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BERLIN Sonnabend

27.September 1930

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW 68, Lindenstr. 3

10 Pt.

Nr. 454

B 226

47. Jahrgang

66 Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillejeile

Spätausgabe des Vorwärts"

80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b. S., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Donhoff 292 bis 297

Revolte gegen das Reichsgericht

Diktatur Verschwörung gegen den Untersuchungsrichter

Die Verhandlung vor dem Straffenat des Reichs­gerichts wegen des Hochverrats der Reichswehroffiziere wächst sich nachgerade zu einem öffentlichen Skandal aus. Nicht nur, daß die Mehrzahl der als Zeugen vernommenen Offiziere unter Eid offen be kunden, sie wären mit der nationalsozialisti= schen Gesinnung der Angeklagten durchaus

Aus dem Inhalt:

Mussolini vor dem Brüsseler Gericht Die Not der Städte.

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Besuch beim Heiratsvermittler

Zörgiebels Brief an Berliner Jungen.

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Gemeinschaftsemptang im Radio

Besuch bei Geldverleihern

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einverstanden und diese nationalsozialistische rebo­lutionäre Stimmung sei die der Mehrzahl sämt licher Reichswehroffiziere, es hat sich jetzt auch noch so etwas wie eine Offiziers verschwörung gegen den beauftragten Untersuchungsrichter des Reichs gerichts herausgestellt.

Schon die gestrige Verhandlung zeigte eine Ein­heitsfront zwischen Verteidigern, Angeklagten und einer Reihe von Reichswehrzeugen gegen den Land­gerichtsdirektor Braune, der auftragsgemäß die Unter­suchung zu führen und die Verhaftung der Beschuldigten vorzunehmen hatte. Heute war im Reichsgericht sogar das Gerücht verbreitet, die drei Verteidiger hätten gegen den Landgerichtsdirektor eine Strafanzeige wegen Meineides erstattet. Das wurde zwar von den Verteidigern dementiert, aber es wurde zugegeben, daß ein sehr jugendlicher Zeuge", also augenscheinlich einer der vernommenen Offiziere, sich an die Anwälte mit der Anregung gewandt hätte, diese An­zeige zu erstatten!

Schon diese Tatsache beleuchtet die Atmosphäre, in der im Reichsgerichtsjaal gegenwärtig noch ,, Recht ge­sucht wird. Erst auf Veranlassung des Reichsanwalts konnte der Untersuchungsrichter heute noch einmal eine Erklärung über jeine Vernehmungs­methoden abgeben, nachdem vorher eine halbe Stunde lang hinter verschlossenen Türen mit dem Senat darüber verhandelt wurde.

Die Szene im Straffenat.

Der Untersuchungsrichter Braune fagte bei seiner neuen Ber nehmung: Ich möchte hier noch einmal ergänzend auf meine bis­herigen Aussagen eingehen, und ich erkläre ausdrücklich, daß das, was ich heute sage, auf meinen 3eugeneid geht. Man hat mir hier im Saal vorgeworfen, daß ich den Beugen bestimmte Worte in den Mund gelegt, daß ich ihnen gewissermaßen den Be griff von der nationalsozialistischen Zellenbildung aufottron iert habe. Ich erkläre auf das bestimmteste, daß ich niemandem eine Aussage in den Mund gelegt habe. Für mich war der Rahmen dieser Untersuchung gegeben durch das Verfahren der Reichsanwalt schaft. Außerdem hatte mir der Angeflagte Ludien gleich bei seiner ersten Bernehmung erklärt, er habe Verbindung mit der Na­ tionalsozialistischen Partei aufgenommen, er habe sich verpflich tei, für diese zu arbeiten, und er habe Fühlung genommen mit einer Anzahl Kameraden, um für die Parteizu werben. Ich habe eine Reihe von Offizieren als Zeugen danach fragen müssen, ob sie für die Nationalsozialistische Partei gewerben werden sollten. Ich habe meiner bestiminten Erinnerung nach das Wort von der Zellenbildung in der Reichswehr nicht zuerst gebraucht. Wenn hier die Zeugen das Gegenteil behaupten, so ver­mechseln sie das entweder oder sie haben damals dieses Wort aus der Presse entnommen, die ja lange Zeit ausführlich sich mit dem ganzen Fall beschäftigt hat.

Reichsanmalt: Der Herr Untersuchungsrichter mußte ja nach Lage der Dinge annehmen, daß hier eine nationalsozialistische

Der Weg zur Hitler Regierung.

Das Zentrum zwischen rechts und links.

"

Das Tauziehen in der Mitte geht weiter. Die Germania " wendet sich sehr ärgerlich gegen die Wirtschaftspartei, die mit ihren Beschlüssen dem Zentrum jede Wiederannäherung an die Sozial­demokratie unmöglich machen will:

Entscheidend für die politische Auffassung der Wirtschaftspartei ist der Sag, sie werde sich an feiner Regierung, weder aftio noch duldend, beteiligen, auf welche die Sozialdemokratie direkten oder indirekten Einfluß nehme". Damit ist eingetreten, was wir erwartet haben: die Mehrheitsbildung auf dem Wege einer Großen Koalition wird verbaut. Denn ohne die Wirtschaftspartei hat dieses Gebilde feine Mehrheit. Der Beschluß der Wirtschaftspartei ist negativ. Sie sagt nur, was sie nicht will. Was will sie denn in positiver Richtung? Die Parteien, die fich schon heute festlegen, und die nicht einmal das Regierungsprogramm abmarten, sollen uns doch endlich einmal sagen, mie fie fich die 3ufunft eigentlich denken. Uns scheint, daß die Gedanken derer, die unter keinen Umständen mit der Sozialdemokratie gehen wollen, nicht schwer zu erraten sind.

Sie wollen eben unter allen Umständen mit den National

sozialisten gehen.

Können Volkspartei und Wirtschaftspartei ein Regieren mit den Sozialdemokraten verhindern, weil es ohne sie keine Mehrheit gibt, so kann das Zentrum ebenjogut ein Regieren mit den Nationalsozia­listen verhindern, denn ohne das Zentrum gibt es feine Mehrheit nach rechts.

Bis jetzt hat kein Zentrumspolitiker die Möglichkeit angedeutet, daß es zur Bildung einer parlamentarischen Regierung von Goebbels bis Brüning fommen fönnte. Das schließt natür­lich nicht aus, daß solche Gedanken in der Stille erwogen werden. stehender Politiker für eine Hitler- Regierung ausgesprochen, und Laut und offen hat sich bisher nur ein dem Zentrum nahe das ist der ehemalige Bundeskanzler und kommende Außenminister Desterreichs, Prälat, Seipel. Er hat in Kopenhagen einem Ber treter von Aftonbladet" folgendes auseinandergesetzt:

Außerdem, meine ich, daß die alten Parteien in Deutschland jetzt versuchen sollten, wirklich zu beweisen, daß sie demokratisch| sind und sich vor dem Bolts willen beugen. Es ist un­demokratisch zu sagen, daß man nicht mit einer Partei zusammen arbeiten wolle, die durch die Wahlen gewonnen hat. Ebenso menig glaube ich, daß eine Partei, die über 100 Mandate gewonnen hat, weiter als eine antiparlamentarische Partei bezeichnet werden fann. Es sollte deshalb für andere Parteien möglich sein, mit ihr zusammenzugehen, damit auch die Nationalsozia. listen das Mögliche vom Unmöglichen unterscheiden lernen. Ich

Justizminister gegen Justiz.

Bredt verhinderte Zweigert gegen Hitler auszusagen. Der ,, Sozialdemokratische Pressedienst" schreibt:

Als der 4. Straffenat des Reichsgerichts dieser Tage die Unge­schicklichkeit beging, Hitler ohne jede innere Berechtigung als Zeugen

empfinde es als ein gutes Zeichen, daß seitens der Nationalsozia listen gesagt worden ist, daß sie feinen Einfluß auf die Außen­politif ausüben wollen, sondern nur auf die Innenpolitik.

Herr Seipel, der, als er dem Zentrum diese guten Ratschläge gab, über die Sachlage offenbar nur sehr notdürftig unterrichtet war, ist ja bekannt als 2postel jener ,, echten" oder gesunden" Demo­fratie, die sich auch durch die Lupe nur sehr schwer von Heimwehr­diktatur und Faschismus unterscheiden läßt. Er ist ein Spezialist in der Kunst, mit demokratisch flingenden Gründen die Demokratie umzubringen. Sein Auftreten ist symptomatisch von hoher Be­deutung.

Wenn das Zentrum verjeipelt, wird Deutschland sehr bald verhitlert sein!

Rechtsfoalition ift logisch.

Paris , 27. September. ( Eigenbericht.)

mit den Parteien werden in Paris mit großer Spannung erwartet, zumal am Freitag hier schon infolge einer Falschmeldung das Ge­rücht verbreitet war, daß Brüning jich mit Hitler geeinigt

Die bevorstehenden Berhandlungen des Reichskanzlers Brüning

habe.

allein schon aus faffischen Gründen mit den Nationalsozialisten in Gewiß müsse Brüning , so erklärt heute der Petit Parisien", tönnten, sie seien trotz ihrer Fraktionsstärke nicht gefragt worden. Verhandlungen eintreten, damit diese nicht behaupten Außerdem läge eine Rechtskoalition in der Logik der Dinge, und ein Erperiment einer Hitler- Regierung würde sicherlich das deutsche Volk mit Geschwindigkeit vom faschistischen Wahnsinn heilen. Curtius bleibt, Henderson fährt.

Genf , 27. September.! Reichsaußenminister Dr. Curtius wird nicht, wie ursprüng­lich vorgesehen, am Sonnabend nach Baden reisen, sondern bis zur Beendigung der Völkerbundsversammlung in Genf bleiben.

Der britische Außenminister Henderson ist heute abend ab­gereist, um rechtzeitig zu der letzten Vorbereitung der Reichse konferenz in London einzutreffen. Henderson hatte im Laufe des Nachmittags mit dem deutschen Außenminister Dr. Curtius eine interredung, in der von aktuellen Völkerbundsfragen, u. a. auch die Frage der Reorganisation des Völkerbundssekretariats besprochen wurde..

verweisen und seinen Erklärungen gegenüber bestimmtes Material bekanntgeben zu lassen. Noch ehe es soweit ist, fällt ihm der Hüter unserer Justiz, Herr Bredt, in den Arm und tritt an die Seite Hitlers in der bewußten Absicht, die von der Wirtschaftspartei erstrebte Ehe mit Herrn Hitler nicht irgendwie beeinträchtigen zu lassen!

Hütten.

Gleiwi, 27. September.

Philipp, wurden gestern Schlichtungsverhandlungen im Tarifftreit Unter Vorsitz des Schlichters für Schlesien , Oberpräsident zwischen dem Arbeitgeberverband für die oberschlesische Montan­industrie und den Gewerkschaften über ein neues Cohn- und Arbeitszeitablommen für die oberschlesischen Eisenhütten geführt. Nach ergebnislosen Borverhandlungen wurde eine Schlich­tungskammer gebildet, die gegen abend einen Schiedsspruch fäilte, wonach die bisherigen Abkommen im wesentlichen bis Ende September 1931 verlängert werden.

zu laden, betrachteten gewisse Stellen der Reichsregierung aus all. Montanschiedsspruch in Oberschlesien. gemein politischen Gründen auch die Entfendung eines Bertreters der Reichsregierung für unbedingt erforderlich. Man war Bertreters der Reichsregierung für unbedingt erforderlich. Man war Lohn- und Arbeitszeitfchiedsspruch für die oberschlesischen fich insbesondere im Reichsinnenministerium flar darüber, daß Hitler fich in Leipzig in die Reichsregierung hineinschwören", alle Schandtaten der Bergangenheit und frühere Aeußerungen über illegale Abfichten a bleugnen würde. Es war demgegenüber die unbedingte Pflicht der Reichsregierung, in Leipzig auf die Ber: gangenheit des Herrn Hitler , seine bisherigen Bestrebungen und das über die illegalen Absichten seiner Bewegung vorliegende Material hinweisen zu lassen. Also entschied man sich im Reichswehrministerium zu der Entsendung des Staatssekretärs Dr. 3 weigert und machte den Mitgliedern der Regierung wegen der eventuellen politisch en Auswirtung seiner Erklärungen vor dem Leipziger Gericht ent­sprechende Mitteilung. Bredt, der Justizminister des Reiches, pro­teftierte gegen die Reise Zweigerts nach Leipzig , drohte mit seinem Rücktritt und gab sich schließlich mit der Entsendung nur unter der Voraussetzung zufrieden, daß Zweigert über be= stimmte Erklärungen nicht hinausgehe. Mit ge bundener Marsch route trat 3meigert dann seine Reise an. Man stelle sich vor: Das Reichsinnenministerium ist im Besitz bestimmter Materialien über illegale Absichten Hitlers . Es fühlt sich aus politischen und verfaffungsrecht lichen Gründen verpflichtet, in Leipzig Hitler in die Schranken

Botschaftertätigkeit in London von dem Deutschen Verein Londons . Boffchafter Dr. Sthamer verabschiedete fich nach zehnjähriger

Der fatalanische Unabhängigkeitsführer Oberst Macina, der einst mit einer Handvoll Freiwilligen von Perpignan aus zum Kampf Eril heimlich nach Barcelona zurückgekehrt. Er wurde bald ent­gegen Primo de Rivera aufbrechen wollte, ist aus seinem Brüsseler automobil nach einer bisher unbekannt gebliebenen Bestimmung bedt und verhaftet. Nach einer furzen Bernehmung wurde er im weitergeschafft.