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Nr. 417* 47. Jahrgang
*1. Beilage des Vorwärts
Gonnabend, 44. Okiober 4930
WochmnM
Ausflüge
Oer Kindel. Eine Wanderung zu Suppen- und Bratenhühnern. Nördlu!, von Berlin   sind in den Wiesen und Bruchländereien kleine Waldflachen eingelprengt, die eigentümliche Namen wie.Der Krämer",Der Z o tz e n",Der Kindel" sühren. Während die beiden ersten weiter ab von Berlin   im Zuge der Berlin Ham­burger Bahn liegen, hat man den letzteren sozusagen vor den Toren der Stadt. Ein Autobus fährt von Pankow   über Blankenfelde   nach Schildow, der Eingangspforte zu dem bisher noch nicht überlaufenen Kindelgebiet. Schildow ist auch Station jenes Kleinbahnkomplexes, der ab Reinickendorf   den Verkehr einmal nach Liebenwalde  , dem bekannten Schiffer- und Ackerbürgerstädtchen an der alten Havel   Oder-Wasferftraßc, ein zweites Mal nach W a n d l i tz s e e und Grotz-Schönebcck befriedigt. Von dem NamenDer Kindel" wird«ine romantische Geschichte erzählt: 1806 seien die Bewohner der umliegendeil Ort« vor den Franzosen in dos sumpfige Waldgebiet geflüchtet. Da sie nicht ganz den Verkehr mit den Zurückgebliebenen ausgaben, sei ein Kind den Franzosen in die Händ« gefallen. Es habe sich geweigert, den Aus- enthalt der Geflüchteten Z» verraten und sei von den Franzosen deshalb in einen der kleinen Seen geworfen worden.
Schildow macht einen behäbigen Dorfeindruck. Hat man den Autobus verlassen, so geht es geradeaus über die Bahnlinie in den typischen Sand des Nadelwaldes. Im Walde   sehen wir bald kleine Plakate, die uns zum Einkauf von Brat- und Suppen- Hühnern auffordern. Nördlich von unserem Wege liegt«in« Geflügelfarm, die bemüht ist, der Forderung:jedem Deut- jchen täglich sein Frisch-Ei" nachzukommen. Die Straße biegt links um; ein« neu« Brücke führt über das Kindelfließ und der Blick schweift rechts und links über prächtige Wiesen, die in samtner Weiche glänzen. Der Kindel setzt sich aus solchen Waldpartien Tannen und Laubwald> zum Teil in Schluchten auf- und niedersteigend, aus Wiesenauen, Erlenbusch, Sumpf und Wasserflächen zusammen. Die in sein Gebiet eingesprengten Wohnstätten stören den großen Frie- den dieser bald idyllisch, bald melancholisch anmutenden Natur nicht. Einen guten Maßstab für den bewahrten ursprünglichen Charakter dieses Gebiets gewährt die Erklärung eines T«ils zum Natur- j ch u tz g« b i e t. Bequemen Abschluß findet die Wanderung in H c r m s d o r s, wohin wir über Glienicke   kommen, dos rege Bautätigkeit auf- weist. Steigt man auf der Wanderung wieder einmal in das Fließ- tol hinunter, so sieht man über der Talmulde die Häuser von L ü- b a r s herübergrüßen, das seit längerem Autobusverbindung hat.
Waffen in Kinderhand. ven Schulkameraden beim Spielen niedergeschossen. wieder einmal ist durch eine geladene Waffe in Kinder- Händen schweres Unheil angerichtet worden. Der elfjährig« Schüler Konrad S. weilte mit seinem zehn­jährigen Klassenkameraden Gerhard Heinowski gestern allein in der Wohnung seiner Eltern am Sternplatz in Johannisthal  . Der Jung« hatte gefehen, wo fein Bater die Pistole aufbewahrt. Er wußte auch, wo der Schlüssel zu dem Schränkchen, in dem sich die Waffe befand, lag. Um seinen' Spielkameraden die Pistole zu zeigen, nahm er sie aus dem Schränkchen heraus und hantierte damit herum. Dabei kam er dem Abzug zu nahe und der erst« Schuß ging los. Di« Kugel verletzte aber niemand, sondern drang in das B e t t g e st e l l. Um die Waffe zu entladen, nahm 'Konrad S. den Patronenrahmen heraus, dachte aber nicht daran, daß sich im Lagf noch«ine Patron« befand. Als er auf den Abzug drückte, um zu zeigen, daß nun kein« Gefahr mehr bestünde, ging plötzlich em weiterer Schuß los. Die Kugel traf den zehnjährigen Gerhard heinowski in den Unterleib. Blutüberströmt brach das un- glückliche Kind zusammen. Der Schwerverletzte, an dessen Auskommen gezweffelt werden muß, fand im Elffabeth-Hospital in Oberfchöneweide Aufnahm«.
Die juristische Sprechstunde fällt heute aus.
Mord im Arbeitsamt. Ehemaliger Kommunist niedergeschossen. politischer Racheakt? Hannover  , 10. Okiober. Als am Freitagnachmittag der stellungslose kausman« Erich Schmidt das Arbeitsamt am Königswerther Platz verlassen wollte, wurde er von einem jungen Mann niedergeschossen. Die Kugel drang ihm durch das Sinn in den Mund und scheint dann die Haisschlagader getroffen zu hoben. Erich Schmidt wurde als Leiche in das Arbeitsamt getragen. Der Täter entkam durch die Flucht. Schmidt gehörte früher der Kommunistischen Partei an, wurde aber vor längerer Zeit ausgeschlossen. Der Beweggrund der Tat ist noch in Dunkel gehüllt, es scheint sich um einen Racheakt zu handeln. Columbia" glücklich gelandet. London  , 10. Oktober. Das FlugzeugColumbia" landete nach glücklich vollendeter Ueberqnerung des Atlantischen Ozeans   aus Tresco, einer Znsel der Scilly-Gruppe in der Grafschaft Cornwoll.
Können wir die Sorge überwinden? Genosse Pfarrer Bleier spricht am kommenden Sonntag, 12. Oktober, 18 Uhr, im Rahmen einer religiösen Feierstunde in der Trinitatiskirche, Charloitenburg, Karl-Auguft-Platz, über dieses Thema.
Hausrecht wird geschützt. Auch kommunistische Gernegroße haben es zu achten! Das Erweiterte Schöffengericht in Neukölln hatte sich gestern mit der prinzipiellen Frage zu beschastigen, ob ein Bezirks- verordneter dem hausrecht in einer öffentlichen Anstalt unterworfen sei oder nicht. Der Verhandlung lag folgender Vorfall zugrunde: Am 14. Januar erschien der kommunistische Bezirksverordnete Martin Weise   in einem Tagesheim für Erwerbslose in Neukölln, um ihm von den Erwerbslosen vorgetragene Mißstände in dem Heim nachzuprüfen. Er legitimierte sich als Bezirksverordneter und Mitglied der Wohl- fohrtsdeputation und forderte von dem Heimleiter eine Aussprach«, die im besonderen auf die Beseitigung einiger in dem Heim an- gebrachter schwarzrotgoldener Schleifen gerichtet war, die von Kränzen verstorbener Reichsbannerleute herrührten. Das Lokal, in dem sich das Heim befindet, ist nämlich ein Reichsbanner- lokal. Der Heimleiter erklärte jedoch sehr richtig dem Bezirtsver- ordneten, daß er mit ihm nichts zu tun hätte und wies ihn aus dem Raum. Dieser Aufforderung kam Weise jedoch nicht nach, sondern hielt an die Erwerbslosen eine Rede, in der er auch den Heim- leiter selbst beschimpfte. Wegen dieses Vorfalls wurde gegen den Bezirksverordneten Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Weife meinte in der gestrigen Berhandlung, daß er als Bezirksverordneter das Recht habe, allen ihm bekanntwerdenden Mißständen nachzugehen und deshalb nicht wegen Hausfriedensbruch belangt werden könne. Schwarzrotgoldene Schleifen zu Ehren verstorbener Prolekorier in einem Erwerbsiofenheim ist für den Kommunist weise sicher- lich ein ungeheuerlicher.Mißstand". Zu der prinzipiellen Frage wurde der sozialdemokratische Siadtrt? Schneiher- Neukölln als Sachverständiger gehört. E'' führte aus, daß die Städteordnung einem einzelnen Bezirksverord' neten ohne besonderen Auftrag das Kontrollrecht öffentlicher Ein- richtungen nicht gebe, daß es aber innerhalb Berlins   eine Hebung (Gewohnheitsrecht) sei. Dennoch stehe das H a u s r e ch t höher als das Selbstverwaltungsrechi, wenn dadurch der Dienst gestört werde. Da diese Voraussetzung bei Weise vorlag, der mit einer stattlichen Zahl von Erwerbslosen in das Heiin gekommen sei, verurteilte das Gericht unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Dr. Guhrauer ihn zu 200 M. Geldstrafe. Bluibad in einer Kirche. Achtzig Kirchgänger von Banditen umgebracht. Wie aus wexiko-Stadt gemeldet wird, sollen mexikanische Banditen in der Stadt San Carlos im Staate Tabasco ein« katholische Kirche   während der Frühmesse in Brand gesteckt haben. Die Banditen sollen sämtliche Eingänge verbarrikadiert und alle Männer, Frauen und Kinder, die durch die Fenster ins Freie zu flüchten versuchten, kaltblütig niedergeschossen haben. Insgesamt sollen S0 Menschen dabei in den Flammen umgekommen oder unter den Kugeln der Banditen gefallen sein. Fünf Matrosen umgekommen. Stnrmfahrt einer Hamburger Bark. Emden  , 10. Oktober. Die von ihrer Südamerikafahri zurückkehrende Hamburger Bark Padua  " wurde Freitag früh nach Delfzijl   eingeschleppt, um dort ihre Salpeteriadung zu löschen. Auf der Ueberfahrt hat die Bark fünf Mann der Besatzung verloren, und zwar wurden bei Kap 5)orn bei einem Sturm vier Mann über Bord gespült, während ein Fünfter bei der Heimreffe mit einer gebrochenen Stenge aus den Wanten tot auf Deck stürzte.
Lnberecht. Nachtruck verboten. Gustav Kiepenhauer Verlag A.-G., Vertriebsabt. Keiner der Zwischenfälle, die Werla immer ein wenig fürchtete, trat ein. Sie sahen noch ein paar Stunden zu- fammen, es gab viel zu erzählen, und es wurde später, als gut war. Das Zimmer   sie waren eben schlafen gegangen und hatten das Licht schon gelöscht lag wie eine dunkle Mas'e um sie. Der Frau fielen schon die Augen zu, als sie noch einmal für Minuten wieder wach und nachdenklich wurde. Neben ihr sagte Werla wie unter einem Druck: Ich bin so froh, daß du wieder da bist so froh!" 8. Geduckt und fröstelnd ohne Mut dem neuen und frischen Tag gegenüber sah Verchold Werla in der Straßenbahn zwischen dem Büropersonal, dessen Dienst eine Stunde später als der Tag der Arbeiter beginnt. Müde brannte sein Gesicht, kurz vor der Haltestelle rieb er mit dem Finger die Augenlider, bis sie schmerzten, die, ihre halbe, verschleierte Wirklichkeit der Dinge wollte ihn absperren von der Welt. Schön da war man nun. Am Gemäuer der Fabrik tropfte schmutzig tauender Schnee, der halbe Weg blieb an den Stiefeln kleben. Auf der Straße vor dem Tor vernahm er schon das Schütteln des Werkes. Der Schlot schoß Qualm gegen Wolkenwände, hinten dröhnte das Metall der Brücke unter dem Güterzug, der die neuen Tabaksendungen brachte. Alles zu spät, sagte er sich, da hat man nun die Nacht zer- grübelt, ist erst in der Frühe eingeschlafen und hat doch nichts gewonnen. Aber man muß sich doch nun zurechtfinden. Es ist, als soll das Leben nochmal anfangen... Der Schließmeister gab ihm seine Blechmarke, die allein auf einem Wandbrett baumelte. Kollege, paß auf dreimal Verspätung heißt Ent-
lassung! Vor acht Tagen bist du schon einmal mit zehn Minuten eingetragen." Wird jetzt vorbei sein, denke ich," sagte Werla gleich- gültig,meine Frau hat ein Kind bekommen." Der Alte nickte und ließ unter der vorgehaltenen Hand am Schalterfenster die Pfeife aufflammen: Hauptsache, daß alles gut gegangen ist, wie? Gratuliere! Wenn man die Zeiten nicht so mieß wären, möchte mancher noch Kinder haben." Der Maschinensaal ratterte und quietschte, surrte und klang, alle Mann standen an ihren Posten. Beim Durch­gehen streifte er die Rücken der Arbeiter. Niemand blickte auf. Der Maschinenmeister sah ihn böse am Durch das gläserne Hallendach sickerte verstaubtes Tageslicht. Mit drei Handgriffen wurde er auch wieder ein Teil des ganzen, ein- gefügt in das Räderwerk und Riemensurren der Arbeit. Auch der Tag ging zu Ende. Reihenweise tappte man in die Waschräume. Werla zog seine Jacke über und ließ sich mit der Kolonne den gewohnten Weg nach der Straßenbahn treiben stampfend und redend, ein schwarzgrauer Strom aus Arbeitskleidern, zwischen Fabrikgebäuden, schob sich die Masse vorwärts, eingeklemmt am Tor, Taschen, Brust und Hintern von der Kontrolle betastet, draußen breiter und breiter werdend und in einzelne Gruppen und Paare zer- fließend. Pfeifen wurden in Brand gesetzt, Zigaretten räucherten ihm übers Gesicht, einige Männer trafen Verabredungen zu Skat   und Bier. Kam eines der kurzberockten Kontormädels vorbei, die Aktentasche unterm Arm, das Gesicht voll Würde und Kehheit. prasselten Witze hinter ihr drein. Die Rothaarige kam auch. Achtlos überholte sie ihn, fremd... Er wußte ihren Namen, er kannte jedes Stückchen ihrer Haut, ihren Dust, ihre Zärtlichkeit und doch war es schwer, sich das alles jetzt vorzustellen, wie sie stolz da ging, neben sich einen dicklichen Mann aus ihrem Büro. Offenbar interessierte es sie was der zu erzählen hatte. Sie lachte, kniff die Augen zusammen und streifte den Arbeiter im Bor- beifchlendern fast am Arm. Jetzt hatte die Reimers es wohl mit dem angefangen, wie mit ihm vor vierzehn Tagen. Un- bekümmert, Hefter und bereft, sich hinzugeben. Das hatte ihm, Werla, egal zu sein, Teufel nochmal! Zu Hause saß seine Frau, zu der gehörte er und konnte wahrhaftig ein Freuden- fest feiern, daß er jene so leichten Kaufs losgeworden war dennoch, er mußte merken, wie sie sich mit dem Onkel da in Szene setzte, spielte und sich tut. Wäre sie jetzt in dieser Minute wieder zu ihm gekommen...
Warum, fragte sich Werla er wartete in einiger Ent- fernung des Paares auf die Bahn, warum könnte ich diesen Mann mit dem steifen Hut ohrfeigen? Ich will nichts von ihr wissen, sie ist gemein genug, schon am nächsten Nach- mittag einem anderen ihren Körper anzubieten. Ich kann hier stehen und mir das ansehen. Für diese Person ist nichts Wichtiges geschehen... Diese Selbstqual begleitete ihn während der ganzen Fahrt. Fräulein Reimers verließ den Wagen zwei Halte- stellen vorher und ging mit dem Dicken auf eine Konditorei zu, wie er im Fahren sehen konnte. So etwas hätte er dem Mädel natürlich nicht bieten können, und sie liebte ein Leben voller Annehmlichkeiten, sie trank zuweilen Sekt, besuchte Kabaretts.... Nach inancherlei Pausen seines kurzen Weges stand er vor der Wohnungstür, die Klinke gab nach ein schüttern- des Geräusch kam von der vorgelegten Kette. Im halbdunklen Flur standen sie sich gegenüber, die breite knöcherne Frau und der Mann. Die Erschöpfung preßte sich auf seinem Rücken. In der Küche weinte das Kind. Guten Abend, Annie, heute bin ich pünktlicher..." brachte er mit belegter Stimme heraus. Sie nahm ihm die Mütze aus der Hand und legte ihren Arm leicht auf feine Schulter. Tag, Bert, heute ist es wieder kalt, wie? Ich habe ordentlich eingeheizt. Wir müssen langsam wieder ins Gc- leise kommen..." Ins Geleise kommen, sagte sie das war das rechte Wort. In all diesen Wochen, besonders in der letzten, ging es kreuz und quer, man hetzte sich selber davon. Nun sollte alles ins Geleise kommen. Natürlich, sie meinte nur den Haushalt, sein Frühstück, die ordentliche Küche, den Sonn­tagsbraten ihre Worte paßten auch auf das andere. Auf alles, was er vergessen mußte. In der Küche setzte er sich burschikos und freimütig auf den ersten Stuhl, der ihm in den Weg kam. Und da liegt er im Wäschekorb, das ist also mein Sohn.. Erstaunt lachte Annie vor sich hin so redselig kannte sie ihren Mann ja gar nicht. Gleich darauf verfolgte sie sein Vorhaben gespannt weshalb bl'ckte er in alle Ecken, als suche oder fürchte er etwas? Hatte er ihre Anwesenheit ver- gessen? Er sprach doch ununterbrochen mit ihr, hatte ihr auf dem Flur einen Kuß gegeben, und nicht einmal nach Bier gerochen. (Fortsetzung folgt.)