Einzelbild herunterladen
 

und sage ich immer wieder!" Endlich gelang es, die Frau aus dem Saal zu entfernen, doch hörte man ihr Schreien auf dem Korridor noch längere Zeit. Nach diesem Zwischenfall fuhr

Reichsgerichtsrat Dr. Baumgarten

fort: Die Zeugen in der Hauptverhandlung haben ihre Aussagen gegenüber den Befundungen in der Voruntersuchung zum Teil starf abgeschwächt. Der Senat ist nicht etwa der Ansicht, daß die Ulmer Offiziere etwa unter ihrem Eid die unwahrheit gesagt haben.

Davon kann keine Rede sein, besonders bei der klaren offenen Aussage des Oberst Beck. Wir haben sehr kritisch die Aussagen, wie sie in dem Vorverfahren abgegeben wurden, und die Aussagen aus der Hauptverhandlung gewürdigt. Die vorhandenen, zum Teil sehr starken Differenzen sind zu erklären aus der psychologischen Situation, in der die Zeugen in den verschiedenen Stadien dieses

Der Aufmarsch des Reichsbanners.

Sonntag 16 Uhr im Luftgarten.

Zur Kundgebung des Berliner   Reichebanners marschieren die Ortsvereine aus allen Stadtteilen zum Lust garten. Die Züge werden dort gegen 16 Uhr eintreffen. Im Luftgarten werden die Spielleute zu einem furzen Plahkonzert zusammengezogen. Gauvorsitzender Johannes Stelling   wird die Ansprache halfen und Kamerad Neidhardt, der technische Führer des Gaues, wird die Reichsbannerkameraden aufrufen, alle Abwehrmaßnahmen organi­jatorisch vorzubereiten, um gegen Putschgelüfte gerüstet zu sein. Ein Konzert schließt die Kundgebung ab.

Verfahrens ausgesagt haben. Im Vorverfahren ist die Erinnerung eines Zeugen zweifellos frischer als in der Hauptverhandlung.

Es sind hier schwere Vorwürfe gegen den Untersuchungsrichter Dr. Braune gerichtet worden. Diese Angriffe sind nicht begründet gewesen.( Murren und lautes Lachen im Saal.) Der Untersuchungs­richter kann Zeugen nicht immer mit Glacéhandschuhen anfassen. Die Abfassung der Protokolle liegt in dem pflichtgemäßen Ermessen des Untersuchungsrichters. Dr. Braune ist den Angeklagten gegen­über durchaus nicht nur ein kühler und strenger Richter gewesen, das bekunden die Angeklagten selbst nicht, und der Sachverständige Major Theißen hat uns erzählt,

wie ergriffen der Untersuchungsrichter wegen feiner Aufgabe war. Hier wurde im Saal ein minutenlanges ironisches Husten und Räuspern der Zuhörer bemerkbar, so daß sich der Borjizende zu der Bemerkung veranlaßt jah, daß als Hals­trante sich auf dem Korridor aushusten möchten.

Die drei Angeklagte nahmen das Urteil zwar gefaßt entgegen, doch war Scheringer und Ludien, die bis jetzt noch aftive Offiziere waren, die große Erregung in steigendem Maße anzusehen. Nach der Verkündung des Urteils und der Begründung wurden sie von ihren Freunden und Verwandten noch einmal begrüßt, wobei be­sonders Ludien Blumen überreicht wurden.

Nach dem Urteil mußte die Polizei gegen sechs Ruhestörer, die fich unter den Zuhörern befanden, einschreiten und sie zur Feststellung ihrer Personalien vorübergehend festnehmen.

Angriff auf Preußen.

Der Weltestenrat setzt den Arbeitsplan feft.

Der Aeltestenrat des Preußischen Landtags   wird, wie bereits gemeldet, am Montag, dem 6. d. M., zusammentreten, um fich über die parlamentarische Behandlung des von den Kommu­nisten eingebrachten Urantrages schlüssig zu werden, der dem preußischen Gesamtministerium das Vertrauen entziehen will.

Es ist in Aussicht genommen, mit der Beratung dieses Antrages zu verbinden die Besprechung der Anträge der Wirtschaftspartei und der Kommunisten über die Auflösung des Landtags, der Deutsch­nationalen und der Kommunisten über die parte politische Betäti­gung der Beamten, des Uranirages der Nationalsozialisten wegen des gegen die NSDAP  . erlassenen Uniformverbotes, sowie des kom­ munistischen   Antrages, der die Aufhebung der auf Grund der Ber: ordnung des Reichspräsidenten   ergangenen preußischen Erlasse

fordert.

Die Besprechung des Mißtrauensantrages muß so erfolgen, daß nach Maßgabe der Verfassung am 16. Oktober namentlich über ihn abgestimmt werden kann.

Im Blutrausch.

Der Karower   Mörder in Leobfchüt verhaftet.

In seiner Heimat in Leobschütz   ist der 34 Jahre alte Maurer Paul Kunze feffgenommen worden, der Mitte September den Mord an der 53 Jahre alten Witwe Margarete Mathiat in karow verübt hat.

Kunze hatte sich, wie damals berichtet wurde, am 19. September auf das Grundstück der Frau M. in der Frundsbergstraße geschlichen und war bis in das Wohnzimmer vorgedrungen. Durch vier Schüsse streckte er die Frau zu Boden, flüchtete und enttam. Seine Spur fonnte zunächst bis zum Alexanderplatz   verfolgt werden. Die Mordkommission ermittelte dann, daß er weiter nach Neukölln und nach Spandau   gegangen war, um dort Bekannte aufzusuchen. Es wurde ferner festgestellt, daß er noch einen zweiten Revolver gekauft hatte und auch äußerte, daß er jetzt sowohl an seiner Braut und deren Mutter in Bernau  , wie an seiner Frau, die in Bayern   lebt und an deren Verwandten Nache nehmen merde. Seinem Borleben nach, das inzwischen bekanntgeworden ist, fonnte man ihm eine solche Tat wohl zutrauen. Seine Frau, die ihn buchstäblich aus Angst geheiratet hat, besaß früher in Löwiz bei Leobschütz   ein Grundstück, das Kunze bei der Heirat zufiel.

Bon Zeit zu Zeit befiel ihn ein Blutrausch.

Mit einem Beil und einem Schiächtermesser in den Händen raste er durch die Wirtschaft wie ein Amokläufer. Blindlings erschlug er die Haustiere, die Schweine, die Ziegen, die Hühner, deckte das Dach ab und warf die Nähmaschine seiner Frau in den Brunnen. Wenn diese Anfälle über ihn famen, reftete sich alles vom Gehöft und ließ den Tobenden allein. Mit zwei Revolvern bewaffnet erschien Kunze auch einmal bei einer Hochzeitsgesellschaft und schoß ohne weiteres in die Versammlung hinein, die entsegt auseinanderstob. Um dem unerträglichen Leben an seiner Seite ein Ende zu machen, trennte sich seine Frau von ihm und 30g nach Bayern  .

Im Berlaufe der Ermittlungen hat sich auch der Verdacht er­hoben, daß der Maurer für den Mord an der Frau Marie Groffer am Kraftwerk Unterspree verantwortlich zu machen sei. Die Frau wurde bekanntlich am Pfingstsonnabend dieses Jahres, als sie vom Einkaufen heimging, überfallen und niedergeschossen.

Echo eines Beschlusses

Die Preffe über die Haltung unserer Reichstagsfraktione

Die Stellungnahme der sozialdemokratischen Reichstagsfrattion| zur politischen Lage hat, wie nicht anders zu erwarten, in politischen Kreisen starte Beachtung gefunden. Das spiegelt sich besonders in der Presse wider, die sehr ausführlich ihre Meinung jagt. Je nach dem politischen Lager ist die Auffassung natürlich ganz verschieden. Die agrarische Deutsche   Tageszeitung" versichert z. B., die Sprache der sozialdemokratischen Entschließung sei eine flare

Sprache:

Absage, entschiedene Absage an die Regierung Brüning, Drohung mit der proletarischen Faust! Wir würden es unter diesen Verhältnissen nicht verstehen, wenn sich der Kanzler mit solchen Partnern in weitere Berhandlungen einließe. Auch die rechtsstehende Berliner   Börsenzeitung" ist dieser Meinung:

Der ganze Sinn des Beschlusses ist legten Endes der, daß die Sozialdemokratie zwar zunächst auf parlamentarischem Wege versuchen wird, das Finanzprogramm nach ihren Wünschen umzugestalten bzw. die Regierung Brüning dazu zu 3 wingen, falls ihr das jedoch nicht gelingt, entschlossen ist, zu schärfster, nicht allein auf das Parlament beschränkter Opposition überzugehen.

Ganz anderer Ansicht ist dagegen der demokratische Börse n= Courier", der u. a. schreibt:

Zeichen einer gewissen Besinnung sind in der sozial­demokratischen Entschließung zu finden. Aber nicht nur die Ein­sicht in das Staats- und Wirtschaftsnotwendige, sondern vor allem der Wille, von dieser Erkenntnis Gebrauch zu machen, müßte sich noch erheblich verstärten, wenn Aussicht auf praktische Ergebnisse vorhanden sein soll.

Friedrichstraße in Gefahr?

Riffe zwischen Koch- und Zimmerstraße- Polizeilich gesperrt Die Friedrichstraße zwischen der Koch- und 3immerstraße mußte heute mittag für den gesamten Fuhrverkehr gesperrt worden, da sich im Asphalt sehr starke Risse zeigten, die einen plöhlichen Einsturz befürchten ließen.

Gegen 12 Uhr platzte der Asphaltbelag an mehreren Stellen zur gleichen Zeit. Die Risse, die erhebliche Breite aufweisen, ziehen fich quer über den ganzen Fahrdamm. Zunächst wurde vermutet, daß durch einen unterirdischen Wasserrohrbruch die Sandmassen fortgespült und die Asphaltdecke, ihres Haltes beraubt, eingebrochen sei. Jedesmal wenn ein U- Bahnzug im Tunnel die Einbruchstelle passierte, gab es eine sichtbare Erschütterung und die Risse nahmen immer bedrohlichere Formen an. Wie von der alarmierten Feuer­wehr festgestellt wurde, sind die Wasserrohre an der Gefahren stelle völlig unversehrt und bis zur Stunde konnte die tatsäch liche Ursache noch nicht festgestellt werden. Von der Polizei ist aus Sicherheitsgründen der gefährdete Straßenabschnitt zunächst einmal abgesperrt worden.

Inzwischen ist das Städtische Tiefbauamt von dem Vorfall in Kenntnis gefeßt worden und mehrere Beamte haben sich alsbald an die Unfallstelle begeben. Ob eine Gefahr für den U.- Bahntunnel bzw. für die in der Nähe der Einsturzstelle befindlichen Häuser besteht, tann erst die nähere Untersuchung ergeben.

Freitod des Nationalsozialisten.

Der Selbstmord Ganzerts durch Obduktion festgestellt.

Bäderlehrling und S.- Mann Helmuth Ganzert in der Am 30. September wurde, wie berichtet, der 24 Jahre alte Herschelstraße 4a zu Charlottenburg   in seinem Bett tot auf­gefunden. Er hatte eine Schußverlegung in den Mund

bekommen, die Kugel war

am Genid wieder herausgetreten.

Gerüchte wollten wissen, daß der junge Mann einem Verbrechen zum Opfer gefallen fei. Von der Inspektion A. des Polizeipräsi­diums wurde deshalb eine genaue Untersuchung des Tatortes vor­genommen, außerdem von der Staatsanwaltschaft die Leichen­öffnung beantragt. Die Seffion ergab, daß Ganzert sich ohne Zweifel selbst in den Mund geschossen hat. Der Luftdruck des Ge­schosses hat sogar einen fleinen Knochen im Rachen gesplittert, ein Beweis dafür, daß die Waffe im geöffneten Mund angesetzt worden ist. Der Befund wurde auch durch die Ermittelungen der Mord­inspektion ergänzt. Am Abend vor seinem Tode hatte G. eine Versammlung in einem Parteilokal besucht und sich etwas getrunken. Dafür erhielt er einen Verweis, den er sich sehr zu Herzen nahm. Zu Hause angekommen, muß er dann den Entschluß gefaßt haben, aus dem Leben zu scheiden. Im August dieses Jahres lag G. im Hildegard- Krantenhaus. Mit Kameraden, die ihn dort besuchten, sprach er über die verschiedenen Arten des Selbst nordes. Einer der anderen erzählte von Erhängen, Ganzert aber sagte, wenn er einmal Schluß mache, werde er sich direkt in den Mund schießen.

Das Grab im Hausgarten.

Batermord nach 10 Jahren aufgeflärt.

an=

Eine ländliche Tragödie, die in vielen Einzelheiten an die Ermordung des Bauern Deifert aus Grunow bei Droffen erinnert, ist jetzt in Neu- Reichwalde im Kreise Beeskow- Storkow   von der Mordinspektion A aufgeklärt worden.

Wie im Falle Deifert, der mit seinen Angehörigen nicht im besten Einvernehmen lebte, so war auch in Neu- Reichwalde der 50 Jahre alte Hofbefizer Julius Schneider plöglich der schwunden. Man vermißte ihn seit dem 15. Mai 1920. Die Familie erstattete eine Vermißtanzeige und gab befannt, daß Familie erstattete eine Vermißtanzeige und gab bekannt, daß Schneider in Handelsgeschäften über Land gefahren und nicht zurüd Schneider in Handelsgeschäften über Land gefahren und nicht zurück­gefehrt jet. An diese Darstellung schienen die Mitbewohner des gekehrt sei. An diese Darstellung schienen die Mitbewohner des Ortes nicht zu glauben, denn die Gerüchte, daß Schneider um­gebracht worden sei, wollten nicht verstummen, verstärkten sich vielmehr von Jahr zu Jahr. Julius Schneider mar als ein ftarr­vielmehr von Jahr zu Jahr. Julius Schneider mar als ein starr­föpfiger rechthaberijder Mann bekannt, der mit seinen Angehörigen oft in Streit geriet. Bei den Nachprüfungen durch Berliner  Kriminalbeamten ergab es sich, daß die Angaben der Familie über die Reise nicht stimmen fonnten. Jetzt gestand der Sohn des ver­schwundenen Schneider nach langem hartnädigem Leugnen, feinen Bater umgebracht zu haben. Der Sohn Paul war damals 20 Jahre

Die schwerindustrielle DA3." nennt den Beschluß eine Halb. heit, die sich aus der gesamtpolitischen Situation erklärt:

Es verrät wenig Verständnis für die wirtschaftliche Gesamt­jituation, wenn ausgerechnet die herabsehung der Ar= beitszeit, die feine Mark für Mehrerporte und Absatzbelebung einbringt, als das geeignete Mittel zur Berringerung der Erwerbslosigkeit angepriesen wird. Die sinnloseste For­derung ist die nach Beseitigung von Bestimmungen der längst zum Bestandteil praktischer Finanzführung gewordenen Notverordnung. Die Germania", das dem Kanzler Brüning nahestehende 3entrumsblatt, sagt dagegen:

"

Sieht man von dem Propagandistischen ab, dann muß man feststellen, daß die Sozialdemokratie die Fehler vermieden hat, die sich in den volksparteilichen und wirtschafts­parteilichen Beschlüssen finden. Die sozialdemokratische Kund­gebung ist maẞ Do11. Sie scheint uns dahin ausgelegt werden zu müssen, daß nichts verbaut wird. Die Verhältnisse sind nach wie vor schwierig und schmer. Der sozialdemokratische Be­schluß aber hat sie wenigstens nicht schwieriger gemacht. Er läßt doch noch die Hoffnung zu, einen glatten Weg zu finden. Denn auch wir sind der Meinung, daß Demokratie und Parla­mentarismus geschüßt und erhalten werden müssen. Wenn sich dazu die willigen Kräfte zusammenfinden, dann muß es gelingen, selbst die schwierigste Situation zu meistern.

Aehnlich äußern sich auch die demokratischen Blätter, wobei die Bolkszeitung" hervorhebt, daß die Haltung der Sozialdemokratie es der Regierung unmöglich macht, den Einflüsterungen derer nachzugeben, die es ohne die Sozialdemokratie machen möchten".

alt. An dem verhängnisvollen 15. Mai war es zwischen dem Vater und dem Sohn zu einem heftigen Zusammenstoß gekommen. Die und wollte sie verprügeln. Um das zu verhindern, rang der Sohn Mutter mischte sich ein, und jetzt drang der Bauer auf die Frau ein mit dem Vater, packte ihn an der Kehle und drückte ihn zu Boden. Dabei muß er ihn erwürgt haben, denn der Alte blieb regungslos liegen. Man getraute sich nicht, den Vorfall zu melden und beriet, was zu tun sei. Einige Tage behielt man die Leiche im Hause versteckt; dann wurde in einer dunklen Nacht im Hausa garten eine Grube ausgehoben und der Tote be­graben. Der Sohn hat auch die Stelle angegeben, an der der Erschlagene verscharrt wurde.

Die Leiche des Hofbesizers wurde gestern im Garten seines Hauses ausgegraben. Nachdem das Stelett refonstruiert war, zeigten sich bei der Untersuchung Verlegungen an der linken Schädel­seite, die von Hieben herrühren, wahrscheinlich von einem schweren Schraubenschlüssel oder einem Hammer. Frau Schneider und ihr Sohn. Paul, die ins Verhör genommen wurden, geben dazu folgende Erklärung: Der Sohn sagt, daß seine Mutter, als er den Bater an der Rehle gepackt hatte und würgte, ihm einen Gegenstand was, weiß er nicht mehr in die Hand drückte und daß er damit auf den Bater einschlug. Die Frau gibt diese Möglichkeit ebenfalls zu. Irgendwelche Gemütserregung zeigt feiner von ihnen, fie blieben auch während der Ausgrabung der Leiche ganz unberührt. Die Ber­hafteten sind dem Amtsgericht Frankfurt   a. d. D. zugeführt worden.

Der Racheplan an Weffels Grab.

Zuchthausurteil gegen Nationalsozialisten.

Das Schwurgericht III verurteilte die sechs nationalsozia­listischen Angeklagten, die den Arbeiter Raschel überfielen und so mißhandelt hatten, daß er den Berlegungen erlag, wegen Körpers berlegung mit Todeserfolg in Tateinheit mit Raushandel.

Im einzelnen lautete das Urteil gegen Aschenbrenner auf je chs Jahre Zuchthaus   und fünf Jahre Ehrverlust, gegen Staender vier Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust, gegen Nimmert und Diez je zwei Jahre Gefängnis und gegen Wienicke und Zilinski auf je ein Jahr Gefängnis. Den Ange­flagten wurden zwei bis drei Monate der Untersuchungshaft ange= rechnet.

Zehn Jahre Kronprinzenpalais  ." Die Kunft als prophetische Deuterin des Zeitgeschehens.

Auch die Nationalgalerie nimmt an den Museumsfeiern teil: in diesen Tagen jährt es sich zum zehnten Male, daß das Kron­prinzenpalais ihr angegliedert wurde. Die Gesellschaft der Freunde der Nationalgalerie( deren erstmaliges Hervortreten fürzlich bei Gelegenheit ihrer Stiftungen vortrefflicher Kunstwerke aus der jüngsten Zeit rühmlich erwähnt wurde) lud am 3. Oftober ihren Freundeskreis im weiteren Sinn zu einer fleinen Festlichkeit in das Kronprinzenpalais ein, und es kam eine ausgewählte Schar von Museumsleuten, Sammlern und Kritikern zusammen, die hier die Feierlichkeiten der Museumswoche beschlossen.

Baron von der Heydt  , der Vorsitzende ver gastgebenden Gesellschaft, begrüßte die Erschienenen und gab einen furzen Ueber blick über die Tätigkeit im ersten Jahr; und der Direktor der Frani­furter Kunstschulen Dr. Friz Wichert hielt einen überaus geist. vollen und anregenden Vortrag über den Sinn der jüngsten Kunst feit 1900. Runst ist prophetisch vorausweisende Deuterin des Zeit­geschehens, ist Interpretin des gewaltigen Ringens aus dem Chass der Gegenwart: das war der Kern seiner Rede. Als anschaulichen Beweis fonnte er sich ständig auf die Bilder im Obergeschoß des Kronprinzenpalais berufen. Die so viel und so ungerecht angefein­dete Ankaufstätigkeit Ludwig Justis erfuhr durch diese glänzende Beschreibung oder vielmehr Umschreibung der Kunstwerte, die er der Deffentlichkeit zugeführt hat, ihre tiefinnerste Rechtfertigung. Ja, es ist wahr, diese Werke, die noch oft auf Mißverständnis stoßen, sind der wahre Ausdruck unseres heutigen Empfindens, Ausdruck unserer Not, unserer bitteren Kämpfe, unserer Hoffnung auf eine tröstliche Zufunft: nicht aber Gegenwert einer inhaltlosen, historisch begriffenen Shönheit", die ein längst abgestandener Begriff ist, weil unser Leben einfach keinen Raum mehr für sie hat. Hier sprach ein Mann, der zu überzeugen wußte, weil er selber überzeugt war, meil er selber schon nor Jahrzehnten in der Mannheimer Kunst­halle eine meisterhafte Sammlung lebender Kunst geschaffen hat. Nur einem so ausgezeichneten Redner wie Fritz Wichert   fonnte es gelingen, ein Publitum von lauter Bestempfängern", wie er selbst die Runftvermittler nannte, jo vollkommen hinzureißen.

Paul F. Schmidt,