Beilage
Freitag, 19. September 1930
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Im Reiche der türkischen Diktatur
Besuch in der alten Hauptstadt
Unser Mitarbeiter Karl Moeller hat mit der| Erfurfion Brecht- Bergen eine Studienreise in noch unerforschte Gebiete des fleinasiatischen Transfaufajus unternommen, worüber er fortlaufend berichten wird. Istanbul ( Konstantinopel ), Mitte August. Man spürt einen modernen, europäischen Zug in der größten Stadt des türkischen Reiches. Ganz im Gegensatz zum mittelalterlichen Balkan . Nicht umsonst hat Kemal Pascha, der Diktator in Cut und Stehkragen, Fes und Vielweiberei verboten. Das junge Mädel geht nicht mehr in Schleier und lange schwarze Tücher gehüllt über die Straße, sondern in kurzen, vielleicht bald auch schon wieder langen Fähnchen. Sie gebraucht Puderquaste und Schminkstift, wie ihre Vorbilder aus Paris , fie geht ins Meer baden und treibt Sport, wie ein englisches Girl und bleibt trotzdem Mohammedanerin,
bleibt Orientalin.
Ich schreibe diese Zeilen im deutschen Klub in Pera: Durch das Fenster tönen die Grammophone aus den Musikgeschäften herein. Draußen in der Gasse vom Hafen aus zur großen Berastraße ist großer Basartrubel, orientalischer Redeschwall und doch Ruhe und Gemessenheit. Die Eile ist des Teufels", sagt ein altes ottomanisches Sprichwort.
Gewimmel ums Grammophon
Wenn der dicke Türke in dem Laden anatolische Lieder, spielen läßt, dann staut sich die Menge und immer wieder muß er eine neue Platte auflegen. Vor Wut über die schreckliche Melodie, die wir nicht verstehen können, bin ich schon dreimal aufgesprungen und habe mir den Trubel, angesehen. Prompt ertönt darauf aus dem brüllenden Trichter: ,, Yes Sir, that is my baby", anscheinend hier der neueste amerikanische Schlager. Offenbar durch das Jazzgedudel von demselben Schrecken erfaßt, zerstreut sich die Menge fluchtartig in die umliegenden Cafés.
Wie überall in den südlichen Ländern spielt sich hier ein wesent. licher Teil des öffentlichen Lebens im Freien ab. Man schwazt, spielt und arbeitet, wenn möglich, unter freiem Himmel. In den dunklen Gassen der Arbeiterviertel säugen die Mütter ihre Kinder.
Beherrschend aber erfaßt der Handel das Straßenbild. Früchte, Wasser, Milch, Brot, Kleider, alles kann man unter den vorgebauten Dächern an den Häuserreihen faufen.
Für den Orient besonders kennzeichnend sind die laufenden Läden". Die Händler schleppen ihre gesamte Ware auf dem Rücken. Morgens, wenn wir hinunter zum Bosporus gehen, tommen sie im Dauerlauf vom Markt im Hafen über die neue Brücke. Auf einem Traggestell bewältigen sie unglaubliche Lasten. Hoch türmen sich die Melonen und Pfirsiche.
In der einen Hand hält der braune, bunt gekleidete Gesell eine Ma a ge und unverständliche Laute schreiend zieht er feines Weges, In rasendem Tempo sprudelt er eine Menge Worte heraus. Für unser Ohr etwa: ,, ravati talmania cavasti tschung". Und das zu gleicher Zeit aus zwanzig oder dreißig trainierten Kehlen. Manchmal ist es zum Tollwerden.
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Aber je mehr unsere Ohren malträ: iert werden, desto schöner ist das Bild für unsere Augen.
Mit Blättern und Zweigen sind die herrlichen, ausgereiften Früchte geschmückt, die der Verkäufer in seiner Schale anbietet. In blant geputzten Messingkesseln trägt der Wasserhändler, mit den Gläsern Reklame trommelnd, sein fostbares Naß durch die engen Gassen. Ab und zu taucht auch ein Esel auf, der, mit großen Tragförben bepadt, willig seinem Führer folgt.
In den Häusern und auf dem schmalen Raume davor stehen Erfrischungsbuden und Kaffeestuben, in denen man für billiges Geld eine faure Milch,„ Schiras ", den sterilisierten Apfelsaft, und„ Café turque" trinten fann. Hier fißen auf den niedrigen Hodern noch die guten, alten Typen und rauchen ihre Wasserpfeife.
Das Regime Kemal Paschas
Ein Detret: Kein Mann darf länger einen Fes tragen. Erfolg: Nirgends ist die ehemals allgemeine Kopfbedeckung mehr zu sehen. Die lateinischen Schriftzeichen wurden eingeführt. Heute finden sich nur noch in ganz verschwiegenen Ecken Tafeln mit den schwungvollen türkischen Zeichen.
Ein Bekannter, der vor mehreren Jahren hier war, stellt seit dem eine gewaltige Veränderung fest. Ist es schöpferischer Neubau oder nur Niederreißen des Alten?
Das überall zu sehende Bild des Diktators ähnelt dem Mussolinis. Nicht ganz so pathetisch, etwas weicher, vielleicht auch be= stimmter. Man will äußerlich Europa sein, das heißt hier fort: schrittlich; zieht sich aber zugleich aus nationalen Gründen nach Kleinasien zurück. Angora ist heute die Hauptstadt und nicht mehr Konstantinopel . Das hat seine politische Bedeutung.
Ein alter, gebildeter Türke zog den Vergleich mit Amerifa: Konstantinopel wird das türkische New York werden, das Berbin dungsglied mit Europa , Angora aber ist unser Washington,
Glaubensdiskussion
Aga Bey, unser Dragoman.
Dieser Mann war Aga Bey, unser Führer, der uns drei Tage lang durch sämtliche Moscheen und Museen Stambuls schleifte. In jeder Moschee setzt er sich mit uns still in eine Ecke und fängt an, über das Glaubensbekenntnis zu diskutieren. Und ich muß fagen, die Christen in unserer Gesellschaft hatten eine schwere Verteidigung. Am schärfften entbrannte der Streit in der Aja Sophia, dem alten Tempel der Weisheit". Von unserem Beobachtungsplatz aus können wir die Frauen in der Mitte des Raumes beten sehen. Manche stecken noch in den altmodischen, schwarzen Tüchern, andere in bunten Konfettionskleidern. Sie fizen ganz ruhig da, jede für fich, mit ihren eigenen Gedanken. Still verneigen sich die Häupter in wechselndem Rhythmus gen Osten.
Seht, wie unsere Frauen andächtig beten", sagt Aga Bey. Wir Mohammedaner find Monotheisten. Wir brauchen keine Altäre und Bilder, wie die Katholiken. Wir sind keine Bilderanbeter. Mufit und Gemeindesingen gibt es nicht in unseren Moscheen. Uns genügt ein für Religion und Moral getrennter Predigerstuhl. Im übrigen ist jeder mit Gott allein, wir machen ihm feine Vorschriften." Damit bricht er ab, Er hält alles Reden für Unsinn und die
Prügelstrafe für die einzig wirksame. Schweigend erheben wir uns von den orientalischen Sitzen auf dem herrlichen Teppich mit seinen einfachen Farben und geometrischen Figuren.
In manchem stedt wohl doch ein Zweifel, durch den starken Eindruck dieser fremdartigen Feierlichkeit bestärkt; dieser Andacht ohne jede Zeremonie, ohne jeden zwang.
Man kann sich einfach hinsetzen und ausruhen, geistig und förperlich, ohne von Orgelgebraus, freischenden Chören und endlosen
Predigten gestört zu werden.
Unser Führer ist ein ehemaliger Reitermajor, dann tanzender Derwisch und nun Kunstsammler und Photograph. Er beruhigt die Wärter in den Moscheen, daß unsere Apparate Meßinstrumente sind und wir können durch diesen Trick trok Verbote unsere Aufnahmen
machen.
Aga Ben behauptet, daß die größten türkischen Baumeister Soldaten gewesen wären. So der Erbauer der Aja Sophia: Ignatius Magister, nach seiner Meinung der größte Architekt der Welt, der von den Christen als Teufelsanbeter angeflagt wurde,
weil an einem Stück Marmor, das man heute noch sehen kann, die Aderung dem Mephistogesicht ähnlich sieht.
Basarhandel
Am letzten Nachmittag führt uns Aga Bey noch in den großen Basar, wo er sich als echter Orientale entpuppt, der um jeden Biaster stundenlang feilschen kann. Zweifellos haben wir dadurch eine Menge Geld gespart, denn bei manchen Sachen war der vers langte Kaufpreis zuerst doppelt so hoch als wir später bezahlten. Dolche, Decken und Schmidsachen werden in dem halbdunklen Bafar. gewölbe eingehandelt. Es ist wohl die letzte Gelegenheit zum Eintaufen, denn morgen früh geht unser Dampfer nach dem Schwarzen Meere ab, nach Kleinasien , wo wir die nächsten sechs Wochen in noch unerforschten Gebieten des widen Berglandes Lafistan umherirren werden.
Um mich herum fitzen sie jetzt alle im Schreibzimmer und schiden
die letzten Grüße ab, che wir in den abgeschlossenen Bergen, die feinerlei Verbindung mit der Außenwelt haben, verschwinden.
Aus deutschen Gauen
Was man in Anhalt erleben kann
Ort der Handlung: Zwei Bummelzugstunden von Berlin . Wan -| Kann denn der nicht mal woanders schlafen?" Näh, das is nämlich dernd überschreite ich die Grenze zwischen Preußen und Anhalt. Die freundlichen Breußen bleiben weit hinter mir, vor mir stehen anhaltische Dörfler, zu Salzsäulen mit offenem Munde erstarrt und stieren mich an. Im Gasthof, der einem Ortsfremden gehört, wurde mir erzählt, daß es hier noch üblich ist, dem Herrn" die Hand zu küssen. Der Herr" ist ein überschuldeber Gutsbefizer, dem man zum Schutz der Gläubiger einen staatlichen Verwalter auf das Gut gesetzt hat. Der err" lebt nun vom standesgemäßen Deputat. Auf diese sorgenlose Art läßt es sich fein lebendas haben mehrere dieser Schiautöpfe in Deutschland entdeckt. Hier und da schaut ein Gesicht verstohlen zum Fenster heraus du bist hier nicht willkommen, Fremdling, denn du siehst revolutionär aus mit kurzen Hosen und Rucksack. Sogar die Hunde bestätigen es dir. Also zieh weiter. Unterwegs fing es an zu regnen. Ich beschloß daher, im nächsten größeren Dorf zu übernachten. Das große Dorf fah wohlhabend aus. Schöne Gegend auch. Hier bleibst du. Im Gasthof wird mein Gruß nur murmelnd erwidert. Ich will ein Glas Bier.„ Bier? Wir ham goar feen Bier,„ Mamu, das ist
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doch ein Gasthaus?" Joa, das schon, aber Bier ham me teens." Na", sage ich ,,, fann man denn zur Nacht hierbleiben?"„ Näh", tönt es lieblich wie von einer Ziege. Und warum nicht?"" Näh , me sind daruff garnich ingericht, gähn se mal nebenan. Da is ooch noch een Gasthoff." Nebenan war Bier ja da. Aber übernachten? Näh."" Und warum nicht?"" Näh , ins Zimmer schloft der Knecht."
Teilhaber liest seine Zeitung und runzelt die Stirn. Der Leitartikel ist ihm zu pathetisch,
Aber schon rasselt mie Blech über einen steinernen Boden Artikelchen hin neben Artikel zum gestrigen Kehricht. Da liegt das Gerümpel!
Ideale, wie neu, nur am Rande ein wenig beschädigt! Mannestreue, schwarzweißrote und hakendurchkreuzte! Kleine, unauffällige Tips für die Börse Und eine Hetze, gegen mem? Gegen die Arbeiter! Dort liegt eine Verleumdung, nicht totzuschweigen, Nicht totzutrampeln: das Biest ist unsterblich! Und alles bewahret in seinem Hirn unser Freund, Doktor Heinrich Augustin Teilhaber! Dann aber versenkt er sich in ein Kapitel Boxsport, Denn er ist auch für die Ertüchtigung des Leibes, Und liest, was so ein Boxer zum Frühstück verzehrt. Da springt er auf, alle vier Backen gerötet, Da ruft er die Dienstmagd Clara und spricht: Clara, zmo Eier, ganz frische, Sozusagen unter Aufsicht gelegte Eier, Und diese gequirlt, verstehste, in Portwein, Du kennst meine Sorte, den von Kempinski, Das bringe schnell zu mir her, Donna Clara!" Und Clara, sie lacht von wegen der: Donna Clara, Dann flügelt sie hin ganz schnell zur Küche, Sie flügelt zurück und Doktor Teilhaber schlürft selig Zoi frische, sozusagen unter Aufsicht gelegte Und in Portwein gequirlte, Versteht sich deutsche Frischeier! Dann schläft er ein, der Herr Teilhaber, Und auf dem Teppich, da liegt seine Zeitung, Die Zeitung des ordnungsliebenden Deutschen , Der Generalanzeiger
Mit Börsennachrichten und auch soliden Geschäften, Mit Massageanzeigen und Goethe- Zitaten, Mit Elendsberichten und Inseraten von Luxusbädern, Mit Diktaturgebrummel und einem Roman von der berühmten Hedwig. Was ist generalisch an diesem Anzeiger?
Die seelische Oede, die politische Dummheit, Der große Stillstand in den bewegenden Kräften der Gegenwart, Die versteinerte Andacht vor Altertümern, Die große, heroische Schnauze, mit der Deutschland Den Krieg verloren hat!
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mit die Knechte jetzt so, wenn mr een mieten duht, jroagt der gleich, wo er schloft. In Stall schloft geener mehr." Natürlich", sage ich, im Stall ist es ungesund, da soll auch kein Mensch schlafen." Nun aber hatte ich was gesagt. Für die Frau, das sah ich an ihrem Blick, war ich ein roter Hezer. Ganz verängstigt stand fie auf, ging nach hinten und gleich kam ihr Mann vor. Der hatte unser ganzes Gespräch aus sicherer Stelle belauscht. Ihm gegenüber erklärte ich dann, ich würde auch auf dem Heuboden schlafen. Ein sehr entrüftetes„ Näh " war die Folge. Warum nicht?" frage ich hartnäckig weiter. Näh", sagte er, wegen dem Brenn."" Namu, sehe ich denn wie ein Brandstifter aus?"" Näh , das gerade nich, aber der Radio warnt immer davor." Haben Sie denn Radio?" Näh, mr ham teens, aber der Herr Pforrer sagt et immer, dat die Wanderburschen so viel Unheil machen."" Aber ich bin fein Wanderbursche, sondern ich wandere zum Vergnügen und zur Erholung." I nee", sagt er da topfschüttelnd und ungläubig. I nee, das gann mr fich gaum denken Rad?" im
"
Es
mußte weiter, in Regen, ohne Rad."( Gs mubte nichts,
stimmt een Gasthof, wo Se bleiben könn" waren seine Abschiedsworte. Als ich dort völlig naß, mit vor Wasser und Wut dampfender Seele im Gasthof, wo man bestimmt bleiben fann", nach Quartier frage, sagt die gefühlvolle, gastfreundliche Wirtsseele:" Näh , daruff fin mr nich ingericht." Ich bin baff und erkläre, ich könnte in den Regen nicht mehr weiter, außerdem fäme die Dunkelheit und ich sei fremd hier. Sagt die freundlichste aller Wirtinnen:„ Gähn Se ruhig bis 3.; meit is et ja nich mehr und naß fin Se mu eens." But, daß ich schnell entschlossen wieder auf die Landstraße nach 3. lief, sonst märe mein vor Wut überhitzter Kessel geplatzt. Es war eine schöne Fahrt und diese gastfreundliche Gegend fängt zwei Bahnstunden von Berlin an. Im Jahre 1930. Wilhelm Baum.
Schlager der Saison
Original- Bestattungsalbum DRP. Erfindungen
in Hülle und Fülle überschwemmen uns, und wenn morgen ein Maschinenmensch, ein Automat für alle Lebensbedürfnisse, ein selbsttätiger Kochtopf oder sonst eine neue Errungenschaft menschlichen Genies die Register des Reichspatentamts bereicherten, es würde uns kaum aus der Ruhe bringen. Ein Dr. Hail off hat jedoch alle menschlichen Geistesprodukte derart an Geschäftstüchtigfeit übertroffen, daß es sich wohl verlohnt, uns mit dieser„ Erfindung" bekanntzumachen.
Es ist ein Bestattungsbuch", schwarz gebunden, mit einem Kreuz auf dem Umschlag und der Inschrift auf der ersten Seite:
Herzliches Beileid zu Ihrem Verlust gestatten sich auszusprechen der Herausgeber und die unterzeichnete Firma. Auf der zweiten Seite ist Platz zum Eintragen der Daten der Ber storbenen, auf der dritten Seite für die Namen der Kondolierenden gelassen. Dann folgt der„ literarische" Teil, in den Inserate eingestreut find, von denen folgende am bemerkenswertesten sind:
Wollen Sie Ihrem Verstorbenen eine große Freude bes reiten? So faufen Sie den Sarg nur im Sargmagazin Thermos und Phor. Unsere Parole: die Lage machts! sichert uns einen ständig wachsenden Kundenkreis. Särge in jeder Preislage und Ausstattung
,, Die beste Fahrt ist eine Fahrt mit Fuhrmanns Wagen! Gut geölte Trauerdroschten mit in Ernst geschultem Personal in jeder Auswahl, prompt und billig! Wagenpark Fuhrmann, Große Chaussee 12."
,, Brauchen Sie Trost? Dann rauchen Sie unsere würzige Zigarette Beuve", rund und aromatisch wie ihr Name."( Veuve franzöfifch: Witme.)
Belegenheitsgedichte, speziell Trauerverse Doll tiefem Schmerz und herbem Leid, verfaßt jederzeit prompt und preismert Günther, Mitglied des Allgemeinen Schriftstellervereins Berlin ."
„ Gesellschaftsreisen schaffen Zeritreuung. Fahren Sie mit uns in den sonnigen Süden. Unser Haus wird von Witmern und Witwen jeden Alters bevorzugt. Fließendes Wasser und disfreter Abschluß in allen Zimmern. Pension Tränenglüd" in Gardo.
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