Nr. 491 47. Jahrgang
abranam. Beilage des Vorwärts
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Sonntag, 19. Oftober 1930
Die sote
iemensmavt
Hier wird
gestreikt!
Von noch der Geruch| geblieben. Der Geruch Säuren,
ruft uns mit leichtem Hohn zu:
,, ta, wer steht denn nun hier Streifposten, die oder ihr?" ,, Die", das sind die Schutzpolizisten und ,, ihr", das sind die Streitposten.
Das heißt, so einfach ist das nun auch wieder nicht. Die mit den weißen Schildern find nämlich die vom Deutschen Metallarbeiter
Verband und die mit den roten
Schildern haben sich mit großen Schildern haben sich mit großen Buchstaben bemalt: RGD." Weiter: die mit den weißen Schildern find ausnahmslos Siemensarbeiter und die mit den roten Schildern find überwiegend Arbeitslose, die von der Kommunistischen Partei vor die Siemenstore gestellt wurden. Die Berliner Zentralstreitleitung hat bekanntlich den Kriegsbeschädig= ten das Weiterarbeiten gestattet, das gilt auch für die zahlreichen von Siemens beschäftigten Blin den. Am Donnerstag früh nun wollen wie
bas Elmo.- Wert gehen. Da fallen die
von fonſftwo herbeigeholfen
Leute der„ RGO." wie die wilden über die unglüdlichen blinden Frauen her und schlagen fie blutig. Bfui Teufel! Das Ende ist natürlich die Polizei. Solange die RGD. in Siemensstadt herum
und Rauch. Nicht so penetrant wie in Leuna , aber schärfer als in Essen . Sonst stehen einsam und verlassen ein paar Waggons auf den Anschlußgleisen, niemand turnt mehr zwischen den Bretterstapeln umher, die Greifer der Kran- tobt, tann man sie nicht entbehren. anlagen haben sich mit offenem Maul auf die Kohlenhalden schlafen gelegt und in die ausgestorbenen Maschinensäle scheint milde und weich die Herbstsonne. In der Richtung nach Spandau geht ein Mann, der hat einen Gehrock an und einen Zylinderhut auf, sicher geht er jemanden begraben. Das ist alles. Kein Schornstein raucht, kein Feuerlodi brennt, kein Hammer dröhnt und keine Säge kreischt. Nur der Geruch ist noch da.
Daffagiere der leeren Plätze.
Es find gute Zeiten für Maurer und Tischler. Seitdem nämlich die Metallarbeiter streifen, gibt es morgens um 6 Uhr ab Bahn hof Gesundbrunnen schon Sizplätze auf der Ringbahn. Das fommt nur alle zehn Jahre einmal vor. Natürlich freuen sich die Maurer und Tischler darüber. Haha", lacht einer ,,, die Monteure, die bei uns draußen den Transformator aufstellen, die streiken auch. Deswegen haben sie uns gestern drei Lehrlinge geschickt, die sollten die Arbeit machen. Die sind aber bald wieder losgezogen, meil sie mit dem Kram nicht fertig wurden. Ich bin ja gespannt, heute sollen nun drei Ingenieure tommen." Obwohl sie gar keine Metallarbeiter find, teilt fast jeder etwas über den Streit mit. Man müßte in der Bahn fitzen bleiben und alles aufschreiben, das wäre das beste Stimmungsbild. Guten Morgen, Herr Stationsvorsteher, was macht der Verkehr?" fragen wir den Mann mit der roten Mütze Dom Bahnhof Bernerwerf der Siemensbahn.„ Was sollen wir machen, wir werden die überflüssigen Züge einstellen, wenn tein Mensch fährt. Jetzt fährt von 5.30 bis 7.45 alle 5 Minuten ein Zug. Jeder Zug brachte vor dem Streif 600 Personen, heute knapp ein Drittel. Das sind diejenigen, die zur Kontrolle in ihre Streifiofale müffen. Aber in den nächsten Tagen werden ja auch in Berlin überall Kontrollstellen eingerichtet, dann kommen nur noch die Angestellten. Wozu sollen wir so viele Züge fahren laffen?"
che Zweibeinige Tintenfische.
erkundigen wir uns.„ Bielleicht fünf oder sechs Mann. Was die Wieviel Streifbrecher find denn eigentlich im Bernerwert?" im Wert fuchen und was sie da machen, darüber schütteln wir selbst den Kopf. Wegen dieser Handvoll Kerle maren mir heute früh gezwungen, schon um 5 Uhr morgens alle Bahnhofseingänge zu be= fegen, um die Brüder abzufangen. Als wir einen zu fassen friegten, meinte er: Uns hat man gejagt, tommen Sie, wann Sie wollen, am besten um 5 Uhr früh oder bleiben Sie unferetwegen gleich über Nacht hier. Und wenn Sie bloß eine halbe Stunde arbeiten, werden wir Ihnen den ganzen Tag bezahlen. Nun, das ist ein altes Siemens- Rezept." Inzwischen ist es 8 Uhr geworden, die Streitposten lösen sich ab, die Durchgefrorenen kommen in das Lokal und wärmen sich auf. Der Reinhold ist doch wieder drinne." Wat für'n Reinhold, der mit dem Spitbart?"" Nee, der mit der Narbe im Gesichte!" Ach so, der." Dann werden die Stempel ausgepackt und in 17 Budiken der Siemensstadt treten die Tausende von organifierten Siemensarbeiter an die nackten Holztische und holen sich ihren Kontrollstempel. Auf diese Stempel sind die Arbeiter stolzer als auf alle Orden der Weit.
Bekanntschaft mit der„ RGO."
An unseren Tisch setzen sich zwei Arbeiterinnen aus dem kleinbauwert. Trinken Kaffee, inmitten der Tasse kreist hurtig ein Büschel kleiner Blasen. Heute kriege ich noch einen Kuß!" meint die eine. Alles lacht, wir sprechen, wir erzählen und machen BekanntDie eine Arbeiterin schaft mit einem Kampfausschuß der RGO. war früher Verkäuferin, die andere Schneiderin, aber 16, 18 Mart Wochenlohn waren zu wenig, als noch Konjunktur war, fragten sie bei Siemens an. Der nahm sie, schickte sie ins Kleinbaumert, wo die beiden am Automaten sizen, Gewinde schneiden und bis zu 74 Pf. die Stunde schreiben. Das macht immerhin schon einen Lohn von rund 30 M. pro Woche aus. Es ist ja nicht schön," sagt die Neunzehnjährige ,,, menn man erst Angestellte war und ist jetzt Arbeiterin, aber was soll man machen, mein Vater ist arbeitslos." Wir sind
bunter Steinbaukasten ausgebreitet. Nur daß heute um jedes Bert SPD.- Metallarbeiter!
noch eine lebende Mauer von Streifposten gezogen ist. Vor den Toren verdickt sich diese Mauer. Da ist erst mal
eine Reihe Fabrifpförtner in grasgrünen Mänteln, eine Reihe Streitposten mit weißen Schildern,
d
eine Reihe Streifpoffen mit roten Schildern und
eine Reihe Schutzpolizisten mit dem Sturmriemen unterm kinn. An diesen aufmarschierten Reihen vorbei fährt ein Radfahrer und
Am Donnerstag, dem 23. Oktober, abends 7 Uhr, in den Sophiensälen, Sophienstraße 17/18
Fraktionsversammlung!
Wichtige Tagesordnung.
Eintritt nur gegen Vorzeigung
des Mitgliedsbuches der Partei und des Metallarbeiter
verbandes.
Der Fraktionsvorstand
bald beim Streik und da erzählt die junge Arbeiterin mörtlich folgen= eine Frau mit einer Hornbrille auf den Tisch und rief, wir soilten des: Als wir am Donnerstag Betriebsversammlung hatten, sprang uns nichts von den Bonzen erzählen lassen, besonders die Unorganifierten nicht, die sollten alle zur RGO. tommen. Ich habe mich nie um diese ganzen Dinge gefümmert, wurde aber mitgeschleppt in die Versammlung der RGD. Das war am Tegeler Weg und wir waren ungefähr 40 Mann. Hier wurde ein Kampfausschuß gewählt. Das dauerte sehr lange, weil alle möglichen Kommissionen dazu gewählt wurden, eine Agitations-, eine Organisations-, eine Finanz- und was weiß ich noch für eine Kommission. Ich wurde auch in eine Kommission gewählt, trotzdem ich ablehnte, aber danach wurde gar nicht gefragt. Seitdem habe ich mich nicht mehr um den Kampfausschuß gefümmert, meine Mutter hat schon fürchterlich geschimpft, als ich am Mittwoch bis 7 Uhr abends demonstrieren mußte und deswegen ipät nach Hause kam." Das ist der kleine Kampfausschuß", ge= wählt von 40 Mann, wo die Belegschaft des Kleinbauwerfs 2400 mann start ist. Und dieses Verhältnis von 2400: 40 ift auf den Kopf getroffen das Stärkeverhältnis der RGO. zu den Gewerkschaften in Siemensstadt .
Der Taubenschlag am Nonnendamm.
Zur Siemens- Zentralftreitleitung, die an der Nonnendammallee sitzt, kann man nicht gehen, dahin muß man vordringen. Wenn einem das gelungen ist, setzt man sich am besten in eine Ecke und paßt auf, mas der Generalstab alles macht. Genosse Friedrich, ans Telephon!" Hier Zentralstreitleitung!" Hier ist die Kantine,
können Sie nicht für drei Mann Baſſierſcheine ausschreiben, meine Eismaschine ist kaputt und mir wird die ganze Wurst sauer."„ Na, schicken Sie doch die Wurst herüber, die könnten wir hier gerade ,, Schön. Wir werden uns mal die gebrauchen."„ Ja, aber. Sache ansehen." Friedrich ab. Genosse Schmidt ans Telephon!" " Hier Zentralstreikleitung!"" Wir wollten euch nur mitteilen, daß vor dem Elmo- Wert feine Streitposten stehen, das geht doch nicht." tie sollen die Posten mitstellen. Besten Dank für die Mitteilung." ,, Donnerwetter, ich habe doch denen von der Eisengießerei gejagt,
Schmidt ab.
Inzwischen fertigen die drei Männer an dem provisorisch errichteten Schalter ununterbrochen die Streifenden ab, flac, tlad, flad gehen die Kontrollstempel. Mir ist mein Maul schon fuffelig", beichtet der eine, groß und breit haben wir überall Anschläge gemacht über die freiwillige Weiterversicherung in der Krantentaffe, aber bald tausend Mann habe ich heute einen Ertravortrag darüber halten müssen." Dann gibt ein Arbeiter eine Karte ab, die heute, Sonnabend früh, jeder Siemens- Streifende erhalten hat. Sie hat folgenden Wortlaut:
Infolge Ihrer Arbeitsniederlegung haben Sie sich als entlaffen zu betrachten. Die Zahlung des Restlohns für die laufende Lohnwoche erfolgt im Laufe der nächsten Woche. Die Zustellung Ihrer Papiere erfolgt baldmöglichst. Sollten Sie Ihre Papiere sofort benötigen, stellen wir anheim, sie schriftlich beim Lohnbüro einzufordern."
Auf Grund dieser Karten tritt die Zentralstreitleitung zu einer furzen Besprechung zusammen und beschließt: ab Montag bedeutende Verstärkung der Streifposten! Eine Anzahl Arbeiter, die stempeln kommen, werden hereingerufen: ,, Komm, Kollege, du mußt Montag mit Bosten stehen!" In furzer Zeit sind die Kolonnen zusammengestellt, die am Montag früh die Siemensstadt belagern werden. Und längst wird weiter gefragt, ob man jeden Tag zur Kontrolle tommen müffe, wenn man in Hohen- Neuendorf wohnt, ob die Anzahl der Kinder auch bei der Streitunterstügung berücksichtigt wird, warum denn die Reinemachefrauen ebenfalls streifen müssen und ob man als Kriegsbeschädigter nicht noch einen roten Passierschein der Streifleitung bekommen könne.
Dann gibt man uns eine Karte der RGO. Sie ist bei der Bentralstreitleitung abgegeben worden, sie lautet auf den Namen eines Karl B., der in der Eisengießerei beschäftigt ist. Dieser Mann wollte arbeiten gehen, wird von den RGO- Leuten ergriffen, fast besinnungslos geschlagen, dann aufgehoben und in das Streifiofal der RGO. getragen. Hier mußte der Mann seinen ersten Wochenbeitrag für die RGO. bezahlen, der beträgt 20 Pfennig, und bekam feine Mitgliedstarte. Dann wurde der Mann entlassen. Am nächsten Tag ist die Frau des Arbeiters Karl B. bei der Zentralstreifleitung und gibt diesen fast unglaublich scheinenden Fall zu Protokoll mit der Erklärung, daß ihr Mann zu Hause im Bett liege und er nichts mehr mit dem Pack von der RGO. zu tun haben wolle!
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