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Beilage

Mittwoch, 24. September 1930

Der Abend

Dreisprachiges Land

Ehemals Oberungarn- heute Slowakei  

Fährt man von Berlin   in die Slomatet, so tommt man bald hinter der Grenzstation Oderberg  ( Bohumin) nach Tschechisch- Teschen. Die Stadt Teschen im ehemaligen Desterreichisch- Schlesien   ist durch die Weisen von Saint- Germain zwischen der Tschechoslowakei   und Polen   geteilt worden; die Olsa  , einer der beiden Quellflüsse der Oder, bildet die Grenze und man sieht vom Bahnhof eine Straße hinunter in furzer Entfernung die Brücke. Vor der Stabilisierung der polnischen Währung sollen die Bewohner der westlichen Stadt hälfte von dem billigen Einkauf auf der polnischen Seite so starken Gebrauch gemacht haben, daß die tschechischen Finanzbeamten ihre Landsleute bei der Rückkehr genau daraufhin ansahen, ob sie sich nicht etwa da drüben neu bekleidet hätten.

Vom Slowakenvolk

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Borbei an den gewaltigen Eisenwerken von Tschinje, die früher einmal dem Erzherzog Friedrich gehört haben( diesem Groß­molkereibefizer und Generaliffimus verliehen die hungernden Wiener den Beinamen der Rahmreiche") und durch eine Ecke des mährisch- schlesischen Kohlenreviers geht es die Karpathen hinauf und in die Westslowakei hinunter. Slowaten gibt es auch in Mähren  .

Die Hohe Tatra

von der niedrigeren Kelle südlich von Poprad  - Waag   gesehen Präsident Masarnt ist der Sohn eines slowakischen Herrschafts­futschers auf mährischer Erde. Aber die Hauptmasse des slowakischen Volkes wohnt im ehemaligen Oberungarn, zumeist ar me Bauern, die stets ein gewaltiges Kontingent zur europäischen   Auswande rung nach Amerika   stellten. So mancher Slowat ist drüben ein reicher Mann geworden, und an die Hilfe der Landsleute in Nord­amerita appellierte Majarnt persönlich, als er im Weltkrieg die Aufrichtung seines Nationalstaates betrieb. Dabei fam in Pitts­ burg   ein Vertrag zustande, aus dem die slowakischen Führer den Anspruch auf volle Autonomie herleiten. Es war auch nicht flug von der Prager   Anjangregierung, daß sie die abgesetzten mad­jarischen Beamten in der ersten Zeit durch oft recht unqualifizierte Legionäre usw. ersetzte, die nicht selten ihr Amt zum Wohle des Landes als zu ihrem eigenen führten. In der ungarischen Zeit hatte man die Madjarifierung mit Hochdruck betrieben.. Es war besonders der Unterrichtsminister Graf Albert Apponyi, der die letzten slowakischen Boltsschulen beseitigte und ausschließlich madjarischen Unterricht einführte. Dieser Graf Apponyi   spielt heute in Genf   und sonstwo den Vorfämpfer unterdrückter Minderheits­völker und er macht sogar mit der Rüstigkeit seines Patriarchen­alters und mit seinem ungewöhnlichen Rednertalent in allen Welt­sprachen auf naive Zuhörer nicht geringen Eindruck. Heute gibt es dafür fast nur noch slowakische Volksschulen. So ziemlich überall in der Slowakei   sprechen die Leute slowakisch und madjarisch gleich gut und das Deutsche   ist weit über die Intelligenz und die Begüterten hinaus im Volt verbreitet. Untereinander aber spricht der meitaus größte Teil nur slowakisch, erst recht die Ju­nicht etwa als gend, und es ist auch als Amtssprache eingeführt Minderheitssprache neben dem Tschechischen, sondern statt seiner. Ob die slowakische Sprache eine wirklich selbständige oder ob sie eine Abart des Tschechischen ist, fühle ich mich zu entscheiden nicht berufen. Manche Wörter sind dem Polnischen   näher, selbst auch dem Russischen  . Slowaken sagten mir, daß jedes Dorf anders spreche. Da dieses Bolt bis an das polnische und das ukrainische Sprachgebiet reicht, sind solche Uebergänge bei der engen Verwandt­schaft aller flawischen Sprachen selbstverständlich. Der madjarische Einschlag ist verschiedentlich zu merken, so auch in der Küche bei der häufigen Verwendung von Paprika, und zwar nicht nur des bekannten roten scharfen Gewürzpulvers, sondern auch der grünen Schoten. Entsprechend der Dreisprachigkeit erscheinen in der Slo­ wakei   auch deutsche, slowakische und madjarische Zeitungen. Man hat ja das Staatsgebiet bis an die Donau   ausgedehnt und die großenteils deutsche   Stadt Breßburg einbezogen(( Bratislawa  , früher madjarisch Boozony.) Dort haben wir auch ein deutsches Parteiblatt und Parteisekretariat,

Das Tal der Waag  

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Die Waag   durchzieht die ganze Slowakei   bis zur Donau  . In ihrem Tal liegen zwei berühmte Badeorte, Trencsin- Teplig unter der gewaltigen Burgruine und Pystian, wohl das stärkste Bad gegen Rheumatismus  , Ischias. Beide haben Schwefeiquellen, Bystian auch den heilkräftigen Radiumschlamm. Auf einer Waag­insel entspringen diese Quellen. Aber auch in dem Waagarm tritt bei niedrigem Wasserstand der 67 Grad heiße Schlamm zutage und wird von den Eingeborenen gleich an Ort und Stelle auf ihren Körper aufgetragen. Die Kurgäste natürlich besuchen die Bade­anstalten, die zumeist noch aus der Napoleonzeit stammen. Man sieht viele Schmerfranke in Bystian, selbst solche, die sich nicht mehr ohne fremde Hilfe bewegen fönnen. Das hat zu der merkwürdigen Einrichtung der Pystianer Infanterie" geführt: geschlossene Zellen auf zwei Rädern und mit einer Deichsel, an der so eine arme Slowakin den Patienten durch die Stadt zieht. Eine alte wacklige Holzbrücke führt über die strombreite Waag und es ist ein geringes Bergnügen, auf ihren schmalen Gehsteigen den Strom zu

Salansgabe des Vorward

überqueren. Der starte Autoverkehr hat den Bau einer zweiten| farpathorussischen und madjarischen Refruten lernen zum Ausgleich Brüde notwendig gemacht, die im nächsten Jahre fertig judetendeutsche Städte tennen. werden soll.

Staatskurort in der Hohen Tatra

Eine halbtägige Eisenbahnfahrt das Waagtal hinauf bringt uns, vorbei an Städten und Dörfern, nach Strbsto( früher Csorba). Da geht die Zahnradbahn hinauf in die Hohe Tatra   zum Csorba see. Auf dem 1350 Meter über dem Meer liegenden Hochplateau ist nur eine Straße mit zwei großen Hotels, einigen Villen, einem Touristenheim und einer Pension mit Postamt. Das alles gehört dem Staat. Man ist also bei ihm zu Gaste und zahlt dafür höch­stens 90 bis 100 Kronen( 11,25 bis 12,50 M.) täglich für Wohnung und Verpflegung. Begnügt man sich aber mit den einfacheren 3im­mern und Betten der Villen und dem vorzüglichen Essen im Touristenheim, so kann man auch mit der Hälfte auskommen. An dem ganz alpinen See sind noch einige Wohnhäuser. Von diesem staatlichen Luftkurort aus, der auch Badeturen ermöglicht, fann man zahlreiche Touren in die Täler und auf die Gipfel bis zu der 2600 Meter hohen Gerlsdorfer Spize unternehmen. In diesem Ort war auch letthin die Ministerfonferenz der kleinen Entente; Eduard Benesch wollte seinen Kollegen aus Bukarest   und Belgrad  die malerische Schönheit der Tatra vorführen. Slowakisch heißt der Ort, wie zur Ülebung der deutschen   Zunge mitgeteilt sei, Strbsté( sprich: Schtrbskeh) Plesso, was wörtlich Csorbajee bedeutet. Eine elektrische Bahn führt nach dem altberühmten Luftkurort Schmed 3, madjarisch Tatrafüred, slowakisch Smołoweg. Das liegt ganz wunderschön am Berghang, der Wald zieht durch den Ort, herrliche Billen, gepflegte Wege und Anlagen, ein Riesenhotel mit Geschäften geben ihm das Ansehen einer großbürgerlichen Sommerfrische. In einiger Entfernung stehen gewaltige Heil­anstalten für Lungenkranke mit großen Liegehallen, zurückgebauten Stockwerfen, Sonnenbaltons mit Ruhebetten und allem Lurus. Im Winter ein ideales Stigelände.

Nach 10tägigem Aufenthalt in einem ihrer Kurorte, Sommer­oder Winterfrischen gewährt die tschechoslomatische Staatsbahn halben Rückfahrpreis, selbst für den längsten Umpeg.

Die Zips

Bahnstation für Schmecks ist Poprad  , ein Städtchen am gleich namigen Bergfluß, der von der nahen polnischen Grenze herunter fommt und das alte deutsche   Siedlungsgebiet des Zipser Landes durchfließt. Seine Hauptstadt sozusagen ist es mark, der Name dieser weit überwiegend deutschen   Stadt ist auf dem Bahnhof in Kesmarok verwandelt. Hier steht eine mehrhundertjährige große Holztire eigenartigster Bauweise, mit der urväterischen Wirts stube daran, der Keimzelle dieser schwedisch  - protestantisch beeinfluß­ten Kirche. Längst ist auch eine neue Luther- Kirche da, doch am Ostersonntag wird der imposante Holzbau noch benutzt.

Hier in Kesmart steht auch die ruinenhafte Burg des Groß­fürsten Tököly von Ungarn   und Siebenbürgen  , der einst mit Hilfe der Türken die Habsburger   bekriegte, schließlich aber ins Osmanenreich flüchten mußte. Aus Kleinasien   hat man seine Reste samt dem Grab geholt und alles feierlich, noch zur Habsburger 3eit, in der neuen Kirche untergebracht. Zerschliffene Fahnen hängen darüber. Die Burg aber ist jetzt tschechoslowakische Artillerie­faserne und, wie in fast allen flowafischen Garnisonen, find es judetendeutsche Burschen, die in der erdbraunen Uniform mit Knie­hosen ihre 18 Monate Dienstpflicht abmachen; die slowakischen,

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Start ist in der Slowakei   der jüdische Bevölkerungsteil, typische Ostjuden mit ihrer Jargonsprache, von der jedoch die Jugend pft nur noch Anklänge und Betonung hat. Ueberall sieht man auch 3igeuner. Sie wohnen meistens außerhalb der Orte in eigenen Dörfchen aus fümmerlichen Häuschen mit lückenhaften Dächern und fast ohne Einrichtung, auch in verlassenen Steinbruchhöhlen usw. Kaum fann das Zigeunerfind laufen, bettelt es schon: Daj grej­aari!"( Bib Kreuzer das altösterreichische Kleingeld, das schon vor bald 40 Jahren gesetzlich durch zwei Heller ersetzt wurde. In 100 Heller ist auch die 12,5 Pf. gleiche Tschechenkrone geteilt, während Deutschösterreich und Polen   ihre Kleinmünze Groschen nennen.) Die noch tragebedürftigen Kinder werden von der Mutter oder Schwester blitschnell mit einem Tuch ummickelt und auf der Rücken gehuckt fertig! Man hat verschiedentlich, besonders in Kar­pathorußland, Zigeunerschulen errichtet, die oft recht elend und trant aussehenden Kinder dieses indischen Volfes lernen schnell

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Die Burg des Rebellen Tököly

in Kesmark  . Im Turm wird ein Museum eingerichlet, im Haus ist ein Textilbetrieb

und gut, aber ewig fann man sie nicht in der Schule lassen und was dann? Den Zigeuner hält sich auch der ärmste Kleinbauer fern, läßt ihn höchstens mal ein Pferd beschlagen, einen Kessel flicken usw., aber schickt ihn schleunigit weg.

In einem slowakischen Ort wohnten wir dem Erntefest bei, mit Aufmarsch der schönsten kunstvollsten Volkstrachten, dröhnender Blechmusik der Bauernburschen, Ausstellung besonders gut ge= diehener Früchte und einem großen Tabor"( Meeting). Es sprachen nur Bauernführer, ein Abgeordneter und ein Jugend­vertreter darunter. Es waren dieselben Klagen über den niedrigen Berdienst an den Bodenerzeugnissen und die hohen Preise der In­dustriewaren wie sonstmo vieler Bauern. Aber fein Wort gegen. den Staat und erst recht feines gegen die demokratisch- parlamen­tarische Republik  . In der Tschechoslowakei  , so viele Nationen sie umfaßt, so sehr auch fie Massenarmut und Klaffengegensätze fennt- Monarchisten und Faschisten haben in ihr hohen Seltenheitsmert. Richard Bernstein.

Irrenpflege einst und jetzt

Gründliche Besserung durch den neuen Staat

Immer noch besteht ein gewisses Vorurteil gegen das Pflege| handlung, die sich meist auf lange Zeiträume erftredt, noch mehr personal der Heilanstalten. Erzählt man jemandem, man sei Irren­pfleger, so wird man erst ein wenig zweifelnd angesehen, weil man nicht zwei Meter zehn groß ist. Und dann denkt oder sag: der Be­treffende, je nach Temperament: Na, Mensch, marum biste da nicht lieber bei Hitlern seiner SA. jegangen? Da wirfte doch wenigstens für die Bolzerei anständig bezahlt."

Meist denkt sich der Außenstehende unter einer Heilanstalt eine Art Zuch für ihn ist sie auch immer noch das Irrenhaus" haus, in dem der Wärter, mit einem riesigen Schlüsselbund als Waffe, nichts anderes zu tun hat, als Ruhe zu sichern. Gewiß, es war früher so. Da sperrte man noch am Ausgang des Mittelalters die Irren mit Mördern und Räubern zusammen ins Zuch.haus, und waren sie unruhig, so legte man sie in Ketten. War der Un­glückliche aber noch dazu ortsfremd, so schob man ihn einfach über die Stadtgrenze ab und verabreichte ihm als Dentzettel außerdem eine gehörige Tracht Prügel.

Nicht mehr Schreckensherrschaft

So ist es nich: mehr, und diese Kulturtat, den Geistesfranfen als das, was er ist, nämlich als franken Menschen anzusehen und zu behandeln, nicht als vom Teufel Besessenen, den man durch Gebete und geistlichen Zuspruch und, wenn das nicht half, durch den Scheiterhaufen rettete", sollte man der Wissenschaft nicht vergessen. Die Menschen, denen heute der Geistestrante anvertraut wird, find keine Bärter" mehr, und das Schlüsselbund, das sie haben, ist wohl faum größer als das der meisten anderen Menschen. Es find auch nicht mehr Landstreicher und Tippelbrüder, die man von der Landstraße hereinholte, weil sich sonst niemand dazu fand. Der Irrenpfleger wird heute in Krankenpflegerschulen wie jeder andere Pfleger ausgebildet und muß dann noch an einem besonderen Kurjus über Irrenpflege teilnehmen. So vorbereitet tritt er seinen Beruf an, der nicht minder verantwortungsvoll und aufreibend ist wie der einer Krankenschwester. Er hat weniger Krante zu be treuen( ein Pfleger etwa zehn Leicht- oder fünf Schwerkranke), da­für beruht diese Betreuung aber auch auf ganz anderen Grundsätzen. Der Arzt, der ungefähr hundert(!) Kranke behandeln soll, fann dies natürlich nur sehr unvollkommen. Die Durchführung der Be.

die Beobachtung der Kranken, ohne die eine sichere Diagnose oft gar nicht möglich ist, liegt fast ganz in den Händen des Pflegers. Sehr viel Liebe zum Beruf und noch mehr Liebe zu diesen armen Menschen ist nötig, um hier wirklich ganze Arbeit zu leisten. Und wie wurde noch bis vor kurzem diese Arbeit entgolten?

Harter Dienst

Die Arbeitszeit: 14 Stunden und mehr. Man überlege, was das z. B. heißt bei Dienst im Baderaum. 20 Wannen neben­einander, in jeder ein aufs höchste erregter, unzurechnungsfähiger Mensch.( Die Dauerbäder dienen besonders zur Beruhigung auf­geregter Bazienten.) Die Arbeit in dieser dampfgeschwängerten Atmosphäre fann man sich wohl ungefähr vorstellen. Und vier. zehn Stunden hintereinander!

Die Entlohnung? Bis 1918, unterstand das Pflegepersonal der Gefindeordnung. Es mußte in der Anstalt wohnen, wurde dort verpflegt wie, ist eine andere Frage und bekam 40, höchstens 50 m. monatlich als Lohn.

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Man kann sich heu.e faum noch vorstellen, unter welchen Be­dingungen erwachsene Menschen vor wenigen Jahren noch lebten. Der Dienst dauerte also 14 Stunden. Die übrigen 10 Stunden war aber Dienstbereitschaft! Mitten in der Nacht wurde man aus dem Bett gehol, wenn es sein mußte. Einmal in der Woche gab es Ausgang, einen halben Tag, versteht sich. 3u bestimmter Tages. zeit durfte man zum Briefkasten pilgern, jedoch beileibe nicht das weibliche und männliche Personal zur gleichen Zeit!

Mit dieser modernen Sklavenhaltung hat die Revolution gründlich aufgeräumt. In hartem Kampf ist es den freien Ge werkschaften gelungen, bereits fast der Hälfte des Pflege­personals den Achtstundentag zu verschaffen und auch für die übri= gen ist die Arbeitszeit auf höchstens 10 Stunden beschränkt. Ebenso ist der 3wang, in der Anstalt zu wohnen, beinahe überall aufge­hoben. Heute ist der Irrenpfleger, gleichwertig seinen Kollegen im Krankenhaus in der Ausbildung, ein hochqualifizierter Ge­sundheitsarbeiter, ein freier Mensch. Wem er dies verdankt, meiß er. Die ständig wachsende Zahl der in den freien Gemertschaften Stud. Erwin Brauner. Organisierten beweist es.