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Morgenausgabe

Nr. 457

A 230

47.Jahrgang

Böchentlich 85$ 1., monatlich 3,60 R. im voraus zahlbar, Boftbezug 4,32 einschließlich 60 Pfg. Boftzeitungs- und 72 Pfg. Poftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6,- M. pro Monat. *

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

30. September 1930

Groß Berin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5,- Reichs mart. Kleine Anzeigen" das fettge brudte Bort 25 Pfennig zulässig zwei fettgedruckte Borte), jedes weitere Wort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben Arbeitsmarkt zählen für zwei Worte. Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr,

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Wo steht

Die Pläne der Regierung. Bo flebt die Mehrheit?

-O

Beamtengehälter sollen um sechs Prozent gekürzt werden. gegenüber der Arbeitslosenversicherung?

Das Reichslabineff wird heute seine Beschlüffe in einer ausführ­lichen Darstellung veröffentlichen.

abgelehnt.

Versackungspolitik

und wenn es mit dem Reichstag nun eiumal nicht geht, muß der Versuch der Rettung Deutschlands auf anderem Wege unter­nommen werden.

Das Kabinett hat noch gestern abend feinen Beschluß auf Um­wandlung des Notopfers der Beamten von Proz. in eine Reichs. Je ungestörter die Regierung die notwendigen Maßnahmen in die hilfe von 5 Proz. umgestoßen. Es hat statt deffen eine generelle Wege leiten fann, um so rascher wird die Demokratie mieber in ihre Gehaltstürzung für alle Beamte in Höhe von Rechte eingesetzt werden. Das viel mißbrauchte Wort von der Notwendigkeit einer starten 6 Pro 3. beschlossen. Ein Antrag auf Kürzung von 10 Pro3. wurde Führung erhält diesmal eine ernste realpolitische Bedeutung. Diese milfag with der preubij de Finanz­wird auch weiterhin ihre Führerrolle beibehalten müffen. Diese oder Am Dienstagnachmittag wird der preußische Finanz- eine ermeiterte, sich auf staatstreue Kräfte stützende Regierung wäre minister dem preußischen Kabinett ein umfangreiches Programm in der Lage, Ruhe und Ordnung in Deutschland zu garantieren, deren über Einsparungen am preußischen Etat usw. unter- Störung das Unheil voll machen würde. Wir sehen also, daß diese Regierung unter allen Umständen das heft in der Hand behalten und versuchen muß, das zu tun, was im Intereffe der deutschen Wirtschaft und der deutschen Zukunft unbedingt gelan merden muß. Gerade die grundsätzlich parlamentarisch ein: gestellten Parteien sollten ihr feine unnötigen Schwierigkeiten machen. Dann wird es am ersten gelingen, den zerstörenden Elementen die Straße zu verlegen und geordnete Berhältnisse wieder herzustellen. Aber es scheint nicht überflüssig, die Parteien, die jetzt mit vor eiligen Entschließungen die Lage erschweren, daran zu erinnern, was geschehen muß, wenn fie feine politische Vernunft annehmen.

treifen.

Um Dienstag findet zwischen dem Reichskanzler Brüning dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun eine Unterredung über die politische Lage statt.

ynd

Vor Verhandlungen mit den Parteien.

Köln , 29. Eeptember.

Unter der Ueberschrift Rotwendiges" wird der Kölnischen Bolkszeitung" von ihrem Berliner Bertreter zu den Verhandlungen init den Parteijührern u. a. berichtet:

Nach Abschluß der Kabinettsberatungen mird der Reichsfangler cm Dienstagvormittag dem gegenwärtig in Schorfheide meilenden Reichspräsidenten über den Inhalt des Reformprogramms berichten. Noch am gleichen Tage werden

die Besprechungen über die Möglichkeiten der Mehrheitsbildung beginnen.

Da der preußische Ministerpräfident fich ebenfalls in Schorfheide aufhält, liegt die Vermutung einer Unterredung zwischen Brüning und Otto Braun nahe. Der Reichs­tanzler wird das Regierungsprogramm demnächst den im Kabinett vertretenen Parteien vorlegen. Dann folgen Verhandlungen so wohl mit der Rechten wie mit der Linken. Es sollte cigentlich nicht schwer halten, die Regierungsparteien auf die Linie des Reformprogramms zu bringen.

Die Not der Zeit wird hoffentlich auch die Deutsche Bolts partei und die Wirtschaftspartei lehren, daß mit viei artigen Resolutionen und fraftvoll flingenden, in Wahrheit aber leeren Sprüchen die Lage nicht gemeistert werden kann. Eins der größten Uebel sigt in den Frattionszimmern gewisser Parteien, die trotz des Urteils vom 14. September mit ihren alten Methoden die neue Aera eröffnen wollen und die immer noch glauben, die Welt höre an ihren Fraktionszimmern auf. Aber vielleicht dringt die harte Sprache der Not auch an diese halbtauben Ohren, so daß wir die bescheidene Hoffnung der Einigung der Regierungsparteien noch nicht ganz aufgeben müssen. Dann hätten wir wenigstens einen 210 Abgeordnete umfassenden Blod, der einen Stützpunkt in den weit schwierigeren Verhandlungen mit den Bar

teien rechts und links bilden fönnte.

Wir nehmen an, daß das Regierungsprogramm auch den Rationalsozialisten zur Aeußerung vorgelegt wird, nicht etwa deshalb, weil wir irgendeine Reigung zu diesen politischen Abenteurern verspüren oder eine ersprießliche Zusammenarbeit mit ihnen für möglich halten.

Aber wenn der Verfuch einer politischen Mehrheitsbildung schon gemacht werden soll, fann man fich fchwerlich gegenüber den Nationalfozialisten scheintot ftellen und so fun, als egiffierten sie nicht. Eine Mehrheit mit ihnen ist weit und breit nicht zu fehen, und das halten wir nicht für einen Fehler, eher für das Gegenteil.

Aber auch nach der anderen Seite sehen die Dinge nicht rosig aus. Was die Sozialdemokraten aus dem 14. September gelernt haben, wird sich bald zeigen. Wir fürchten, daß es nicht sehr viel ist. Zudem haben Deutsche Boltspartei und wirt. fchaftspartei schon jetzt überflüssige Hemmnisse für die große Roalition aufgetürmt. Beide Parteien find aber notwendig, wenn eine Arbeitsgemeinschaft mit der Sozial demokratie zustande kommen soll. Der Reichstanzler handelt richtig, menn er jetzt den Weg zur parlamentarischen Mehrheitsbildung geht. Er muß und wird die Frage prüfen, ob mit diesem Reichstag regiert merden fann. Die Hoffnung, daß das möglich sein wird, geben

wir nicht auf.

Aber man würde sich Illusionen hingeben, wenn man nicht er kennen wollte, daß der Glaube an diesen Reichstag auf sehr schwachem Brunde ruht. Eine vorübergehende Ausschaltung des Reichstags ist noch nicht das Ende des parlamentarischen Systems

in Deutschland . Aber außerordentliche Zeiten können außerordentliche Maßnahmen notwendig machen,

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Die Aufgabe, die die Regierung zu bewältigen hat, tann sie nur löfen, wenn fie fich auf eine feste Mehrheit stüßt, die gewillt und entschloffen ist, Experimente, wie Aufhebung der Notverordnungen

oder Mißtrouensanträge entfchloffen abzuwehren. Deutschland ist noch einmal in die Hände der Parteien gelegt. Bei den Das nächste Schicksal der parlamentarischen Demokratie in Deutschland ist noch einmal in die Hände der Parteien gelegt. Bei den Berhandlungen, die der Kanzler jetzt mit den Parteinertretern zu führen gebenft, merden sich die Umriffe der fünftigen Mehrheit rasch abzeichnen müssen.

Gelingt dieser Verfuch nicht, dann jehen wir teinen Weg mehr, der parlamentarisch aus dieser Noflage herausführt.

Der Aufsatz der Köln . Volfsztg." stellt sich offensichtlich einen Versuch dar, auf die Sozialdemokratie in dem Sinne einzuwirken, daß sie aus Sorge vor sonst eintretenden Eventualitäten bedingungslos in die Gefolgschaft der gegenwärtigen Regierung eintritt. Dieser Versuch wird nicht gelingen. Ein Abgleiten des Regierungskurses von dem Boden der Verfassung zu vermeiden, ist noch viel mehr die Aufgabe der Regierung selbst als die Aufgabe der Sozialdemokratie.

Die Sozialdemokratie hat sich nie gemeigert, an der positiven Arbeit zur Rettung von Volt und Staat teil zunehmen. Sie fann zu einer solchen Teilnahme aber nur dann bereit sein, wenn sie von der Zweckmäßigkeit der vor­geschlagenen Maßnahmen überzeugt ist. Nach allem, was bisher von den Vorschlägen der Regierung bekannt ist, sind fie in entscheidenden Punkten den Auffaffungen der Sozial­demokratischen Partei und der Gewerkschaften diametral ent­gegengesetzt.

Bas will die Mitte von der Sozialdemokratie? Eines fann sie haben, das andere nicht.

Verantwortungsbewußte gleichberechtigte Ja! Blinde Gefolgschaft? Nein!

Mitarbeit?

Lob der Hakenkreuzler.

Wackere Schildknappen der Schwerindustrie. Die Deutsche Allgemeine Zeitung", die seinerzeit die Kommunisten als Pfahl in dem Fleische der Sozialdemo­fratie" gelobt hat, ruft nach Verhandlungen der Reichsregierung mit den Nationalsozia­listen. Sie lobt die Hakenkreuzler:

"

In praffischer Hinsicht hat das thüringische Beispiel bewiesen, daß die Nationalsozialisten den Unterschied zwischen Opposition und Verantwortung durchaus begreifen. Sie haben dort zugestimmt einer kopf steuer ohne Staffelung, der Erhöhung des Schulgeldes, erheblichen Ersparniffen im Wohl­fahrtswesen und im Schuletat. In der Frage der Unter­hung der Erwerbslojen, kleinrentner und Sozial rentner haben sie ihre von der Sozialdemokratie wörtlich aufge­nommenen früheren Oppositionsanträge mit den übrigen Rechts­parteien zusammen niedergestimmt. In Braunschweig treten fie für eine zehnprozentige kürzung der Beamten gehälter ein.

Kurzum: die Hafentreuzler tum alles, was die Sozial reaktionäre haben wollen und gerne jeben!

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Der Ginn der Wahlen.

Genosse Paul Cobe veröffentlicht in einer partei­genöffifchen Korrespondenz zu der durch die Septemberwahlen gefchaffenen Lage den nachstehenden Artikel:

So überraschend das Ergebnis der Wahlen des 14. Sep­tember in vielen Einzelheiten gewesen sein mag, eine Er­martung hat es in vollem Umfange bestätigt: Die Mehrheits­Derhältnisse des Deutschen Reichstages wurden so gründlich verändert, daß teine der alten Kombinationen mehr zur Bildung einer tragfähigen Koalition aus­reicht. Weder die Weimarer noch die Große Koalition perfügen über diese Mehrheit. Auch nicht der Bürgerblock"; denn die Nationalsozialisten erheben heftigen Einspruch gegen ihre Zuzählung zu den ,, bürgerlichen" Parteien. Der Reichs­ tag hat eine neue Abstimmungsmehrheit, die darin liegt die besondere Schwierigkeit teine Aus­führungsmehrheit in sich schließt. Die Abstimmungs­mehrheit ist, wenn man die programmatischen Erklärungen der einzelnen Parteien zugrunde legen darf, eine sozialistische, oder sagen wir vorsichtiger: eine antikapitalistische. 143 Sozialdemokraten, 107 Nationalsozialisten und 77 Kom­munisten, also insgesamt 326 Abgeordnete von 577 fönnen gemeinsam eine ganze Reihe antikapitalistischer Beschlüsse durchsetzen. Aber es fehlt die Regierung, die solche Beschlüsse in die Tat umzusehen gewillt ist; denn so sicher die drei ge­nannten Parteien eine Abstimmungsmehrheit bilden, ebenso sicher ist es, daß sie eine gemeinsame Regierung nicht bilden fönnen. Die Nationalsozialisten wollen ja die Diftatur von rechts, wollen die Sozialdemokra­ten und Kommunisten niederfämpfen, gegen sie herrschen, aber nicht mit ihnen zusammengehen. Die Kommunisten wollen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten umbringen und eine Diftatur von links aufrichten. Die Sozial= demokraten mollen, daß meder von rechts, noch von links her Diftatur geübt, sondern eine gesetzliche Mehrheits­regierung durch eine Mehrheit der im Parlament vorhande­nen Parteien gebildet wird. Die erste Feststellung unserer Untersuchung ist also die: Eine nach der Versicherung der einzelnen Parteien antikapitalistische Mehrheit ist nicht in. der Lage, eine antitapitalistische Regie­rung in Tätigkeit zu setzen.

+

Wie sieht es mit der demokratischen Mehrheit im neuen Reichstag aus? Auch hier müssen wir zunächst das programmatische Bekenntnis der Parteien zugrunde legen, um zu einer Feststellung zu kommen. Erklärte Gegner der Demokratie sind Kommunisten und Deutschnatio­nale, also 77+107+ 41, zusammen 225 Abgeordnete. Das ist an fich teine Mehrheit. Erklärte Anhänger der Demokratie hier schon mit einigen Fragezeichen- find Sozialdemokraten, Staatspartei, Zentrum, Bayerische Boltspartei und Bauernbündler, also 143+20+19+ 6, zusammen 256 Abgeordnete, also auch keine einfache Mehr­heit von 576.

Dazwischen stehen stehen Wirtschaftspartei, Deutsche Volkspartei , Landvolk, Volkskonservative, Christlicher Volkss dienst und einige Splitter, zusammen 96 Abgeordnete. Sie finden sich mit der Demokratie ab, weil sie sich ,, auf den Boden der gegebenen Verhältnisse" stellen, sind aber mit mehr oder weniger Bereitschaft gewillt, diesen Boden" zu vers lassen, wenn eine andere Staatsform ihre wirtschaftlichen Interessen besser zu wahren verspricht. Aber auch wenn wir diese Gruppen zu den Anhängern der Diktatur rechnen wür den, käme teine Ausführungsmehrheit dafür zustande; denn die Diftatur von links bedroht die von rechts mit erbitterter Feindschaft, ja sie ist zum Bürgerkriege gegen die andere bereit. Die Anhänger der Diktatur hindern sich gegenseitig an der Verwirklichung ihrer Ziele, eine Parallele zum Frant­reich der siebziger Jahre, wo die Monarchisten zwar die Mehrheit der Deputiertentammer besaßen, weil Bona­partisten und Orleanisten sich die Wage hielten. Nur daß bei uns im Augenblick auch zwischen den Anhängern der demokratischen Staatsform sehr starte wirtschaft­liche Gegensäge bestehen, so daß ihre Einigung auf eine gemeinschaftliche Regierung eine schwer lösbare Aufgabe darstellt.

Die Situation der Sozialdemokratie ist, menn wir diese beiden Feststellungen machen, wahrlich nicht leicht. Die einen verlangen von ihr, sie solle mit den beiden Flügelparteien antikapitalistische Politik machen. Für sie ist teine Ausführungsmöglichkeit vorhanden. Für sie be= steht das große Fragezeichen der Echtheit national ,, sozialisti­scher" Bestrebungen. Die anderen meinen, mir sollen