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BERLIN Mittwoch 1. Oktober

1930

Der Abend

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Nr. 460

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B 229 47. Jahrgang

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Böß nicht dienstentlassen!

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts: Nur eine Geldstrafe

Der 9. Senat des Oberverwaltungsgerichtes hat nach zweitägiger Beweisaufnahme überraschender­weise noch in einer Nachtsizung, die heute früh gegen 2 Uhr ihr Ende fand, das Urteil in dem Disziplinar­verfahren gegen Oberbürgermeister Böß gefällt.

Die Abteilung I des Berliner Bezirksausschusses hatte bekanntlich auf dienstentlassung des Ober­hatte bekanntlich auf dienstentlassung des Ober­bürgermeisters bei gleichzeitiger Pensionstürzung er­kannt. Im Gegensatz dazu ist das Oberverwaltungsgericht

zu einer wesentlich milderen Auffassung gekommen, die fast eine völlige Rehabilitierung des Berliner Oberbürgermeisters bedeutet.

Die Arbeitszeit ist zu lang!

Deshalb werden über 4000 Bergleute brotlos.

Bochum , 1. Oktober. ( Eigenbericht.)

Die Bereinigten Stahlwerte Bergbauleitung Gelfen­firchen haben zum 1. November insgesamt 2600 Bergleuten gekündigt, die fich auf die Zechen Nordstern, Graf Moitte, holland , Pluto , Stahlverein, Rhein- Elbe- Alma und Bonifatius ver­

teilen.

Auch die Gelsenkirchener Bergwerts 2.-G. entläßt auf den Zechen Funke, Dorstfeld, Despel, Grillo und Grimmberg, wie die Berwaltung angibt infolge zunehmender Halden­Abbau von je 49 Mann auf vielen Zechen, der nicht dem Demobilmachungstommiffar angezeigt zu werden braucht.

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts hat folgen bestände, 1475 Mann. Dazu kommt der unbemertte den Wortlaut:

Die Entscheidung des Bezirksausschusses Berlin , Abteilung I, vom 20. Mai 1930 wird dahin abgeändert, daß der Ange­schuldigte mit einer Geldbuse in Höhe feines derzeitigen, ein­monatigen Dienfteinkommens bestraft wird. Die baren Auslagen der Berufungsinstanz fallen dem Angeschuldigten zur Caft." Die verhängte Geldbuße beträgt rund 3000 Mart.

Aus dem Inhalt:

Die Groß- Berliner Funktionär­

konferenz

Neue Filme..

Seite 2 Seite 3

Gewitterwolken über der Rheinschiffahrt Seite 4

Volksbildungsminister Grimme

über Kunstpflege in Notzeiten Seite 5

Erste Arbeiterschwimmfeste

Seite 7

Ueber die Aufsehen erregende Entscheidung des Oberverwaltungs­gerichts in Sachen Böß erfährt die BS.- Korrespondenz noch folgende Einzelheiten:

Die sehr ausführliche Beweisaufnahme erstreckte sich nicht nur auf die Belzangelegenheit, jondern auch auf die Frage der ganzen Oberleitung der städtischen Geschäfte, der Vertrags­abschlüsse mit den Gebrüdern Sflaret, sowie auf die Berhältnisse bei der Berliner Anschaffungsgesellschaft.

Oberbürgermeister Böß hatte am Dienstag in mehrstündigen Ausführungen dem Senat den ganzen Verwaltungsaufbau der Stadt Berlin und seine Tätigkeit in der Oberleitung der Berwaltung er­läutert. Am Nachmittag begannen dann die Plädoyers. Der Ver­treter der Anklage, Oberregierungsrat Gaede, war an sich der Auf­fassung, daß nach dem Ergebnis der Bemeisaufnahme das Urteil der ersten Instanz aufrechtzuerhalten sei, stellte aber schließlich im Hin­blick auf die hier vorliegenden besonderen Verhältnisse die Entschei dung dem Senat anheim. Die Berteidiger setzten sich in mehr­stündigen Ausführungen für die Freisprechung des Beschuldigten ein. Die Verhandlung wurde dann um 8 Uhr abends beendet, worauf sich der Senat

zur Beratung zurüdzog, die nahezu sechs Stunden dauerte. Oberbürgermeister Böß war bei der Urteilsverkündung gegen 2 Uhr nachts noch zugegen und über die wesentlich mildere Beurteilung seines Falles sichtlich befriedigt.

In seiner Begründung betonte der Vorsitzende des Senats, daß in allen zur Verhandlung stehenden Punkten ein Dienstvergehen des Oberbürgermeisters nicht als vorliegend erachtet worden sei, auch meder bei der Bestellung der Frau Stadtrat Weyl zur Stellver­treterin des Bürgermeisters, noch hinsichtlich der sonstigen Dezernats= abgrenzung. Auch in der Pelzangelegenheit sei der Kauf der Belziade bei der Firma Eflaret an sich nicht bedenklich. Eine unehrenhafte Handlung des Oberbürgermeisters habe hier feineswegs vorgelegen, denn bei seiner Stellung und bei seiner ganzen Bergangenheit habe er nicht auf den Gedanken tommen können, daß er bei dieser Angelegenheit bestochen werden sollte. 3u beanstanden sei aber die Art und Weise, wie Böß diesen Kauf reguliert habe, wobei ihm besonders zum Vorwurf gemacht wurde, daß er sich nicht hinreichend darum gekümmert habe, ob die von ihm gewünschte Regelung auch consequent durchgeführt worden sei. In Berbindung damit wurde ihm auch das Telegramm aus San Franzisto vorgehalten, dessen Inhalt sich als objektiv nicht richtig erwiesen habe. Dieser Verstoß sei aber keineswegs mit Dienstentlassung, sondern lediglich mit einer Ordnungs­strafe zu ahnden gewesen.

*

Im Magistrat, der heute vormittag eine Sigung hatte, hat die Rachricht von dem abgemilderten Urteil eine gewisse Genugtuung

In Mülhheim a. d. Ruhr werden auf dem Röhren malzwert der Bereinigten Stahlwerte 800 Arbeiter ent­lassen. Die Mannesmann- Röhrenwerke in Düsseldorf haben als vorsorgliche Maßnahme Antrag auf Entlassung 420 Arbeitern in ihrem Werk in Düsseldorf- Rath gestellt.

Don

Ob und in wieweit diese erneut gegen die Achtstunden­fchicht sprechenden Entlassungen dazu dienen sollen, die Position der Bergarbeiter bei der Beseitigung des Mehr. arbeitszeitabkommens zu erschweren, sei dahingestellt. Ein besserer Beweis für die Notwendigkeit einer türzeren Arbeits­zeit im Bergbau läßt sich faum erbringen.

Die Metallindustrie kommt durch den Winter

DEUTSCHE

EISEN

JND

ROCAR

,, 2000 Arbeiter haben wir entlassen, den übrigen wird 15 Proz. vom Lohn abgezwackt. Jetzt noch die Preise hübsch angezogen; dann wär's doch gelacht, wenn dieser Krisenwinter sich nicht zu einem guten Geschäft entwickelt."

ausgelöst, menn auch die Ueberzeugung vorherrscht, daß nach all den Borgängen von einer Rückkehr des Oberbürgermeisters in sein Amt faum die Rede sein tann. Das entspricht auch durchaus den Ansichten des Oberbürgermeisters selbst. Dieser will zunächst noch den Aus­gang der Untersuchung des Landtagsausschusses und die Erledigung des Falles Sklaret abwarten. Dann wird er wahrscheinlich sein Pensionierungsgefum formell erneuern, das seinerzeit durch die Koalition von Kommunisten, Deutschnationalen, Nazis, Wirtschaftsparteilern und Zentrumsvertretern abgelehnt worden ist.

Man fann heute wohl sagen, daß die Amerikareise des Oberbürgermeisters verhängnisvoll für ihn selbst geworden ist. Wäre er damals, bei Ausbruch des Stlaret- Sturms, im Lande gewesen, hätten sich viele Behauptungen gegen ihn sofort richtigstellen lassen und es wäre kaum die Möglichkeit geblieben, den bei aller unzulänglichkeit des Könnens doch ernsthaft wollen. den Mann so in der Deffentlichkeit zu diskreditieren, wie es ge= schehen ist. Daß er für seine Unvorsichtigkeit bei der Belzjaden Affäre eine dienstliche Strafe erhielt, ist verständlich und notwendig. Ihn aber für alle Ewigkeit zu diffamieren, wie das die erste Instanz getan, gchi weit über das Maß hinaus.

Nachtfitzung in Hamburg .

Steuerbeschlüffe unter Stintbombenwirkung.

In der Sitzung der Hamburger Bürgerschaft, die gestern um 10 Uhr abends begann, wurde zunächst eine am Montag nicht zu

Ende geführte Aussprache über eine kommunistische Anfrage abge­fchloffen. Nach der Annahme einiger Senatsanträge begann die 3weite Cefung der in erster Lefung angenommenen Steuergesetze.

Die Beratung verlief unter mancherlei Schwierigteifen und wischenfällen. Deutschnationale, Nationalsozialisten und Kommu­niffen versuchten, Obstruktion zu treiben. Mehrere fommu­niftische Abgeordnete wurden auf ein bis zwei Monate von den Sigungen ausgefchloffen. Stinfbomben wurden in den Saal geworfen und die Sicherungen aus den Licht. leitungen entfernt, um die Durchführung der Sigung unmöglich zu machen.

Erst gegen 2% Uhr früh fonnte die Abstimmung der drei Steuergesetze vorgenommen werden. Das Gemeinde- Biersteuergesel wurde mit 80 gegen 51, das Gemeinde- Getränkesteuergesetz mit 76 gegen 53 und die Alenderung des Gewerbesteuergefehes mit 79 gegen 49 Stimmen in zweiter und lehter Lefung angenommen. Alle drei Gefeße treten am 1. Oktober in Kraft.

Der Widerhalf.

Die Aufnahme des Ganierungs" Programms.

Die Aufnahme der Regierungsvorschläge zur Bereinigung der Finanznotlage findet in der Presse der Parteien eine sehr zurück­haltende Aufnahme. Völlig einverstanden scheint zunächst nur das Sentrumsorgan, die Germania ", zu sein, die sich folgendermaßen äußert:

Die Reichsregierung wird mit ihrem Prcgramm vor den Reichstag treten. Sie wird die neu gewählte deutsche Volks­vertreter zu großer Entscheidung aufrufen. Der Weg, den sie uns führt, geht eng und schmal an Abgründen vorbei. Einen an= deren Weg gibt es nicht. Andere Möglichkeiten zur erfolgreichen leberwindung unserer finanziellen und wirtschaft­lichen Not und zur Anbahnung einer dauerhaften Gesundung sind nicht vorhanden. Und vor allem: Es ist keine Zeit mehr zu ver­lieren! Wenn sich im Reichstag wider Erwarten eine Mehr­heit für die Maßnahmen des Kabinetts nicht finden sollte, dann bedeutet dies eine Gefährdung von Volk und Staat, die in ihrer ganzen Tragweite noch gar nicht abzusehen ist. Dann werden wir die Kredite, die wir erwarten und bedürfen, und die in ficherer Aussicht stehen, nicht erhalten. Das weitere ist dann ein Chaos, für das diejenigen die Verantwortung tragen, die sich aus untergeordneten und unhaltbaren Gründen einer lebenswichtigen Entscheidung, einem großen Appell an die Vernunft entziehen."

Die schwerindustrielle ,, Deutsche Allgemeine Zeitung" begrüßt in dem Regierungsprogramm den Gnadenstoß für den Staats­jczialismus" und sieht in ihm einen Auftakt zum allge= meinen Lohnabbau, ohne den sich die Gehaltskürzung bei den Beamten nicht verantworten lasse.

Die ,, Deutsche Tageszeitung", das dem Reichsernährungsminister Schiele nahestehende Agrarierblatt, schreibt:

Wie die Durchsehung des Programms fich gestalten soll, ob die Regierung den Versuch machen mill, es auf parlamen= tarischem Wege zu erledigen, ob sie geneigt ist, Aenderungen in Einzelpunkten zuzugestehen, oder ob sie, vielleicht nicht ohne lleberschäßung ihrer inneren Stärte, in Bausch und und Bogen den Artikel 48 zu Hilfe nimmt, das sind noch ungeklärte Fragen, über die aber bei dem bestehenden Drang der Zeit schon die nächsten vierzehn Tage die Entscheidung bringen müssen."

Hugenbergs Lokal- Anzeiger" spricht von dem Programm als von einem ,, Stüdmert". Der Sanierungsplan Brünings bedeute nichts weiter als den Versuch, das deutsche Velt durch Sparmaß­nahmen in die Lage zu sehen, die Tribute an das Ausland etwas bequemer zu zahlen, als das bisher der Fall gewesen sei. Diese Maßnahmen feien aber fein Befreiungswert, sondern nur eine An­passung an die wirtschaftliche und politische Versklavung.

Brüning will verhandeln.

Empfang von Sozialdemokraten. Reichskanzler Dr. Brüning hat die Führer der Sozial­demokratischen Partei zu einer Besprechung gebeten, die morgen vormittag stattfinden wird.

An Stelle der im Programm der Aktuellen Abteilung des Rundfunk angefündigten Zeitberichte spricht im Programm der Aftuellen Abteilung heute, Mittwoch, den 1. Oktober, abends 7.30 Uhr, der Vizekanzler und Reichsminister Herr Dr. Dietrich über die neuen Reformpläne der Reichsregierung.