Morgenausgabe 13918 1917
Rr. 469
A 236
47.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Bolksblatt
Dienstag
7. Oftober 1930
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Debatte auf dem Kongreß der englischen Arbeiterpartei.
erörtert und aus allen Worten sprach die Sicherheit und die Kraft der Labour Party . Trotz aller Verleumdungen tonnte sie ihre mit gliederzahl auf 2100000 Männer und Frauen erhöhen. Es ist faum ein Gebiet im sozialen und politischen Leben, das nicht von dem Bericht des Vorstandes berührt wird. Die Kritik und die Anträge der Delegierten der unabhängigen Arbeiterpartei finden sehr schwachen Widerhall. Gutgeheißen wird u. a. der Beschluß der Erefutive, der alle sogenannten über parteilichen, in Wirklichkeit aber fommunistischen Vereine und Bünde von der Labour Party fernhält. Dazu gehören u. a. die Liga gegen den Imperialismus, die englische JAH., der Bund der Freunde Rußlands und alle ähnlichen auch in Deutschland bekannten fom. munistischen Organisationen...
In ihrer Einleitungsrede auf dem 30. Kongreß der brifischen Arbeiterpartei führte die Präsidentin, Abgeordnete Susan Lawrence , aus:„ Leider hat die heutige Arbeiterregierung nicht, den geringsten Einfluß auf die durch das kapitalistische Systein erzeugte Tragödie. Diese spielt ohne Ausnahme in allen Ländern der Welt, weder das ausgeflügelte 3olsystem noch der Freihandel fonnten sie dagegen schützen. Diese weltenweite Ratastrophe der Massenarbeitslosigkeit ist der Sonder tribut, den heute die Arbeiterklasse aller Nationen dem tapitalistischen System zollen muß. Wir stehen entschlossenen, mächtigen und flugen Feinden gegenüber, die jede unserer Handlungen verfolgen und deren politische Zukunft davon abhängt, ob es ihnen gelingen mird, das Bolf von der Unfähigkeit, der Schwäche und der Uneiniga Bei dem Kapitel Internationale" richtet die Abgeorddungsstunde der englischen Arbeiterbewegung, die große faschistische Gefahr in Desterreich, Burton, Cramp feit der Arbeiterpartei zu überzeugen. Es ist die Entscheinete 11 en wilkinson die Aufmersamkeit des Kongresses auf
die nicht von außen, sondern
nur von uns felbst zerstört werden kann.
Wir verstehen die Il ngeduld der Massen, wir tennen die Not und das Elend. Würden wir je dieses Gefühl verlieren, würden mir je selbstgefällig und zufrieden sein über unser Wert, das Salz der Erde würde seinen Geschmack verlieren und die Arbeiterbewegung ihren Sinn. Mögen mir aber sein mie mir wollen, eines: ist gewiß, zwischen der Reaktion und dem Fortschritt steht allein die englische Labour- Party, und selbst die geringste Berminderung unferer Kraft wäre ein Berbrechen gegen die Menschheit. Wir sind teine Kinder, die alles leicht und auf einmal verlangen. Die Ge ichichte macht uns verantwortlich. Die Arbeiterbewegung ist nicht mehr ein hilfloser Zuschauer gegenüber dem an den Menschen begangenen fozialen und politischen Inrecht. Unsere Augen sind nicht mehr starr auf die Höhe der Berge gerichtet. Bir marschieren bereits und haben auf den Beg zu achten. Das ist es, was die Stunde von uns verlangt."
und andere Delegierte schlossen sich an und verwiesen auf die
faschistische Gefahr auch in Deutschland und ganz Mitteleuropa .. Einstimmig nimmt der Kongreß eine Entschließung an, die die Cabout- Regierung auffordert, wachsam die Vorgänge in Mittel europa zu verfolgen und gegebenenfalls dort zu tun, was für die bedrohte Demokratie gelan werden kann.
Unter tiefer Stille des Saales verlangt dann Bevin von der Labour Regierung die Aufhebung des von der Regierung Baldwin erlassenen Antigemerfiaftsgefeßes und die Wiederherstellung der gewerkschaftlichen Rechte. Einstimmig nimmt der Parteitag diese Forderung auf und Henderson erklärt anschließend zur großen Genugtuung der Delegierten, bereits die nächste Thronrede werde dem Verlangen der Gewerkschaften nachfommen.
Die Regierung werde dem Unterhaus ein entsprechendes Gesetz zu gehen lassen, deffen zweite Lesung noch vor Weihnachten beendet fein soll. Das war ein guter Ausklang für den ersten Tag des
Anschließend begann die Debatte über den Geschäftsbericht. Nüchtern und flar wurden die Fragen und Antworten Rongresses.
Eine Entschließung des Landtags fordert Gesetzlichkeit.
Preffefreiheit,
Wien , 6. Februar.( Eigenbericht.)| Der Landtag nahm unter Protestlärm der Christlichsozialen eine Entschließung an, die die Regierung ermahnt, bie Die faft tägliche Beschlagnahme verfaffungstreuer Zeitungen war Gegenstand einer Anfrage der Sozialdemokraten im Wiener Land öffentliche Meinung durch Berletzungen der tag. Landeshauptmann Seit beantwortete die Anfrage dahin, daß Verfaffungswidrigkeiten oder Drohreden der Minister nicht zu beer diese Bergewaltigungen der Pressefreiheit nicht unruhigen. Der Landtag erhebt feierlich Proteft gegen ein Regime, das auf Bergewaltigung des Boltswillens und auf die Bernichtung der Freiheitsrechte ausgeht. Er fordert den Landeshaupt mann auf, alles, was in seiner Macht steht, zu tun, um die ver faffungsmäßige Ordnung zu schützen.
genug brandmarken fönne.
Der Sozialdemokrat Danneberg verwies darauf, daß ein Mann, der stets zu Mord und Totschlag aufgefordert hat, von Baugoin und Seipel zum Innenministerium würdig befunden worden ist. Bolle der Bundeskanzler für Ruhe und Ordnung sorgen, dann müffe er zunächst feinen Innenminister einsperren. Danneberg schloß:„ Wir haben aus sicherer Quelle vernommen, daß man in der Regierung erwägt, Abgeordnete verhaften zu lassen und die Pressefreiheit noch mehr einzuschränken als bisher.
Rechtsvorstoß gegen Wirth und Curtius. Der Reichskanzler hat seine Besprechungen mit den Parteiführern fortgesezt. Er wird im Anschluß daran am tommenden Mittwoch dem Reichspräsidenten Vortrag halten. Die Tatsache, daß der Reichskanzler auch Herrn Hitler empfangen hat, hat zu verschiedenen Ausdeutungen geführt. Die Kreuz 3eitung" berichtet:
,, Wenngleich über den Verlauf dieser Besprechung von allen Seiten strenges Stillschweigen beobachtet wird, glauben wir doch nach zuverlässigen Informationen zu der Annahme berechtigt zu sein, daß der Parteiführer Hitler den Kangler nicht int 3weifel darüber gelaffen hat, daß das vorgeschlagene Sanie rungsprogramm der Reichsregierung nicht die Billigung der NSDAP . finden könne, die demgemäß in ihrer nationalen Opposition verharren werde. Es ist also anzunehmen, daß von dieser Seite bei Zusammentritt des Reichstages ein Mißtrauens Dotum eingebracht wird."
Die Deutsche Allgemeine Zeitung" glaubt, daß die
U Putschpabst fehlt noch.
Wie die Blätter melden, ist die nächste Folgerung der Einstellung des Strafverfahrens gegen Pabst, daß dieser voraussichtlich Mitte der Woche wieder in Wien eintreffen wird.
Situation reif zu einer Aenderung in der Zusammensetzung des Kabinetts Brüning sei:
Bielleicht wäre es bei dieser vorläufigen Sachlage angezeigt, in der personellen 3uiammenseßung des Kabinetts mit Beschleunigung die eine oder andere längst wünschens. werte Berbesserung eintreten zu lassen und dadurch ein doch faum zu vermeidendes Ergebnis späterer Entwicklung resplut vorweg Die eine oder andere Verbesserung: das heißt die Minister Curtius und Birth sollen durch Rechtspolitiker ersetzt werden.
zu nehmen."
Blutiger Tag in Spanien . Zusammenföße beim Generalftreit. Madrid , 6. Oktober. stachent schon der Sonntag in Bilbao sehr unruhig verlaufen war, tam es auch am Montag zu schweren Zusammenstößzen zwischen Kommunisten und der Polizei, die von der Schußwaffe Gebrauch machten. Zwei Tote und zehn Schmerverwundete, darunter zwei Polizisten, find die Opfer des Tages. Arbeitswillige wurden von den Syndikalisten mit Gewali gehindert. Der Generalftreif dauert an.
Irigoyens Glück und Ende.
L. G. Buenos Aires , 12. September. In Südamerika sind wieder Revolutionen an der Tagesordnung. Wenn es doch auch richtige Revolutionen wären, die mit der Korruptionswirtschaft oligarchischer und diktatorischer Regierungen aufräumten, um die ausgeplünderten Staaten auf demokratischer Grundlage zu reorganisieren! Dann würden sie sich von den bisher gebräuchlichen Revolutionen" ma ch tlüsterner Militärs, herrschfüch- tiger Oligarchen, beutegieriger Bolitifer und„ revolutionärer" Gesellschaften mit beschränkter Haftung wesentlich unterscheiden. Derartige Gesellschaften waren die der Generale Siles und Kundt in Bolivien , Leguia und Co. in Peru und des früheren Nationalheiligen Irigoyen in Ar gentinien . Sie wurden im Verlaufe weniger Wochen unter dem Jubel des Volkes mit Hilfe der Heere davongejagt. In Chile herrscht aber noch das Diftaturunternehmen Oberst noch keinen bündigen Beweis erbracht, daß sie nicht ebenfalls Ibañez und Co. und in Benezuela das des Generals Gomez . Allein die neuen revolutionären Regierungen haben die Geschäftsführer derartiger Gesellschaften sind. Ihre Präsidenten, General Golindez in Bolivien , Oberstleutnant Sanchez Cerro in Peru und Generalleutnant Uriburu in Argentinien sind über Proflamationen mit allen nur möglichen sozialen und politischen Versprechungen an das Volk nicht hinausgekommen. In Bolivien und Peru wurden wohl die von den Vorgängern eingeferferten Anhänger des neuen Regimes in Freiheit gelegt. Die gestürzten Größen wurden an ihrer Stelle ins Gefängnis geworfen, wenn es nicht die neuen Regierungen wie in Bolivien vorzogen, sie über die Grenze zu fchaffen. Aber die versprochene Sanierung? Weil die Arbeiter in Bolivien und in Peru auf Erfüllung der Versprechun gen bringen, wird in La Paz das Standrecht eingeführt und die revolutionäre Regierung Berus stellt den nordamerifanischen Minengesellschaften das Militär zur Niederringung der streifenden Arbeiter zur Verfügung! Die werftätige Bevölkerung fann dieser Entwicklung der Dinge großes Vertrauen nicht entgegenbringen.
Daß die argentinische Revolution eine gleiche Richtung einschlagen könnte, tann nicht gesagt werden. Vor allem ist ihre Macht noch nicht so gefestigt wie in Bolivien und Peru . Auch ist sie nicht ausschließlich das Werk einiger Militärs, sondern des ganzen Boltes. Die Entscheidung hat wohl das Heer herbeigeführt, aber nicht auf Befehl einiger Generale, sondern mit Unterstützung der zum Sturze der irigoyenistischen Günstlingswirtschaft verbündeten Parteien von den Konservativen bis zu den unabhängigen Sozialisten. Das hat der Revolution eine solidere Grundlage gegeben als in den Nachbarrepubliken. Damit muß die rein tonservative proviforische Regierung rechnen, wenn sie nicht das Land in unübersehbare Wirren stürzen soll. Der Sturz des irigoyeniftischen Systems war deshalb nicht so leicht möglich, weil das Land dem Drud einer gewöhnlichen Wirtschafts- und Baluta trije zu unterliegen drohte, sondern weil die herrschende Partei die Grundfäße der Verfassung: Demokratie, Barlamentarismus, Religionsfreiheit zertrümmert hatte. Das ist der Sinn dieser Revolution.
Bei der allgemeinen Wahl vor zwei Jahren hatten sich zwei Drittel der Wählerschaft( 800.000. von 1 200 000) für Irigoyen gegen die anderen Parteien erklärt. Unerhörter Erfolg eines Mannes, der weder als Redner noch als Schriftsteller jemals hervorgetreten war und sich nur äußerst selten für kurze Augenblicke in der Gesellschaft und bei patriotischen Beranstaltungen sehen ließ. Das hatte ihn beim Bolte beliebt gemacht und sein Haupt mit dem Glorienschein eines Nationalheiligen umgeben. Der Name Irigoyen elektrisierte die Maffen, machte ein politisches und soziales Programm überflüssig. Die wenigen Worte, die Irigoyen öffentlich sprach, wurden als lauterste Wahrheit im ganzen alle Kolonisten gingen für ihn durchs Feuer. Viel Vertrauen Lande verbreitet. Ein großer Teil des Proletariats und fast in der Arbeiterschaft hatte er sich während seiner ersten Präsidentschaft er vorben, als er einen Streit der Hafenarbiter in der Bundeshauptstadt dadurch kurzer Hand zu= gunsten der Streiter entschied, daß er den Hafen militärisch besetzen ließ und die Unternehmer zwang, die Forderungen der Arbeiter ganz zu bewilligen, besonders aber die Organisationspflicht und das Recht der Ge= wertschaft, über Entlassung und Aufnahme von Arbeitern zu entscheiden, bedingungslos anzuerkennen. Strenges Vorgehen gegen die Ausplünderung der Kolonisten durch wucherische Pachtverträge und verklausulierte Besitztitel der großen Landpächter und Kolonisatoren", und gegen das noch ärgere Kreditsystem der Geschäftsleute in den Kolonien und Städten, scharte die Massen der Landsklaven um die Fahne des Irigoyenismus". Trozdem murde das räuberische Kolonisationssystem nicht geändert, die intensive KleinwirtSchaft zugunsten der wenig bemittelten Ackerbauern und der nationalen Bolkswirtschaft nicht gefördert. der Landbesitz und die Zukunft der Kolonisten nicht gesichert. Gegen den