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Beilage

Dienstag, 14. Oktober 1930

3 Millionen Leprakranke

Der Abend

Shalausgabe des Vorwärts

Die Geschichte einer Seuchenbekämpfung Krankheit und Arbeitswille

Wohl die schwerste und deswegen am meisten gefürchtete Hautkrankheit ist die Lepra . Lepra ist eine Erkrankung der Haut, der Schleimhäute und der äußeren Nerven, die durch einen bündel­weise auftretenden Bazillus, den Leprabazillus, hervorgerufen wird, welcher 1872 von dem Norweger Armaur Hansen entdeckt wurde. Man unterscheidet zwei Arten der Lepra , die Hautlepra, die mit knotigen Wucherungen der Haut auftritt, und die Nerven­lepra, deren Hauptkennzeichen Gefühllosigkeit der Hautnerven und Geschwüre sind, die bisweilen mit weißen oder braunen Flecken auf der Haut vorkommen. Meist kommen diese Formen miteinander vermischt vor. Die Geschwüre und Wucherungen, die vorwiegend die Arme und Beine und das Gesicht befallen, zerfressen allmählich das ganze Gemebe, bis die Gliedmaßen buchstäblich zerfallen.

Diese Krankheit, früher Aussat" genannt, galt seit Jahr tausenden und noch bis in unsere Tage hinein als unheilbar. Das Los der Aussäßigen in alter Zeit war furchtbar: Sie wurden aus der Gesellschaft ausgestoßen, nomadisierten im Lande umher und mußten bei ihrem Herannahen eine Klapper schwingen( Bazarus flapper), bei deren Geräusch alle Gesunden davonliefen. Infolge mangelnder sozialer Fürsorge waren die Leprösen dem Hunger­und Kältetode überlassen, soweit sie nicht ihrem Leiden frühzeitig erlagen. Heute werden die Kranken meist in Heimen oder auf cinsamen Inseln isoliert.

Kein Wunder, daß die Wissenschaft sich in der modernen Zeit ganz besonders intenfio mit dem Lepraproblem beschäftigt hat. Es ist ihr auch tatsächlich gelungen, immer mehr Klarheit über das Wesen und die Heilungsmöglichkeit der Lepra zu gewinnen, und heute kann die Lepra bereits als heilbar bezeichnet werden. Von diesen Fortschritten wurde der Deffentlichkeit in drei inter nationalen Lepratonferenzen Rechenschaft abgelegt, die 1897 in Berlin , 1909 in Bergen ( Norwegen ) und 1923 in Straß­ burg tagten.

Auf dem Berliner Rongreß fonnte far bewiesen werden, daß die Lepra nicht, wie man zuweilen früher angenommen hatte, eine crblich erworbene Krankheit sei, sondern daß es sich hierbei um eine anstedende Krankheit handelt. Doch erfolgt die An­steckung glücklicherweise nicht ganz so leicht, wie man es sich all­gemein vorstellt. So ist 3. B. in dem deutschen Ausjäzigenasyl bei Jerusalem , wo die nötigen Vorsichtsmaßregeln vom Personal beachtet werden, seit 1867 unter den Diakonissinnen noch kein Fall von Ansteckung vorgekommen, Troßdem mußte die Erkenntnis der Ansteckungsmöglichkeit in Anbetracht der Schwere der Krankheit zu gefeglichen Vorbeugungsmaßnahmen führen, in Deutschland enthalten in dem Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten" vom 30. Juni 1900 und in den dazugehörigen strengen Ausführungsbestimmungen.

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Die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Lepra­forschung wurde im Frühjahr 1928 wieder aufgenommen, als das Hygienekomitee des Völkerbundes eine vierköpfige Kommission mit der Aufstellung eines internationalen Lepraforschungsplans be= auftragte.

Während die Lepra früher mit Bädern, schwermetallischen Medikamenten, Bestrahlung und elektrischer Durchwärmung be= handelt wurde, verwendet man heutzutage vorwiegend Chaul­moograöl und Jodkali. Das Del Chaulmoogra ist ein altes indisches Voltsmittel, das aus den Früchten ver­schiedener indischer Bäume gewonnen wird. Das indische Gesund­heitsamt führte dieses Mittel bereits im Jahre 1854 ein. 1907 gelang es den deutschen Chemikern Fr. Hofmann und Taub, aus dem übelriechenden Del die wirksamen Bestandteile in einem fast farblosen, nur schwach riechenden Präparat, dem Anti­leprol, zu isolieren, das mit sehr gutem Erfolge innerlich perabreicht wurde. Englische Aerzte( Dean, Rogers, Muir) und Dr. Unna jun.( Hamburg ) verwendeten nach dem Kriege andere chemische Präparate aus dem Chaulmoograöl( Ale pol und Durotan) zu Einsprißungen. Recht gute Erfolge zeitigt auch die Behandlung mit dem ebenfalls seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts als Lepramittel bekannten Jodkali.

Die Behandlung dauert je nach der Schwere und dem Alter der Erfrantung einige Monate bis Jahre. Die Heilungsmög lichkeit verringert sich mit der Dauer der Erkrankung. Auf jeden Fall muß der Patient nach dem Verschwinden der äußerlich sicht­baren Symptome noch etwa drei Jahre lang von Zeit zu Zeit ( alle drei oder sechs Monate) vom Arzt beobachtet werden.

So unerfreulich die Lepra bei ihrem ernsten Berlauf und ihrer fangwierigen Behandlung auch heute noch ist, eines jedoch kann mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden: Lepra ist nicht mehr unheilbar.

Was dieser Fortschritt der Medizin für die Menschheit bedeutet, wird man erst ermessen können, wenn man sich von der immer Roch recht erheblichen Zahl der Lepratranten in aller Welt ein Bild zu machen versucht. Natürlich ist die Verbreitung der Lepra außerhalb Europas bedeutend größer als bei uns. In ganz Europa gibt es zur Zeit etwa 6000 Lepratranke. Davon ent­fallen auf Deutschland nur noch 10( 1920 noch 37; dann wurde das Lepraheim in Memel abgetreten), auf Norwegen ( noch im vorigen Jahrhundert ein Hauptherd der Lepra) 90, auf Frankreich ( das feine amtliche Leprastatistik führt) etwa 700, auf Italien etwa 400, auf die europäische Türkei etwa 600, auf Spanien etwa 1500; der Rest nerteilt sich in fleineren Ziffern auf die übrigen Staaten. Im nahen Drient( namentlich Irak , Persien , Zypern und Kreta ) gibt es etwa 1200 Leprafrante. Schon etwas schlimmer sieht es in Australien aus. In Australien und der Insulinde schätzt man die Zahl der Kranten auf etwa 17 500. Bon Amerika ist der nördliche Teil ziemlich frei von Aussaz. Nordamerika zählt nur etma 500 Bepratrante, in Mittelamerita find es aber schon etma 4000( monon je etwa die Hälfte auf Nikaragua und Kuba entfällt), und Südamerika ( hier namentlich Brafilien!) hat die beträcht liche Zahl von etwa 60 000 Ausfähigen. Am furchtbarsten ist jedoch die Lepra in Rußland , in Afrika und im Fernen Often verbreitet. Die Zahl der Kranken wird in Rußland auf 150 000 geschätzt, in Afrika auf 410 000( davon allein in Belgisch- Kongo 180 000 und in Nigeria 90 000), und im Fernen Osten haben wir die grauenhafte Zahl von 2200 000 Leprakranten. In China allein ( mit 420 Millionen Einwohnern) und ebenso in Britisch- Indien sind je etwa 1000 000 Leprafälle bekannt. Japan ( mit Korea und Formosa) hat dagegen nur 127 000 Leprafranke.

Nimmt man noch einige andere, fleinere Herde dazu, so dürfte es nach den Schätzungen englischer Forscher in der ganzen Welt zur Zeit etwa 3 Millionen Lepratrante geben. Ewald Bohm,

Eine unzureichende Untersuchung

Eine Untersuchung über den Einfluß sekundärer Faktoren auf, den Krankenstand hat in dem Umfange des Werkes von Werner Linde: ,, Krankenstand und Arbeitswille"( Otto Elsner Verlags G. m. b. H.) bisher gefehlt, trotzdem eine solche heute im Mittel­punkt des Interesses stehen müßte. Das hat nicht nur seinen Grund in Vorschriften der RVO., die Dritten einen Einblick in das Karten­material der Kassen erschweren, sondern vor allem im Mangel eines brauchbaren Kartenmaterials selbst. Hoffentlich macht die Notverordnung durch ihren Zusatz zum§ 368 RBO. diesem Zu­stand, den man geradezu als vorkapitalistisch" bezeichnen muß, ein Ende.

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3eitpunkt, wo er sich frant meldet, mit der Labilität des Arbeits­willens" gleichzusetzen, von dem sich jeder seine eigene Vorstellung machen darf. Dann käme vielleicht noch jemand auf den Gedanken, die erhaltenen Krankenstand zahlen in Mark und Pfennig umzu­rechnen, und schon wäre ein neuer Bluff für das reaktionsfreudige Publikum geschaffen.

Verfasser betont, er bemühe sich, objektiv zu sein. Zuerst heißt es aber, saubere Voraussetzungen und genau abge= grenzte Behauptungen aufzustellen. Sonst beweist man schließlich ganz etwas anderes als man beweisen wollte. So geschieht es auch in dieser Arbeit. Sie hat nämlich ihren Wert, der aber ganz außerhalb des gestellten Themas liegt. Es ist der erste Bersuch einer Aufstellung von Zahlenreihen, die eine nicht nur gefühls­mäßige, sondern rechnerische Disposition im Kassen­haushalt ermöglichen für den Fall, daß bei Eintritt bestimmter Umstände feine plötzliche Erhöhung des Krankenstandes zu erwarten ist. Das fann für kleinere Kassen sehr wichtig sein. Verfasser hofft mit Recht, daß die gezeigten Zusammenhänge jeder Kaffe als An­regung dienen werden, in Zukunft zusammenstellungen ähnlicher Art vorzunehmen. Von dieser Seite gesehen, ist die Arbeit jauber und wird ihre Freunde finden.

Trotz dieser Schwierigkeiten glaubt Verfasser, genügend ein­wandfreies Urmaterial gesammelt zu haben, und zwar von 62 Be triebstrantentassen. Für ihn ist Krankenstand die Zahl, die anzeigt, wie viele arbeitsunfähige Kranke im Wochen- oder Monatsdurchschnitt auf je hundert( Kaffen-) Mitglieder entfallen. Um den Einfluß ,, sekundärer Fattoren", die der Willkür der Ver­sicherten Spielraum geben, nachweisen zu können, bezieht sich Ver­fasser auf eine möglichst fleine übersehbare organische Einheit( das Wert, den Betrieb), da nur von hier aus auf gleiche Wirkung gleicher Umstände geschlossen werden kann. Die den wechselnden Krankenstand darstellenden Kurven werden einer Normal­furve"( größerer Ortsfrankenkassen und statistischer Aemter) gegen Mit Ford, der die Arbeitswissenschaftler Salonerperten" nennt, Im übrigen sieht die Objektivität folgendermaßen aus. S. 24: übergestellt, die durch das Gesetz der großen Zahl ausgeglichen und die sich von der Körper und seelenschädigenden Wirkung der mo­relativ regelmäßig verläuft. Der Verlauf dieser Normalfurve soll notonen Arbeit ein Bild zurechtgemacht haben, das ihrer eigenen zeigen, wodurch der wirkliche Gesundheitszustand der Arbeitnehmer Empfindsamkeit entspricht", fann für den Durchschnitt der Arbeiter­primär, d. h. also ohne Zwischenschaltung eines willkürlichen Mo- schaft wirklich ein mangelnder Wille zum Emporsteigen angenommen mentes seitens der Arbeiter, hauptsächlich beeinflußt wird".( Bri- werden..., wenn durch eine vorausschauende Betriebsleitung Maz­märe Faktoren.) Verfasser gibt selbst zu, daß primäre und sekundäre nahmen getroffen werden, die dem Arbeiter ermöglichen oder ihn Faktoren ,, naturgemäß praktisch nicht scharf voneinander zu trennen" veranlassen, seine freie Zeit so zu verbringen, daß förperliche und feien( S. 11). seelische Gegengewichte gegen die Schädigungen der Monotonie ge­schaffen werden..." Ja, wenn die Wirklichkeit sieht anders aus!

S. 26: Eine Gefahr eines zu hohen Arbeitslohnes

besteht aber darin, daß die Arbeiter leichter geneigt sind, sich dem Ikohol zuzuwenden...". Welch lebensfremde Auffassung dieser Itohol zuzuwenden...". Welch lebensfremde Auffassung dieser

Freitagabenderscheinung!

Diese Unsauberteit hat aber ihren Grund anderswo. Verf. vergißt nämlich, den Arbeitswillen zu definieren. Der 3med der Arbeit sollte doch sein, den Mißbrauch der Kranken­ versicherung in Zahlen darzustellen. Was nügt es aber, zu zeigen, daß sich der Krankenstand bei drohenden Streits um soundsoviel Prozent erhöht, wenn ich nicht weiß, wieviel Versicherte davon eine bis dahin hinausgeschobene Behandlung ihrer Leiden jetzt erst beginnen und wie viele das Krankengeld als Streifgeld ausnutzen? Da helfen audy teine Statistiken über vertrauensärzt liche Nachuntersuchungen; Berfasser macht selbst auf die Mängel dieser Kontrollmaßnahmen aufmerksam. In diesem Buche soll der Leser dazu verführt werden, die Willkür des Versicherten für den nicht zu verkennen, sondern als verfehlt anzusehen. Heinz Adam.

Und G. 54: ,, Es ist aber kaum anzunehmen, daß ein Arzt so gewissenlos sein wird, irgendein Kassenmitglied ohne irgendwelchen Krankheitsbefund trant zu schreiben." Mit dieser Behauptung scheint dem Verfaffer an anderer Stelle selbst etwas zuviel gewagt.

Im ganzen gesehen, ist der gedachte Zweck der Arbeit nicht nur

Seelenbewirtschaftung

Voraussetzungen der Rationalisierung

Die Unternehmer haben, um ihre Betriebe zu rationalisieren, I biloung, Weiterbildung, für Erholung und Zerstreuung ihrer Ar­einflussung der zu rationalisierenden Arbeiter und Angestellten an­ganz bewußt neuartige psychologische Methoden zur geistigen Be­ganz bewußt neuartige psychologische Methoden zur geistigen Be­gewandt, und sie sind drauf und dran, diese Methoden zu einer ständigen Einrichtung auszubauen. Der stiernackige, gradaus brutale Unternehmertyp aus den Wirtschaftskämpfen früherer Jahrzehnte ist jenem glatten Wirtschaftskapitän gewichen, der an die Einsicht der Arbeitenden appelliert, um die Ausgebeuteten zum wirtschaft­lichen Denken systematisch hinzuleiten".

Wie schafft man Erfolge her? Wie erzielt man, ohne sich er­hebliche Kosten zu machen, bei ausgepumpten, ausgepowerten Men­schen, die man mit fnapp vierzig Jahren auf die Straße werfen will, jene so profitable Wirtschaftsfriedlichkeit? Man muß sich die Methoden der modernen Betriebspsychologie etwas näher ansehen, 1m auf diese Frage Antwort zu bekommen. Das Düsseldorfer Institut für technische Arbeitsschulung, das Dinta, hat einen ziemlichen Anteil, sowohl an der theoretischen Fundie­rung, wie auch an der praktischen Durchführung jener Maßnahmen, die man die Schaffung der geistigen Voraussetzungen der Ratio nalisierung nennen kann.

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beiter tun, steht die Erziehung zur wirtschaftsfried­lichen Denkweise an allererster Stelle auf dem Lehrplan und auf dem Programm, auch dort, wo sie nicht mit sichtbaren Lettern zu lesen ist. Kleinbürgerliches Geltungsstreben, festgelegte Rang­rrdnungen, Züchtung des Angestelltendünkels, verschwommene Idea­lismen und Philosophastereien sollen die Werktätigen vom Klassen­tamps ablenten, ihnen nach Möglichkeit die Tatsache des Klaſſen­

tampfes verbergen. Wo immer eine psychologische Einwirkung an packen kann, dort versuchen die Unternehmer und die von ihnen angestellten pädagogischen" Kräfte, den Ausgebeuteten die Mei­nung einzuimpfen, daß es für einen Arbeiter gar keine bessere Ver­tretung feiner Interessen gibt, als die rückhaltlose Verwurzelung in seinem Betrieb, fein höheres Lebensziel als die Freude an der Lohnarbeit.

Ueberall, wo von Unternehmerseite heutzutage für die Arbeiter und Angestellten geschrieben, gedruckt, gesprochen, gelehrt, gezeichnet, dargestellt wird, überall dort wird auch in die gleiche nerlogene Trompete gestoßen. So etwa zum Beispiel der Gießener Philo­soph Professor Dr. E. Horneffer, der dem Verein der deutschen Eisenhüttenleute den Schmus liefert, mit dem die Werftätigen dumm gemacht werden sollen:

Da ist als Erstes die illustrierte Wertzeitung. Eine gute Spekulation, um auf dem Wege des geduldigen Papiers jede Woche eine neit und appetitanregend servierte Portion Werk­gemeinschaft" in hunderttausende proletarische Haushaltungen ein­suschmuggeln. Ganz vulgäre Unternehmermagimen, an dem Be­frieb, in dem der Leser arbeitet, demonstriert, für sein Verständnis geschickt zurechtfrisiert, geschickt zurechtfrisiert, wie fönnte der nicht gewerkschaftlich und polifisch geschulte Arbeiter sich Weisheiten verschließen, die ihm so einleuchtend nahe gebracht werden? Merkt er nicht an seinem fnur­renden Magen und an seinem schmerzenden Rücken auch wenn die zahllosen Arbeitslosen als drohende Mahnung nicht wären-, daß die Not der schweren Zeit straffere Arbeitsdisziplin und Steige- arbeiterfreundlichen Institutionen und Einmischungen in die Sphäre rung der Produktion erfordern? Die Werkzeitungen tun dann noch das Ihre an füßlichen Verschleierungen und frommen Mahnungen hinzu, und mer da glaubt, was er lieft und wieviele sind es, die nicht glauben, was sie gedruckt und immer wieder gedruckt zu lesen der ist schon auf gutem Wege zu einer Verfassung, die ihn weich genug macht, um sich dem durch die Rationalisierung gesteigerten Arbeitstempo reibungslos cinzupassen.

bekommen?

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Aber auch sonst noch versucht man auf mannigfache Weise seine Arbeiter und Angestellten einzufetten; ob man sie nun immer und immer wieder als Mitarbeiter anspricht, die sich als Glied des ganzen Werkes fühlen sollen, oder ob man mit feinem Taft die Titel der leitenden Herren abschafft, und so die Differenz der Monatsbezüge mit schlicht vertraulichem Ton faschiert, es ist immer die gleiche Taktif: man erzeugt ohne große Kosten und ohne jedes reale Opfer bei den Werktätigen Illusionen, die in Arbeits­freude ausgemünzt für den Unternehmer bares Geld bedeuten.

Man scheut darum auch keine Mühe, diese so nützliche Ideo­logie der Werffriedlichkeit und Arbeitsgemeinschaft( bei sehr un gleichen Arbeitserträgen) in die Arbeitermassen hineinzutragen. In jämtlichen Lehrlingswerkstätten, Anlernwertstätten, Betriebsschulen, Haushaltungsschulen, Bastel- und sonstigen Kursen, Betriebssport­nereinen und was immer jonft noch die Unternehmer für die Aus

,, Das menschliche Leben ist nun einmal in seinem ganzen Ausmaß Arbeit und immer wieder Arbeit. Deshalb findet der Mensch das Glück niemals, wenn er es außerhalb der Arbeit sucht. Er muß diese ihm von der Weltordnung auf­eriegte Arbeit in seinen eigenen Willen aufzunehmen, muß frei­willig, freudig, mit voller Eingabe die ihm vom Schicksal aufge= zwungene Arbeit verrichten. Anderenfalls geht er des menschlichen Glückes verlustig!"( Technische Rundschau vom 9. April 1930.) Und mem noch immer nicht flar geworden ist, welch unerbill­lich zielbewußter Ausbeuterwille hinter all den schönen Worten und des proletarischen Privatlebens steckt, die sich Menschenbehandlungs. technik nennen, der lese einmal, was der wissenschaftliche Lehrer der Rationalisierung, Privatdozent Dr. F. Giese von der Technischen Sochschule in Stuttgart , über den Berufstod der meisten Ar­beitskräfte, die über die Vierzig hinaus" sind, zu sagen bat:

..Die Betriebsleitung fann aber darin ein einfaches bio logisches Gefek erblicken, das heute überall die Leistungs fähigkeit des Menschen im Konkurrenzfampf in früheren Jahren zum Abschluß tommen läßt. Das Färben der Haare ist in Amerika üblich; aber mir verkennen darin nicht eine naturgemäße Ent micklung, gegenüber der Mitleid und Geduld vielleicht die schlechtesten Verfahren einer Menschenbehandlungstechnik im Betriebe wären! Jeder muß seinem Berufstod fest ins Auge fehen fönnen...."

So sieht der Werffriede aus, von der anderen Seite gesehen! ,, Die jungen wendigen Kräfte sollen erfaßt werden", die Auslese ist die große Waffe gegen den Margismus", nicht die ,, or­ganisierte Masse", soll das Objekt psychologischer Borstöße und An­griffe sein, sondern die nicht organisierten Elemente sollen nutzbar, willig und dienstbar gemacht werden".

Darum alle fanften Töne, darum alle Psychologie. Georg Schwarz