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Beilage

Freitag, 12. September 1930

Der Abend

Shalausgabe des vorward

Heldenverehrung und Pose

Kinogeist im Leben und in der Politik

,, Es ist die Ehre, das Palladium entwendet, Frei muß sie sein, noch eh' der Tag sich endet!" Dunois schmettert diese Verse ins Theater, und darauf erhebt sich programmäßig wilder Jubel. Der Darsteller des Bastards muß fich immer wieder verneigen. Gilt dieser Begeisterungssturm nur den Schillerschen Versen aus der Jungfrau von Orleans" und nur ihrem Sprecher?

Oder Ferdinand zieht aus seinem erregten Gespräch mit dem Vater im zweiten Att von Kabale und Liebe  " die donnernde Konsequenz:

,, Umgürte dich mit dem ganzen Stolze deines Englands! Ich verwerfe dich, ein deutscher Jüngling!"

Noch höhere Wellen der Begeisterung als bei Dunois' Borten, mas unbedingt auf die Suggestionskraft des deutschen   Jünglings zurückzuführen ist. Aber die Säge und ihr Rhythmus sind nicht allein von entscheidender Bedeutung. Ein anderes Moment fommt hinzu. Dort auf der Bühne steht ein Mann mit der großen, heldischen Geste, der noch heldenhaftere Worte spricht. Außerdem trägt er eine Uniform oder eine Ritterrüstung. Es ist also ein wahrer Held.

Carlyle schrieb im vorigen Jahrhundert ein Buch über Helden. verchrung, aus dem sogar früher in der englischen Stunde auf höheren Lehranstalten ausgewählte Kapitel zur Privatlektüre emp­fohlen wurden. Große Männer passieren Revue, und Carlyle fordert für sie die nötige Ehrfurcht und Verehrung. Doch die Größe spielt nicht die ausschlaggebende Rolle,

für die Masse der Heldensetischisten genügt vollständig die Pose des Helden und das heldische Kostüm mit dem damit verknüpften Augenrollen und Fäusteballen."

Blättert man alte Theaterzeitschriften durch, so starren nur Helden aus dem Papier oder besser Menschen, die die Vorstellungen ihrer Zeitgenossen vom Helden restlos erfüllen wollen. Lohengrin  sieht aus wie ein gesalbtes Merinoschaf, Göz trägt einen hundert­prozentigen, tadellos ondulierten Vollbart und Hamlet   ist nur noch der verwüstete, edle Heldengeist. Mädchen- und Knabenherzen schlugen beschleunigter, wenn Mortimer seine Arie von den zwanzig Jahren hinlegte, oder Siegfried in falscher Tonlage mit den Schmiede­liedern rang. Hier erlebte der Begriff des Helden seine strahlendste Verkörperung, und die Begeisterung übertrug sich auf die Darsteller. Man sammelte Photographien, Locken und Autogramme, und der Heldentenor, der schwere und der jugendliche Held notierten auf der Heldenbörse dicht hinter dem Offizier.

Nun wintt jeder irdischen Schönheit ein frühes Heldengrab. Achill   und Siegfried mußten sehr früh ins Grab beißen, und auch der Nimbus des Bühnenhelden verblaßte, als vernünftige Regisseure die Bärte und Locken verschwinden ließen und aus dem Tristan einen leidenden und aus Tannhäuser   einen unglücklichen, zerriffenen Menschen machten. Diese Verwandlung war möglich,

weil man die verlogene Pose der kostümierten Helden erkannte, weil man Menschen und keine Puppen sehen wollte.

Und noch ein zweites, weit größeres Unglüd traf die für Helden begeisterten Gemüter. Das Kriegsende und die Revolution eriedigten den Abgott des deutschen   Bürgers: den Offizier. Das war sehr, sehr schlimm. Ein Heldenkaijer floh mit der Gefte eines tief ge­fränkten Siegfrieds, ein Feldmarschall tat nichts weiter als über semitische Finsterlinge sein Gehirn zu zerquälen, und die Offiziere machten in schüchternem Sakko eine schlechtere Figur als im Interims­rod. Sie ähnelten gar nicht mehr dem Idealbild des Helden, ge­woben aus den Wunschträumen braver Bürger. Die Ideale waren wieder einmal aus den Fugen. Was sollte der Deutsche   mit glatt­rafierten Lohengrinen und zivilisierten Offizieren anfangen?

Aber die Heldenverehrung suchte sich neue Bahnen. Wenn eben ein Wilhelm oder Ludendorff   das heldische Banner nicht hoch halten wollen, so müssen die Pelzer und Schmelings daran glauben, und wenn sich Tristan fortan nur menschlich benehmen will, dann muß das Kino einen Ersaz bieten.

Man sehe sich einen ausgewachsenen Filmhelden an, vielleicht Fairbanks   oder Harry Liedtke  , die übrigens ganz verschiedene Ge­biete des Heldentums beackern. Gemeinsam bleibt ihnen jedoch dies: Sie sind in irgendeiner Beziehung Wunscherfüllungen für die Masse der Kinogläubigen. Liedtke ist der Salonheld, der Tausendsassa und Herzensknicker, der Liebesroutinier mit Anwandlungen viederer deutscher Sentimentalität, ein Verwandter der Bühnenbonvivants, in denen sich die Väter der lebenden kapitalistischen   Generation treffend verkörpert sahen, und Fairbanks   stammt direkt aus dem Atelier Karl Mays. Er schießt, reitet, wirft Lassos und verbringt sein Leben auf diese angenehme Art und Weise. Beide zeigen in Großaufnahmen das, was viele Männer auch in unserem Maschinen­zeitalter gern sein möchten und was die Frauen am liebsten von ihren Eheherren verlangen würden. Einmal nur so angeschwärmt zu werden wie Harry Liedtke   oder in der Art des göttlichen Doug einen verrückt gewordenen Mustang mit mustelgeschwellten Beinen zu bändigen, ja, das wäre Seligkeit, dann könnte man sich als Held ausgeben, dann... Und wenn man einen Sharken besiegt, das ist allerdings nicht mehr auszudenken! Heldenverehrung bedeutet im Grunde die Verehrung der eigenen Wünsche und Ideale. Ach, man verehrt doch gar nicht die wahren Großen, die in jahrelanger, stiller Forscherarbeit die Erkenntnisse der Menschheit erweitern und bereichern. Die Virchows, Ehrlichs und Schleichs werden so schnell vergessen. Schön, man sprigt mit Salvarjan, aber da im Zeughaus hängen Bilder, Bilder, sage ich Ihnen, auf denen sich wirklich fönigliche Helden in föniglichen Heldenposen gefallen. Wie so ein Göttlicher das Fernrohr ansett, ein ganzes Orchester von Heldenverehrung gerät sofort in Raserei. Heldenverehrung, ja, sie ist der Ausdruck für den individualistischen Glauben, daß die heldische Persönlichkeit die Weit erlösen fönnte, und außerdem fällt ein Stückchen Glanz des Helden auch auf seine Anbeter. Unser Bismarc, unser Schmeling, unser Mussolini  , unser Hitler und unser Jack Diamond! Er gehört uns, er handelt für uns! Der Held wird zur Stütze für die Stügungsbedürftigen. Ein Harry Liedtke   fann vielleicht die Enttäuschten über den Berinft des heldenhoft aufbraufenden Mortimer, ber jegt mir noch

lorene Kriege, rutschende Valuten, verdorbene Mittagessen und der­gleichen unangenehme Dinge gefunden, worden waren.

Sind die Rauschebärte verschwunden? Ist das alte, verlogene Heldenpathos zerstört worden? Auf großen Bühnen bestimmt, und selbst im Film benimmt man sich äußerlich zeitgemäßer, wenn auch unter dem Frachemd das alte, treue Heldenherz puppert. Aber in der Politik ist der Bürger der gleiche geblieben..

als düsterer Glaubensfanatiker herumläuft, einigermaßen trösten. Ein| mehr, ganz abgesehen davon, daß endlich Prügelknaben für vers Pelzer, Nurmi oder Schmeling haben ebenfalls bestimmte Reize, aber wo ist der Ersatz für den heldenhaften Offizier, den herrlichsten von allen? Und da retteten die Ritter vom Hakenkreuz die Situation. Der dänische Soziologe Christensen sagt in seinem furz vor dem Krieg in deutscher Sprache erschienenen Wert Politit und Massenmoral", es ist schwerer, für den Zylinderhut eines Präsidenten als für den Adlerhelm eines Potentaten Refleme zu machen. Die Demokratie ist pathoslos, sie will überhaupt nichts von dem in Leidenschaften entflammten politischen oder theatralischen Held wissen, sie veropert nicht einmal die führenden Persönlichkeiten. Schon diese allem Aeußerlichen ferne Haltung, diese Reserve hat wenig werbende Kraft bei den Anbetern der Helden, also bei denen, die nach der. Bergpredigt einmal in das Himmelreich gelangen werden, fie feit Menschen voraus, die politisch reif find, die denten können und nicht erst durch Heldenphrasen betrunken gemacht werden müssen. Vielleicht gab sich die Republik  . zu müdytern, zu vernünftig, vielleicht vergaß sie die Pose des Helden. Wo: blieb der Ersatz für die verschwundenen militärischen Aufzüge, für die große, prächtig inszenierte Oper, die Wilhelm ständig seinen Untertanen servierte? Der alte Held war nicht gerade heldenmäßig gestorben, und der politische Kinderjinn des kleinbürgerlichen Deutschen   wollte unentwegt neues Pathos und neues Theater.

Daß der Bestand des Deutschen Reiches durch stille, pathosloje Arbeit gerettet wurde, daß aus der Ruine neues Leben erblühte, wurde vergessen. Da oben saß doch nur ein einfacher Mann, der einmal Sattler gewesen war. Ach nein, wahre Helden sahen anders aus, annähernd zeigten dies Harry Liedtke  , Fairbanks   und die Sportler und ganz entschieden die Porträts der Weltkriegsgenerale aus allerlei möglichen Hauptquartieren.

Ach Gott, man verlor nach der Revolution das Idol, den Zen talpunkt, um den das Leben bisher reibungslos und anmutig rotiert hatte. Dem Kirdchen war der Apfel gestohlen worden! Was sollte man mit einer Freiheit, mit der man nichts anzufangen wußte! Selbst Film- und Sporthelden waren nicht der richtige Ersatz. Der bürgerliche Durchschnittsmensch deutscher Konfeffion ift jo bescheiden. Er arbeitet mit festen, unverrückbaren Borstellungen, mit Wortbildern, die der Vergangenheit angehören, mit unumstöß­lichen Begriffen, die er nicht an einer fortgeschrittenen Wirklichkeit ändern will. Gebt uns Helden, die wieder rasseln, blizen, donnern und mit den Energiezähnen krachen! und gebt uns vor allem vor allem Helden, die keine Anforderungen an unser Denkvermögen stellen. Und diese Forderungen erfüllte das Hakenkreuz.

Der Schrei nach dem Helden, nach dem Retter verhalt nicht, und menn sich dann dieser Retter auf seinen Verstand besinnt und politisch zu denken anfängt, so tut man ihn am liebsten in Acht und Bann, weil er sich schwer on der Heiligkeit der Heldenpose, verjündigt hat.

Und jetzt in der Wahlzeit dominiert bei diesen Herrschaften der Glanz der Heldenpose, des Heldenkintopps. Wie sich ein Fairbanks oder Harry Piel   aus den schwierigsten Situationen virtups befreit, chne nach den Möglichkeiten zu fragen, so bändigen die Helden auf der Tribüne die Weltwirtschaft und die Weltpolitik und ver­schweigen, daß diese Dinge eben nicht mit der Phrase von Nicht­erfüllungen erledigt werden können. Aber die im Geist Armen, die unten im Saal sizen, glauben, daß von diesen heldenhaften Rednern das Paradies in Deutschland   eingeführt werden wird. Heldenverehrung glimmt in den freuen Augen, gerührt von der. Hoffnung, die alten, guten Zeiten könnten unverändert wieder­fommen. Bankrott des Geistes breitet sich aus, und das Rad der Weltgeschichte ist nicht zurückzudrehen.

Man soll schließlich alten Leuten ihr Vergnügen lassen. Sie tönnen nicht aus ihren alten, gewohnten Bahnen heraus. Gefähr= licher ist es mit der Jugend. Die sogenannte Sachlichkeit scheint in diesen bürgerlichen Kreisen ein unbekannter Begriff zu sein. Die Romantik des Heldenbegriffs herrscht dort und ist fast schon zu einer Religion geworden. Alles wird aus dieser Perspektive ge sehen, und Hitler  , Piel, Fairbanks   sind die Ideale.

Die Ritter vom Hakenkreuz, diese Mussolinis in der Westene tasche, und ihre Trobanien blicken hypnotifiert nach rückwärts und daher schon ein Erfolg. Aber dieser Erfolg zeigt,

daß eine starte, innerliche Entwertung des Bürgerfums zu ver­zeichen ist.

Es liegen in ihm keine Werte mehr, die entwickelt werden können, Es ist mit Blindheit geschlagen. Leicht ist es, heldenhafte Phrasen zu dreschen und mit den Brustscharnieren zu fnacken, aber die wirke

Das alte, licb vertraute Pathos war wieder da, die hübsche| liche Arbeit ist schwerer zu leisten. Heldenpose mit den dazu gehörigen Dolchen, Handgranaten, Raufe­reien und mit dem absolut notwendigen militärischen Drill. Liebe Erinnerungen an den Kasernenhof tauchten auf, und das ganze war so nett, so hübsch und für das minimalſte Gehirn so leicht faßlich. Ein richtiger Held braucht nur Muskeln zu haben, der Kopf ist allein für Müze oder Fut vorhanden. Man trug sogar ein sicht bares Zeichen, einen Talisman und war deshalb kein Nebbich

Heldenrummel und Heldenverehrung bedeuten nicht Ehrung einer großen Leistung sondern Verhimmelung von Pose und Phrase, hinter denen nichts steckt.

Die Arbeit der Sozialdemokratie hat bewiesen, daß ohne dröh­nende Worte Aufbau geleistet werden kann. Wir wollen feine Helden mit leerer, verlogener Pose. Wir vergehen nicht in Helden­verehrung. Wir zeigen Taten! Alfred Arna.

Russisches Leben von heute

Von einem eben Zurückgekehrten

Der Bettler und der Kommissar

zwar schlecht geht, aber selbst ein Arbeitsloser nicht so erbärmlich leben muß, wie sehr viele Russen. Nur die Armee und Marine ift vorzüglich gekleidet und gut ernährt.

Auch die hohen Beamten, die Funktionäre aus der Partei und die Arbeiter besonders wichtiger Betriebe haben ihre Vorrechte. Sie fahren in den Zügen und auf den Dampfern in der weichen. Klasse, ohne tagelang auf ein Billeft marten zu müssen. Sie essen in den erhaltenen, eleganten Hotels. Sie fahren zur Kur nach der Krim   und Kautajus.

Betteln ist in Sowjetrußland verboten, aber nirgends bin ich so oft angehalten worden, wie dort. Nicht nur von verwahr­loften Kindern, sondern von alten, friegsverlegten Menschen.

Der Erfolg der Kollektivierung" der Landwirtschaft ist nach der kommunistischen   Presse, daß die Herbstaussaat in diesem Jahre gänzlich unzulänglich ausgeführt wurde. Welche Folgen das für die Ernährung der nächsten Jahre haben wird, ist kaum auszu­denken. Ein Zeichen für das heimliche Mißtrauen der Bevölkerung ist der entfeßliche Kleingeldmangel, da viele Leute die Münzen verstecken und aufspeichern, in der Annahme, damit wenig­stens einigermaßen feste Werte zu behalten.

,, Freilich haben wir kaum eine Arbeitslosigkeit und haben un­feren Verdienst, aber wir fönnen uns für das Geld nichts taufen" fagte mir ein Arbeiter.

Die Sowjetunion   steht unter dem Fünfjahrplan der gewalt famen Industrialisierung. Ich habe gesehen, wie in der Kornkammer Rußlands  , in der Ukraine  , die Leute Schlange stehen mußten, um ihre Ration Schwarzbrot zu erhalten, das unserem Kriegsbrot noch an Qualität nachsteht. Aber selbst das gibt es nur auf Karten zum Preise von 6 Kopeken das Pfund. Im illegalen freien Handel foftet es 25 Ropeten( 50 Pfennig) für 400 Gramm scheußliches Wovon die Maffe lebt, das ist die Hoffnung auf die Zukunft. Kleiebrot. Weißbrot gibt es nur hintenherum und kostet das Drei­fache. Kurz vor meinem russischen Aufenthalt hatten mir Leuten zwei Jahren habt ihr genug zu effen und fönnt euch gut flei­den" fünden große Transparente auf den Straßen. Also, wie einft in der Türkei   erzählt, daß sie ihren Weizen von Rußland be bei uns: Aushalten, Durchhalten, Maulhalten! ziehen. Um Devisen vom Ausland zu erhalten, läßt man das eigene Bolk darben.

Ein Pfund( 400 Gramm) Butter kostet im Privathandel 8. Ru­bel, gleich 16 Mark und ist sehr schwierig zu bekommen; 10 Eier 1,50 Rubel, 1 Pfund Rindfleisch 1,65 bis 3,30 Rubel, 1 Glas Milch 0,65 bis 1,30 Rubel. Das alles in landwirtschaftlich sehr gut ge­legenen Gebieten Süd rußlands! Kleider und Schuhe sind fast überhaupt nicht zu haben. Beim Schmuggler sind die Preise un­glaublich: für ein Baar gewöhnliche Damenhalbschuhe 120 Rubel, das ist mehr, als eine Arbeiterin im Monat verdient! Dem besser­gekleideten Fremden wird ständig angeboten, seine Sachen zu lau­fen. Ueberall hörte die Bevölkerung mit größtem Erstaunen, daß es in Deutschland   alles zu faufen gibt. Die Menschen können sich nach 15 Jahren Krieg und Notzustand kaum noch an normale Zei­ten erinnern. Ja die Jugend glaubt, es gäbe gar nichts anderes und schüttelt den Kopf über die Tatsache, daß es unseren Arbeitern

Frau als Verkehrspolisis