Nr. 489 47. Jahrgang A
1. Beilage des Vorwärts
Wochenende
Mark
in- der
Sonnabend, 18. Oftober 1930
untersuchung der Presse und der Deffentlichkeit unterbreitet würden. Er halte es für eine Sache der Kollegialität, daß diese Dinge in einer von den Aerzten bestimmten Stelle behandelt und erörtert würden. Also: Es lebe die Kollegialität, selbst wenn der Patient daran zugrunde geht. Bertrauensarzt der Betriebskrankentaffe fannst ruhig sein! Herr P. erhielt aber schon in der Gerichtsverhandlung die einzig richtige Antwort. Beim Konflikt zwischen sozialer Verpflichtung und ärztlicher Kollegialität, sagte der Vertreter des Nebenklägers, Rechtsanwalt Dr. Klee, entscheidet selbstverständlich die soziale Verpflichtung und das Wohl des Patienten. Es wäre eine Gewissenlosigkeit gewesen, wenn der zum Himmel schreiende Fall des Arbeiters K. nicht publiziert worden wäre. Das bestehende System der Nachuntersuchung bedarf einer
Ausflüge in die weitere Umgebung grundlegenden Reform.
freilich größer und zeitweise von Segelbooten belebt, aber in der
Sperenberg war ein Industrieort, aber seine Gipsmerte sind seit geraumer Zeit stillgelegt und die Gemeinde zehrt nur von altem Ruhm und dem Anreiz, den die nahen schönen Waldungen auf den Wanderer ausüben. Auch manche Neu fiedlung ist entstanden. Der alte Herrenfiz wurde das Kinder Erholungsheim der Konsumgenossen schaft Berlin . Sicher würde der Ort sich stärker entwickeln, wenn eine bessere Verbindung vorhanden wäre. Der Post autobus hört in Mellen, die Vorortfahrt der Reichsbahn in 3ossen auf, an sie schließt fich der spärliche Betrieb der Nebenbahn 3ossenJüterbog. So sind die Wälder, die von Sperenberg bis zu den Wiesengründen am Fuße des Hohen- Golm gehen, nicht überlaufen und so recht der Aufenthalt für bequeme Spaziergänger, da die Schönheiten etliche verschwiegene Seendicht vor den Toren liegen und auch ohne Wegweiser, die zur Zeit noch fehlen, zu finden find. Der Mellener See, an dem die Bahn vorbeifährt, ist
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Brand im Kautschuklager.
gemeldet.
3war der Schunt See liegt auf militärfistalischem Gebiet, das Großfeuer in Lüttich . Bisher 10 Arbeiter als verletzt hier vielfach auftaucht, doch der nahe Hege See und dicht dabei der als Naturschutzgebiet erklärte Teufelssee haben all die Reize, die märkischen Seen eigen sind, zumal wenn das Einerlei der Nadelbäume durch Laubwald unterbrochen wird. Ein in Sperenberg selbst liegender See ist im Gipssteingebirge entstanden. Wenn man von der Kirche in Sperenberg lints abbiegt, gelangt man zur Höhe, die bei geeignetem Wetter Fernblide auf den Golm und die umliegende Landschaft, selbst bis nach Potsdam hin, bietet. Dem Wanderer stehen einige gute Touren zu Gebote: SperenbergTrebbin, 14 Kilometer, und Sperenberg- 3offen, 10,5 Kifometer, find weniger empfehlenswert als die Weiterwanderung nach Neuhof( zwei Stunden), der Bahnstation der Berlin - Dresdener Bahn, oder mit Abzweigung nach rechts über Fern- Neuendorf zum Forsthaus Wunder( zwei Stunden). Von hier zurüd nach Neuhof oder Wünsdorf ( Vorortverbindung). Der direkte Weg Sperenberg- Wünsdorf ist Chaussee ohne Wald.
Parole: 3mmer feste gesundschreiben!
Es lebe die Kollegialität, selbst wenn der Patient daran zugrunde geht.
Die Privatbeleidigungsflage zwischen den Aerzten H. und B.| vor dem Schöffengericht Berlin- Mitte war mehr als bloß eine private Ungelegenheit der beiden Herren. Der Tatbestand dieses Prozeffes warf grelle Schlaglichter auf einen& rebsfchaden der Betriebstranfenfaffenuntersuchungen die Nachuntersuchung. Die Deffentlichkeit hat deshalb ein Anrecht darauf, über den Fall informiert zu werden.
Der Arbeiter N. mar vom behandelnden Arzt H. am 23. Mai als arbeitsunfähig bezeichnet worden. Der Bertrauensarzt der Firma schrieb ihn bei der Nachuntersuchung für den 9. Juni arbeitsfähig. Der Arbeiter fehrte sich leider nicht an den ärztlichen Befund. Er starb bereits am 8. Juni.
Man glaube nicht, daß er etwa von einem Auto überfahren oder nn einem herabfallenden Ziegelstein getötet worden sei. Sein Tod war vielmehr durch eine Krantheit verursacht, die er schon seit
nannte auch Dr. H. als behandelnden Arzt. Darauf veröffentlichte Dr. B. gleichfalls im Großen Berliner Aerzteblatt" eine Entgeg nung, in der er die ganze Sache einen Schwindel und von Dr. H. erfunden bezeichnete. Die Antwort darauf war eine Beleidigungsflage.
Die Berhandlung endete mit einem Vergleich. Dr. H. erklärte, er habe ja teinen Namen genannt; Dr. P., der in Wirklichkeit nicht der Bertrauensarzt gewesen mar, erklärte seinerseits, daß er gar nicht gemußt habe, welcher H. der Verfasser des Artikels gemesen sei. Das Entscheidende in der Verhandlung war aber die Aeußerung des beklagten Dr. P. Eine Aeußerung, gegen die nicht genug Brotest eingelegt werden kann. Er habe den Artikel geschrieben, fagte er, weil er grundfählich dagegen sei, daß Mißstände der Nach
Lüttich, 17. Oftober. In einem Kautschutlager brach heute ein Feuer aus, das sich so schnell ausbreitete, daß bald das ganze Gebäude in Flammen stand. Die Arbeiter suchten sich zum Teil dadurch zu retten, daß sie aus den Fenstern auf bie Straße sprangen. Zehn Personen werden als berleht gemeldet. Durch den Luftdruck verschiedener Explosionen, deren Ursachen bisher noch nicht geklärt sind, wurden alle Fenster der umliegenden Häuser zertrümmert. Die Löschung des Brandes war in den Nachmittagsstunden noch nicht gelungen. Es wird befürchtet, daß noch weitere Opfer in dem brennenden Gebäude eingeschlossen sind.
Benzolschiff in Flammen.
Die Mannschaft in letzter Minute gerettet.
London , 17. Ottober. Das Tantschif ,, Elthound" mit einer Ladung von 400 Tonnen Benzol ist am Freitag auf der Themse in Brand geraten. Da das Feuer im Maschinenraum nicht gelöscht werden konnte, verließ die Mannschaft das Schiff, das durch zwei Schlepper in größter Eile flußabwärts zur Küste gebracht wurde. Das Schiff glich einer Feuer. fäule. Es erfolgten mehrere Explosionen. Die Schlepper bleiben in der Nähe, bis das Schiff ausgebrannt ist.
50 000 Tonnen Dynamit!
Die Sprengung eines Dampferwrads in New York . Nem ort, 17. Oftober. Gestern wurden 50 000 Tonnen Dynamit an dem Wrad des infolge eines Zusammenstoßes mit einem anderen Schiff ſeit lehtem Dezember mitten im Hafen auf dem Grund liegenden. Dampfers Borf Bictoria" zur Explosion gebracht. Man bezwedte damit, ein Coch von 16 Meter Tiefe entflehen zu lassen, Wasserfäufe die fich im Augenblid der Explosion bildete, erreichte eine Höhe von mehr als 150 meter. Das Wrad sentte sich um 13 Meter.
Jahren in sich trug und die der Vertrauensarzt der Firma einfach Das Kampfblatt aller Arbeitnehmer ist der in das sich das Wrack durch eigenes Gewicht fenken sollte. Die
nicht bemerkt hatte. Nicht bemerkt hatte, obgleich eine ganz unfomplizierte Untersuchung, nämlich eine solche des Urins, eine gweifelsfreie Diagnose ergeben hätte.
VORWARTS"
Der behandelnde Arzt H., bestürzt über den tödlichen Ausgang der Nachuntersuchung, veröffentlichte im Großen Berliner Aerzteblatt unter Anführung des Falles, jedoch ohne Nemmung des Namens Wer für den ,, Vorwärts" wirbt, stärkt die findet heute im Ufa - Theater am Kurfürstendamm statt. Beginn des Vertrauensarztes, einen grundsätzlichen Artikel, in dem er eine Reform der Nachuntersuchungen verlangte. Ein Berliner Sensationsblatt bemächtigte fich der Angelegenheit und beschuldigte einen Dr. P., der in Wirklichkeit nichts mit der Sache zu tun hatte. Das Blatt
Walter A. Persich
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Vielleicht
morgen..
Unberecht. Nachdrud verboten. Gustav Riepenhauer Berlag H.-G., Bertriebsabt. Nach acht Tagen nugloser Versuche besorgte Annie einen Krantenschein, um nach dem Rat der Fürsorgeschwester einen Spezialisten aufzusuchen. Der fonnte nichts tun und meinte, einen Monat müsse man das immerhin ansehen, fleinere organische Fehler fämen oft auf natürliche Weise, aus Not wendigkeit, wieder in Ordnung. Wenn sie während dieser Zeit von Tag zu Tag von verdünnter Milch langsam zu schwereren Suppen übergehe, müsse sich der Magen anpassen. Der erste Versuch am Nachmittag gelang. Freudeftrahlend wollte sie Bert das nun berichten und fah an seinem unlustigen Gesicht schon im Hof, daß ihm etwas lebles begegnet war.- Streif..
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Der Betriebsrat hielt den Zeitpunkt für gefommen; Berla, der durch den Vorarbeiter hineingeschoben in die Belegschaft, fonnte sich nicht ausschließen. Die meisten hofften, nach zwei, drei Wochen durch bessere Löhne die Differenz zwischen Streifgeld und Lohn wieder aufzuholen, einige befaßen auch wohl Ersparnisse, fünfzig oder hundert Mart, mit denen man durchkommen fonnte. Bei Berlas fehlte jeder Pfennig das Kind fostete immer Geld, das Kinderbett mar noch nicht einmal abbezahlt deshalb hatte er die Absicht, Mitglied der Gemerkschaft zu, werben, immer wieder hinaus geschoben. Sobald die Schulden bezahlt sind, fagte er sich, ist Gelegenheit und Zeit genug.
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Ein Glück daß es Sommer mar! Heftiger, wilder und prafsender Sommer; Werla war durch die ganze Stadt gegangen, den langen fahlen Borstadtweg zwischen den neugepflanzten Bäumen über Aschenfies, der von vielen Wagen und Autos hartgefahren war und in der Hize dampfte. Links und rechts blühten und prozten Schrebergärten mit Sonnenblumen und Mohn, dazwischen fonnten sich lächerliche Rosen und die Bretterpaläfte in Rot,
Front der Arbeit!
Helft dem„ Tor der Hoffnung". Die Nachtvorstellung zugunsten der Hedwig- angel- hilfe: Menschen zweiter Güte" 23% Uhr. Boran geht der Kurztonfilm Der Kampf mit dem Drachen". Der Reingewinn ist für das Tor der Hoffnung" bestimmt. Frau Wangel bittet um Unterstützung ihres Wertes. Poftscheck der Hedwig- Wangel - Hilfe: Berlin 37 213.
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er mußte auch, daß mindestens dreißig Prozent der Belegschaft nicht organisiert waren und manche, selbst Gewerkschaftsmitglieder, jezt gern weiterarbeiten würden. Die Frage mar nur, wie start der Streifschutz diesmal ausgebildet sein würde.
Grün und Gelb, Weekendvillen der Armen. Hier pflanzten| das hieß: Aufforderung und leise Nötigung zum Streifbruch, fie alle ihren Kohl, ihre Kartoffeln und ihre eigene Sommerfrische, die Arbeiter und Angestellten, sie machten sich eine Art Scholle zurecht, die wirklich nach Erde, Dung und Bfanzen roch, und das war auf irgendeine Art schön. Auch so einen Garten haben, ja- aber der loftet Pacht, Arbeit, Holz, Draht, Geräte und Pflanzen nicht gerechnet!
Zunächst fühl, tam die Stadt näher. Holpriges Pflaster, schwarze Häuserfronten, Geschäfte für Lebensnotdurft, Brunt, Buz, Talmi, Pferdefleisch. Kinder spielten in der überraschend reichlichen Sonne, immer wieder mußten Autos hupen, Radfahrer läuten. Chauffeure standen an Halteplägen neben ihren Benzinkarren und warteten auf Gäste, gähnend, faul, streitsüchtig. Einer mischte ununterbrochen diden Schweiß von seinem Gesicht, das wie eine Speckschwarte glänzte. Hunde fläfften, Schupos turnten als Verkehrszeichen-nur seine Belegschaft sollte nun für unbestimmte Beit nicht eingefügt sein in den Kreislauf der Arbeit und des Geldverdienens. Wirtschaftskampf nannte man das- und es hieß dann immer, der Arbeiter habe Vorteile dabei. Streit mußte offenbar von Zeit zu Zeit sein, wie Regen oder Dürre oder Schnee. Denn wenn die Arbeiter nicht eines Tages streiften, dann spielten die Unternehmer' n bißchen Aussperrung. Jedenfalls schien es nicht mit fünfzig Wochen Arbeit im Jahr zu gehen.
Annie bekam den seinerseits erwarteten Schreck bei der üblen Nachricht, und richtig, wie er es vorher gewußt hatte, erbot sie sich nach der ersten Bestürzung, wie früher Reines machen zu gehen, das Kind in die Krippe zu bringen. Er ja, er hatte dann wohl manchen Weg zur Wohlfahrt zu er ledigen, um etwas Nahrung und Geld aufzutreiben.
Trostlose Tage! Abends war man abgespannt, hockte mit den Nachbarn auf Steintreppen vor den Häusern, bis in die Dunkelheit hinein, und war überflüssig. Jeder hatte seine eigene Ansicht vom Streifen. Einer verwarf es und ein anderer schimpfte den einen Reaktionär und Berräter an der Arbeiterschaft, einen Halunken, der seine Klasse verleugnete. Werla, den es am ehesten anging, war der stillste. Spät, wenn der Himmel sein dunkles Tuch über die Dachfirfte des Hofes hängte, trochen die Menschen beim leisen Wehen der Nacht in ihre dampfenden Stuben.
Die Fabrit verschickte ein vorgedrucktes Rundschreiben, sie stelle Arbeitswillige zu alten Bedingungen ein und schüße sie vor Maßregelungen-mit Wiedereinstellung sei unter anderen Umständen kaum zu rechnen. Werla wußte, was
,, Geh lieber nicht, Bert, du weißt, wie sie es nach dem Lohntampf in der anderen Fabrik gemacht haben. Keiner hat später mit den Streitbrechern gesprochen, selbst du nicht ihr habt euch ein Bergnügen daraus gemacht, sie nach und nach alle hinauszuefeln. Was nüßt es, wenn du vierzehn Tage oder drei Wochen verdienst und nachher für Monate arbeitslos wirst...
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Auf jeden Fall machte er sich am fommenden Mittag auf den Weg, um sich die Geschichte anzusehen.
Richtig, da waren alle, wie er es erwartet hatte, zehn Mann hoch mit Plakaten und Armbinden. Es gab ein großes Halloh, als er auftauchte. Drei oder vier Leute kannte er dem Namen nach.
,, Streitbrecher? Gibts doch immer Mensch!" sagte Klettwurm, ein doppelter Hüne ,,, an die fünfzig sind wohl drin, angreifen dürfen wir feinen, aber es soll sich niemand im Dunkeln erwischen lassen! Siehst du die Blauen hinterm Tor? Denen jucken die Gummifnüppel.' n Wiz, mas: Gummistäbe nennen sie die Dinger jegt! Stäbchen, huch nein! Unseretwegen fönnten sie mit Tants lauern, Terror gibt's nicht. Wir haben von jedem Mann. der jezt arbeitet, Namen und Adresse. Später rechnet der Betriebsrat mit den Brüdern ab. Es gibt Mittel und Wege genug..
Drei von ihnen wollten eine Pause einlegen, sie schleppten Werla mit in die Kneipe neben der Haltestelle. Ein fadendünner Wirt sammelte in dieser Bretterbude mit geizigem Bedacht Groschen um Groschen; jeden fannte er, insgeheim von einer ungeheuren Berachtung für alles, was Arbeiter hieß, beseelt. Sein Traum und Ziel er hungerte dafür- war ein Ballhaus mit hübschen Mädeln und Geldleuten. Er grüßte faum aber das Bier schmedte gut, man trant es meg mie nichts in der Hize, und der Korn dazu fühlte auch nicht gerade ab.
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Sie flopften sich gutmütig auf die Rüden, ließen die Fäuste auf den Tisch sausen, sprachen über die Aussichten des Kampfes. Man rechne sogar mit einer Aussperrung, hieß es, die dann ja aber doch zu der üblichen Wiedereinstellung führen müsse. Es wurde gemütlich nachmittag.
( Fortsetzung folgt.)