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BERLIN Montag 29.September 1930

Der Abend

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Nr. 456

B 227 47. Jahrgang

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Arbeitszeitfürzung hilft den Arbeitslosen

Der Kampf der organisierten Berliner Metallarbeiter um die 40- Stunden- Woche

Die Funktionäre der Berliner Metallarbeiter haben be­

fanntlich aus Solidarität beschloffen, für eine starke Ber­fürzung der Arbeitszeit

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von 48 auf 40 Stunden wöchent­lich zu kämpfen, um auf diese Weise Tausenden und Zehn­tausenden von arbeitslosen Kollegen Arbeits- und Erwerbs­möglichkeiten zu schaffen. Das ist eine Aftion aus dem Geiste des praktischen Sozialismus, deren Bedeutung den nicht­organisierten seien es Proletarier, feien es Bourgeois erft klar gemacht werden muß. Auf Wunsch der Redaktion des Abend" stellt Otto Toft. Vorstandsmitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes, den gewerkschaftlichen und politischen Sinn dieser Aktion zur Behebung der Not der Arbeitslosen dar.

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Das Wahlresultat hat gezeigt, daß weite Kreise der Arbeiterschaft und des Bürgertums in einer hoffnungslos verzweifelten Stimmung fich für die Kommunistische und Nationalsozialistische Partei ent­schieden haben. Die große Arbeitslosigkeit hat diese Stimmung mit erzeugt und dazu beigetragen, daß diese Kreise in ihrer Verzweiflung das wirtschaftspolitisch Mögliche außer acht gelassen haben. Es ist deshalb notwendig, daß gerade diesem Problem größte Aufmert­famkeit zugewendet und alles getan wird, um die Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit zu beseitigen. Die gegenwärtige Regierung läßt jede durchgreifende Tätigkeit vermissen. Die Arbeitgeberverbände tragen durch ihre Forderung des Lohnabbaus noch weitere Beunruhigung in die werktätig schaffenden Kreise hinein. So gehen wir einem Winter entgegen, dessen Arbeitslosigkeit fatastrophal

werden wird, wenn nichts Durchgreifendes geschieht. Da schon ge­nügend Explosivstoff vorhanden ist, muß damit gerechnet werden, daß eine nicht mehr zu steigernde Berzweiflung weite Boltsteile ergreift und eine Katastrophe unvermeidbar wird.

Die Arbeitgeber stehen auf dem Standpunkt, daß

die Ankurbelung der Wirtschaft nur durch Herabsehung der Ge­stehungskosten möglich ist.

Eie verlangen Abbau der Löhne und Soziallaften. Dieses Verlangen ist volkswirtschaftlich begreiflich, da es die Verzweiflung steigert und eine größere Arbeitsmöglichkeit nicht erreicht wird. Es besteht fast gar keine Aussicht, daß durch Kapitalinvestierungen Erleichterung geschaffen werden könnte. In den meisten Industrien ist der Pro­duktionsapparat so ausgebaut, daß er bei weitem nicht ausgenügt werden kann. Bei dem mangelnden Vertrauen des In- und Aus­landes, hervorgerufen durch den Ausgang der Wahl, find langfristige Geldkredite auch faum noch aufzutreiben. Durch die ständig zu­nehmende Kapitalflucht wird dieser Zustand außerordentlich ver­schärft. Die Ausfuhrmöglichkeiten zu steigern, besteht ebenfalls feine Aussicht. War diese Möglichkeit bei den bestehenden Löhnen noch in den letzten Jahren gegeben, so muß jetzt festgestellt werden, daß man durch eine verkehrte Zoll- und Handelspolitik das Ausland zu Gegen­maßnahmen herausgefordert hat, die den Export von Fertigwaren behindert. Es bleibt also zur Belebung der deutschen Wirtschaft nur der Innenmarkt.

Der Abbau der Löhne würde die Kauftraft auf dem Innenmarkt noch weiter schwächen und dadurch nur vermehrte Arbeitslosig­feit eintreten.

Wer ernst genommen werden will, muß andere Wege weisen, zumal die Löhne und Gehälter der Arbeiter, Angestellten und Be­amten in Deutschland inklusive der Sozialleistungen wahrlich nicht eine Höhe angenommen haben, daß ein Abbau erfolgen fann. Zu­mal niemand mehr den Versprechungen über Preisabbau Glauben schenkt.

Anläßlich der Lohnverhandlungen in der Berliner Metallindustrie haben die Arbeitnehmer den Vorschlag gemacht, die 40- Stunden­Woche einzuführen, ein Vorschlag, der einer eingehenden Prüfung mert ist. Er wurde gemacht, als die Verhandlungen der beiden Parteien resultatlos zu verlaufen drohten. Die Arbeitgeberseite wollte diesen Vorschlag einer eingehenden Prüfung unterziehen. Die dem ADGB. angeschlossenen freien Gewerkschaften haben eine Verkürzung der Arbeitszeit dem Stande der Rationalisierung entsprechend in der gegenwärtigen Krise gefordert. Es bleibt kein anderer Aus meg, wenn man ernstlich an die Behebung der Arbeitslosigkeit herangehen will. Es muß bei einer Verkürzung der Arbeitszeit selbstverständlich die Bedingung gestellt werden, daß eine

entsprechende Anzahl von Arbeitslosen in die Betriebe auf­genommen

werden. Darüber hinaus muß Borsorge getroffen werden, daß werden. Darüber hinaus muß Borsorge getroffen werden, daß seitens der Arbeitgeber bei ansteigender Konjunktur nur dann die Arbeitszeit verlängert werden darf, wenn der zur Berfügung stehende Produktionsapparat ausgenügt ist. Wenn dieser Weg beschritten wird, und zwar nicht nur für die Berliner Metallindustrie, sondern für die gesamten Industrien des Reichs, so würde eine nicht unerhebliche Entlastung des Arbeitslojenmarktes eintreten. Die

Nazis werden weiterzahlen

Gie biedern sich koalitionsbereit der

Welt an- Nicht gegen den Besitz

London , 29. September. ( Eigenbericht.) alle unter seinen Willen zu beugen, derselbe Hitler empfiehlt sich Der Sunday- Expreß vom Sonntag enthält einen Artikel im Daily Expreß " den bürgerlichen Barteien Deutschlands als ein Hitlers, der die Ueberschrift trägt: Meine Forderungen an die guter Geschäftsteilhaber, als guter Christ, als Beschützer des Rapi­Welt." Was fordert Hitler? Vom deutschen Volk die Regierungs- tals und als treuer Fürsprecher der deutschen Scharfmacher. Kein Wort mehr gegen die Juden, gegen die jüdische Börse. geschäfte, was aber streng legal und durch Reichstagswahlen er­reicht werden soll. Beileibe keinen Putsch. Bom Ausland will er Dem Ausland weist er seine Regierungsfähigkeit nach, indem er die Revision des Versailler Vertrages, des Young- Planes und die fich ihm als Retter und Verbündeter gegen den Bolsche wis Rückgabe des Polnischen Korridors erzwingen. Wenn das mus und gegen die Sozialdemokratie vorstellt. Deshalb bettelte deutsche Volk leiden müsse, so solle es durch ein Rein gegenüber Bündnis mit England, dessen Regierung den Namen von er am Sonntag in dem Blatt des Lord Rothermere um das der Welt geschehen und nicht durch ein Ja. Also keine Erfüllungs­politit! Wie soll das unter einer Regierung Hitlers vonstatten Macdonald trägt. Deshalb schreibt er am Sonntag seinen Artikel gehen? Durch Krieg? Behüte! Hitler denkt nicht daran. Wie aber? für Lord Beaverbrook , den zweiten großen Deutschlandhasser unter den englischen Pressemagnaten, den zweiten englischen Anbeter der Durch den gemeinsamen Willen des deutschen Volkes, bis das Gewalt und des Versailler Vertrages. Ausland sich von ihm überzeugt hat."

So fagt Hitler wörtlich. Mithin: wenn Herr Hitler die Regierung übernehmen würde, wird er weiterzahlen, wenn er auch in

Aus dem Inhalt:

Am Tage nach dem 14. September war Hitler ein Problem für Europa und eine Gefahr. 14 Tage sind verstrichen, und der Observer" zitiert am Sonntag auf ihn ein Wort des deutschen Musiters Hans von Bülow :

W

,, Ein Tenor ist fein Mann, er ist eine Krankheit." Als einen größenwahnsinnigen Schmäher sieht ihn das Ausland Wo hatten die Nazis am meisten Erfolg? Seite 3 heute, und es fann nach dem Artikel im Sunday Expreß " nicht lange dauern, bis auch in Deutschland die Massenflucht vor ihm 164- Stunden- Kilometer auf der Avus. beginnt. Die Londoner Montagsbörse dürfte im Zeichen des Auf­Berliner Kinderparadies Nest. ftiegs der deutschen Wertpapiere stehen.

Seite 4

Seite 5 Selbstdarstellungen Bernsteins u. Kautskys Seite 6

Berliner Arbeiterjugendweihen .. Seite 8 Intelligenzprüfungen bei den Buchdruckern Seite 5 Die Hitler Neurose auf der Tagung der Individualpsychologen.

"

Seite 8

seinem Artikel noch so sehr gegen die Erfüllungspolitiker und gegen die Erfüllungspolitik der Sozialdemokratie, des Zentrums und der Demokraten herzieht. Gegen die Deutsche Volkspartei und gegen jenen Teil der Deutschnationalen, die den Dames- Plan mitange­nommen haben, sagt Hitler nichts. Hitler erläutert dann, was er und seine Partei unter sozialistisch" verstehen und was sie als ,, Sozialisten " verlangen. Wir sind teine Marristen. Marris­mus bedeutet Feindschaft gegen den Besiz( Antiproperty), wahrer Sozialismus tut das nicht... Ich werde beschuldigt, ich sei gegen den Besitz, ich sei Atheist. Beides ist falsch." Und so tommt Herr Hitler zu dem Schlußergebnis: Das Ausland iſt dabei, Deutschland zu boljchemijieren. Europa ist blind, wenn es glaubt, dabei immun bleiben zu können. Deutschland will aber allen und der Welt zunuze sein. Deshalb vertraut auf mich, laßt euch von mir raten, seht in mir feinen schwarzen Mann, sondern nur den Freund, der euer Bestes will!"

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Das sind die Ziele und Ansichten Hitlers , herausgeschält aus allen schwülstigen Redensarten, mit denen er in Deutschland bisher auf den Dummenfang ausgehen konnte. Er, Hitler, der gegen die alten verlotterten Parteien, gegen die Demokraten, gegen Weimar , gegen die verfaulten Führer, gegen die Novemberverbrecher und gegen die ganze Welt im Reichstagswahlkampf ausgezogen ist, um

27000 Granaten explodiert!

Französisches Munitionslager in die Luft geflogen. Paris , 28. September.

27 000 Granaten sind in letter Nacht, wie dem Matin" aus Ranch gemeldet wird, in einem Munitions. depot explodiert. Unweit von Lunéville befinden sich fünf große Baracken, in denen Munitionsvorräte unter­gebracht sind. Dort liegen etwa 140 000 3,7-3entimeter­Granaten. Eine dieser Baraden explodierte mit 27 000 Granaten und 40 Maschinengewehrpatronen- Kästen. Die Patronenhülsen wurden durch die Explosion teilweise 500 Meter fortgeschleudert. Soweit die ersten Feststellungen ergeben haben, soll es sich nach der Matin"-Depesche um eine vorsäglich verursachte Explosion handeln, ähnlich denen, die sich gegen Ende des vergangenen Jahres in mehreren Pulverfabriken in Frankreich ereigneten. Die beiden Wachtposten erklärten bei ihrem Verhör, sie hätten gegen Mitternacht verdäch tige Geräusche wahrgenommen.

Wirth meint, das Zentrum hält Hitler nicht aus

Das Organ des Reichsinnenministers Wirth, die ,, Deutsche Re­publif", nimmt zur Frage der Beteiligung des Zentrums an einer Regierung mit den Nationalsozialisten wie folgt Stellung:

Die deutsche Zentrumspartei hat sich in den letzten Jahren innerlich sehr gefräftigt und ihre Führer werden feine Neigung ver­

spüren, alte Wunden aufzureißen. Jedes cffene oder versteckte Baftieren mit den Nationalsozialisten müßte das Gefüge selbst dieser von so wirksamen Bindungen zusammengehaltenen Partei unheil­bar zersprengen."

Um so besser!

Frankreich bleibt friedlich-

sagen Tardieu und Peret.

am

Paris , 29. September. ( Eigenbericht.) Der französische Ministerpräsident Tardieu erklärte Sonntag in Alencon unter Bezugnahme auf die deutschen Wahlen, daß Frankreich seine friedliche Außenpolitit fortjeßen werde. Auch der Justizminister Beret, der am Sonntag in einer Pro­vinzstadt sprach, betonte, daß Frankreich nicht in der Lage sei, eine Gewaltpolitit gegen Deutschland zu führen. Diese Po­litit würde größere Rüstungen verlangen, wozu aber die Burget= einnahmen Frankreichs nicht ausreichten.

Der radikale Parteiführer Daladier protestierte in einer Rede in Orange gegen die nationalistischen Quertreiber in Frank­ reich , die immer lauter zu behaupten wagten, daß die Locarno­politit Schiffbruch erlitten habe.

Großfeuer in Lichtenberg .

In einem Schuppen der Gußstahlfabrik Hartung in Lichfen­berg in der Herzbergfir. 123 brach am Sonntagmittag ein Feuer aus, das nach kurzer Zeit auf zwei weitere Schuppen und ein Fabrik­gebäude übersprang. Die Feuerwehr konnte das Feuer im Fabrit. gebäude fehr schnell eindämmen und löschen, die Schuppen brannten

aber nieder.

In einem Schuppen auf dem Hof der Fabrit lagert Handwert. zeug und Eisen. Im gleichen Schuppen befindet sich auch eine elet. trische Anlage mit einem Heizwiderstand. Bermutlich ist dieser Heizwiderstand am Sonnabend nicht ausgeschaltet worden, die feinen Drähte wurden überhißt, zersprangen und entzündeten einen Holz­

stapel. Das Feuer schwelte erst einige Stunden. Dadurch ver­breitete sich das Feuer immer mehr und plößlich schlugen hohe Flammen aus dem Schuppen. Als die Feuerwehr unter Leitung

von Branddirektor Hammer und Baurat Günther eintraf, war das Feuer bereits auf die zwei weiteren Schuppen und das Fabrit­

gebäude übergesprungen. Die Feuerwehr hatte mehrere Stunden schwer zu arbeiten.