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Spannung im Bombenprozeß.

Bernehmung der Frau von Dergen.

Altona  , 19. September.

or dem Schmurgericht in Altona   erklärte bei der heutigen Berhandlung der chemische Sachverständige Dr. Seyf, daß der bei den Anschlägen benugte Sprengstoff als gemeingefährlich anzusehen sei. Der größte Teil der Bomben befäße die Explo. sionstraft mittelschmerer Granaten. Wenn auch nach der Anlage der Bombenanschläge, die Attentäter offenbar nicht beab. fichtigt hatten, Menschenleben zu vernichten, so betrachte er doch eine Gefährdung von Menschenleben als ermiesen

Nach der Pause erfolgte unter großem Andrang des Publikums die Bernehmung

der vielgenannten Frau von Derhen, von deren Vernehmung sich die Verteidigung weitestgehende Ent laftung für den Angeklagten Bold verspricht.

Frau von Dergen erflärte, sie habe Bold durch geschäftliche Be ziehungen im Jahre 1928 zur gemeinsamen Ausübung der Bilder nermittlung fennengelernt. Es hätten dann sehr freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden bestanden. Wegen eines Provisions anspruchs aus einem Bilderverkauf habe sie Klage erhoben. Bold habe seinen Anteil aus dem Bildergeschäft nicht bekommen. Der An­teil sei für den preußischen Staat gepfändet worden. Im Oktober 1928 ging Bold im Auftrage der Deutschnationalen nach Holstein, wo er fich eine gute Position zu schaffen hoffte. Er schrieb von da aus mehrmals an Frau von Derzen und besorgte auch Antiquitäten, die sie verwertete. Kurz vor iner Hochzeit traf die Zeugin Bold im Mai 1929 in der Nähe von Blin. Als Bold dann ins Ausland flüchtete, machte er ihr Andeutungen, daß

ihm der Boden hier zu heiß geworden

sei. Er hat allerdings Frau von Dergen seine Beteiligung an den Anschlägen nur indirekt eingestanden. Positives hat er nicht gesagt. Am 11. Juli 1929 überschritt Bold die Grenze. Sein ganzes Benehmen weďte aber den Verdacht, daß er zu den Bombenlegern enge Beziehungen hatte. Am 7. November 1929 wurde Bold auf deutschem Boden verhaftet. Die Zeugin erfuhr davon durch Kriminalfommissar Teichmann. Sie gibt zu, daß Bold vor seiner Flucht viel frauses Zeug" geredet habe, aber Bestimmtes über feine mittäterschaft bei den Attentaten will sie nicht ge­mußt haben. Später, nach dem Anschlage auf das Reichstagsgebäude  , hat sie ihren Verdacht der Kriminalpolizei mitgeteilt, hat aber nichts getan, um Bolds Verhaftung herbeizuführen. Bold habe ihr, so erflärt die Zeugin, allerdings einmal geschrieben, sie könne ,, bei seiner Sache" viel Geld verdienen. Aber da es sich um Dinge mit politischem Einschlag handelte, verzichtete sie lieber. Bold gibt zu, in einem Briefe mitgeteilt zu haben, er suche eine geschickte Frau für eine politische Mission. Mit Entschiedenheit erklärt es die Zeugin für vollkommen ausgeschlossen, daß sie selber etwa dem Angeklagten Bold

die Pläne zu den Attentaten eingeflüffert hätte. Der ehemalige Staatsfommiffar Dr. Weismann ist der Beugin sehr gut bekannt. Politische Aufträge irgendwelcher Art hat sie nie von ihm erhalten.

Der Angeklagte Bold läßt durch seinen Verteidiger, Graf v. d. Gols  , feststellen, daß die Zeugin schon im Dezember 1928 von dem Beidenflether Attentat gemußt habe. Die 3eugin will aber nichts davon wiffen, auch nicht davon, daß fie gesagt habe: Die Aufstände in Holstein find von demselben Arrangeur mie bie im Rautajus."( Dort it Bold 1920 als Drganisator einer Monter revolution gegen die Sowjets tätig gewesen.) Die Zeugin fann fich

nicht erinnern.

R.-A. v. d. Golz: Sie sind doch Polizeiagentin?"

Frau von Dergen: Ich verbitte mir entschieden diese Beleidigung, R- 2. n. b. Golz: Dann halten Sie also selber nicht viel von Ihrem Beruf, wenn Sie das eine Beleidigung nennen?"

Die Zeugin bestreitet, in irgendeiner Form von der Polizei befoldet zu werden.

R.- 21. v. d. Golz legt ihr nun eine ganze Reihe Fragen vor, die sich auf Bolds Berhaftung beziehen. Der Staatsanwalt beanstandet die Fragen, da sie mit dem Der Staatsanmalt beanstandet die Fragen, da sie mit dem hier vorliegenden Tattompler in feinem Zusammenhang ständen. R.-A. v. d. Golz: Da Frau von Derzen selber zugegeben hat, daß sie von den Anschlägen gewußt hat, muß ich mich wundern, daß die Staatsanwaltschaft nicht ebenso wie gegen Hamfens Haftbefehl gegen sie beantragt. Das scheint mir hinreichender Beweis zu sein, daß sie tatsächlich im Auftrage der Polizei als agent provocateur tätig gewesen ist.

Das Gericht berät dann über die Zulässigkeit der von der Ver­

teidigung aufgeworfenen Fragen und bejaht diese.

Borf.: Haben Sie mit Herrn Mühlfriedel verabredet, Bold nach Deutschland   zu locken?

Zeugin: Hierüber möchte ich aus innerer Ueberzeugung die Ausjage perweigern.

Borf.: Dann muß ich Sie eventuell in die Kosten des gesamten Verfahrens und zu einer Geld- oder Haftstraße bis zu sechs Wochen verurteilen. Außerdem kann ich Sie auch zur Erzwingung der Aussage bis zu sechs Monaten in Haft nehmen.

werden.

Zeugin: Vielleicht tann Herr Mühlfriedel danach gefragt Rechtsanwalt Graf v. d. Go13: Ich bestehe auf Beantwortung meiner Frage. Staatsanwalt Dr. Junter: Ich bitte um eine Pause, damit Frau v. Derzen es sich überlegen tann, nicht etwa, um ihr eine Sonderstellung zu verschaffen, sondern um restlose Klarheit zu er halten.

Auf die Frage, ob Frau v. Derken mit Kriminalfommissar Mühlfriedel verabredet hätte, Bold nach Deutschland   zu foden, ertlärte sie nach anfänglicher Aussagenermeigerung schließlich, fie habe als angebliche Berlobte Mühlfriedels Bold nach Deutschland  gelodt. Füte ihre Tätigkeit habe sie feine Belohnung erhalten, ihr seien nur die baren Auslagen in Höhe von etwa 500 Mart erstattet worden. Auf die meitere Frage, wiemeit sie an der Auf­deckung der Bombenanschläge mitgemirft habe, erklärte Frau von Derken, sie habe mur ausgesagt, Bold fomme ihr verdächtig vor. Die weiteren Fragen des Verteidigers beantwortete sie damit, daß fie fich daran nicht erinnern könne.

Ferner erklärt sie, daß fie Reichskanzler Müller nicht fenne. Die Behauptung, daß Müller sie als geschickte Diplomatin bezeichnet habe, sei aus den Fingern gesogen. Der Zeuge Dr. Conrad er­flärte meiter, Frau n. Dergen habe ihm gesagt: Ich werde Bold unschädlich machen, er wird schon in mein Garn gehen. Ich stehe unter dem Schutz der Polizei und brauche nicht gemeldet zu werden." Auf Beschluß des Gerichts murde die Zeugin vereidigt.

Frau von Dergen verhaftet.

Sofort nach ihrer Bernehmung im Bombenlegerprozeß murde die Zeugin Frau n. Dergen nach Schluß der Sigung im Flur des Gerichtsgebäudes megen der Forderung eines Gläubigers in Saft genommen.

Joot Thüringiſches.

لات

N

THÜRINGEN P

Gisny

VON ROTEN KETTEN MACHT EUCH FREI ALLEIN DIE

VOLKS PARTEL

DEUTSCHE  

3hr von der Volkspartei besorgt die Geschäfte der Marxisten!!"

Aber Herr Frid, wir von der Volkspartei waren doch die ersten, die gegen die rote Flut anfämpften... Darum sehen wir jetzt so aus!"

Jubiläumsfeier der Volksbühne.

Die Internationale der Bolfsbühne gegründet.

Anläßlich des pierzigjährigen Bestehens fand gestern abend im Saal des ehemaligen Herrenhauses eine öffentliche Sigung der Voltsbühne statt. Am Nachmittag hatte sich, wie Genosse Kurt Baate mitteilte, die Gründung der Volksbühnen- Inter nationale vollzogen. Damit ist ein lange gehegter Wunsch in die Wirklichkeit umgelegt worden.

Die Sigung wurde eröffnet burch eine Rede Baafes, die übrigens auch auf den Deutschlandsender Königsmusterhausen über tragen wurde. Aus fleinen Anfangen hat fich, wie Baale ausführte, die Volksbühnenbewegung entwidelt. Das erste Geschäftslofal be. fand sich in einer Zweizimmerwohnung, und 50 Pf. Beitrag galt als das höchste der Gefühle. In organischem Wachstum ist die Bolfs das höchfte der Gefühle. In organischem Wachstum ist die Bolfs­bühne große geworden.

Kunst dem Bolke",

dieses Wort Bruno Billes ist heute als Schlagmort zu einer Selbstverständlichkeit geworden, während es damals in den neunziger Jahren von höchster origineller Bedeutung mar. Der Widerstand des Jahren von höchster origineller Bedeutung mar. Der Widerstand des Obrigkeitsstaates weist darauf hin, daß man in dieser Forderung eine Gefahr witterte. Schon damals lehnte die junge Bewegung einen reinen politischen Parteistandpuntt ab, schon damals wurden die Pläge nach dem Prinzip ,, Gleiches Recht für alle verloft. Noch während des Krieges wurde das Haus am Bülowplak gebaut, ein Symbol für die organisatorische Festigkeit der Bewegung.

Auf Grund der Besucherorganisation tonnte man bewußte Theaterpolitit treiben, und man treibt sie heute noch. Die Anmürfe, daß die Bolksbühne ihre revolutionären Anfänge vergessen habe,

treffen nicht zu. Man vergißt, daß die

revolutionären Gedanken von damals heute Gemeingut geworden sind. Grundsäßliche Forderungen find leicht auf dem Bapier zu erheben, die Realität rechnet dagegen anders. Erft leben Bapier zu erheben, die Realität rechnet dagegen anders. Erst leben und dann theoretisieren! Von Anfang an stand die Bolfsbühne im Gegensatz zum ortsüblichen Amüsierbetrieb, und sie bedeutet heute in der Zeit des Sports, des Films und des Radio ein Bekenntnis zur tiefen Kunst. Daß man auf dem richtigen Wege ist, zeigt unter anderem die Anerkennung des Auslandes, dem die deutsche Arbeit als Borbild dient, und ferner die Tatsache, daß troß der politischen und wirtschaftlichen Wirren der Gegenwart eine Abnahme Abonnentenstammes nicht zu verzeichnen ist. Heute wie damals offenbart fich der gleiche Opferfinn, das Bewußtsein der Massen, daß es um ihr Werk geht, und daß sie dieses Werk stützen müssen

des

Darauf sprachy Genoffe Leo Kestenberg  . Er jegte sich in der Hauptsache mit den immeren Gegenfäßen der Boltsbühne ausein­cnder. Diese Gegensäge sind ästhetischer und ethischer, politischer und fünftlerischer Art. Trotzdem werden alle Richtungen durch eine starke gemeinsame Idee verknüpft:

,, Alle Glieder eines Bolles find vor der Kunst gleichberechtigt. Jeder hat Anspruch darauf!"

Die Arbeiter versuchen mit dem größten Erfolg, das Theater zu er obern. Aber diese Eroberung braucht Zeit. Die alte Freie Bolks bühne mies eine ganz starte parteiliche Bindung ihrer Mitglieder auf. Alle Parteiprominenten maren darin versammelt. Die Neue Freie Boltsbühne" fuchte dagegen andere Wege. Da sie nicht auf ein politisches Dogma festgelegt war, muchs die Zahl ihrer Mitglieder, dant auch der Arbeit großer Persönlichkeiten wie Bruno Bille, Josef Ettlinger   und Gustav Springer. Bon vornherein war das Programm nicht allein im Theater verankert, sondern wollte den ganzen großen Rahmen der Kunst beanspruchen. Das eigene Haus war das Ziel, und es wurde zum Mittelpunkt, als sich beide Richtungen im Jahre 1913 vereinigten. Diese Verschmelzung hatte einen bedeutenden Aufstieg der Mitgliederzahl zur Folge. Heute hat die Boltsbühne drei Gegner. Es gibt noch immer Menschen, die glauben, daß die Kunft eine Angelegenheit des Ber­gnügens darstellt. Diefen Gegnern ist die lleberzeugung entgegen zuhalten, daß die Kunst etwas durchaus Unentbehrliches darstellt. Kunst ist Ausdruckstraft und ein elementares Wesen des Menschlichen.

Neben dem materiellen muß auch das geistige Reich erobert werden.

zwei andere Gegner erwachsen der Bewegung aus Sport und Mechanik auf der einen und Film und Rundfunk auf der anderen Seite. Aber beide Gegrter find ungefährlich, da die Technik niemals die Wirkung von Mensch zu Mensch ersehen fann. Es geht um Sicherung, Erhaltung und Ausbreitung des eigenen Theaters. Die Schwierigkeiten des Repertoires und der Stüdwahl jind bei der Koalition der Besucher in der Boltsbühne nicht zu verkennen. Ein Teil mill revolutionäre, ein anderer völlig banale Dramen. Ein gemeinsames Moment findet man aber in dem Kampf gegen die Starwirtschaft. Mißverständnisse entstehen, wenn man die Boltsbühne als fonstante Größe oder politisches Instrument be­trachtet. Es ist notwendig, die Forderung der Mitglieder mit den Notwendigkeiten eines Theaterbetriebes in Einklang zu bringen. Dies gelingt, da die Bolfsbühne über eine feste Kerntruppe nerfügt. Wie start die Organisation ist, zeigt sich, daß auch Tanz, Boltschor, Konzerte, Literaturkurse und Film der Bewegung an­gegliedert worden sind. Das Ziel muß aber immer bleiben: Musterinstitut für soziale Kunst,

Befreiung des Individuums aus seinen engen bürgerlichen Schranken und feine Emporentmidlung zu einer Welt des Geistes, der Freiheit und der Menschlichkeit.

Ueber die Geschäftslage gab Alfred Brodbed Auskunft. Die Bewegung umfaßt heute 306 örtliche Vereine mit

500 000 Mitgliedern. Noch niemals ist die Zahl übertroffen

morden. Die Boltsbühne befindet sich also in einem stetigen Aufstieg, trotz wirtschaftlichen und tufturellen Krisen. Das tommt daher, daß hier Menschen leben, die überzeugt etwas wollen. Eine gefunde Planwirtschaft sichert den Erfolg. Und es ist dringend zu warnen, daß irgendwelche Aktionen gegen die Volksbühne in Form etwa höherer Besteuerung unternommen werden. Der Er­folg märe sehr flein und die Gefahr sehr groß. Man übersieht sehr oft den ungeheuren fulturellen Nußen, den die Volfsbühne durch ihre Wandertheater stiftet. Etwa 170 Ortschaften tommen dadurch mit Theaterkultur in Verbindung. Die Boltsbühne wird also auch in dieser Beziehung zu einem bedeutenden Kulturfaftor. Daß man im Ausland diese kulturfördernde Arbeit erkannt hat, bemeist die Tatsache, daß in der Boltsbühnen­internationale fieben außerdeutsche Länder vereinigt worden sind, und man hofft, daß die Zahl bald auf 15 steigen wird. Zum Schluß sprachen

zwei Vertreter ausländischer Organisationen. Als erster Haton Meyer aus Oslo  . Er bekannte offen, daß die norwegische Boltsbühne ein Zweig vom deutschen   Baum ist. In Schweden   besteht allerdings seit 20 Jahren eine fest fundierte Bewegung, die sich auf den Arbeiterorganisationen aufbaut. In Norwegen   arbeitet die Voltsbühne mit den Gewerkschaftsorgani fationen zusammen, die schon seit Jahren eigene Aufführungen in zu diesem Zmed gepachteten Theatern geben. Bisher zählt Nor­megen 160 Boltsbühnenorganisationen, die bis zu 75 Broz. auf den Gemertschaften ruhen.

Liegen in Normegen die Dinge sehr gut, so entwirft Dolf Roels über die Boltsbühnenbewegung in Belgien   ein weniger farbenfreudiges Bild. Dort sind die schwersten Rämpfe zu bestehen, An sich besigt Belgien   feine ausgeprägte Theaterkultur. Antwerpen  , eine Stadt von einer halben Million Einwohner, verfügt nur über ein Schauspielhaus und eine Oper. Trotz der schweren Bebin gungen 11. a. verweigerte die Regierung die Steuerfreiheit gab die belgische Boltsbühne eine Reihe von Borstellungen und Konzerten. Es ist zu hoffen, daß auch in diesem Lande bald ein frischerer Zug weht und daß die große kulturelle Bewegung der Wolfsbühne die Unterstützung bei den leitenden Stellen findet, die fie verdient.

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Dieser erste Abend der Jubiläumsfeier bewies, daß die Bolks. bühne ein starfer, gesunder und ungebrochener Organismus ift.