Beilage
Freitag, 3. Oktober 1930
Der Abend
Snälausgabe des vorwärts
Sturmfahrt im Schwarzen Meer
Orientalische Typen und Zwischenfälle
Rize ( Kleinasien ), im September 1930. Auf der schaufelnden Falltreppe des fleinen 4000- TonnenDampfers balancieren drei merkwürdige Gestalten in die Höhe. Jede von ihnen schleppt eine riesige Zinnkiste auf dem Rücken, auf denen dick mit roter Farbe geschrieben steht: Excursion BrechtBergen. Die armen Kerle, in lächerlichen, an den Knien abge= schnittenen Hosen und khakifarbigen Wollhemden, verschwinden fast unter ihrer Last. Doch kaum haben sie die Sachen oben abgestellt, so springen sie nach Zurücklassung einer Wache die Stufen wieder herunter und eilen auf eine größere Gruppe zu, die ebenso fomisch aussieht. Unter ihnen ist ein älterer Mann in einer Lederjacke, der einige Worte zu den Leuten sagt, morauf sie alle ein Bündel auffegen und ebenfalls auf das Zwischended des Dampfers steigen, der im Hafen von Konstantinopel zur Abfahrt nach dem Schwarzen Meere bereit liegt.
Diesen Eindruck müssen wir auf die staunenden Türken und Kleinafiaten gemacht haben, die unsere Eispicel und Gletscherseile mißtrauisch betrachteten und uns sicher für eine europäische Truppe mit ganz sonderbaren und geheimen Aufträgen hielten. Dabei waren wir ganz harmlose Kerle, die eine Fahrt in das wilde Bergland Lafistan machen wollten und mindestens genau soviel Angst vor den berüchtigten Räubern und Blutrache nehmenden Eingeborenen hatten, wie diese vor uns.
Vorläufig waren wir ja noch unter dem Schutze der Zivilisation.
Bor uns liegt ein großer deutscher Dampfer, der riesige Kisten mit
Ford- Autos auslädt.
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Uns war das meer weniger günstig, als den Griechen, die ihm diesen schönen Namen gegeben haben, denn es regnete in vollen Strömen. In den Löchern des Zwischendecks war ein unbeschreiblicher Gestank. Frauen, Männer und Kinder lagen wild durch einander. Wer Gepäck hatte, legte sich darauf, um es zu beschützen. Da fonnten wir also taum noch hinein.
Doch auf Deck standen zwei Eisenbahnwagen, die zu einer neuen Strecke nach Angora geschafft werden sollten. Warum sollten wir darin nicht Play nehmen. Wir klettern also durch das Drahtgetaue hindurch, mit denen die Wagen verankert waren und schlüpften durchs Fenster einer nach dem anderen hinein.
Den Protest eines Matrosen ignorierten wir einfach, indem wir uns stellten, als hätten wir feine Ahnung, was er von uns wollte. Im trüben Dunst des Regentages verschwanden die schlanken Minaretts und die breiten Kuppeln der Moscheen. Die sonnige Märchenstadt weint uns zum Abschied..
An den Sommervillen der reichen Türken und den Befestigungswerken dieser strategisch wichtigen Wasserstraße vorbei, schwimmt unser Kasten noch vollkommen ruhig durch die„ Rinderfurt", durch
die nach griechischem Mythus eine Göttin als Kuh von Asien nach
Da meldet unser Ausgud die Brandung des Schwarzen Meeres . Mit dem Fernglas sehen wir die weiße Gischt an den Felsen hochspringen. Wie wird es uns in den engen Waggons ergehen?
Dieselbe Befürchtung hatte wohl auch der Bootsmann, als er uns energisch aufforderte, die Eisenbahnwagen zu verlassen.
Nun, der Regen hatte ziemlich aufgehört und so placierten wir uns auf den Boden des Borderdecks, den kommenden Stunden eines lebhaften Sturmes als ausgesprochene Landratten mit Sorge entgegensehend.
Doch es wurde nicht so schlimm. Die Bewegungsfreiheit und frische Luft an Ded hält uns lebendig. Wer nicht mehr anders kann, lehnt sich über die Reeling und opfert den Fischen... Da hilft nichts, auch nicht die Pillen gegen Seekrankheit, die ein besonders Borsichtiger genommen hatte. Selbst unseren eisernen Waggons schien dieses ewige Auf- und Absteigen zu viel zu werden, denn sie fingen an, verdächtig hin und her zu wackeln. Ein Glück, daß wir nicht mehr darin jaßen. Es wäre doch ein schmählicher Tod, aus gerechnet in der Holzklasse elend im Meer zu verjacken. Ganz so profan stelle ich mir meinen letzten Ruhekasten doch nicht vor.
Die Seeräuberflotte
Am nächsten Morgen liegen wir vor Jnepoli. Strahlende Sonne glüht über der Küste von Kleinafien. Die waldige Berglandschaft mit sierlichen Holzhäusern und großen Obst- und Gemüsegärten entspricht durchaus nicht meinen Erwartungen einer schrecklichen Wildnis. Ganz im Gegenteil überrascht uns die Sanftheit und Ausgeglichenheit des Bildes, das unserer Bergstraße ähnelt. Nur die Menschen, ihr Aussehen und ihre Kleidung erinnern uns an
den Orient.
Jetzt kommt ein ganzes Geschwader kleiner Ruder- und Segelboote auf uns zu. Es sind alte Kähne, breit gebaut, mit kurzen Enden, die in einer seltsamen Figur endigen. Nun kann man die Infassen erkennen; verwegen aussehende Kerle, die ihre ganze Kraft aufwenden müssen, um an uns heran zu kommen.
Da legt sich das erste Boot an die Spitze unseres stolzen ,, Resid Bascha", ein verlumpter Geself wirft ein Seil hinunter und flink flettern ein paar fagenartige Gestalten an Bord. Unter johlendem Geschrei rennen sie auf Deck herum, vort allen Seiten kommen jetzt noch andere hinzu, und einer hat es eiliger als der andere.
Scheinbar hat man es auf einen Ueberfall abgesehen; wir stellen uns in Kampfesstellung vor unsere Rucksäcke und Kisten. Richtig, stellt sich so ein brauner, halbnackter Bursche in Position vor uns hin und deutet auf seinen Korb mit lebhaften Gebärden. Wir denken nichts anderes, als er will, daß wir unsere Sachen hineinlegen und sind uns noch nicht einig, was zu tun ist. Da hebt er den Deckel auf und fommt mit einer Melone und verschiedenen Obsttüten auf
uns zu.
Wir sehen uns dumm an und brechen in ein herzhaftes Gelächter aus, was er fehr übel nimmt und denft, wir wollten ihn
auslachen. Wir müssen ihn also durch einen großen Kauf wieder| nach dem anderen von meinen Kameraden langsam einschläft, sich im besänftigen und bald taut jeder an einem 20 Zentimeter langen Halbschlummer zudeckt und in die lebhaften Träume einer südlichen Nacht hinübersinkt. Stück der grünen Waffermeione.
Das ganze Theater und Gedränge war nur ein Kampf um die Kunden, dasselbe Lied in allen Landen
Erst jetzt wird die Treppe hinuntergelassen, die Passagiere drängen sich mit ihrem schweren Gepäck zu den Uebersetzbooten und diese wieder schlagen sich gegenseitig um den ersten Plaz, denn niemand weiß, wieviel Leute hier aussteigen werden. Ich stehe staunend vor diesem Trubel und wundere mich, daß niemand dabei ins Wasser fällt.
,, Die Eile ist des Teufels", sagte unser Aga Ben in Konstanti nopel . Das, was sich hier zeigt, ist die Parodie auf dieses türkische Sprichwort.
Die Derwische und der Dieb
Auf der Ladeluke, neben unserem improviſierten Nachtlager fizzen drei alte, ehrwürdige Derwische in Gebetsstellung und ver= neigen sich in rhythmischer Folge zwischen dem Murmeln ihrer
Gebete. Hell leuchten die weißen Tücher um die dunklen Gesichter. Blutrot geht im Westen die Sonne unter. Das Meer färbt sich vom Grün des Tages in tiefes Blau, bis es schwarz wie Tinte wird.
Wir legen uns auf die Planken, stellen rundherum das Gepäck
Auf Wache
Ich selbst muß noch zwei Stunden Wache stehen, bis ich wieder abgelöst werde. Still in Gedanken versunken, starre ich in den dicken Rauch des Schornsteins, denke an die schwizenden Trimmer an den Kohlenfeuern und ein halbes Jahr zurück an die Zeit, als ich ebenso in der Glut des Maschinenraumes eine Fahrt von New York bis Hamburg schuftete.
Plötzlich sehe ich, wie von der Kommandobrüde das Vorderded scharf beobachtet wird. Ich denke also, vielleicht haben sie auf mich Berdacht und gehe rund um unser Lager auf und ab, um meine Wachtätigkeit zu demonstrieren. Neben uns schlafen schon lange die forglosen Derwische.
Da schaltet sich von oben die helle Beobachtungslaterne ein, ein verständliche Befehle gegeben. Sie gehen vorsichtig an das in großen Pfiff ertönt und den herbeieilenden Matrosen werden für mich unziehen einen verlumpten Soldaten darunter hervor. Mengen herumliegende Gepäck der anderen Passagiere heran und
Es war einer der gefangenen Kurden, den ein Soldat in ein Gefängnis im Inneren des Landes überführen sollte. Wahrscheinlich hatte der Wachhabende den armen Kerl die Nacht über ohne Fesseln gelassen und dieser wollte die Gelegenheit benutzen, um sich vielleicht
auf und schauen in das Gewirr der Masten über unseren Köpfen. Die Hilfsmittel für eine spätere Flucht zusammenzustehlen.
Wenn man den ganzen Tag auf Deck herumfigt, so kommt in den lauen Sommernächten nur langsam der Schlaf. Zumal, wenn man in die glitzernde Sternenpracht einer Tropennacht sieht und ein Freund romantische Phantasien auf seiner Geige dazu spielt. Selbst der Offizier auf der Kommandobrücke schaut auf uns Plebejer herab und hört sich das seltsame Abendkonzert an. Das Meer hat sich beruhigt. Wie durch traniges Del gleitet unser Schiff geräuschlos durch das pechschwarze Wasser. Nur die Maschinen stampfen in ehernem Taft, Tag und Nacht.
Bon meinem Beobachtungsplatz aus tann ich sehen, wie einer
Jetzt wurde er von den derben Matrosenhänden gepackt und davongeschleift. Ganz verstört und verschlafen wankte der aufpaffende Soldat mit aufgepflanztem Bajonett aus den unteren Räumen heran und hat wahrscheinlich einen derben Verweis für seine Gutmütigkeit einstecken müssen.
Alles hatte sich ganz leise abgespielt, feiner hatte ein lautes Wort gesagt. Weiter zieht das Schiff seinen Weg durch die Nacht. Ich wecke meine Ablösung, erzähle ihm die Geschichte und liege noch lange wach in der Schwüle der seltsam erregten Nacht... Karl Möller.
Ein verschollener Kurort
und fein Barockmärchen
Welibekannt sind die böhmischen Bäder Karlsbad , Marienbad , Franzensbad , Teplitz ; völliger Vergessenheit anheimgefallen ist das Bad Kukus in Ostböhmen, das um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert seine glanzvollste Zeit erlebte, Prunkkarossen brachten Kurgäste aus aller Herren Länder. Nach dem Muster des fran zösischen Sonnenkönigs wußte Graf Spor& seinen Besitz mit funstvollen Gärten, Springbrunnen und Wasserkünsten aller Art nach dem damaligen Geschmack anziehend zu gestalten. Neben dem Badehaus stand das kleine stilvolle Schloß. Eine breite Schloßtreppe, haus stand das fleine stilvolle Schloß. Eine breite Schloßtreppe,
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Der chriftliche Streiter
Romer
von kleinen Wasserfällen flantiert, führte zum Badeplaz herab. Standbilder der vier Jahreszeiten und ein steinerner Riese Poly phem , der bei leisem Windhauch liebliche Musik zum Besten gab, zierten ihn. Ein Schauspielhaus für die italienische und die deutsche Oper wurde 1702 errichtet. Die Jagdkapelle, durch die das Waldhorn von Paris nach Deutschland eingeführt wurde, erlangte Weltruf. Der deutsche Dichter Christian Günther weilte hier mehrere Jahre und besang in endlosen Oden das Kutusparadies". lleberhaupt verstand Graf Spord mit großem Geschid, hervorragende Baumeister, Bildhauer und Maler nach Kutus zu bringen. Bis zu ihrem Tode waren sie hier dauernd beschäftigt, denn der Graf mar non einer wahren Bauleidenschaft besessen. Theater, rauschende Feste, fostspielige Jagden, Vergnügungen aller Art bes
friedigten ihn aber auf die Dauer nicht. Seine tiefe Religiosität drängte ihn, große Büchereien anzulegen und eine eigene Druckerei zu errichten, aus der tausende Bücher religiösen und belehrenden Inhalts hervorgingen und unter die Bevölkerung verteilt wurden. Bald geriet er in Konflikt mit den Jesuiten , deren geschworener Feind er war. Hatte er doch als Erster den Freimaurerorden nach Böhmen gebracht. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten, in deren Verlauf 30 000 angeblich glaubensfeindliche Bücher beschlagnahmt und der Graf selbst in das Prager Gefängnis geschleppt wurde, endeten schließlich zu seinen Gunsten. Damals ließ er die gewaltige Statue des Miles Christianus"( des wahren christlichen Streiters), dessen gezücktes Schwert gegen das benachbarte Jesuitenkloster Schurz drohte, an der Grenze seines Besizes aufstellen. Dem Richter Neumann zum Spott errichtete er die Riesenfigur des„ Goliath". Dieser Goliath war niemand anderes als Neumann, der einen Rechtsstreit des Grafen ungebührlich lange hinausgezogen hatte. Als das Standbild entfernt werden sollte, ließ der Graf einen David mit der Schleuder daneben aufstellen und gab die Spottgestalt für den Goliath aus.
Heute sind die Badeanlagen samt Schloß und Garten längst verfallen. Aber die barocken Riesenfiguren sind stehen geblieben und der Höhe gegenüber hat das edelste Werk des Grafen, die Stiftung Rufus, die Jahrhunderte überdauert. Noch heute ver bringen hier hundert alte gebrechliche Leute des gräflichen Gebiets nach dem Willen des Stifters ihren Lebensabend. Breite, schmungnolle. Steintreppen geleiten zur großen Terrasse, unter der die gewölbte Gruft den zierlichen baroden Steinbau der Kirche trägt. Hier, vor der Kirche und längs des Stiftsgebäudes, schwingen und lächeln in barocker Grazie die zahlreichen Statuen, die der Tiroler Matthias Braun aus dem Stein gehauen hat. Selten ist der Geist des Barocks in einer solchen Fülle von belebten und bedeutungsvollen Standbildern an einem Ort vereinigt zu genießen! 34 Statuen, links die" Tugenden", rechts die Untugenden", in der Mitte die Religion" und die Acht Seligkeiten", endlich der Engel des Lebens" und der Engel des Todes" bringen graziöjes Leben in diese Stiftung, deren Insassen in ihren plumpen Lodenjoppen steif und altväterisch dagegen wirken. In der Kirche selbst fesseln die Altarbilder Peter Brandels, den der Graf aus Prag hierher berief.
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Zu den seltensten lleberraschungen gehören die aus den gewachsenen Feisen gehauenen Steinbilder in Neuwalde, eine Stunde non Rufus.„ Bethlehem " nannte der Graf diesen Andachtsort, zu dem er oft von Kufus hinüberpilgerte. In die Felsenmauer find Szenen aus der biblischen Geschichte eingemeißelt, wie die„ Anfunft der heiligen drei Könige" und die Jagd des heiligen Hubertus". Aus dem Grün des Waldbodens wächst das barocke Rund des Jakob brunnens, zwischen Fingerhut und Brombeerbüschen windet sich der verfolgte Einsiedler Garino über einem Totenkopf, Magdalena, weil über Lebensgröße, liegt büßend im Grase.
1738 starb Graf Spord. Sein Vater war ein Bauernjunge aus dem Westfälischen, der von Hause weglief und in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zum Reichsgrafen und österreichischen Reitergeneral aufstieg. Vom Kaiser wurde er reich mit böhmischen Gütern beschenkt und sein Leben lang war das Kriegshandwerk seine liebste Beschäftigung. Noch heute leben die Nachkommen des Grafen Spord in Kutus; sie zehren wie die anderen 100 Pfründner von der immerwährenden Stiftung des ersten Freimaurers in Böh men , des Gafen Franz Anton von Spord, dem Kufus feine glanzvollsten Tage verdankt. H. Krommer.