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Nr. 96.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band  : Deutschland   u. Defterretch­Ungarn 2 M., für das übrige Ausland 3 Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Poft Beitungs- Preisliste für 1896 unter Nr. 7277.

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Vorwärts

13. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Betitzeile oder deren Maum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 fg. Inserate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonts und Festtagen bis 9 Uhr vormittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508 Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin".

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Ein typischer Junker.

Freitag, den 24. April 1896.

Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3:

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aber der Herr Baron   v. Hammerstein hätte schneidiger noch[ erzeugt aber unter ihren Anhängern eine jede Partei, die als es in dem Organ des Sachfenwaldes und in dem der für sich in Anspruch nimmt, die Hüterin der herrschenden Plößgenossen zu lesen war, sich für das Duell ins Zeug Sitte und Moral zu sein. gelegt, durch das unser herrliches Offizierkorps fich die Mannesehre, Moral und Sitte bewahre.

Von der Königstreue wollen wir in diesem Zusammen­hange nicht weiter reden, obgleich gerade die Hammersteine Sache neue Beweisstücke dafür herbeigebracht hat, daß die Junker auch heute noch sich von dem Grundsage leiten lassen: und der König absolut, wenn er unsern Willen thut!

Ein typischer Junker, salbungsvolle Neden auf den Lippen und die Duellpistole in der Hand, hat er sich durch­gefämpft lange Jahre als Führer der kleinen, aber mächtigen Partei, die sich anmaßt, Thron und Altar stüßen zu wollen. Gottesfürchtig und dreist, ein typischer Junker! So hat er gelebt, so hat er auch im letzten Augenblick noch Bestreitet das die Junkerpartei? fich zu vertheidigen gesucht. Durch Einflechten demüthigen Dann nehme man doch nur einen anderen typischen Gottvertrauens und einer versteckten Drohung mit fom- Junker unserer Zeit, an den sie sich lieber erinnern läßt, Aber der ewige Anspruch der konservativen Partei, promittirenden Enthüllungen in seiner Bertheidigungsrede den Herrn und Fürsten   v. Bismarck  , Herzog v. Lauenburg  . Hüterin der Moral zu sein gegenüber anderen Parteien, suchte er sich mildernde Umstände zu erwirken. Glänzte er nicht auch durch Eigenschaften hervor, durch muß zur Heuchelei führen, denn es versteckt sich hinter dieser Das Manöver gelang nicht, meil er seine der die Herr von Hammerstein sich seine Stellung Moral" weiter nichts als der Anspruch, die bestehende Rechts­zeitige Lage nicht richtig zu würdigen wußte er hat errungen und unter den schwierigsten Umständen behauptet ordnung, weil sie den Interessen der konservativen Gesellschafts­sehr ungeschickt gesprochen, wie Herr Stöcker sich ausdrückte hat? Gottesfürchtig und dreist! Hat es Herr v. Bismarck   klassen günstig ist, als geheiligt und unantastbar gelten zu lassen. - aber in der Rolle ist er geblieben bis zuletzt. Die jemals an salbungsvollen Versicherungen der Gottesfurcht wie wenig übrigens Königstreue und konservative Gesinnung Junterhaut hat er nicht abgestreift, er wird die Zuchthaus  - fehlen lassen? Ließ er nicht auch zu geeigneter Zeit an sich verknüpft sind mit Moral oder auch nur Religiosität, tleider nur darüber ziehen. den Pistolenhahn knacken? Oder ist die föstliche dafür giebt es ein wahrhaft klassisches Beispiel in dem

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Ein typischer Junker, gottesfürchtig und dreist, war er von ihm selbst erzählte Geschichte, wie er ins Parteifämpfen der konservativen englischen Ravaliere unter und ist er geblieben, der Herr Baron  . Das typische, das Abgeordnetenhaus stieg, die Pistole in der Tasche, den Stuarts   mit den republikanischen Rundlöpfen Crom­möchten wir indeß ausdrücklich betonen, ist aber weder zu um Herrn v. Vincke niederzuknallen, wenn er die wells. Damals nahmen die Revolutionäre, die Republi suchen in den Verbrechen, die er begangen, noch in der Absehung König Friedrich Wilhelm's IV. beantragen sollte, faner, Moral und Religiosität für sich in Anspruch und verbrecherischen Veranlagung, die ihn vielleicht auf die ab- nicht ein glänzender Koup, würdig des Hammersteiner's wahrlich mit mehr Recht als die heutigen preußischen schüssige Bahn geführt hat. Verbrechen werden von Leuten in seiner besten Zeit? Natürlich nicht des wechselfälschenden Junter. Die Kavaliere aber galten wegen ihrer ausschweifen mit allen möglichen politischen Ansichten begangen; ver- Betrügers Hammerstein, sondern des königstreuen mit dem Lebensweise den Puritanern als Söhne Belials". brecherische Veranlagung begünstigt weder, noch hindert Pistolenhahne knackenden Junkers Hammerstein. Gottes- Der heutige religiös- moralische Aufpuz der preußisch­sie die Annahme irgend einer politischen Ansicht. fürchtig und dreift, typische Junker beide! deutschen   Junkerpartei ist nur eine durch historische Ein­Also daß Herr v. Hammerstein, durch seine ver- Zwar dem Bismiärder fehlte der katilinarische Zug flüsse herbeigeführte Aeußerlichkeit, aber ein Hilfsmittel in brecherischen Neigungen und mißlichen Vermögensumstände alieni appetens, sui profusus, fremdes begehrend, das seinige der Vertheidigung der materiellen Partei- Bestrebungen. Und getrieben, zum Verbrecher wurde, daraus machen wir der verschwendend der den Hammersteiner ins Verderben deshalb glauben wir auch nicht, daß der Prozeß Hammer tonfervativen Partei keinen Vorwurf. Daß er trotz seines brachte. Wenigstens war der Bismärcker niemals sui profusus. stein die moralisirende Wirkung haben wird, die naive verbrecherischen Treibens sich aber so lange an der Spize Seine bittersten Feinde werden ihm das nicht Politiker von ihm erwarten, ihm erwarten, nämlich eine Einkehr feiner Partei halten konnte, das ermöglichten ihm die zwei nachsagen. Das ist überhaupt kein Charakterfehler preußischer bei den Konservativen herbeizuführen und sie zum. typischen Junkerqualitäten, die ihn zu einem so schätzens- Junker. Daß der verunglückte Hinterpommer in der Hinsicht Verzicht auf ihre unbewußte Heuchelei zu bewegen. Es werthen Parteiführer und Parteitämpen in den Augen aus der Art schlug, war sein Verderben. Augenscheinlich liegt im Interesse der Junker, daß die bestehende Rechtsord seiner Parteigenoffen gemacht haben: Er war gottesfürchtig ein Zeichen der Decadence. Alieni appetens sind die Junker als nung vertheidigt wird auch durch Aufrechterhaltung des und dreist. Er verstand Moral zu predigen wie nur ein Klasse indeß von je gewesen. In der Beziehung zeigt sich noch Glaubens an deren besondere Moralität, und des­Hofprediger, er verstand die Pistole zu handhaben wie teine Entartung. Die junterliche Raffgier bethätigt sich auch halb werden die die Nachfolger des Herrn Baron der besten einer unter den Edelsten der Nation. In jetzt noch in schreiendem Maße; allerdings suchen die heutigen zwar nicht mehr so fräftig den Pistolenhahn knacken lassen, feinen Glanzzeiten wurde er bewundert und ver Junker ihren Appetit zu befriedigen auf legalem Wege wie Herr v. Bismarck   oder Herr v. Hammerstein ehrt von den Junkern und Pastoren, weil er Feuer und durch die Erjan merung staatlicher Liebesgaben aller Art, Manöver ist neuerdings etwas in Miskredit gekommen Echwefel herabzeterte auf die Ungläubigen, die Feinde der nicht wie der mißrathene Hammerstein durch Fälschung und aber nach wie vor salbungsvolle Reden von sich geben für Staats- und Gesellschaftsordnung, und aus Herrn v. Kröcher's Unterschlagung. Königstreue, Sitte und Moral". Munde haben wir vernommen, wie trefflich ihm zur Eicherung seiner Stellung die Furcht vor seiner zielsicheren Quellpistole bei den Parteigenossen, denen Zweifel an seiner Ehrlichkeit aufgeftiegen waren, zu gute gekommen ist.

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Tene.

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Politische Uebersicht.

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Nicht die Eigenschaften, durch die er zu Falle gekommen, sondern die, durch die er emporgekommen und sich gehalten, machen Herrn v. Hammerstein zu einem typischen Funker. Und daß ein solcher Mann mit solchen Eigenschaften durch Berlin  , 23. April. Gottesfürchtig und dreift bestand in diesen Eigen- die Junkerpartei hochgehalten wurde nur in dieser Partei Jm Reichstage wurde heute die Prüfung der Parteien schaften nicht sein Werth für die Junkerpartei? Glänzte er konnte er sich eine solche Rolle erzwingen das verleiht in betreff der Arbeiterschußfreundlichkeit be­durch sie nicht hervor als ein typischer Junker? Man denke dem Fall Hammerstein seine politische Bedeutung. endet, und wenn auch nicht wie gestern ein sozialdemo nur einmal, ein günstiges Geschick hätte ihn vor dem Zucht- Der Staatsanwalt hat den Baron einen Heuchler genannt, fratischer Redner das negative Ergebniß dieser Prüfung hause bewahrt. Würde er durch die Bethätigung jener weil er dem Wesen seiner Partei gemäß für Königstreue, ausdrücklich und vornehmlich feststellen konnte, so fand sich Eigenschaften nicht auch jetzt noch tagtäglich das Entzücken Sitte und Moral" gar schwungvoll geredet und geschrieben. doch auch heute ein Echinßredner, der den arbeiterfeindlichen der Junker und Junkergenossen erregen? Dem Professor Wir glauben gar nicht einmal, daß er ein bewußter Tiraden gegenüber die Vernünftigkeit der Bundesraths­Kropatscheck ist bei der Duelldebatte die Puste ausgegangen, Heuchler war. Eine unbewußte Heuchelei dieser Art bestimmung auch von dem Arbeitgeberstandpunkte aus ( Nachdruck verboten.) fegte fich rückwärts in eine Bank, ganz in die Ecke. empor bis zu den Glocken und Schalllöchern. Sie mußte Todtenstill erschien ihr die Kirche anfangs, lauwarm an sich halten, um nicht aufzujauchzen. Da lag das Roman von Nicolaus Krauß. die Luft und ganz gesättigt von dem Duft ganze Land weit und breit vor ihr: Maria Kulm  des zerflatterten Weihrauchs. Aber bald spürte mit feiner großen Wallfahrtskirche, Pochlowitz am Fuße Sie ging nicht ungern in die Kirche, aber Sonn- und sie aus dem einen Geruch mehrere andere heraus, fie roch des Berges am Waldsaume, Leibitsch und drüben Teschau. Feiertags lieber als an Werkeltagen. An diesen war es für das Harz in den alten föhrenen Bänken, den Duft der Kaum satt sehen konnte sich das Kind, und der ernste Bug, sie öde und leer in der Kirche, nur die Schulkinder waren Krausemünzen, Frauenblätter, der Thimians, die in großen der es sonst kennzeichnete, war aus seinem Antlig ganz darin und einige alte Weiblein, und ein einfaches Lied Büschen rechts und links von den Tabernakeln standen, und verschwunden. wurde gesungen in einer Stimme. Und kaum, daß die jenen eigenthümlichen Geruch, den man auch auf der Zunge Bevor die Lene wieder in das Schulhaus zurückkehrte, " Aufwartbuben" klingelten. Aber am Sonntag! Da spürt und der in allen alten Kirchen wittert. Und jetzt ging fie jedesmal rund um die Kirche. Vorn, gegen Dampften die blauen Wolken des Weihrauchs zu den Gewölben hörte sie auch den gleichmäßig ruckenden Pendelschlag der das Dorf zu, hatten die Reichen und Wohlhabenden empor, auf allen Altären und vor jedem Heiligen brannten Thurmuhr. Eine Miaus tam unter dem Hochaltar hervor, ihre Gräber. Auf den Hügeln blühten Blumen, die großen, dicken Wachskerzen, das flammte, gleißte und lief unter die Bänke und knabberte dann an einem auf den die Kreuze waren von Eisen oder Stein, vergoldet glizerte; der Pfarrer sang das Amt mit seiner schönen, Boden gefallenen Wachstropfen. Eine zerbrochene Fenster- und mit goldenen Buchstaben beschrieben. Hinter der weichen Stimme, die Orgel erbraufte bei aufgezogenen Re scheibe flirrte unter der Berührung eines Eschenzweiges, für Kirche ruhten die Armen. Ueber die eingesunkenen Gräber gistern, die Geigen fielen ein und die Hörner, es war schön, furze Augenblicke tamen Spaßen auf die Fenstergitter wuchs das Gras, von den kleinen schwarzen Holzkreuzchen zum Weinen. Die ganze Kirche war gedrückt voll von und ließen ihren wüthenden Raufruf hören; ein hatten die meisten die Arme verloren. In dem Beinhause, Menschen. Unten in den Betstühlen saßen die Rothschwänzchen wippte durch das Schiff, ließ sich auf das das sich an die Kirche lehnte, lagen hunderte von Knochen Frauen, oben auf den beiden Seitenchören standen hochgezogene rechte Knie des heiligen Oswald nieder und und bleckende Schädel in einem wirren Haufen hinter der die Männer. Und dann kam der alte Spengler, der sah mit seinen klugen Augen schier andächtig zu dem Schutz- schwarzen Todtenbahre. Der Kirchhofsmauer entlang standen alte Kirchenvater, dem sie ausriß, wo sie ihn traf, weil er patron des Viehes empor. Und ganz plöglich gab es einen fräftige Zwetschkenbäume, einer neben dem andern. Die fie immer an den Zöpfen ziehen wollte, in seinem grün- lauten, dumpfen Krach in dem alten Gebält der Chöre. schönsten Pflaumen wuchsen darauf, blaue und gelbe, und gelben Mantel, den er Sommer und Winter trug, und mit War es wieder still geworden, dann hörte Lene ganz deut fast so groß waren sie wie Hühnereier. Aber kein Kind seinem Klingelbeutel. Und wenn die Bauern ihn sahen, lich das Wispern, Zischeln und Raunen in den beiden hohen berührte jemals eine dieser Früchte; man sagte, sie schmeckten dann ließen sie den Kopf auf die Brust sinken und thaten, Pappeln, die den Eingang zum Friedhof bewachten. nach den Todten, die unter ihnen schliefen. Der Lene als ob sie schliefen. Aber das Glöcklein kicherte so lange In diesen Augenblicken begann das einsame Kind zu haben sie herrlich geschmeckt, all die Jahre, die sie in Mühl­vor ihren Ohren, bis sie schadenshalber in den Leder- träumen von seiner alten, wirklichen Heimath, seinem effen war.... beutel oder die Schweinsblase griffen und einen Groschen todten Vater und der dahingegangenen Mutter. Wo mochte Die Mühleffener Schulbuben konnten es sich nicht er­opferten. jetzt der Maß sein und die Barbara, und was mochten fie treiben? Klären, warum die Fremde gerade an ihren Spielen theil­Und doch war es auch an diesen Tagen noch nicht am Und wenn sie die Sehnsucht gar nicht mehr zähmen konnte, nehmen wollte. Sie war ein Mädel, gehörte also zu den schönsten in der Kirche. An flaren Sonntagnachmittagen dann stieg sie durch die Fallthür auf den finfteren Kirchen- Mädeln. Mit diesen sollte sie spielen, da hätte feiner im Sommer und Herbste nahm Lene den großen, hohlen boden hinauf, wo unter einer Lawine von Ruß und Staub etwas dagegen gehabt. Aber Lene war harnäckig. Jmmer Schlüssel vom Nagel und ging die kleine Höhe hinauf, die ausrangirten Heiligen und die alten Kreuzwegbilder und immer wurde sie fortgeschubft, aber stets schloß sie über den Friedhof zur Kirche. Schon das Knirschen und trauerten, drückte sich an der Uhr vorbei, die ihr mit ihren sich wieder an. Nur war sie so schlau, erst hintennach zu pfeifende Quietschen des Schlüsselungethüms jagte ihr großen Rädern und wuchtigen Steingewichten wie ein gehen. Kam dann ein besonders Wüthender mit geballten wollüftige Schauer den Rücken entlang. Sie trat ein und lebendiges Ungeheuer erschien, kletterte die vielen Sprossen Händen auf sie zu, so lief sie, blieb aber sofort stehen,