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Morgenausgabe

Rr. 489

A 246

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonnabend

18. Oftober 1930

Groß- Berlin 10 Pf.. Auswärts 15 Pf.

Die einfpaltige Nonpareillezeile 80 Pfennig. Reflamezeile 5.- Reichs mart. Kleine Anzeigen das iettges brudte Bort 25 Pfennig( zulässig zmei fettgedruckte Worte), jedes weitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Pfennig, jedes meitere Bort 10 Pfennig. Worte über 15 Buchstaben Arbeitsinartt zählen für zwei Borte. Zeile 60 Pfennig. Familienanzeigen Zeile 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupts geschäft Bindenstraße 3, wochentäglich Don 8 bis 17 Uhr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands  

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Vor der Entscheidung.

Demokratie oder Chaos und Diftatur?

Am Freitag hat der Reichstag   über das Schicksal der Regierung noch keine Entscheidung gefällt. Zwar haben die meisten Fraktionen ihre Auffassung zur Lage bereits äußern laffen, aber die Debatte wird am Sonnabend fortgesetzt und erst bei der Abstimmung, deren Ergebnis vorläufig un­gewiß ist, wird sich herausstellen, ob die Regierung Brüning die Möglichkeit zur Fortsetzung ihrer Arbeit erhält.

| stimmung zu dem angekündigten Finanz-| nungen vom Jufi, deren Ueberweisung an einen Ausschuß program m. Biele wichtige Teile dieses Programms des Reichstags die Regierung zugestimmt hat. Nachdem selbst werden von der Sozialdemokratie auf das entschiedenste be- die Kommunisten eingesehen haben, daß die Notverordnun fämpft. Der Lohnabbau ohne einen Preisabbau, die Ein- gen nicht in Bausch und Bogen aufgehoben werden können, ftellung der Zuschüsse des Reichs zur Erwerbslosenversiche- sondern daß nur einzelne Teile verändert werden müssen rung, die Abdroffelung des Wohnungsbaues, die Versackungs- ein entsprechender Antrag von ihnen liegt dem Reichstag  politik gegenüber den Gemeinden sind keine Maßnahmen, vor ist das auch von links her als der richtige Weg an­die die Wirtschaftsgesundung herbeiführen. Aufrechterhaltung erkannt. der Unterstüßungsleistungen, Streckung der Arbeitsmöglich feiten, Preisabbau und Kartellabbau, Verminderung der hohen Gehälter und Pensionen und des sonstigen unproduf tiven öffentlichen Aufwandes, das muß im Vordergrunde stehen. Wenn die Gesezentwürfe der Regierung erst vor­liegen werden, wird die Sozialdemokratie mit allen Kräften den Versuch machen, für ihren Standpunkt eine Mehrheit gewinnen.

Neben drei allgemeinen Mißtrauensan trägen gegen die Gesamtregierung Brüning, die von den Kommunisten, den Nationalsozialisten und den Deutschnatio­nalen gestellt sind, liegt auch ein besonderer Mißtrauens antrag der Landvolkpartei gegen den Reichsaußenminister Curtius vor. Die Entscheidung über diese Anträge wird die maßgebende sein, obwohl es vielleicht richtiger wäre, fie bei der im Augenblick wichtigsten fachlichen Frage, dem leberbrückungsfredit und der Schuldentilzu gung, zu fällen. Aber so weit ist das parlamentarische System in Deutschland   noch nicht entwickelt.

Von der Gewährung des ausländischen Kredits hängt gegenwärtig alles ab, die Unterstügung der Arbeitslosen, die Auszahlung der Renten, der Gehälter und Löhne, der Beamten, Angestellten und Ar­beiter. Ist das Geld für diese 3mede nicht da, ist das Reich zahlungsunfähig, dann wird es neue Arbeitslose geben, dann werden noch mehr Existenzen erschüttert und die llebermin­dung der Wirtschaftstrise wird noch schwieriger als das ohne dies der Fall ist. Geordnete Finanzen sind die Voraussetzung für Arbeit und Brot der Massen. Daher hat sich die Sozialdemokratie immer für geordnete Finanzen eingesetzt. Sie wird deshalb auch dem Ueberbrückungskredit zustimmen, nicht aus Liebe zur Regierung Brüning, sondern um das deutsche Bolt vor weiterer Berelendung zu bewahren. Wenn Nationalsozialisten, Kommunisten und Deutschnationale das Gegenteil tun, so geschieht das nur, weil sie keine Ordnung mollen, meil ihnen daran gelegen ist, das Chaos zu rergrößern, denn nur dann können sie die verhaßte Republik, die demokratische Verfassung und die Arbeiter­rechte zerstören.

Die Bolksversammlungsrede des Herrn Straßer in der Freitagsizung des Reichstags, die haßerfüllten An­flagen der Deutschnationalen Qua az und Oberfohren, die wüste Demagogie des Kommunisten Pied waren ein deutlicher Beweis, daß diese sich gegenseitig bekämpfenden Gruppen doch in einem Ziel einig sind: der Nieder­schlagung der Republik   und der Ausliefe rung der Macht an antidemokratische Ge malten. Hat der Wahlerfolg der Nationalsozialisten Deutschland   seit dem 14. September bereits um eine Milliarde Gold und Demisen ärmer gemacht, Hunderttausende in ihren Existenzbedingungen geschädigt, so würde ein politischer Er­folg der rein negativ eingestellten Gruppen noch weit größere

Opfer kosten.

Diese Opfer will die Sozialdemokratie dem deutschen   Bolte ersparen. Ihr Ziel ist nach wie vor die leberwindung der Wirtschaftskrise, der Schuh der sozialen Rechte der arbeitenden Volksschichten, die Erhal­tung von Demokratie und Verfassung, die Abwehr der alles zer störenden Diktatur des Faschismus oder Bolschewismus. Da­her wird sich die Sozialdemokratie, wie ihr Redner er mann Müller am Freitag im Reichstag dargelegt hat, non feiner anderen Partei die Zeit vorschreiben lassen, zu Kabinett der die Sozialdemokratie dem Brüning das Mißtrauen aussprechen wird. Die Sozialdemokratie weiß, daß sich der Vorstoß der Reaktion nicht nur gegen das Reich, sondern auch gegen Preußen richtet. Und sie erinnert sich, daß auch in frühern Jahren durch Preußen das Reich ge­rettet worden ist.

Wenn die Sozialdemokratie den Mißtrauensanträgen von rechts und links gegen das Kabinett Brüning die zu stimmung versagt, so ist das weder eine Vertrauens ertlärung für die Persönlichkeiten, die diesem Kabinett angehören, noch eine 3u1

in

Großes steht auf dem Spiele. Wieder einmal verteidigt die Sozialdemokratie Lebensinteresse und Zukunft der deutschen   Arbeiterklasse und des deutschen   Volkes. Ihre Entscheidungen müssen das Signal werden zu einem ver­stärkten Kampf gegen alle diejenigen, die sich nahe vor der Errichtung ihrer Diktatur wähnen, die aber nicht damit ge­rechnet haben, daß die Deutsche   Sozialdemokratie nach wie vor der starte Fels ist, an dem alle Das wird auch geschehen bezüglich der Notverord- Dittaturgelüfte zerschellen werden.

Nazipöbeleien im Reichstag.

Fortsetzung der politischen Debatte.- Der Handelsvertrag mit Finnland  .

In der gestrigen Reichstagsfizung, deren ersten Teil wir bereits| herbeizuführen, muß die Kartellgesetzgebung angewendet werden. der Abendausgabe dargestellt haben, führte

Abg. Hermann Müller  ( Soz.)

in seiner Rede zum Regierungsprogramm weiter aus: Die einzelnen Gesezentwürfe des Regierungsprogramms find noch nicht bekannt. Mit einer ganzen Reihe der Vorschläge sind wir einverstanden, zumal fie teilweise die Fortsetzung ähnlicher Vorschläge der früheren Regierung find.( 3urufe der Komm.) Sie haben frei lich ein anderes Brogramm aufgestellt, das nicht von dieser Erde ist; hat ja Ruth Fischer   früher einmal von den Mondprogrammen der Kommunistischen Partei gesprochen.( Heiterkeit.) Gegen andere Vorschläge haben mir verschiedene Bedenken Wir legen aber größtes Gewicht darauf, daß das. Programm parlamentarisch erledigt wird. Und ich hoffe, daß auch Sie( nach rechts) das ermöglichen werden. Das Programm über die Bauwirtschaft wird nicht durchzuführen sein. Reichstanzler und Reichsfinanzminister hoffen, etwa 400 Mil­lionen Mart auf dem Anleihemarkt zu erhalten, um die Bauwirt fchaft einigermaßen in Gang zu sehen. Ob diese Hoffnung berechtigt ist, wird sich zeigen. Die allerschwersten Bedenken hegen wir gegen die Einschränkung der Aufwendung für die Arbeitslosenversicherung. Die notwendigen Kosten für die Arbeitslosenunterstützung müssen eben, wenn sich die Wirtschaftslage nicht beffern sollte, in einem Nachtragsetat gefordert werden.

Der Wahlausfall ist doch nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß viele, die vom Abbau betroffen waren oder sich von ihm bedroht fahen, den Glauben an die Güte der bürgerlichen Wirtschafts­ordnung verloren haben. Glauben Sie nicht, diesen Glauben wieder erwecken zu können, wenn Sie die sozialen Leistungen abbauen,

( Sehr gut! bei den Soz.)

e das schon geschehen ist und noch weiter getrieben werden soll! mie Niemand fann sehnlicher als wir wünschen, daß das Preis gebäude ins Banten   gebracht wird. Aber sollen denn die Arbeiter Borauszahlungen dafür leisten? In der Arbeiterschaft besteht eine meitgehende llebereinstimmung darüber, Lohnabbau vor der Preis­sentung nicht zu dulden.( Lebh. Zustimmung der Soz. und Komm.) Die Schlußbemerkung des Finanzprogramms vom 30. September dieses Jahres erklärt offen die Tendenz zur Lohnsenkung. Das hat auch in den christlichen Gewerkschaften die stärksten Bedenken hervor gerufen. In der Berliner   Metallindustrie hat sich der Reichskanzler bemüht, den Ausbruch des Konflikts zu verhüten, aber er hat beim Unternehmerverband feinen Erfolg gehabt. Um den Preisabbau

BBMJ.gegen Verbindlichkeit?

Metallarbeiterstreit steht fest.

Die Metallindustriellen haben gestern wohl dem Reichsarbeitsminister erklärt, daß sie den Schiedsspruch annehmen, sie haben es aber unterlassen, die Verbindlichkeitserklärung zu beantragen. Die Ent­schlossenheit der Metallarbeiterschaft hat die Unmöglich. feit der Durchführung des Schiedsspruches aufgezeigt. schlossenheit der Metallarbeiterschaft hat die Unmöglich­**

( Meldungen über den Streit fiche 2. Beilage.)

Der Reichstanzler hat ja fogar von Zwangsmaßnahmen gesprochen. Wie sehr die Arbeiterschaft bereit ist, am Preisabbau mitzuhelfen, geht deutlich aus ihrem heroischen Entschluß hervor, eine Ber­fürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden wöchentlich auch unter einem Cohnausfall auf sich zu nehmen. Damit hat die Arbeiter­schaft ein Beispiel von Solidarität gegeben, das sich das Bürger­fum zum Muffer nehmen sollte.

( Lebh. Zustimmung der S03.) Bei der Reichsbahn sind bereits Ber­einbarungen getroffen, die die Arbeiterentlassung zu verhüten und die Einstellung weiterer Arbeiter zu ermöglichen geeignet sind. lleberstundenschieber müssen stärker zu den Lasten der Arbeitslosen­versicherung herangezogen werden.

Was die Notverordnungen vom 26. Juli 1930 betrifft, so hat der Reichskanzler bereits erklärt, wirkliche Verbesserungen, die den Zweck der Verordnungen nicht beeinträchtigen, anzunehmen. Teile dieser Verordnungen halten wir für unvertretbar. Ob eine Notlage be­stand, die die Anwendung des Artikels 48 rechtfertigte, wird von den Juristen so oder so beantwortet. Aber

fein Jurist wird nachweisen können, daß die Krankenversicherung fich in einer Noflage befunden hätte, die die Bezahlung des Krankenscheins und der Arzneien erfordert hätte.

( Sehr gut! links.) Wir werden dazu Abänderungsanträge stellen. Die Bürgerabgabe haben wir stets bekämpft,( Der Kommunist Torgler   widerspricht, und behauptet, daß Müller selbst die Einfüh rung der Bürgerabgabe seinerzeit als Reichskanzler begründet habe.) Das ist mir gar nicht eingefallen, wir haben uns stets dagegen er­flärt.( Torgler  : Sie haben von dem beweglichen Faktor gesprochen.) Gewiß, aber das sollte keineswegs die Bürgerabgabe sein. werden mir doch nicht erzählen wollen, was im Kabinett gewesen ist. ( Torgler  : Aber das preußische Gefeß!) Die preußische Regierung

mußte doch das Reichsgefeh durchführen. llebrigens werden sich auch die Befürworter der Bürgerabgabe bei ihrer Einziehung in fürzester Zeit überzeugen, wie verfehlt sie ist.

Die Aufhebung der Notverordnungen, bevor durch eine Reichs­tagsmehrheit Besseres an ihre Stelle gesetzt ist, würde der schwerste Schlag für die breiten Schichten sein. Die Arbeitslosenversicherung fönnte dann einfach nicht aufrecht­Seit 1924 find für die Arbeitslosenversicherung erhalten werden. 7,3 milliarden ausgegeben worden, was ihre Bedeutung für die ganze deutsche   Volkswirtschaft beweist. Die Kommunisten freilich bean= tragen, die neuen Steuern aufzuheben und sogar bereits eingezogene zurückzuzahlen. Von welchem Geld das geschehen soll, sagen sie nicht, ( Heiterkeit. Torgler  : Das erfordert die Konsequenz!)

Den.

Die Kapitalflucht kann nur durch die Wiederherstellung des Ver­trauens zum deutschen   Staat und zu seiner Wirtschaft behoben wer­( Nazi- Rufe: Wir haben kein Vertrauen!) Mit der Unter­grabung des Vertrauens fördert man die Kapitalistenflucht, erreicht aber niemals eine Revision des Young- Plans. Sie( nach rechts) find ja in der Außenpolitif ziemlich vorsichtig: Sie beantragen zwar Auf­aber die sofortige Einstellung aller Zahlungen aus dem Young- Blan hebung des Versailler Friedens und der auf ihm ruhenden Verträge, zu fordern, überlassen Sie den Kommunisten. Sie haben ja bis jetzt auch nicht die Ueberlaffung des Außenministeriums gefordert.

Sie schreien: Weg mit Curtius! aber Sie wollen selbst nicht das Staatsschiff steuern.

( Straßer: Dafür haben wir den Vorsitzenden im Auswärtigen Aus­schuß! Große Heiterfeit.) Sie glauben doch selbst nicht, daß dieser Ausschußoorsitzende die Reichsaußenpolitik bestimmt!