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Nr. 48947. Z.

. 159. 47. 3ebrgang 2. Beilage des Vorwärts

Sonnabend, 18. Oftober 1930

Berbindlichkeit nicht beantragt!

Selbst VBMJ. hält den Schiedsspruch für undurchführbar.

Der Verband Berliner   Metallindustrieller hat gestern| dem Reichsarbeitsminister schriftlich mitgeteilt, daß er den Schiedsspruch annimmt. Der VBMJ. hat aber nicht, wie wir in unserer gestrigen Abendausgabe auf Grund einer Korrespondenzmeldung mitteilten, die Ver­bindlichkeit des Schiedsspruches beantragt. Daraus ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß selbst den Herren im Verband Berliner   Metallindustrieller die Erkenntnis ge­kommen ist, der Schiedsspruch, der die Löhne um 8 bzw. 6 Proz. abbaut, ist un durchführbar. Der ges schlossene Abwehrkampf der Arbeiter und Arbeiterinnen der Berliner   Metallindustrie hat auch den Unternehmern gezeigt, daß sie den Bogen überspannt haben.

Wir wiffen nicht, was der Reichsarbeitsminister jetzt tun wird. Die Erklärungsfrist der Parteien läuft heute mittag ab. Da die Arbeiter den Schiedsspruch ablehnen und die Unternehmer nicht die Verbindlichkeitserklärung beantragen, tönnte der Reichs arbeitsminister von sich aus nur dann eingreifen, wenn er ein öffent­liches Interesse an der Schlichtung des Konflikts als vorliegend er­achtet.

Aber in diesem Falle ist es wirtschaftlich, pofitisch und psycho­togisch ganz ausgeschlossen, daß der Reichsarbeitsminister diesen Schiedsspruch für verbindlich erklärt.

union des Borsitzenden miteinander verbunden sind, behaupten, daß ein noch weitergehender Abbau der Löhne die Arbeitslosigkeit be seitigen würde. Man sollte nun annehmen, daß eine derartige Be­hauptung mit irgendwelchen Beweisen oder Argumenten gestützt wird. Bisher wartet die Deffentlichkeit noch auf diese Beweise. Sie sind auch nicht zu erbringen. Tatsächlich kann die Wirtschaftskrise nur behoben werden, wenn der Lohnanteil am Produkt wieder er= höht wird. Jeder weitere Abbau kann die Krise nur ver= fchärfen.

Schulter an Schulter!

Die Angestellten für die Arbeiter.

Es war von vornherein tein Zweifel daran, daß es den frei gewerkschaftlich organisierten Angestellten der Berliner   Metallindu­strie etwa an der nötigen Solidarität mit den streifenden Metall­arbeitern ermangeln würde, aber nach der gestrigen AfA- Funktio­närkonferenz für die Metallindustrie steht es fester, als man je hätte annehmen dürfen, daß die AfA- Mitglieder Schulter an Schul ter mit den fämpfenden Arbeitern ihre Pflicht tun werden. Die Konferenz, die in den Musikerfälen tagte und schon lange vor Beginn überfüllt war, nahm einen glänzenden Ber­lauf. Genoffe Ulrich von der Zentralftreitleitung gab einleitend einen furzen Situationsbericht über den Stand des Streifs.

Bemerkenswert waren seine mit allem Nachdrud abgegebenen Erklärungen gegenüber den von verschiedenen Seiten ausgestreuten Gerüchten, die auf die Stimmung der Streifenden zersetzend wirken sollen. Genoffe Urich betonte:

Die große Streitbewegung befindet sich vollkommen in der Hand des Metallkartells. Die Aussichten des Kampfes find aus­gezeichnet.

Gewiß werden wir beschimpft und begeisert von der sogenannten Opposition", schlimmer und hinterhältiger, als es jemals die Un­ternehmer getan haben. Wir wollen heute mit diesen Leuten nicht

über ihre schmähliche Handlungsweise rechten; aber nach dem Kampf werden wir Abrechnung halten. Wir sagen auch gang offen: was die Organisierten aufgebaut haben, gehört den Organisier ten und feinem anderen.

Im übrigen soll sich keiner über unsere Finanztraft graue Haare wachsen lassen; wir sind, wenn es nötig sein wird, auch für einen Kampf von 13 Wochen eingerichtet!( Stürmischer Beifall) Denn wir wissen, daß es in dem Kampf der Berliner   Metallarbeiter um mehr geht als um die Abwehr des 8prozentigen Lohnabbaues. Schon die immer wieder hervorbrechenden Zustimmungstund­gebungen der Konferenz waren ein beredtes Zeichen für die solida­rische Haltung der freien Metallangestellten. Genosse Flata u vom Berliner   Ortskartell des AfA- Bundes bestätigte sie noch einmal ausdrücklich.

Die Angestellten werden in diesem Kampf ihre Augen offen halten,

fie werden heute 1930 vergelten, wie ihnen gegenüber 1919 die Arbeiter Solidarität geübt haben.

Die Genossen Lustig( für die Techniker) und Jäger( für die Werkmeister) gaben für ihre Organisationen ähnliche Erklärun­gen ab, vor allem die Wertmeister und die Betriebstechniker denken nicht daran, sich etwa als Streitbrecher mißbrauchen zu lassen.

Können wir nicht fonfurrieren?

Die Arbeiterschaft ist gewiß nicht leichten Herzens in den Streif getreten. Seit mehr als sechs Jahren hat es in Berlin   feinen all­gemeinen Metallarbeiterstreit mehr gegeben, obwohl die Lohn- und Arbeitszeitpolitik des Verbandes Berliner   Metallindustrieller gemiß nicht als von sozialem Geiste durchtränkt bezeichnet werden kann. Trot schwerster Krise ist die Arbeiterschaft der Berliner   Metall­industrie jedoch so geschlossen in den Abwehrtampfi eingetreten, daß selbst der BBMI. jetzt zugeben muß, daß etwa 110 000 Arbeiter und Arbeiterinnen sich im Streik befinden. Tat­fächlich sind es faft 130 000. Wenn man berücksichtigt, daß unter diesen 130 000 Arbeitern und Arbeiterinnen sich ein nicht unerheb licher Teil unorganisierter befindet, die nicht auf die petuniäre Unterstützung der Gewerkschaft rechnen fönnen, aber trotzdem Schulter an Schulter mit den Organisierten die Arbeit niedergelegt haben, so zeigt das, daß schon vor dem Schiedsspruch die Lage der Arbeiter= schaft der Berliner   Metallindustrie faum noch erträglich war. Man braucht nur die tatsächlich verdienten Wochenfeld und Münster   erstatteten eben wieder ihren dritten Vierteljahres: Man braucht nur die tatsächlich verdienten Wochen löhne der Arbeiter und Arbeiterinnen der Berliner   Metallindustrie zu vergleichen mit den Berdiensten vor etwa einem Jahr, um sich flar zu sein, daß schon vor dem Schiedsspruch ein systematischer Lohnabbau vorgenommen worden ist.

Beseitigung der Arbeitslosigkeit?

Die Unternehmer behaupten, daß die Unkosten durch Senkung der Löhne abgebaut werden müßten. Sie verschweigen geflisfentlich, daß in den letzten Jahren der Anteil der Arbeiterlöhne von den Produktionskosten ständig zurüdgegangen ist. Auf Kosten der Löhne wurde rationalisiert, wurden Reserven angesammelt, während die Dividenden stiegen und die Bezüge der Direk= toren einen gigantischen Umfang annahmen.

Wenn heute die Reichsregierung die Kapitalflucht ins Ausland als eine der Ursachen der Erschütterung unseres Wirt schaftslebens bezeichnet, so wird wohl niemand behaupten, daß etwa die Arbeiter und Arbeiterinnen der Metallindustrie ihre Ersparnisse in das Ausland verschoben haben. Gerade diese ständige Kürzung des Lohnanteils unter Aufrechterhaltung der Preise ist die wesentliche Ursache des Rückganges des Absatzes und damit Ursache der Wirt­schaftskrise.

Die Bereinigung der deutschen   Arbeitgeberverbände und der Berband Berliner   Metallindustrieller, die auch durch die Personal­

Wie an der Ruhr und in Berlin   mit der Wahrheit umgegangen wird.

Die Industries und Handelskammern zu Bochum  ,| Die Einfuhr von Lebensmitteln und Getränken hat sich um Dortmund  , Duisburg- Ruhrort, Effen, Gladbach- Rheydt- Neuß, Kre-| 399 millionen Mart verbilligt, die Einfuhr von Fertige fabrikaten um 85 Millionen Mart! Wohlgemerkt: das ist nicht eine Wertverminderung infolge von Einfuhrrückgang, sondern Wert­verminderung infolge von Preisrüdgängen!

bericht für 1930. Jene Unternehmerinſtitutionen verlangen nich sondern auch, daß sie gewissermaßen mit dem gleichen Respekt wie nur, daß die Deffentlichkeit ihre fachmännischen Kenntnisse anerkennt, amtliche Körperschaften beachtet werden. In frassem Gegensatz dazu steht die Oberflächlichkeit, ja, agitatorische Gewissenlosigkeit, mit der von jenen Industrie- und Handelskammern über die wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Bezirks berichtet wird. So heißt es im Bericht vom 10. Oktober 1930:

,, Wie soll die deutsche   Wirtschaft noch mit dem Auslande fonkurrieren können, wenn die Selbst kosten, mit denen sie arbeiten muß, das Vielfache derer der ausländischen Kon­furrenz betragen?"

Genau dasselbe haben die Berliner   Metallindustriellen zur Rechtfertigung der Lohnfenfung behauptet.

Beinahe am gleichen Tage jener Beröffentlichung wurden auch die amtlichen Zahlen des deutschen   Außenhandels für die ersten neun Monate des Jahres 1930 einschließlich Sep­tember bekannt.

Aus diesen Ziffern ist zu entnehmen, daß

allein bei der Einfuhr von Rohstoffen und halbfertigen Waren in den ersten neun Monaten des Jahres 1930 eine Berbilligung von 660 Millionen Mark infolge Rückbildung der Einfuhrpreise eingetreten ift!

Und die Löhne" der Direktoren?

Sie üben ihre Zugend im Kämmerlein.

ihrer Arbeiter und Angestellten tennen die Unternehmungsleitungen den Inhalt der Lohntüte, und sie haben der Deffentlichkeit vorge­rechnet, wieviel da gespart werden muß. Wir sind neugierig auf den Umfang der Kostensentung die durch diese großen frei willgen Opfer" erreicht wird. Warum wollen die Herren ihre Tugend so bescheiden im stillen üben? mit der Sprache!

Heraus

Um jeden Preis sollen in Deutsáyland die Löhne herunter.| wieviel hier schon gespart worden ist? Von jedem Ob dadurch die Arbeitslosigkeit vermehrt wird, weil die in ihrem Einkommen gekürzten Arbeiterfamilien weniger kaufen, das kümmert die deutschen   Unternehmer recht wenig. Sie haben es auf die Senkung der Rosten abgesehen, und da sollen die Löhne zuerst herhalten. Aber die Unternehmer haben jetzt eine neue Parole ge= funden. Der Reichsverband der deutschen Industrie  hat verkündet, daß die Bezüge aller in der Privatwirtschaft Tätigen herabgesetzt werden sollen und nicht nur die Löhne. Er läßt jetzt in der Deffentlichkeit mitteilen, daß auch die Generaldirek< toren und die Direktoren der großen deutschen   Unterneh mungen von der Kürzung der Bezüge betroffen werden sollen. Es wird sogar behauptet, daß in noch stärferem Umfange, als es bisher schon geschehen ist, die Generaldirektoren und Direktoren sich frei­millig beträchtlichen Kürzungen ihrer Bezüge unterworfen hätten!

Wir sind auch der Meinung, daß bei den leitenden Herren der Industrie sehr gespart werden kann. Das gilt ganz besonders für Berlin  . Bon den mindestens zehn Millionen art, die die Siemens- Direttion bezicht, von den mindestens sieben Millionen der AEG.- Direttion, von den Millionen­fummen bei Osram  , Knorr  , Borsig, Schwarzkopff ujm, ufm. können sehr beträchtliche Summen erspart werden, ohne daß die Ceistungs­fähigkeit dieser Herren zu leiden braucht und ohne daß ihre Familien in Лot zu kommen brauchen.

Wenn es aber wahr ist. daß die Generaldirektoren und Direktoren der großen Unternehmungen sich freiwillig große Abzüge haben gefallen lassen, marum sagt man der Deffentlichkeit nicht,

Profite im Siemens- Konzern. Aerztliche Apparate bringen 10 Prozent Gewinn.- Für die Mechanifer Lohnabzüge.

Der Siemens- Konzern beherrscht auch die Reiniger, Geb­bert u. Scha 11 2.- 8. in Bayern  , ein Unternehmen für elektro­medizinische Apparate. Diese hat auch in dem am 30. Juni abge­laufenen Geschäftsjahr 1929/30 mieder gut pardient.

Der ausgewiejene Reingeminn von 680 550 Mart übersteigt eine Dividende von 10 Prozent. Nur die Hälfte, nämlich 5 Prozent Dividende werden aber an die Aktionäre ausgezahlt; der Rest wird in Reserven verborgen, offenbar auf einen Wint von oben, die offenen Dividenden den schweren Zeiten" in der Me tallindustrie anzupassen. Ueber 215 000 Mart werden auf neue Rechnung vorgetragen.

Was in Berlin   an Lohnabzügen jetzt durchgedrückt werden soll, dafür schafft man auch draußen im Reich schon die Stimmung, in­dem man die Gewinne recht flein erscheinen läßt!

Somit wäre erwiesen, daß allein schon aus der Einfuhr eine Berbilligung der Selbstkosten in neun Monaten von 1144 Mil­lionen Mart eingetreten ist, das ist eine Berbilligung um rund 15 Proz. der gesamten Einfuhr, wobei selbst­verständlich wieder der tatsächliche Rückgang der Einfuhrmenge nicht mit eingerechnet wurde.

Wie steht es nun mit der angeblich unmöglichen deut­ schen   Ausfuhr?

Troß der Weltfrise ist unsere Ausfuhr gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres( neun Monate) in der Menge nur um 3,4 Proz. zurüdgeblieben, der eigentliche Wertrüdgang der Ausfuhr infolge von Preisnachläffen betrug 534 Millionen Mart bei einer Gesamt­ausfuhr von rund neun Milliarden Goldmart!

Deutschland   hat alfo auch 1930 nach dem Auslande mit weniger Preisnachlaß verkaufen können als die Welt an uns verkaufen mußte.

Im übrigen ist auch in diesem Jahre ganz normal, wie immer im Herbst, die deutsche Ausfuhr erheblich gestiegen. An der saisonmäßigen Zunahme der Ausfuhr sind insbesonders Tertilwaren, eletrotechnische Erzeugnisse, Belzwaren und Kinder­spielzeug beteiligt.

Die Zahlen zeigen, mit welcher offenbaren Berfälschung der Wahrheit die vereinigten rheinisch- westfälischen Handels­fammern die Leser ihrer Berichte beeinflussen wollen. Sie zeigen aber auch, wie die Berliner   Metallindustriellen mit der Wahrheit über die Konkurrenzfähigkeit im Ausland umgehen.

Der Gegen" der Kapitalflucht.

400 Millionen Kreditverteuerung-20 mal soviel als der gewollte Lohnabbau

Allein in die Schweiz   soll über eine Milliarde geflüchtet sein. Das Kapital wurde dadurch in Deutschland   verteuert, die Krise wurde verschärft Der Diskont wurde um 2 Broz. erhöht; nimmt man an, daß 20 Milliarden Kredite in Deutschland  umlaufen, so bedeutet die Kreditverteuerung von 2 Pro3. rierhundert Millionen Marf, um die die Kosten der Produktion jährlich verteuert werden. Darüber hat sich noch bis­her fein deutscher   Unternehmer aufgeregt. Wenn die 6 bis 8 Proz. Lohnfenfung in Berlin   viel einbringen würde, dann vielleicht 20 bis 25 Millionen Mark. Also gerade ein 3wanzigste l von dem, was die Kreditverteuerung jährlich ausmacht. Selbstverständlich sind es die Patrioten und unter thnen zahlreiche deutsche Unternehmer, die ihr Kapital geflüchtet und damit die Verteuerung der Kreditkosten herbeigeführt haben. Bei der Reichsbant hat die Kapitalflucht allein in der Woche vom 8. bis 15. Oftober wieder Goldverluste von 262,5 Millionen gebracht, also mehr als eine Viertelmilliarde. Die Dechungsdenisen jür die Währung find um 37,6 Millionen gestiegen, meil ein fleiner Teil diefes exportierten Goldes auch zum Ankauf von Devisen gedient hat. Insgesamt dürften die Gold und Devisenverluste der Reichsbant, die in der Hauptsache zur Finanzierung der Kapitalflucht und bei der Verteidigung der Bährung eingetreten find, jetzt nahezu eine Milliarde be­tragen. Auf dem Geldmarkt ist immer noch keine Besserung ein­getreten; die Wechselbestände der Reichsbant, aus denen sich das Ausmaß der von den Banken in Anspruch genommenen Kredite