nausgabe tisdale nenois
Morgenausgabe
Nr. 473
A 238
47.Jahrgang
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Donnerstag
9. Oftober 1930
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Aufruf der österreichischen Sozialdemokratie.
Der Wahlaufruf der Sozialdemokratischen Partei DeutschDesterreichs beginnt mit einer scharfen Kritik an dem„ antimarristischen" System, das zu immer schwereren Erschütterungen führe und schließlich im Bürgerkrieg zu enden drohe.
..Diese furchtbaren Gefahren“, so heißt es weiter ,,, müssen überwunden werden. Die demokratische Verfassung muß gegen faschi stisches Abenteurertum und monarchistische Intrigen gesichert werden. Faschisten dürfen nicht über den Staat verfügen.
Die Arbeiterklasse tann und wird nicht einseitig abrüsten, folange fich die Faschiffen gegen die Republif bewaffnen. Wenn mir Sozialdemokraten aus diesen Wahlen so stark bernor gehen, daß wir die Führung der Regierung übernehmen fönnen, dann werden mir alle ehrlichen Demokraten dazu einladen, mit uns gemeinsam die vollkommene innere brüstung unter gegenseitiger Kontrolle durchzuführen; alle Selbstschutzverbände auf beiden Seiten werden dann gleich zeitig aufgelöst, alle militärischen Aufmärsche dieser Formationen, die immer wieder Beunruhigung erzeugen, verboten, alle Waffen eingezogen und vernichtet werden. Wenn so der Frieden im Lande gesichert ist, so wird die von den Sozialdemokraten geführte Regierung alle Kräfte auf die Bekämpfung der WirtschaftsPrise und der Arbeitslosigkeit fonzentrieren.
Beun erst der anfimargiffijche Kurs befiegt ist, werden Gewerkschaffen und Unternehmerverbände auf der Grundlage vollkom mener Gleichberechtigung und der Unantastbarkeit der sozialen Errungenfchaffen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit zusammenwirfen fönnen.
Quich Arbeiter und Bquern, die der Antimargismus gegen einander verheßt, werden sich dann über die Wirtschaftspolitit verständigen fönnen."
Linz , 8. Oktober. Minister Starhemberg hielt in einer Heimwehrversammlung eine Rede, in der er u. a. ausführte: Ich erkläre hier ausdrücklich, als der verantwortliche Führer der Heimwehrbemegung, daß wir es
mus aufzurichten und nach Ausscheidung vollsfremder, verantwortungsloser bolſchemistischer Agitatoren den friedlichen Aufbau unferes Volksstaates durchzuführen.
Dieser Starhemberg hat nach dem Ministereid auf die demokratisch- parlamentarische Verfassung öffentlich erklärt, daß er an dem Korneuburger Eid auf faschistische Gewaltergreifung und Machtausübung unverbrüchlich festhalte; er hat in einem Aufruf gesagt, daß die Heimwehr sich darin auch durch eine rote Mehrheit des Nationalrats nicht irremachen lassen werde und er hat schließlich in der Faschistenuniform- empfohlen, den Kopf des so erfolgreichen Wiener Finanzreferenten Breitner in den Sand rollen zu lassen. Baugoin hat das abzuftreiten versucht, aber selbst ein Wiener Heimwehrblatt hat diese Aeußerung Starhembergs gemeldet.
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Wenn dieser unbeschreibliche Minister jetzt das Gegenteil pon dem sagt, was er jahraus, jahrein gepredigt hat, so weiß jedermann, was davon zu halten ist ebenso wie von der Bogromhezze des Schlußsages dieser Linzer Minister
rede!
Die Bundesführung der Heimwehr hat beschlossen, den Wahl tampf felbständig an führen und überall eigene Kandidaten auf zustellen. Dieser Beschluß hat im Bager der bürgerlichen Barteien außerordentlich überrascht, besonders die Chriftlichsozialen befürchten hiervon einen noch größeren Stimmenverlust, als ihnen sowieso von der Bolfsempörung über den Strafella- Standal, die Verfaffungsbrüche und die Ernennung des 13fachen Schloßbesizers, Fürsten und Mordbrandhepers Starhemberg schon droht, ihnen überdies durch den Riesenerfolg des sozialdemokratischen Bolfsbegehrens bereits urschriftlich versichert ist.
Lappo denkt gleich Starhemberg . Drohung gegen den Reichstaa. Helsingfors , 8. Oktober. ( Eigenbericht.) Inlängst hat der Vertreter einer norwegischen Zeitung einen Führer der Lappofaschisten gefragt, wie er über die Reichstagswahl denke. Die Antwort war: Wie die Wahl ausfällt, kümmert die Lappoleute wenig, im Oktober tritt der Reichstag zusammen, im November wird man sehen, was los ist und im Dezember ist alles in Ordnung."
grundsäglich ablehnen, den Versuch zu machen, unsere Ziele mit Gewalt zu erreichen, da wir uns voll bewußt find, daß wir dies in Anbetracht unserer Wirtschaftslage nicht verantworten können. Im Gegenteil: wir wollen heute unsere Kraft in den Dienst des friedlichen Aufbaus unseres Staates und unserer Volkswirtschaft stellen. Wir lehnen auch deshalb jede Gewaltpolitik ab, weil wir uns verantwortlich fühlen, nicht nur für Blut und Ge- Die finnische Reichstagswahl hat den Sozialdemokraten sundheit unserer eigenen Kameraden, sondern auch für das Wohl 1 bis 2 Mandate über das ein Drittel der Gesamtzahl von unb Behe aller Boltsgenossen. Wir streben feines-| 200 gegeben. Die Sozialdemokratie fann also die Annahme wegs eine Staatsform an, die die Entrechtung und Bergewaltigung der verfassungsändernden Ausnahmegeseze verhindern; durch breiter Kreise unseres Volkes bedeuten würde, sondern wir sind die Drohung mit Gewaltanwendung gegen einen unbot gewillt, einen unüberwindlichen Damm gegen den Bolschewis- mäßigen Reichstag soll er zum Gehorsam gezwungen werden.
Diskonterhöhung der Reichsbank.
Notwehr gegen die Politik der Privatbanken. Ein neues Sturmzeichen.
Der Zentralausschuß der Reichsbant ist für heute vormittag| so schnelle und scharfe Abwehr, wie eine Diskonterhöhung 11 Uhr einberufen worden. Wie WTB.- Handelsdienst aus Bant- um ein volles Prozent, nachdem eben erst Hypothetenbanken kreisen erfährt, dürfte es sich um die Frage einer Distont. wegen der Ausgabe von achtprozentigen Pfandbriefen zur Ordnung erhöhung um 1 auf 5 Proz. handeln. gerufen wurden, hat faum jemand erwartet. Daher wird die Dis fonterhöhung auch nicht in erster Linie aus wirtschaftlichen, sondern aus Geldmarkt- und Devisengründen erfolgen. Die Reichsbant muß sich gegen die leichtfertige Politit der Privatbanken zur Wehr sehen, sie muß ihren Kredit für die privaten Banten verzur Wehr sehen, sie muß ihren Kredit für die privaten Banken ver teuern, die rein aus Profitgründen, ohne jede Rücksicht auf eine immerhin mögliche plögliche Erschütterung des internationalen Bertrauens gegenüber Deutschland , sich mit den billigeren ausländischen Devisentrebiten vollgesogen hatten, die jetzt gekündigt werden. Die Reichsbant, die ebenjogut den Banten die Kredite hätte geben tönnen, muß ießt außer der Finanzierung der Kapitalflucht auch noch den Kündigungssturm der Auslandskredite aushalten. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet die Kreditverteuerung mitten in der schwersten Wirtschaftstrife eine neue außerordentlich ernste Belastung.
Wir haben keinen Anlaß, an der Wahrscheinlichkeit einer Disfonterhöhung zu zweifeln. Die ausländischen, besonders die frans zösischen Kreditfündigungen haben nicht aufgehört. Die Reichsbank mußte zur Devisenbeschaffung vorgestern wieder für 35 Millionen Mark Gold von Köln nach Paris versenden, womit sich ihre Goldverlufte in wenigen Wochen auf 210 Mil lionen erhöht haben. Vorgestern war der Stichtag für den Reichsbankausmeis; der Geldmarkt ist angespannt geblieben, und offenbar war der Abbau des Milliardenkredits gering, den die Reichsbanf zum 1. Oftober hatte gewähren müssen.
In der Wirtschaft und auf der Börse wird die Nachricht von der bevorstehenden Diskonterhöhung wie eine Bombe einschlagen. Eine
Seit
Bum Großwahlschwindel aufmarschiert. Am 12. Mai 1926 rückte der damalige Generalinspektor der polnischen Armee, Marschall Joseph Pilsudski, mit einer Heeresmacht in Warschau ein, verjagte die gesetzmäßige Regierung und übernahm das Kriegsministerium. jenem Tage ist Pilsudski der wirkliche Leiter der polnischen Staatsverwaltung, neuerdings auch formell, da er nun auch Ministerpräsident ist. Jener Putsch wurde von den Arbeitern und Bauern Polens mit Jubel begrüßt; die Arbeitermiliz marschierte zur Unterstützung des Unternehmens auf, die Eisenbahner verhinderten die Heranschaffung von Truppen, die gegen den Butsch eingesetzt werden sollten. Die Massen glaubten das Ende von Wirtschaftsnot und Korruption gefommen, auch die Minderheitsvölter atmeten auf, auch fie jahen in Pilsudski den Schüßer der Demokratie und der Gerechtigkeit.
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als
Es dauerte nicht lange, und der Nimbus, der Pilsudski als mehrfachen Befreier Bolens umgab, war verflogen. Revolutionärer Kämpfer gegen den Zarismus, Führer der Sozialistenpartei, Gründer der Legionen im Weltkrieg, Sieger in der Russenschlacht von 1920 vor Warschau Nationalheld hatte Pilsudsti bis dahin gegolten. Aber mehr und mehr fehrte er den Militärdiktator heraus. Er umgab sich mit seinen alten Legionsfreunden unter Fernhaltung seiner sozialistischen Mittämpfer von anno dazumal. Sein ordinärer Jargon, bis dahin nur engerem Freundesfreis bekannt, drang in der charakteristischen Irrsinns= form der Koprolalie durch Zeitungsartikel und Interniems immer häufiger in die Deffentlichkeit. Diese Aeußerungen des Marschalls wimmeln von ungeheuerlich gemeinen AusTräger, das Parlament. Massenhaft wurden Offiziere, die drücken gegen die Verfassung, die Demokratie und ihren für Pilsudsfis Zwecke ungeeignet erschienen, pensioniert. Die Unabsegbarkeit der Richter wurde durch Berordung beseitigt, die Presse gefnebelt, die Krankenkassen den Arbeitern entriffen, ihre Beamten hinausgeworfen und durch Offiziere oder sonstige Pilsudsti- Leute ersetzt. Aus Abtrünnigen der Sozialistenpartei murde eine regelrechte Faschistenhorde organisiert, die durch Ueberfälle und bewaffnete Drohung die merftätigen Massen in Schrecken sezen soll.
Der Sejm wurde nur noch zum äußersten gesetzlichen Termin einberufen, so daß er seine Arbeiten nicht erledigen fonnte. Das gab wieder den Grund, ihn zu vertagen und sich sogar den Etat durch Verordnung selbst zu bewilligen, Der Sejm hob zwar die verschiedenen Knebelungsverordnungen auf, aber sie wurden nach seiner Bertagung sofort wieder in Kraft gesetzt. Vor dem Staatsgerichtshof, den das Parlament gegen den früheren Finanzminister Czecho wicz wegen gewaltiger Etatsüberschreitungen angerufen hatte, erging sich Pilsudski als Zeuge in unerhörten Schmähreden. Schließlich löste er das Parlament auf, setzte aber immerhin die Neuwahl auf den 16. November dieses
Jahres an.
Schon bei der vorigen Parlamentswahl waren üble Manöver zugunsten der Regierungspartei( SanacyaSanierungspartei) verübt worden, doch mar fie gegenüber der nationaldemokratischen Rechten, den Sozialisten und Bauernparteien der Linten und des Zentrums in der Minderheit geblieben; auch die bald enttäuschten nationalen Minderheitsparteien stimmten meistens mit der Opposition. Gegenüber dem zu erwartenden Regierungsdruck auf die Wähler hatten die Sozialisten und die Bauernparteien sowie andere Lintsgruppen noch vor der Sejmauflösung einen Wahl= blod( Centrolem- Zentrum- Linfe) geschloffen. Da wurden unmittelbar nach der Sejmauflösung und dem Erlöschen der Immunität eine große Anzahl führender und aktiver Oppositionspolitiker verhaftet und in die entlegene Festung Brest- Litomst gebracht, wo sie als friminelle milia tärhäftlinge ohne Charge behandelt werden, verschärft durch die sadistische Grausamkeit des berüchtigten Oberst Bjernazti, der als Kommandant des AbgeDie Berhaftungen der ordnetenterfers eingesetzt wurde. Oppositionsführer gehen ununterbrochen weiter. Anklage ist bisher nicht erhoben, der Staatsanwalt, der Untersuchungsrichter und die Regierungspreise verbreiten gegen die Berhafteten die wahnwißigsten Beschuldigungen, für die nicht ein Schatten von Beweis jemals wird erbracht werden fönnen. Der Zwed ist klar: die Wahlaussichten der Opposition sollen durch den Raub ihrer Führer verschlechtert werden. Haussuchungen bei Oppositionellen in ganz Bolen, Entwaffnung zur Behrlosmachung gegenüber den Faschisten, ungehemmte Verfolgung der Oppo fitionspreffe, direkte Wahlichwindelaufträge an die Verwal tungsbehörden das sind die Begleiterscheinungen zur Verhaftung und Mißhandlung der Oppositionsführer.
Das Ziel all dieser Verfolgungen und Rechtsbrüche ichlimmster Art ist längst offen ausgesprochen worden: im neuen Sejm soll die Regierung Pilsudski 300 von den insgesamt 440 mandaten haben! Die Opposition soll als ohnmächtige Minderheit nicht mehr