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BERLIN Freitag 19. September 1930

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42. Jahrgang

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Wirtschaftspartei will Nazi- Koalition

Gleichzeitig Auflösungsantrag gegen Preußenkoalition

Dresden , 19. September. ( Eigenbericht.)

Die Landtagsfraktion der Wirtschaftspartei hat an sämtliche bürgerlichen Parteien des Sächsischen Landtags , ein­schließlich der Nationalsozialisten, ein Schreiben gerichtet, in dem gesagt wird, der Ausgang der Reichstagswahlen habe die von der Wirtschaftspartei eingeleiteten Verhandlungen zur Bildung einer nationalen" Regierung durchaus bestätigt. Die Frattionen werden gebeten mitzuteilen, ob sie bereit find, an der Bildung einer solchen nationalen Regierung fich zu beteiligen oder eine solche Regierung zu ermöglichen. Es wird um baldige Antwort gebeten, damit vor dem Zusammentreten des Land­tages Klärung geschaffen werden kann.

Ladendorff will neue Wahl.

Antrag auf Landtagsauflösung.

Abg. Ladendorff hat für die Frattion der Wirtschaftspartei im Preußischen Landtag einen Antrag eingebracht, wonach der Land­tag mit fofortiger Wirtung aufgelöst werden soll. Die Wirtschaftspartei ist die Nächste dazu, wie die Fru Pastore bei Reuter sagt. Sie hat im ganzen Reichstag genau ihre Mandats: zahl behalten, nämlich 23 in Worten dreiundzwanzig!-, in Wirklichkeit hat sie bei der gesteigerten Wahlbeteiligung sich ver­ringert. Das möchte sie schnell noch mal erleben! Hausagrarierlogit!

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Hitler sagt Hugenberg ab

aber auf wie lange?

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Unter der Ueberschrift Unnüße Kombinationen" gesteht der Böltische Beobachter":

,, Die Rede Adolf Hitlers hat viele Neugierige enttäuscht". Sie waren zur Versammlung gekommen, offenbar in der findlichen Annahme, Hitler würde in einer Massenversammlung alle Wege aufzeigen, die er einzuschlagen beabsichtige. Nun, daraus ist nichts geworden, und wir haben auch jetzt feine Ursache, eine sich vor. drängende Neugier zu befriedigen. Der Nationalsozialismus? ann auch schweigsam sein; daß aber die Voraussetzungen aller feiner Maßnahmen heute schärfere sein werden als vor Mo­naten, werden sich ja auch die anderen sagen können."

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Zu den Blättern gewendet, die zu erzählen wissen, daß deutsch nationale Führer Hitlers ruhige Rede" kritisiert hätten, wird gesagt, ,, daß, wenn die DNVP . sich noch verhältnismäßig gut gehalten hat, dies durch das Vertrauen vieler Wähler auf die Kraft des National­sozialismus geschehen ist. Die Herren sollen jetzt nur nicht den wilden Mann spielen wollen; etliche tun ja bereits, als seien sie die Sieger. Andere sprechen von einer Fraktionsgemeinschaft mit der MSDAP.". Da ist es denn erneut am Plazze, hier wieder die not­wendige Distanz herzustellen. Wir sind eine sozial revolutio= näre, die DNVP . eine sozialreaktionäre Partei, und unverrückbar bestehen. dieser Unterschied bleibt neben andern Deshalb ist eine Frattionsgemeinschaft absolut undistutabel." Eine Fraktion mit den Deutschnationalen, um mit zusammen 148 Mann den Anspruch auf das Reichstagspräsidium erheben zu fönnen, wird also vorläufig nicht gebildet werden- bis Hitler etwas anderes beschließt. Da in Thüringen in Koalition gemacht wird, und ohne daß sie den Wahlerfolg dort beeinträchtigte, und da in der rechten Hälfte der geschlagenen Mittelparteien die Sehnsucht nac dem Faschismus wächst, so ist mit dieser parteiamtlichen Verlaut­Larung die Koalition der großen Rechten im Reiche nicht ein für allemal erledigt. Mussolini , an den der König die parlamentarische Verfassung verriet, begann bekanntlich mit einer Art von Koalitions­fabinett zu regieren.

Inzwischen erlaubt Klein- Mussolini seinen Ahängern zwar per­sönliche Ansichten über die Lage, verbietet aber seiner Partei­presse, dazu Stellung zu nehmen. Das ist seine zäsarische Demo­fratie.

Gegen den skandinavischen Faschismus.

Stocholm, 19. September. ( Eigenbericht.) Im Stockholmer Konzerthaus fand eine eindrucksvolle Rund­gebung der Stocholmer Arbeiterfommune und gewerkschaftlichen Zentralorganisation gegen die finnische Lappobewegung statt. Als Hauptrebner sprachen der schwedische Advokat Georg Branting und der finnische sozialdemokratische Parteisekretär Rart Wiit. Die start besuchte Versammlung nahm eine Entschließung gegen die Lappo­bewegung an, die eine faschistische Gefahr für ganz Skandinavien

bedeutet.

Jafobiner gegen Girondisten .

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Die Jakobiner der deutschen Revolution" die unter Otto Shoper abgesplitterten wirklich revolutionären Nogis- werfen den

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geht die Polizei scharf gegen die Waffenhändler vor, die bisher die Banditen mit ihren modernsten Erzeugnissen versorgten.

Girondisten der Hitler- Partei-Berrat an allen revolutionären| hat, bisher nur ein einziger gefaßt werden konnte. Gleichzeitig Grundsäßen vor, weil ,, man in der verzweifelten Lage sich befindet, seine Anhänger mit revolutionärer Zielsehung gesammelt, mit revolutionären Redensarten gehalten zu haben um dann mit vollen Segeln in den Hafen der Legalität einzulaufen, die Weimarer Ver= fassung zu beschwören und durch Negersteuer besonders eifrige Erfüllungspolitik zu betreiben."

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Als besonders hübsches Beispiel dieser Legalität" wird an geführt und nachgewiesen, daß vor dem Sturm der SA. auf das

Gaubüro

die Gaugeschäftsführung des Herrn Dr. Goebbels schon vorher die Polizei des Herrn Dr. Weiß für den Schutz des Gaubüros vor dem erwarteten Angriff der SA. ausersehen hatte. Ausdrück­lich erhielt die SS.- Wache, nach vorheriger Beratung zwischen dem Bertrauensmann von Goebbels , Herrn Wille, und dem obersten SS. - Führer Wege, den Befehl ,,, das Ueberfallfom. mando zum Eingreifen herbeizurufen, falls die SA. mit in die Geschäftsstelle eindrang."

Fürwahr, das ist ein Bild für Götter," fügt der Nationale Sozialist" hinzu: Dr. Goebbels , auf dem Pulverfaß der revol­tierenden SA. fizend, bittet seinen Freund" Dr. Weiß hände­ringend um Schußz."

Wehrlose niedergeschossen.

Der Täter unerkannt entfommen.

In dem Berliner Borort Karow an der Bahnstrede Berlin­Bernau wurde heute vormittag die Witwe des Reichsbahnbeamten Mathiat von einem bisher unbekannten jungen Mann über­fallen und mit einem Schuß niedergestreckt.

Frau Mathiak besitzt in Karow ein Häuschen, wo sie in den Sommermonaten einige Zimmer vermietet. Ihre Lebensmittel bezog die Frau von Händlern, die ihr die Ware ins Haus brachten. Heute morgen fam der Schlächter und nahm von der Frau Be­stellungen entgegen. Als er das Grundstück wieder verlassen halte, hörte er plöglich einen Schuß. Zurückgeeilt fand er die Frau mit

einer Schußwunde vor der Eingangstür in einer Blutlache auf. Nach einiger Zeit erholte sich die Ueberfallene und gab folgende Dar­stellung: Ein junger Bursche, der unerkannt entkommen ist, hatte bei ihr getlingelt und um Obst und dann um Arbeit gebeten. Die Frau hatte teine Beschäftigung für den Mann und wollte in ihr Wehrlose geschossen haben. Glücklicherweise scheint die Schußver­legung nicht lebensgefährlich zu sein,

Die eine Bande bedroht mit dem Tode- Haus zurückgehen. In diesem Augenblick soll der Fremde auf die die andere übernimmt gegen bar den Schuh.

Chitago, 19. September.

Der von dem Richter Lyle eingeleitete Bernichtungsfeldzug gegen die Banditen hat am Donnerstag mit Razzien der Polizei in zehn Erpresserquartieren begonnen. Diese Banditen arbeiteten in der Weise, daß die Gewerkschaftsführer durch Mitglieder der Bande Al Capones mit Ermordung bedroht wurden und daß dann der Bandenführer Barter, selbstverständlich im Ein­vernehmen mit seinem Kollegen Al Capone , gegen Zahlung ent­sprechender Summen den Schuh diejer Todeskandidaten bzw. der Gewerkschaftsführer übernahm,

Die ständige Kommission für Verbrechen, die von der Stadt­verwaltung unterhalten wird, hat berechnet, daß die Bandenführer und ihre rund 500 Anhänger wöchentlich 300 000 bis 500 000 Dollar erpressen. Der Säuberungsfeldzug scheint im übrigen kein allzu großes Ergebnis gezeitigt zu haben, da 26 Bandenführern, gegen die der Richter Lyle Haftbefehl erlassen

Abgelehnt

51

von den

Politischer Selbstmord?

Ein Unbekannter erschoß sich auf Helgoland .

Eine geheimnisvolle Persönlichkeit scheint ein Mann ge­wesen zu sein, der sich kürzlich in einem Hotel auf Helgoland eine Schußwunde beibrachte, an deren Folgen er zwei Tage später im Krankenhaus verstarb.

In das Fremdenbuch hatte sich der Mann als Sandor Hegessy eingetragen, im Krankenhaus gab er aber an, daß er ein 19 Jahre alter Emmerich Grün, der Sohn eines vermögenden Geteidehänd­denn der Mann sah wesentlich älter aus. Er war 1,80 Meter groß lers aus Budapest sei. Auch diese Angabe dürfte kaum zutreffen, bekanntschaften gegenüber tat, war er ein ideal gesinnter und hatte gebräunten Teint. Nach Aeußerungen, die er Bade­Rommunist. Wegen seiner Propaganda für diese Partei war er, wie er sagte, in Rumänien zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden, aber geflüchtet. Auch in Ungarn habe er nicht bleiben können, weil seine Angehörigen sich von ihm losjagten. In einem in unbeholfenem Deutsch abgefaßten Abschiedsbrief ver­machte er alles, was er bei sich führte, seiner Quartierwirtin, damit sie so seine Logisschuld in Höhe von 18 M. decken könne.

Ob seine Erklärungen zutreffen, ist noch nicht festgestellt. Per­sonen, die über Sandor Hegessy( Emmerich Grün) etwas mitteilen tönnen, werden gebeten, sich an die Bermißtenzentrale des Polizei­präsidiums zu wenden.

Altwohnungen bleiben leer!

Die hohen Mieten tönnen nicht bezahlt werden.

Daß Neubauwohnungen wegen der zu hohen Miete monafelang leer stehen, ist man bereits gewohnt. Doch tritt be­reits der gleiche Zustand bei gewiffen Altbauwohnungen in die Erscheinung, nicht etwa nur bei Luruswohnungen von 8 bis 10 Zimmern, sondern in der meistbegehrten Klaffe der- und - 3immer- Wohnungen. Dabei handelt es sich um Wohnungen, deren Mieten ordnungsmäßig" nach den bestehenden Höchstmieten­bestimmungen errechnet, aber gleichwohl für die Wohnungsuchenden nicht mehr erschwinglich find.

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Auf dem Tempelhofer Feld befinden sich eine Anzahl Baublocks mit Hochhäusern, die unmittelbar vor Kriegsausbruch er­richtet wurden. Infolgedessen sind die Friedensmieten nach dem Stande der Jahre 1913/14 mit die relativ höchsten in Berlin . Im Gegensatz zu früher, wo in diesen Häusern freiwerdende 2- und 3-3immer- Wohnungen im Handumdrehen wieder vergeben waren, sfehen jetzt solche Wohnungen wochen, ja monatelang leer, nicht, meil es an Mietlustigen fehlt, sondern weil alle wieder umkehren müssen, sobald sie die Mieten erfahren.

Zwei Beispiele: Eine- 3immer- Wohnung wurde Mitte Juli durch Todesfall plöglich frei. Obwohl vom letzten Inhaber kurz vor seinem Tode auf eigene Kosten renoviert, fand die Wohnung

durch Todesf all plöblich offer

Willst du nicht auch in unsere fiegreiche Sturmabteilung erst Mitte August Mieter, da die monatliche Miete von 95 M. faft

eintreten?"

Rein, dafür bin ich nicht mehr halbwüchsig genug!"

alle Mietluftigen abschredte. Ferner: Eine am 1. September durch Umzug freigewordene- 3immer- Wohnung steht noch jetzt fee:. Es fommen zwar alle Tage Mietlustige, die sie besichtigen, aber