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Beilage Dienstag, 30. September 1930

Der Abend

Spalausgabe des Vorivants

Argument Palästina

Juden arbeiten körperlich

lässt man sie nur!

In Berlin tagt soeben der Kongreß, den die Palästina| steht. Er sagt, oder denkt zum mindesten: ,, Nanu, du bist doch Gewerkschaft Histadouth veranstaltet hat, um die jüdischen Massen anderer Länder über den Aufbau in Palästina zu unterrichten.

Stolz tragen die Schmarozzer in den Schlemmergegenden der Großstädte ihr Hakenkreuz an der Brust. Nach der Siegesfeier im Sportpalast zwangen Nazis einen Autobus zum Halten und verlangten die Entfernung eines Juden. Der Schaffner mußte tapitulieren.

Jüdisches Massenelend

Die neue Welle des Antisemitismus ist eine Verfallserscheinung der in Umwandlung begriffenen Gesellschaft. In dem Maße, mie die bürgerliche Welt unfähiger wird, die Existenz ihrer Angehörigen

Jugend baut Häufer

zu sichern, verschärft sich der Kampf des einen gegen den anderen. Das ist der Ausdruck der gesellschaftlichen Auf lösung. Zweifellos ist der Mittelstand von der Entwicklung hart betroffen, Konzentration und Zentralisation des Kapitals reiben iht immer mehr auf. Politisch findet dieser Entwicklungsprozeß seinen Ausdruck im Charakter der Mittelparteien. In dieser Situation ist eine fremde Rasse willkommenes Objekt, die Erbitterung der Massen auf das Judentum abzuwälzen. Das Verfahren ist nicht neu. Unter dem Eindruck der Judenverfolgung gegen Hauptmann Dreyfus hat der fast affimilierte Jude Theodor Herzl sich seines Judentums

besonnen und durch den Judenstaat" für eine jüdische Heimstätte geworben. Der Jude Dreyfus ist schuld", rief der französische Generalstab. Die Juden sind schuld", rujt das, auswegloje Bürger­tum von heute. Immer wieder schrie Dreyfus : Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig!" Die Masse wollte ihn lynchen. Das jüdische Bolt bringt seinen Unschuldsbeweis in Palästina und in anderen Ländern, wo es ihm nicht verboten ist, auf dem Feld und in der Fabrit zu arbeiten. Palästina tlagt durch die Tat den Antisemitismus an. Aber Palästina ist weit von uns. Es dauert lange, ehe die Wahrheit uns erreicht. Aber sie wird uns erreichen, wie sie im Fall Dreyfus Frankreich erreichte.

Als der Kapitalismus im Aufstieg war, haben Könige und Herrscher die jüdischen Kaufleute privilegiert. Jetzt ist er im Abstieg und die Juden werden getreten. Und doch haben die Juden längst aufgehört, ein Bolt von Bankiers zu sein. Wer mit offenen Augen durch die Welt wandert, entdeckt die Armut des jüdischen Mittel­standes in allen Städten. In Berlin tann er sie im Scheunenviertel studieren, in London im East- End, in New York - Brong, in Amsterdam im Ghetto, in Wien , in Warschau , in Budapest , in Bukarest Aus allen Städten und Städtchen, besonders des Ostens und des Balkans, schreit uns die jüdische Armut entgegen. Dem jüdischen Mittelstand geht es nicht weniger traurig als dem christlich- germanischen Mittelstand. Das jüdische Volt hat fast tein

Gestern im Ghetto - heute auf Seldarbeit! Industrieproletariat. Es ist ihm unmöglich gemacht worden, in die Industrie und die Landwirtschaft der Länder einzudringen, in denen Juden leben. Darum wandern die Juden in Massen aus. Die Not treibt sie von Land zu Land. In solchen Massen würde kein Volk wandern, wenn es nur aus Rothschilds best ünde.

Die Jugend will für ihr Volk arbeiten

In Palästina versuchen Frauen und Männer, Jungen und Mädchen, Arbeiter und Bauern zu werden. Mancher hat diese Umschichtung mit seiner Gesundheit, ja, selbst mit dem Leben bezahlt. Selbst von der Schulbant des Gymnasiums und der Universität, ja, aus zum Teil noch gut gestellten Familien strömt die jüdische Jugend nach Palästina, erst recht aus den Elendsquartieren- arbeiten will sie, von hohem Kulturbewußtsein getragen. Das jüdische Volk hatte seit Jahrtausenden nicht mehr Gelegenheit, normal zu leben. Ein Wunder, wenn es da selbst modernen, sonst vorurteilsfreien Arbeitern oft als anormales Voit erscheint? Der Arbeiter im Betrieb wundert sich nicht wenis, menn ein Jude am Schraubftod

Händler, was willst du denn in der Fabrik?" Aber jüdische Jugend wandert aus nach Palästina. Es fann gestritten werden, ob der Zionismus zu bejahen oder zu verneinen ist. Aber 3 ehn­tausende jüdische Arbeiter und Arbeiterinnen widerlegen den ,, theoretischen" Antisemitismus durch die müh­same Tagesarbeit im primitiven Palästina. Weite Strecken fulti vierten Landes, blühende Orangenanlagen, trodengelegte, einst malariaverseuchte Gebiete und vor allem eine ganz moderne Stadt wie Tel Aviv , mit über 40 000 Einwohnern, miderlegen die

Lüge vom immer nur schachernden Juden. Jüdische Arbeiter haben die erste neujüdische Stadt erbaut, jüdische Arbeiter erhalten die Stadt und Juden bewegen sie.

Bei der Arbeit

Wir sehen die jüdischen Arbeiter am Werf. In den Siedlungen, wo die Arbeiter und Arbeiterinnen tollettiv leben, schaffen die fleißigen Hände freiwillig 10, 12 und auch 14 Stunden. Keine Knute peitscht fie, tein Aufseher, tein Berwalter. Die Juden kämpfen in Palästina gegen Seuchen und Krankheiten. Im ständigen Kampf gegen die Natur stehen sie, die heute noch sehr start den Menschen beherrscht. Die Technik pocht erst leise an die Pforte des Drients. Jetzt regen sich die Hände am Jordan, um ein Kraftwert in der Wüste zu bauen. In der Sonnenglut der Jordanjente arbeiten 500 jüdische Arbeiter. Deutsche und schwedische Ingenieure loben die korrekte jüdische Arbeit. Das ist um so höher zu bewerten, als die Arbeiter meist nur eine furze Ausbildungszeit hatten. Am Toten Meer bergen jüdische Arbeiter die Schäße des Salzmeeres. Die grausame Hitze dieses tiefsten Punttes der aber es wird meiter­Erde macht die Arbeit zur Höllenqual geschafft. Die Juden bauen Straßen. Männer und Mädchen flopfen Steine am Wege, tragen fie und bauen... und bauen. Kranken­häuser erstehen, Kultur fommt ins Land. Die Juden züchten Kühe und Hühner, Pflanzen und Bäume. Unterdrückte, finnlos gehaßte, verfolgte Menschen opfern sich in eine bessere Zukunft hinein. So hoffen sie wenigstens. Karg ist ihr Leben. In Zelten und Baraden wohnen noch immer die meisten Siedler. Nur langjam treten an die Stelle der Zelte und Baraden Steinhäuser.

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Die kollektiven Siedlungen

Die Kinder in den Siedlungen tennen fast tein Geld. In den follektiven Siedlungen ist die Lohnarbeit beseitigt. Wer Kleidung nötig hat, bekommt sie von der Gemeinschaft, vom Kollektiv; wer sonst Geld für Nötiges braucht, wendet sich an die Kasse der Gemeinschaft und bekommt die Mittel im Rahmen des Möglichen. Man fann streiten, ob das der Sozialismus der Zukunft sein wird, ob die Juden in Palästina so aus Idealismus oder aus Notwendigkeit verfahren. Ganz gleich, so sind die Tatsachen. Mit der Turia"( hebräisch für Spaten) in der Hand, heißt durch Arbeit und gesellschaftliches Berständnis, versucht sich der jüdische Klein­

bürger in die Zukunft zu retten. Damit gibt er sein Reinbürgertum auf und wird Proletarier. Intellektuelle Bauern gibt es in Palästina. Das jüdische Kleinbürgertum hat die Geschichte ver­standen, Hitler will sie vergewaltigen.

Das kleine Land Palästina, das am Mittelmeer als schmaler Streifen der großen arabischen Halbinsel liegt, ist das größte Argument gegen den Antisemitismus. Palästina spricht für Mart, gegen Hitler . Palästina spricht für den wissen schaftlichen Sozialismus. Denn Palästina bemeift:

Es ist nicht wahr, daß die Juden gleich als Bantiers geboren wurden, so wenig wie Hitler mit einer Sprengschnur statt einer Nabelschnur am Bauch zur Welt kam. Sowohl die Juden als auch Hitler find Produkt ihres gesellschaftlichen Daseins. Nicht der Jude Fischer

am See Kinereth

hat den Schacher, sondern der tapitalistische Schacher hat den Juden gemacht.

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Balästina beweist: die Menschen und dazu gehören troj Hitler auch die Juden werden sich erneuern durch die Erneuerung, der menschlichen Gesellschaft. Nicht der Jude, sondern die bürgers liche Gesellschaft ist zu überwinden. Die menschliche Gesellschaft wird nicht befreit, indem man die Bolfsnot zu Pogromen ausnuten mill, sie wird befreit nur durch die umwälzende Pragis des wissenschaftlichen Sozialismus.

sich gegen Hitler , die Turia siegt über das Hakenkreuz.

Im Falle der Juden beweist das Palästina. Palästina richtet

Kurt Stechert .

Wer von der Aufbauarbeit in Palästina mehr erfahren will, dem sei das Buch Schaffendes Palästina" von Emil Bander­velde empfohlen, 1930 bei Carl Reißner, Dresden , erschienen. Das von Kurt und Jenny Mendelsohn übersetzte Buch des Vor­sitzenden unserer Internationale ist mit acht Bildtafeln versehen.

Oberst Kostek

Sadist im Weltkrieg und...

Das radikale polnische Bauernblatt" Placzowka" schreibt: 1 in Bewegung fett, erzählt man sich, daß man der Eile halber, die August 1914. In der Gegend von Kielce erscheinen unbekannte Berurteilten auf niedrige Aeste hängte und. sie dann an Menschen. Graue Uniformen, junge Gesichter, Flammen in den den Füßen herabzog... Augen... Sie gehen hingerissen durch ihre erste Jugendliebe. Sie gehen, um durch ihre Mühe, durch Opferung ihres Blutes Polen wieder zum Leben zu erwecken. Junge, opferfreudige Enthusiasten!

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Auf einem Seitenwege rollen einige Bauernmagen dahin. Auf den Wagen eine Gruppe Menschen teils in Uniformen, teils in Zivil. Um die Schultern hängen Gewehre, an den Gürteln Browningpistolen. In den Gesichtern Berbissenheit, Grausamkeit, Haß man fährt bis an den Hauseingang. Eine furze Beratung. Man hört die flüsternde Stimme des Kom­mandanten: Das Haus umzingeln! Ich gehe mit zwei Mann hinein; wir werden ihnen das Jahr 1905 heimzahlen." Nach einer Weile einige Schüsse, Kindergeheul

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Die Feldgendarmerie des Bürgers Kostet" hatte im Legions heere einen feststehenden Ruf.

Heute Gefangenenvogt.

Alle hier gemachten Angaben, wie auch die Tatsache, daß Oberst Bjernazti, jetzt Wächter der in Brest - Litowit eingeferterten Oppositionsführer, während des Krieges das Pfeudonym ,, Roste t" führte, find allgemein bekannt. Ein Grauen ging durch die Oppo­fition, als man erfuhr, daß ihm das Kommando des Abgeordneten­gefängnisses übergeben wurde.

Die Abteilung entfernt Ukrainischer Kleinkrieg

sich in den Wagen Scherze und Gelächter. Nur in den Augen eines Jungen in Schüßenuniform ist Entsetzen. Die Feld­gendarmerie des Bürgers Ko ste t" hat die blutige Abrechnung erledigt.

Chencing Die Schüßenabteilungen beseßen, aus Kjelce zurück geworfen, die Hügel. Die Wache bringt einen Mann, den sie auf der Straße aufgehalten: vielleicht ein Spion, vielleicht ein un schuldiger Wanderer. Der Feldgendarm nimmt den Mann in Empfang. Mit verachtendem Blid sieht er die Schützen an: Herrchen! Bozu Zeremonien mit irgendeinem Aas". Sie ziehen ab. Nach einem Augenlid ein Schuß. Auf dem Gehweg liegt der Leichnam des Verhafteten mit von hinten durchschoffenen: Kopf. Eine kurze mündliche Meldung: Ein Verdächtiger, ich habe ihn ,, gemacht".( Ein Wort aus der Sprache der revolutionären Kampf­organisation.)

Gefängnis zu Kielce , in der Kanzlei amtiert der Chef der Feldgendarmerie, Bürger Rostet ". Sein Gesicht ist aus gemergelt, falt. Die Augen unbeweglich, farblos, wie gebleicht, elles Menschliche ist längst in ihnen erloschen. Man bringe die Verhafteten. Politische Gegner von einst und jeßt. Welch ein Schicksal wartet ihrer? Unter den Schützen freifen Bermutungen.

Die Schüßenkolonne hat sich beim Rückzug aus Kjelce in der Nähe eines Wäldchens aufgehalten. In den Reihen lief die Nach­richt, daß in dem nahen Wäldchen Urteile vollstreckt wurden. Neugierige gingen hin, um das Wert der Gerechtigkeit anzuschauen. Auf Aesten nahe der Erde hingen einige Leichen, auf dem Antlig den Ausdruck des Entjezzens und der Qual. Als die Kolonne fich

Im alten Desterreich war Galizien von der polnischen Schlachta ( dem Grundadel) beherrscht und gegen die Polonisierung des weit überwiegend ukrainisch( und oftjüdisch) bevölkerten Östgaliziens fämpften Dr. Iwan Franko und andere. Daneben ging die Auflehnung der ,, ruthenischen" Feldarbeiter gegen die ausbeutenden polnischen Großgrundbesizer. Die gleichfalls polnischen Bezirkshaupt­männer und Statthalter nuzten die Staatsgemalt gegen die Feld­arbeiter; es gab blutige Zusammenstöße, sogar Gewehrsalven. Der polnische Sozialbemotrat Daszynski , selbst in Ofigalizien ge­boren, der heutige Gejmmarschall, flagte im Reichsrat zu Wien diese Wirtschaft in einer seiner geradezu unvergleichlichen Reden

an.

Ihm trat der Lemberger Uniperfitätsprofeffor Dr. Glem. binsti entgegen, etwa so: Was Daszynski über das angebliche Elend der Feldarbeiter erzählt hat, ist haltlose Demagogie, unwahr non A bis 3, das sage ich Ihnen als Mann der Wissenschaft." Daszynffi aber holte sich aus der Reichsratsbibliothek statistisches der Bibliothekar Dr. Karl Renner wird Regierungsmaterial ihm dabei wohl an die Hand gegangen sein und widerlegte den Adelsanwalt Bunft für Bunft mit den Kehrsatz : So, das sage nicht ich, Herr Professor, das sagt ein amtliches Buch Sie Mann der oftgalizischen Wissenschaft!"

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Damals sprachen die Redner noch vom Platz und wenn Daszynski redete, saßen und standen die meisten Abgeordneten um ihn herum. Schallendes Gelächter begleitete den schrittweijen Rüd­gang Glombinstis bis zu seinem Blaz auf der äußersten Rechten. Er sprach sobald nicht mehr.

ribe.