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Dorgenausgabe 1001190 200

Nr. 471 A 237

47.Jahrgang

Wöchentlich 85 Bt., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Bostbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Bfg. Boftbestellgebühren. Auslands abonnement 6,- m. pro Monat. *

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Mittwoch

8. Oftober 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die etni paltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das ettge brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zwet fettgedruckte Borte), jedes weitere Bort 12 Pfennig. Stellengesuche das erste Wort 15 Pfennig, jedes weitere Wort 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Haupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts Verlag G.m.b. H.

Fernsprecher: Donboft 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .

Macdonalds großer Tag.

Glänzende Rechtfertigungsrede auf dem Parteitag der Labour Party Llandudno

, 7. Oktober. ( Eigenbericht.)

Bohl 3000 Menschen mögen die Halle gefüllt haben, als am Dienstagvormittag Macdonald und die Präsidentin des Kon greffes der Labour Party , Susan Lawrence , das Tagungslokal beiraten. Kaum war der Führer der Labour Party und der Arbeiter. regierung gesichtet, als sich die Massen erhoben und ihn begeistert be­grüßten. 3mei Minuten später stand Macdonald auf der Tribüne und ein zweites Mal erhoben sich die Delegierten zu einem neuen rauschenden Beifall.

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Die Schlacht war entschieden

noch che fie begonnen hatte.

Mit umflarter und tiefbewegter Stimme bat Macdonald zunächst um, die Erlaubnis, die Parteiversammlung in eine National perjammlung verwandeln zu dürfen, um der Trauer um die Luftschifftragödie Ausdruck geben zu können. Zu gleicher Zeit danfte der Ministerpräsident dem französischen Volfe für die erhebende Art, wie es sich bei dieser schmerzlichen Gelegenheit an die Seite Englands gestellt habe. Menschen kommen und gehen, fuhr Macdonald fort, und wer bleibt, hat seine Pflicht zu erfüllen und die Arbeit fortzusehen. Die Pflichterfüllung hat mich hierhergetrieben, um Rechenschaft zu geben über die Tätigkeit der Arbeiterregierung." Macdonald tat das in einer Rede, die eine Meisterleistung war und ihn auf der Höhe der oratorischen Kunst zeigte. Nicht ich, nicht meine Kollegen, nicht die Arbeiter­regierung stehen heute auf der Anklagebant.

" P

Angeklagt ist das kapitalistische System,

und im Falle der Ablehnung vor das Bolt. So menig hat sich aber Morton von Macdonald unterschieden, daß später der unabhängige Redner und Abg. Wise dem Kongres sagen muß, Marton stimme| selbstverständlich für das Mißtrauensvotum. Wise holt gründlich in der Kritik nach, was Marton versäumte. Da bleibt fein ganzer Faden an der Arbeiterregierung. Dieses uferlose herunterreißen perfehlte jedoch vollkommen seinen Zmed. Cinnes hat es leicht zu antworten, und als

Beerd und Bevin im Auftrage der Gewerkschaften ihr unge­schwächtes Vertrauen zur Arbeiterregierung betunden, ist der Tag entschieden und von allen Seiten ruft es Abstimmung!", Abstimmung!" Mit 1803 000 gegen 334 000 Stimmen wird dann der Mißtrauensantrag der unabhängigen Arbeiterpartei abgelehnt. Im gleichen Verhältnis anerkennt der Parteitag die Bemühungen und Anstrengungen der Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Das Ende des Tages bildet das Intermezzo Moslen.

Sonntag 2 Uhr

Alle im Lustgarten!

Ein Antrag liegt por, der die wirtschaftlichen Grundsäge und Forde­das Schiffbruch gelitten hat, in England, in Europa , in Amerika , rungen Mosleys der Arbeiterfraktion zur ernsthaften Beachtung din Syftem, das zusammengebrachen ist, weil es zufammenbrechen empfiehlt. Das gibt Moslen. Gelegenheit, die Tribüne zu besteigen. mußte. Gewiß, wir haben unsere Pflichten nicht alle erfüllt. Ber. Er wird mit stürmischem Beifall empfangen und seine turze Rede reißt den Parteitag wiederum zu einer großen lang anhaltenden aber hat je geglaubt, daß wir in diesen 16 Monaten und unter diesen Umständen hätten mehr tun können? Es gibt nur ein Qvation hin. Zweifellos: Moslen ist ein Redner von außergewöhn­Mittel zur Rettung und Erlösung der Menschheit, das ist der Solichem Format. Seiner Kraft und seinem Feuer vermag sich niemand zialismus. Ihn aber mathematisch zu berechnen, ist nicht mög zu entziehen. Er empfiehlt eine Art Rathenausche Wirtschaftspolitik, eine Reorganisation und Refonstruktion der eng lich. Es ist eine Evolution und eine Pilgerwanderung von Station zu Station, von Stufe zu Stufe. Dennoch, haben wir etwa lischen Wirtschaft nicht unter der Kontrolle der Bank von die Hände in den Schoß gelegt? War es nichts, was wir in der England, sondern unter der Aufsicht der Labour. Außenpolitif geleistet haben, find 700 Millionen Pfund Ster Regierung. Für ihn ist die parlamentarische Maschine verrostet ling nichts, die wir in 16 Monaten für die Arbeitslofen ausgegeben und bedarf der lleberholung. Er will ein soziales England schaffen, und die wir von den Besitzenden genommen haben? Sind das der Welt ein Beispiel neuer Zivilisation geben soll. Lands die Witwenpensionen nichts, das Bergwertsgesez, bury erwidert ihm und Mosley unterliegt mit 1046 000 die Erhöhung des schulpflichtigen Alters? gegen 1 220 000 Stimmen. Dennoch: nicht Marton und die Unab­Macdonald zählt dann auf, was die Arbeiterregierung in tiefem hängige Arbeiterpartei find das Problem der englischen Labour Bollen je leiften fonnte, gegen alle Widerstände einer bürgerlichen Barty. Die Abstimmung hat es bewiesen, das Problem fann eines Mehrheit und gegen das Oberhaus. Es ist gering im Bergleich zu Tages Mosley heißen. der Not und dem Ansteigen der Arbeitslosigkeit, die jede heute an gestellten Berechnungen morgen bereits über den Haufen wirft. Aber mir haben die Hände am Pfiug zu halten und die Arbeit fort­zusetzen, innenpolitisch wie außenpolitisch, wenn der Welt der Friede erhalten bleiben soll. Wir sind nicht nur aus außenpolitischen Gründen nach Genf gegangen, sondern auch aus den Gründen der Arbeitslosigkeit. Wir haben dem Wirtschaftskomitee unsere

Pläne zur internationalen Bekämpfung der internationalen Arbeitslosigkeit

vorgelegt. Das Ergebnis: die anderen haben unsere Vor­fchläge abgelehnt. Das fann uns aber nicht von der Ueber­zeugung abbringen, daß den Arbeitslosen geholfen werden muß. Dazu brauchen wir Geld und Steuern von den Besitzenden. Sie haffen uns darum und flagen uns darum an. Wer schafft jedoch die Arbeitslosigkeit? Wer hat uns in den Krieg geftürzt, wer hat Bersailles auf dem Gewissen? Jene, die es getan haben, besitzen nicht das Recht, uns zu schelten, die wir unermüdlich die Welt wieder in Ordnung zu bringen bemüht sind. Wir leben in einer Revolution, fo groß und gewaltig wie jene zu Beginn der Industrialisierung Europas . Wir fönnen die Bunden der gegenwärtigen Generation nicht mit den Mitteln vergangener Zeiten heilen. Was wir brauchen, ist Organisation, nicht Separation, ist Einigkeit in der Partei und Gefchloffenheit, nicht Disziplin­lofigkeit. Sozialismus ist keine Angelegenheit der Farbe. Organisatorisch, faktisch und systematisch, Schritt für Schritt, Tag für Tag und Stunde für Stunde haben wir die Gesellschaft zu trans­formieren, aus einer fapitalistischen zu einer sozialistischen ." Das waren die Hauptgedanken der Rede Macdonalds, für die ihm der gesamte Rongreß mit nicht endenwollendem Beifall dankte, So groß war der Eindruck, den diese Rede hinterlassen hatte, daß fie selbst von Marton anerkannt wurde. Dem Führer der unabhängigen Arbeiterpartei bewilligte der Parteitag eine doppelte Redezeit und mit großer Anerkennung( prady Marton von dem persönlichen Wollen und den Persönlichkeiten in der Arbeiterregierung. In vornehmster Weise legte der Redner seine Ansichten klar. Er sieht die Schwierigkeiten und die Grenzen der Minderheitsregierung und den einzigen Ausweg, den er erblicken tann ist: sozialistische Forderungen por das Parlament zu tragen

Der finnische Wahlfieg.

Bolles Fiasto der Kommunisten. Helsingfors , 7. Oftober.( Eigenbericht.) Auf Grund des vorläufigen Ergebnisses der fin nischen Reichstagswahl erhielten Stimmen: Sozial demokraten 320 067( voriges Mal 260 254), Kommu­10 200( 128 164), Schwedenpartei 111 282 nisten ( 108 886), Agrarpartet 206 661( 248 762), Liberale Partei 55 527( 53 301), Konservative( den Lappoleuten nahestehend) 176 846( 138 008).

Die Kommunisten erhalten kein Mandat, die Sozial demokraten 69 oder 70 gegen 59 im alten Reichstag.

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Tschiangtaischef wieder obenauf. Tschangiau erobert. Ende des Bürgerkrieges? London , 7. Oftober.( Eigenbericht.) Der Daily Herald" berichtet aus Shanghai : Truppen der Zentralregierung unter Ischiangtaischet nahmen in der Nacht zum Dienstag Ifhangtau ein. Die Zentrale des Generals Feng u Schiang, des Führers der Koalition der Lordgeneräle, und der Präsident Tschiangtaischef betiefen daraufhin sofort den vierten kongreß des Kuomintang ein. Die Einnahme der Stadt wird als gleichbedeutend mit dem Ende des Bürgerkrieges in China (?) angesehen. Nach den früheren Erfahrungen muß man jedoch dieser Annahme gegenüber etwas vorsichtig sein.

Die Reichsregierung teilt mit, daß sie den Benfbericht und die Außenpolitit Curtius' vollkommen gebilligt hat.

Wirtschaftspartei und Wahlalter. Die Wirtschaftspartei hat die thüringische Regierung durch einen Antrag im Thüringer Landtag aufgefordert, bei der Reichsregierung dahin zu wirken, daß das 23ahlalter auf 24 Jahre heraufgefegt wird.

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Balkankonferenz.

Ein Auftakt zur Einheit Südosteuropas .

Von Hermann Wendel .

Wenn sich seit dem 14. September Herr Hitler auch als den Nabel der Welt betrachten mag, so gibt es doch in Europa noch andere Probleme als das Hakenkreuz, und eine Er­fcheinung wie die eben in Athen tagende Balkankonferenz megen innerdeutscher Sorgen zu übersehen, wäre verfehlt. war handelt es sich nur um eine halboffizielle Zusammen­funft sozusagen privater Vertreter Griechenlands , Rumäniens , Südslawiens, Bulgariens , 21­baniens und der Türkei , deren Einberufung vor Jahres­frist auf dem Athener Kongreß der Internationalen Friedens­gesellschaft beschlossen wurde, aber daß das Internationale Friedensbüro, die Tagung im griechischen Parlamentsgebäude eifrig gefördert hat, und daß ihr Delegierte des Völkerbundes, des Internationalen Arbeitsamts und der Interparlamentaria ichen Union beiwohnen, zeugt von der Weltwichtigkeit dieser Konferenz

Wenn sie sich das Ziel gesteckt hat: Prüfung des Ge­ländes für eine Interessengemeinschaft der süd­osteuropäischen Staaten zunächst auf wirtschaft­lichem und fulturellem Felde, und wenn demnach über ihre Beratungen die Losung leuchtet: Der Balkan den Balkan­völkern!, scheint die Konferenz die Erbschaft des Baltansozialismus angetreten zu haben. In der Tat hat jederzeit, namentlich vor der Katastrophe von 1914, niemand so eindringlich und überzeugend dargetan, daß nur im engsten Zusammenschluß der Völker und Staaten des Ballans ihr Heil liege, wie die Sozialdemokratie; dem Welt­frieg vorauf gingen zwei interbalkanische Sozialisten­fonferenzen, deren Parole: Bund der freien Balkanrepubliken! schon ein halbes Jahrhundert zuvor von einem der ersten balkanischen Sozialisten, dem genialen to wild), ausgegeben worder falen Swetojar Mar.

ein schwächlicher Aufguß der sozialistischen Balkaneinheits­Aber was die Athener Konferenz anstrebt, ist doch nur idee. Hinter der Tagung steht treibend die ungestüme Bresserin, die Wirtschaftsnot. Auf alle Staaten des Südostens mit ihrer überwiegend agrarischen Struktur drückt die Krise in der Landwirtschaft, eine allgemeine Krije mit Massenarbeitslosigkeit erzeugend. Als eine der Hauptursachen erkennen einfichtige Beobachter die Vereinzelung und Zer­splitterung dieser Staaten, die, zu einer ökonomischen Ein­heit zusammengerafft, ein ganz anderes Gewicht in die Waag­schale des Weltmarktes werfen könnten. Im Kielmasser der Agrarkonferenzen von Bukarest zwischen Rumänien , Süd­lawien und Ungarn und Sinaja zwischen Südslawien und Rumänien wird deshalb die Besprechung von Athen einen Agrarblod der beteiligten Staaten ins Auge fassen; Ausschaltung der gegenseitigen Konkurrenz, Organis sation der Ausfuhr, Getreidefartell, 3ollunion, Ein- und Ausfuhrmonopole, gemeinsame Tarifpolitik solche Fragen merden sich neben den Verkehrs- und Finanzproblemen in den Vordergrund drängen.

Unter den Vertretern der Wirtschaft und Wissenschaft, aus denen sich hauptsächlich die Athener Konferenz zusammen­sezt, befinden sich aber nicht umsonst zum mindesten zwei herporragende Sozialdemokraten: der Ge­neralsekretär der südslawischen Arbeiterkammern Dr. Topa lowitsch und der rumänische Abgeordnete Miresfo. Denn auch um Ausbau, Ausgleich und Wechselseitigkeit der Arbeitergefeßgebung in den verschiedenen Ballanstaaten werden sich die Verhandlungen drehen; vieles liegt hier noch im argen, derart, daß Albanien und Türkei nicht die Spur einer Arbeiterversicherung aufmeijen, Griechenland über Gesezentwürfe nicht hinausgelangt ist, und auch in Rumänien , Südflawien und Bulgarien vieles auf dem Papier stehen blieb, mas Mittel- und Westeuropa in die Wirklichkeit übergeführt haben. In diesem Zusammenhang wird der Gedanke der Schaffung eines inter baltanischen Arbeitsamis erörtert werden.

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Aber die Athener Konferenz entbehrt durchaus nicht der politischen Bedeutung: Sie fühlt in der Richtung eines Ballan Locarno vor und enthält im Keim den Ber such, dem Paneuropa- Plan Briands durch Bildung regionaler Einheiten, hier durch Zusammenfassung des euro­ päischen Südostens näherzukommen. Allerdings stoßen sich hart im Raume die Sachen. Zum Teil lieben die Ballan­Döller noch an überlieferten Stammesvorurteilen und sind noch nicht einmal zum Gedanken der nationalen Einheit durchgedrungen, so daß die Losung einer übernationalen Ein­heit feineswegs allenthalben auf profundes Verständnis treffen wird. Zudem haben die von 1912 bis 1918 währenden Kriege Fragen hinterlassen ohne deren Bereinigung der Zu­sammenschluß der Ballanstaaten problematisch erscheint. Noch vor Zusammentritt der Konferenz versuchten die Bulgaren die makedonische Frage auf die Tagesordnung zu setzen. Als dieser Versuch, unzweifelhaftes Sprengpulver in den Verhandlungssaal einzuschmuggeln, von den Einberufern abgewehrt wurde, zeigten die Bulgaren die falte Schulter