Rr. 452 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Dienstag, 30. September 1930
Eröffnung der Museumsneubauten Die Fonds des Herrn Böß.
Am 1. Oftober werden anläg lich des hundertjährigen Bestehens der Staatlichen Museen die Museumsbauten auf der Museumsinsel feierlich eröffnet. Aus mächtigen Steinquadern zufammengefeßt, steigen die Messeljchen Bauten in starrer, antifer Größe in die Höhe; durch die imposanten Säulenfassaden der bis ans Wasser vorspringenden Flügelbauten erhält der ganze Kupfergraben einen Zug ins Museale. Zusammen mit dem Kaiser- Friedrich- Museum, der Nationalgalerie, dem Alten und Neuen Museum ist hier ein antikisierendes Bautenfonglomerat entstanden, dessen Inselhaftigkeit nur durch die Stadtbahnlinie unterbrochen wird, die gerade zwischen Kaiser- FriedrichMuseum und dem Deutschen Museum" hindurchführt. Das ,, Deutsche Museum" ist der Nordflügel des Messel - Baues. Durch eine Brücke, die über die Stadtbahn führt, gelangt man vom Obergeschoß des Kaiser- Friedrich- Mujeums in das Treppenhaus und hinunter in das Hauptgeschoß des„ Deutschen Museums". Es enthält Proben aus der Kunst der Völkerwanderungszeit, hauptsächlich Steindenkmäler aus den Teilen Italiens , die damals von germanischen Stämmen besiedelt wurden. Dann Denkmäler des frühen und des späten Mittelalters. Neben Elfenbeinarbeiten und Bronzen Holz- und Steinbildwerke des 14. Jahrhunderts. Darunter„ Glanzstücke" wie der Engel am Grab" aus der romanischen und die Gruppe, Jesus und Johannes" aus der gotischen Zeit; große Flügelaltäre, eine romanische Empore aus Gröningen , endlich eine Sammlung von Abgüffen nach hervor ragenden firchlichen Bildwerfen des Mittelalters. Das Ober: geschoß enthält die breite Entwicklung der Skulptur seit dem Beginn der Neuzeit. An Gemälden befinden sich jetzt im Neubau
Krd
Tötung im Alfoholrausch. Streit an der Bar foftete ein Menschenleben.
Wegen Körperverlegung mit Todesaus. gang haile lich der Kaufmann W. vor dem Schmurgericht III unter Vorfig von Landgerichtsdirektor Friedmann zu verantworten.
Am 28. Januar mar der Gutsbesitzer 3. aus Lübbenwalde in pollfommen betruntenem Zustande gegen 3 Uhr nachts in eine Bar in der Joachimsthaler Straße gefommen und geriet mit der Bardame wegen der 3 e che in Streit. Er gab ihr darauf eine Dhrfeige. Darauf kam der Angeflagte hinzu, der Beziehungen zu der Bardame hatte. Als er sie weinen jah und die Ursache davon erfuhr, stellte er den Gutsbesitzer zur Rede, daß er eine Frau geschlagen habe. Dieser erwiderte mit Schimpfworten und nannte ihn einen uden" der Frau. Es wäre gleich zu Tätlichkeiten gefommen, wenn der Geschäftsführer nicht hinzugetreten wäre. Als der betrunkene Gutsbefizer nach Geschäftsschluß zu seiner Drojchte wanfte, trat ihm der Angeflagte entgegen und gab ihm eine fräftige Ohrfeige. I. machte darauf eine Armbewegung und traf den Angeklagten ins
Walter A. Persich
3]
Vielleicht
morgen.
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sämtliche deutschen Bilder, die niederländischen aus der Zeit vor sämtliche deutschen Bilder, die niederländischen aus der Zeit vor 1550 sowie einige Tafeln französischen Ursprungs aus dem 15. Jahrhundert, die sich früher alle im Kaiser- Friedrich- Museum befanden.
Zwischen den beiden Flügelbauten erstreckt sich der Ehrenhof. Nach seiner Vollendung und nach dem Bau der Brücke wird der Zugang vom Kupfergraben aus erfolgen. 22 Jahre hat man an den Riefenbauten gearbeitet. Im Südflügel ist bekanntlich der Altar von Pergamon untergebracht.) Fundamentierungsschwierigkeiten, Krieg, Inflation und ihre Folgen zogen die Fertigstellung so in die Länge, daß sie min mit der Hundertjahrseier der Staatlichen Museen zusammenfällt.
Gesicht. Ob das absichtlich geschehen war, fonnte vom Gericht nicht festgestellt werden. Der Angeklagte empfand es als einen Schlag und verfette dem Gutsbesitzer eine zweite Ohrfeige. Die Folge davon mar, daß der Gutsbesitzer mit dem Kopf gegen die Stoßstange des Autos und dann auf das Pflaster aufschlug. Er ist nach drei Tagen im Krankenhaus gestorben.
Der Staatsanwalt beantragte gegen W. drei Jahre Ge fängnis. Der Verteidiger war der Meinung, daß der zweite verhängnisvolle Schlag in Notwehr verfeht worden sei. Der Angeflagte habe sich in berechtigter Erregung befunden, und wern das Gericht zur Verurteilung fommen sollte, jei größte Milde angebracht. W. sei ein unbestrafter Mann, der sich bisher einwandfrei geführt habe. Das Schwurgericht verurteilte den Angeklagten zu drei Monaten Gefängnis.
Der Aufsichtsrat der BBG. beschloß gestern nach eingehender Aussprache, einen Ausschuß einzusehen, der sich mit der Frage der Schüßenwagen somie mit den Vorwürfen befassen soll, die von einer Reihe von Berliner Zeitungen erhoben wurden, nach denen die Entlassungen bei der BBG. angeblich nach politischen Ge fichtspunkten erfolgt sind.
mung ihre Zettel zur Annahme des gefällten Schiedsspruches abzugeben.
,, Bitte abwarten, ob und wieviel die Firma spendet."
3m Untersuchungsausschuß des Preußischen Landtages zur Prüfung der Mißwirtschaft in der Berliner Stadtverwaltung" verlas der Berichterstatter, Abgeordneter Koennede eine Reihe von Beschlüssen des Generalstaatsanwalts zahlreiche Untersuchungsverfahren gegen den früheren Oberbürgermeiffer Böß einzustellen. Es handelt sich zumeist um anonyme Anzeigen.
Böß wurde unter anderem vorgeworfen, er habe dem Besitzer des Hotels Ercelsior einen städtischen Kredit von acht Millionen verschafft. Diese Anschuldigung hat sich als unrichtig erwiesen. Dagegen ist festgestellt worden, daß der Tunnelbau des Hotels Ercelsior gegen den Einspruch des zuständigen Bezirksamtes hinweg durch Böß ermöglicht worden ist. Der Besitzer des Hotels hat der Stadt mertvolle Teppiche, Bilder und andere Kunstwerke im Werte von mehreren 100 000 Mart, sowie größere Summen für den Sport- und Repräsentationsfonds des Oberbürgermeisters gestiftet. In allen diesen Fällen ist jedoch Oberbürgermeister Böß nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Im feine strafrechtliche Berfehlung nachzuweisen. übrigen hat es sich
als zutreffend herausgestellt, daß Böß die Genehmigung für größere Bauvorhaben von Spenden für seinen Sport- und Kunstfonds abhängig gemacht hat.
In einem weiteren Einstellungsbeschluß wird erklärt, daß Böß durch preiswerte Warenlieferung der Stlarefs erhebliche Vorteile gehabt hat. Es fonnte ihm aber nicht nachgewiesen wer den, daß die Vorteile für dienstliche Handlungen gewährt wurden. Die Firma Karstadt hat der Stadt Berlin in Verbindung mit ihrem Warenhausneuban in Neukölln eine größere Zuwendung gemacht, doch ist in diesem Falle nicht erwiesen, daß Böß die Zuwendungen gefordert habe. Eine große Anzahl weiterer anonymer Anzeigen hat sich nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft als grundlos herausgestellt.
Der Berichterstatter Roennecke ging dann im einzelnen auf die Fonds des Oberbürgermeisters Böß
ein, die in der Hauptsache durch Spenden städtischer Liefe ranten gespeist worden feien.
Als Gegenleistung sei von den Firmen Berücksichtigung bei Bergebung von Aufträgen gefordert
worden. In den Atten des Oberbürgermeisters sei folgender Ver mert gefunden worden: Bitte abwarten, ob und wieviel die Firma [ pendet." Die Firma Bechstein habe Böß den Ankauf eines Bildes für 1000 Mart zugesagt, in der Erwartung, daß sie von den Berliner Schulen beim Kauf von Musikinstrumenten berüdsichtigt werde. Eine solche Zusage sei daraufhin von Magiftrat ge macht worden. Borsig babe 3000 Mart zur Hebung der Volksfraft zur Verfügungg gestellt. Die Aschinger- Gesellschaft habe unter Hinweis auf schwere Steuerbelastung eine Zuwendung abgelehnt, obwohl Böß auf fete besonderen Berdienste für das Gaststättengemerbe hinsichtlich der
Berlängerung der Polizeiftunde"
hingewiesen habe. Eine weitere Firma habe ihre Verwunde rung darüber ausgesprochen, daß sie bei städtischen Lieferungen nicht berücksichtigt werde und habe für die Aufhebung dieser Maßnahme eine Spende in Aussicht gestellt. Das Berbot sei darauf hin sofort aufgehoben worden. Die Belege über die Berwendung der Gelder feien unvollständig.
An Frau Böß feien verschiedentlich Gelder für Wohlfahrts3wede ohne Quittung gezahit
worden.
Im Fonds für die Berliner Festspiele seient 169 000 Mart vereinnahmt worden, wovon nach Abzug der Ausgaben etwa 96 000 Mart übriggeblieben seien. Obwohl dieser Fonds
Der Dunst seiner Zimmer schlug ihm entgegen. Die • Küchentür stand offen, Streichhölzer lagen auf der Tischplatte, die Lampe stand bereit, Feuer glomm im Herd, Werla legte gedankenlos zmei Brifetts nach, ehe er den Zettel auseinschrieb Annie es ist nun anderfaltete: Lieber Mann,- doch soweit. Ich bin um drei ins Krankenhaus gefahren. Hoffentlich fomme ich noch hin, mein Rüden schmerzt. Kohl steht in der Kochiiste, die Kartoffeln sind zum Nachwärmen im Bett. Mach dir feine Sorgen, Feo, ich fomme schon durch. Wenn du willst, kannst du morgen bei Mutter effen. Im Krankenhaus geben Sie dir Auskunft, ob das Kind da ist. Gehe aber nicht zu spät, du mußt schlafen, sonst kannst du nicht arbeiten. Grüße Mutter und sei auch du vielmals gegrüßt von deiner Annie.
Der Arbeiter Werla, vermeidbarem Aufruhr, leerer Brüllerei abhold, war mit Margarine und Kohljuppe zufrieden, wenn er sein Glas Bier und Sonntags seine Groschenzigarre ungestört genießen fonnte. Im Sommer ersetzte sein Schrebergarten die Badereise vollauf und im Herbst war es eine Luft, eigene Kartoffeln zu ernten. Seit vierzehn Tagen arbeitete er nun in der Elektrofabrit. Es gab feinen hohen Lohn, gut, aber es gab am Freitag pünktlich die Geldtüte, und die Frau wollte und sollte doch nun ihr Kind haben. Unberecht. Rachbruc verboten. Gustav Riepenhauer Berlag A.-G., Bertriebsabt. Teufel das hatte er ganz verschwigt! Hoffentlich war es heute, während er in der Kneipe saß, noch gut gegangen. Ehrlich gesagt, war ihm ein wenig mies. Teils, um schnellere Gemißheit zu erlangen, teils, weil der Fleischgeruch faulig in die von Schneeluft erfrischte Nafe ftieg, holte er eilig aus schon bog er in den Torweg ein, als er ausglitt, mit den Armen in die Luft griff und sein Kopf heftig an die Kante der Hausmauer schlug.
2.
Blankgeweßte Hufeisen unter den Absätzen seiner Stiefel quietschten über gefrorenen Schnee. Diese Schuhe, mitgenom men im Tohumabohu des Rückzuges und immer für das schlimmste Wetter gehütet und gepflegt, waren ein Rest Erinnerung aus der Kriegszeit. Werla liebte diese brauchbaren, Träftigen Langschäfter; man mußte sich nur so verteufelt vorjehen mit den Dingern auf glattem Boden.
Langiam, fest auftretend, marschierte Berthold Werla von der Straßenbahnhaltestelle Oranienburger Straße bis zum Häuserzug 47b. Im Hinterflügel, flantiert von Kehrichteimern, druckste das Gartenhaus, das seine Zweizimmer wohnung enthielt. Er hätte den Weg im Finstern gerochen, auch dann noch, wenn die letzte der flackernden Gaslaternen nicht mehr durch den Torbogen geleuchtet hätte. Drei Häuser vor dem Durchgang war ein Riefenladen für Gefrierfleisch etabliert. Nachts blieben die Kellerlufen zur Straße offen. Es stant nach Aas. Werla schimpfte mit allen Anwohnern der Gegend auf den Gestant aber was wollte man tun? Das Fleisch mar billig, es schmedte nicht so schlecht, mie gar feins, der Schlächter war höflicher als andere Kaufleute und immer dann noch zu pumpen bereit, wenn der Krämer schon fein Pfund Salz mehr auf Borg gab, weil es sich herumgefprochen hatte, daß diejer oder jener schon wieder auf Wohlfahrtsmarten Brifetts bezog also stempeln" ging.
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Der Arbeiter überrechnete das Geld in seiner Tasche. Ein Wochenlohner hatte unterwegs mit dem Wertmeister nur drei Glas Bier getrunken, dem er die Arbeit verdankte. Man mußte das eben auf Geschäftsuntosten verbuchen. Die Betriebsversammlung zog sich in die Länge, ehe die Belegfchaft ziemlich einmulig beschloß, bei der morgigen Urabftim
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,, Teufel", murmelte er, das wird eine Beule, die sich gewaschen hat. Kassieren fann der Bize, aber eine Schublade Streusand hat er für seine Hintermieter nicht übrig. Werd's ihm aber Sonntag beibringen, wenn ich ihn in der Bierquelle treffe. Bor allen Leuten soll der Kerl mit seiner dämlichen Schnauze sich blamieren!"
Kein Fenster hell im zweiten Stod? War Annie doch ins Krankenhaus gegangen? Oderlag fie pielleicht hilflos in der Wohnung, seit Stunden? Mit wenigen Sprüngen nahm er die Treppen und blieb horchend an der Tür stehen. Unfinn was er sich einredete! Sie stand bestimmt in der Küche! Grünkohl und Knackwurst hatte sie ihm versprochen.
Werla atmete hörbar, starrte in das Licht der Petroleum lampe, die auf einem fleinen Brett in Mannshöhe stand. In diesen Gefunden spürt er das heiße Kreisen seines Blutes. Dann drückte er langjam die Klinke.
Verschlossen.
Er mußte sich zum Boden hinauftasten. Sie pflegten dort in einer finsteren Ecke des Treppenhauses den Schlüssel zu versteden, wenn einer von ihnen in der Abwesenheit des anderen weggehen mußte.
In einem Stüd Bapier lag das Bund bereit, Annies Schrift wurde beim Ausmideln unter der Lampe fichtbar, aber er bezmang seine Erregung. Drinnen fann ich ungestört lesen, sagte er sich und schloß auf...
Da hatte er nun die Geschichte! Komischer Gedanke- man tommt nach Hause, die Frau ist weg. Nachher bringt sie ein Kind mit ins Haus. Wie soll es eigentlich heißen? Ferdinand, wenn es ein Junge ist, erinnerte er, so hieß Annies Bater; ein Mädel fönne Lieselott genannt werden, wie meine verstorbene Schwester, tam es ihm in den Sinn.
Einer stirbt, der andere wird geborengrübelte Werla weiter, einer ist reich, der andere arm. Seine Augen nehmen ungewohnt jede Einzelheit der Umgebung auf und schoben das Bild dieser Küche neben ein anderes, das sie vorhin von der fahrenden Straßenbahn aus erhascht hatten in jenem Augenblick, da Werla heute durch das Spiegelfenster eines Restaurants viele Leute vor hübsch servierten Speisen gefehen hatte, war ihm die Enge und Mühe seines Daseins bewußt geworden. Ein paar Kollegen brüllten Wize durch den Wagen. Man kann auch einfacher leben, wenn die Frau gut focht, fagte sein Mund und sehr erstaunt' pernahm er seine eigenen Worte, gab sich einen Klaps auf die Lippen und füllte das Essen auf den Teller.
Annie hatte alles bedacht. Sie war eine gute Frau, vernünftig, fonnte arbeiten und wirtschaften wie teine zweite. Hübsch war sie nie gewesen, nein. Berla hatte mohl ge= legentlich Anwandlungen, eine andere richtiger und netter zu finden, er war ein wenig dem Land und Glanz zugetan und an ihr wirkte vieles ein bißchen gleichgültig.
Sie war still in allem, man tonnte nicht einmal wissen, ob sie liebe ja, auch ihre Sinne lebten dahin, ohne etwas zu fordern und manches Mal mehrte sie eine derbe Zärtlichkeit ab. Darum wunderte es ihn zuweilen, daß fie ein Kind haben werde. ( Fortfegung folgt.)