in Briands Memorandum nicht. Europas Regierungen antworteten teine ablehnend, aber jede machte von sich aus Bor behalte und formulierte Boraussetzungen, daß schließlich von irgend einer gemeinsamen Zielsetzung nicht mehr viel übrig blieb.

Große Hoffnungen bestehen denn auch hinsichtlich der bevor: tehenden Tagung auf feiner Seite. Ganz offensichtlich haben sich vielmehr die Gegensätze zwischen den europäischen Staaten verstärkt. Biltgehante eines mehrjährigen Sof, Baffen

schon ein Kompromiß; daraus entstand als ganz bescheidenes Kom­promißchen die Genfer Konvention vom vorigen Jahr, und auch gegen sie wird überall( auch in Deutschland : Finnlandkündigung) gefündigt. Selbst die britische Handelspolitik ist immer mehr in Gefahr, von der Idee des Freihandels abgedrängt zu werden.

Aber allen Ernstes muß bedacht werden: Durch die Zollbarrieren in Berbindung mit den zahllojen Syn­ditaten und Kartellen, deren sich alle europäischen Länder er­freuen, wird Europa in 30 oder mehr Märkte zerrissen, von denen ein großer Teil ohne dauernde Staatsfubventionen überhaupt nicht mehr lebensfähig ist. Diese Zerreißung Europas ist die Haupt­urfache der Ueberlegenheit der Amerikaner in der Welt.

Die Amerikaner verfügen in Deutschland jetzt über 79 Fabriten und 1150 Abjatagenturen: Fabriken Agenturen

Industriezweig Landwirtschaftliche Maschinen Automobile und Motorräder Zubehörteile für Automobile Chemikalien

Elektrotechnische Erzeugnisse Eisen- und Stahlwesen Maschinen und Geräte Textilien

Schnhe und Leder Nahrungsmtitel.

375489834

15

20 146

69

36

70

296 51

12 198

Solche kommerziellen Armeen unterhalten die Amerikaner auch auf den anderen großen europäischen Märkten.

Die hohen 3ŏlle der europäischen Länder bilden für sie kein Hindernis: die amerikanischen Maffenerzeugnisse sind teilweise fo billig, daß fie die Zollbarieren überspringen und trotz der hohen Fracht, Versicherungs- und Zollfäße noch wettbewerbsfähig bleiben. Bo aber der Zoll nicht übersprungen werden kann, gehen die ameri­fanischen Unternehmungen zur Produktion oder zur Montage it Europa über. Besonders auf dem Gebiet des Landmaschinen- und des Automobilbaues hat sich das Prinzip der Montage, der Ver­bindung billiger amerikanischer Massenerzeugnisse und billiger euro­päischer Arbeitstraft, gut bewährt.

Daraus ergeben fich für Europa zwingende Schlußfolge rungen:

Bohe Produktionsmittelpreise hindern die wirtschaftliche

Befferung.

A

Der letzte Wochenbericht des Instituts für Konjunt. turforschung stellt fest, daß der deutsche Produktionsindeg ( 1928 100) von 94,2 im März auf 85,7 im Juni 1930 gesunken ist. Im Juni 1929 stand der Produktionsinder noch auf 109,8 Proz., so daß gegenwärtig also rund ein Fünftel weniger Waren hergestellt werden als zur gleichen Zeit des Vor­jahres. Im ganzen ersten Halbjahr 1930 blieb die Produktion um rund 10 Proz. hinter dem Vorjahr zurück.

In den letzten Monaten sind vor allem in den Produk tionsgüterindustrien erhebliche Einschränkungen Dor genommen worden. Bei den Verbrauchsgüterindustrien liegt die fehr beachtliche Tatsache vor, daß die Lage fich in einigen Industriezweigen zu bessern begonnen hat. Die Schuh produktion hielt sich im ersten Halbjahr 1930 um rund 7 Broz. über der gleichen Zeit des Vorjahres, die Porzellan. erzeugung um rund 3 Proz., die Herstellung von Baumwoll. garn um rund 5 Proz. Auch in der Woll- und in der Seiden­industrie hat sich die Produktion unverkennbar leicht erhöht. Das Institut führt diese teilweise Besserung der Beschäftigung auf die start geräumten Lager und die sinkenden Preise der von diesen Industrien verarbeiteten Rohstoffe zurück, so daß der mengen mäßige Absatz an die Konsumenten bei weitem nicht mehr so start fintt wie die Umjazwerte, teilweise sogar wieder etwas gestiegen ist". Nach der Auffassung des Instituts ist die konjunkturelle Entspannung in den Verbrauchsgüterindustrien am meisten fortgeschritten. Bei den Produktionsgüterindustrien, besonders bei der Produktion von Kraft- und Grund­stoffen, laffen erhöhte Lagervorräte eher noch weitere Einschränkungen erwarten.

Die Wirtschaftslage in Deutschland scheint also im ganzen, da das Gewicht der Produktionsmittel- und Rohstoffindustrien sehr groß ist, noch nicht an ihrem Tiefst and angelangt zu

1. Der große einheitliche amerikanische Markt hat Riesenunter­nehmungen mit beispielloser Massenfabritation entstehen lassen. 2. Die durch Zollbarrieren verstärkten politischen Grenzen zwischen den europäischen Völkern verbieten die Entstehung von mit ſein. Um so wichtiger ist die Lehre aus den Feſtſtellungen des In­

Amerita wettbewerbsfähigen Unternehmungen auf sehr vielen Pro­duktionsgebieten.

3. Die Zollbelastungen verteuern das europäische Lebensniveau und damit auch die Produktionskosten um viele Milliarden jährlich. 4. Die Ameritaner profitieren aus dieser Zerreißung Europas und rechnen mit ihr wie mit einer für ewig unabänderlichen Tat­fache.

ftituts, daß Preissenfungen bei den Verbrauchsgüterindustrien die. Beschäftigung erhöhen konnten. Diese Lehre muß auch für die. Produktionsmittel und die Rohstoffindustrien gezogen werden, die an eine ausreichende Preissenfung nicht heran wollen.

Das Volk spart am Fleisch,

Neuer Rückgang des Fleischverbrauchs.

Die vom Fachausschuß für Fleischversorgung durchgeführte Er­hebung über den Gesamtfleischverbrauch im ersten albjahr 1930 ergibt einen bedenklichen Rückgang. Der Berbrauch betrug:

1926

1927

1929

1930

Ballbarrieren abgebaut und die politischen Grenzen bedeutungsloser Europa wird in dem Maße wirtschaftlich gesunden, wie die geworden sein werden. Der Flugverkehr der europäischen Staaten wartet auf gemeinsame Organisierung, der durch Zollabfertigungen verzögerte Bahntransport verteuert die Frachtspesen, die rationelle Ausinigung der Wasserkräfte erfordert gemeinsame Betätigung vieler Staaten, eine rationelle Großtraftverteilung über den Kontinent Es war vor einigen Monaten, als zum ersten Male der törichte wird durch die Grenzziehung unmöglich gemacht, militärische und Plan auftauchte, für die wichtigsten europäischen Industrieländer Landesverteidigungsinteressen veranlassen die Entstehung teuer ar­gemeinsam einen besonderen Schutzzoll gegen die Einfuhr amerifa- beitender Industrien( Stichstoffproduttion, Rüstungsindustrie, Mo­uischer Automobile zu schaffen. Schußzölle find freilich tein vertorenbau usw.) und verursachen leberproduktion überall 1928. münftiger Weg für wirtschaftliche Europapolitit; es fommt auf die Die gesamte technische und betriebliche Rationalisierung der letzten Beseitigung der falschen Kosten zwischen den Staaten und die Schaf Jahre wird in ihren Ergebnissen zunichte gemacht durch die jeder fung eines europäischen Marktes an. Man höre, was die Ge rationellen Wirtschaft hohnsprechende wirtschaftliche Vielstaatere. neral Motors Corporation die in Deutschland die Opelwerke und in England die Baurhall- Gesellschaft beherrscht­seinerzeit in einer Denkschrift dazu sagte: Erhöht ihr in Europa die Zölle, dann werden wir Amerikaner noch stärker als bisher unsere Fabritation in die europäischen Länder verlegen. Auch andere Gegenmaßnahmen gegen eure Rampfmittel find nüglich. Ihr könnt in Deutschland schwere und mittelschwere Automobile bauen, aber die Herstellung der billigen Massenwagen ist amerikanisches Borrecht. Es ist vergeblich, zu hoffen, daß die deutsche Industrie, solange nicht durch eine europäische Zollunion ein Abjahgebiet von der Größe des amerikanischen geschaffen worden ist, einen Wagen wie den Ford oder Chevrolet zum Ladenpreise von 2000 bis 2500 Mart auf den Markt bringt."

Diese Borte sollten sich die europäischen Industriellen in ihren Büros eingerahmt an die Wand hängen!

Die amerikanische Industrie hat in der Tat dort ihre haupt­fachlichsten Erfolge, wo sie auf Grund ihres heimischen einheitlichen Marties mit außergewöhnlich billigen Massenerzeug miffen auftritt: landwirtschaftlichen Maschinen, Sezmaschinen, Automobilen, elektrischen Kühlschränken, Kodaf- Apparaten usw. Eben in diesen Tagen wurde ein Bericht des Berliner Com mercial Attaché der Bereinigten Staaten, Mr. Douglas Miller, veröffentlicht, der die Tätigkeit ameri­fanischer Unternehmungen in Deutschland zusammenstellt.

Viel wird man von Briands neuer Europakonferenz nicht er­marten dürfen. Es wird mit ihr wohl ähnlich gehen, wie mit der internationalen Abrüstung, wo man seit Jahr und Tag aus vor bereitenden" Konferenzen taum herausgekommen ist. Die wirt fchaftliche Vereinheitlichung Europas zu einem gemeinsamen Markt fann sich auch nicht mit einem Schlag vollziehen. Sie muß von dem Willen und dem Elan der organisierten, arbeitenden Massen, die von der Unvernunft der gegenseitigen Absperrung am härtesten betroffen werden, schrittweise und von Land zu Land vorwärts getrieben werden. Auch auf diesem Wege wird Deutschlands mächtige Sozialdemokratie führen müssen. Sie tann aber nur führen, wenn sie auch im deutschen Reichstag, wo der Regierung die Aufträge erteilt werden, am 14. September mit vergrößerter Macht einzieht.

Expansion des Widing- Konzerns. Die Widingsche Portland­3ement- und Wasserfallwerte A.-G., Münster i. W., hat aus den hohen Zementpreisen immer noch Geldüberfluß für Expansionen. Während der Neubau des Unternehmens in Neuwied Millionen 800 000 Mart nom. Aktien der Portland - 3ement- und Kallwerte verschlingt, hat die Gesellschaft jetzt 60 Prozent von insgesamt Wilhelm Schlenkhoff A.-G., eines Familienunternehmens, erworben. Die Anlagen dieser Gesellschaft liegen in Beckum und Lengerich , ganz in der Nähe von denen des Wicking- Konzerns.

Pro Kopf der Bevölkerung Mehr(+) bezw. wenig.(-) in kg. für das erste Halbj. als im Vorjahr 1

19,519

21,734

23,759

23,481

22,576

+1

Proz.

11,3

9,3

1,2

3,9

Der Fleischverbrauch ist pro Kopf um 3,9 Proz. gegen. über dem Vorjahr gefallen. Während der Fleischverbrauch bis 1928 eine ständige und nicht unerhebliche Zunahme zeigt, trat schon 1929 ein Rückgang ein, der sich im Jahre 1930 unter dem Druck der Krise und der agrarpolitischen Maßnahmen der Regierung Brüning- Schiele vergrößerte. Der Fleisch verbrauch ist damit hinter dem Stand von 1928 zurüd verbrauch von 3,9 Proz. ausschließlich zu Lasten der breiten Massen geworfen worden. Man fann annehmen, daß der Minder­geht. Wenn man demgegenüber dem Krieg veränderten Alters­aufbau berücksichtigt, hat der Fleischverbrauch pro Kopf im ersten Halbjahr 1930 um 1,5 Broz. unter dem Berbrauch der Jahre 1911 bis 1913 gelegen.

Das sind großenteils die Folgen der Politik der Regierung Brüning- Schiele. Im 2. Halbjahr hat die ,, Notstands" regierung ihre Hungerpolitik besonders für die Arbeitslosen noch verschäft. Sogar das billige Gefrierfleisch wurde dem Arbeiterhaushalt ge­nommen. Auch darauf erhält sie am 14. September die Antwort.

Reichswirtschaftsrat arbeitet.

Der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Vor­läufigen Reichswirtschaftsrats trat am 28. August zusammen, um auf der Grundlage des Schreibens des Reichswirtschaftsministers vom 22. August an den Borläufigen Reichswirtschaftsrat seine

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