Nr. 493 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Dienstag, 21. Oftober 1930
Hinter den Mauern der Polizeikasernen
Ohne Licht, Luft und Sonne.- Der Kalk fällt von der Decke.
In meiten Kreisen der Bevölkerung ist die Ansicht verbreitet, daß der Polizeibeamte ein beneidenswertes Dasein führe. Er spaziert auf der Straße herum, er bekommt sein gutes Essen, er hat seine Wohnung, er wird Dom Staat verhätschelt! Ist es nicht so? Nein, es ist nicht so. Der Schupobeamte hat in außerordentlich starker Weise unter der Finanznot des Staates zu leiden. Und es kann ganz klar ausgesprochen werden, daß die Republik ihm manches schuldig geblieben ist. Man muß in Zukunft mehr tun. Der Beamte, der in politisch unruhigen Zeiten aufs stärkste beansprucht wird, der sehr häufig um seinen freien Tag kommt und 48 Stunden hintereinander Dienst tun muß, hat Anspruch darauf, daß seine
Wünsche nicht nur gehört, sondern bis zu gerissen Grade auch erfüllt werden.
Opfer des Raummangels
In drangvoll fürchterlicher Enge
einem blic, Berliner Polizeibeamte haben aber diese modernen Räume bis heute auch nur in der Ausstellung gesehen. Der Staat hat keine Mittel, sie ihnen zu schaffen. Aber in den überfüllten Buden, in denen der Berliner Bereitschaftsbeamte heute haust, findet er nicht die nach dem Dienst so notwendige Entspannung.
Was macht der Bereitschaftsbeamte, wenn er nicht gerade Dienst hat? Wie sieht seine Unterkunft aus? Auf der Polizeiausstellung bekamen wir neuerrichtete Polizeibauten, Wohnungsund Siedlungsbauten für verheiratete Beamte zu sehen. Wir fahen mustergültig eingerichtete Tages-, Aufenthalts- und Schlafräume. Es war für Wohnungsuchende ein neiderweckender An
Das Belt am eisernen Ofen
Walter A. Persich
21]
Vielleicht
morgen..
Unberecht. Nachdrud verboten. Gustav Kiepenhauer Berlag A.-G., Vertriebsabt. Annie hezte erschreckt und nervös durch die Straßen. leber Berlin hing eines jener späten Gewitter, und kaum hatte sie das Haus erreicht, als der Regen sich in Wolfen brüchen entlud. Das Licht der Blige und der Lärm des Donners lähmte Annie vollends. Noch mich die Dumpfheit des Tages nicht aus der Wohnung. Fenster durfte man nicht öffnen. Der Junge weinte vor sich hin, aber vielleicht fürchtete er sich nur. Seine kleinen Fäuste gingen unruhig auf und ab, als fuchten sie nach Schmerzen.
Schließlich nahm Annie ihn auf den Schoß, jetzt vermochte sie nicht, in der Küche Ordnung zu schaffen. Das Kind mimmerte wie ein Tier, die Augen redeten hilflos zu ihr hinauf und immer noch formte sein Mund Silben, die meh taten.
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Werla kam nach dem Wetter, gegen acht Uhr, angeheitert heim. Donnerwetter, der lange Klettwurm, ja, der Kerl, in deffen Maul der Rand eines ganzen Halbliterglases Blaz fand ein vielbewundertes Kunststück der und noch zwei hatten ihn zum Bersaufen ihres legten Streifgeldes eingeladen. Und dann mußte man das Gewitter abwarten. Ein hübsches Stück Geld war Klettwurm losgeworden. Er redete viel heut abend, es mußte wohl allerlei zu trinken gegeben haben, und so viel Lustiges war paffiert. Schließlich mußte Annie feine Rede cindämmen. Bert", sagte sie, sehr leise, und eben darum wurde er sofort still, Bert, sieh den Jungen an!"
Betrachten wir einmal die Unterkunftsräume der Polizeigruppe Mitte, Inspektion Prenzlauer Berg . Hier, in dieser ehemaligen Franzer Kaserne, liegen auf jedem Zimmer durchschnittlich sechs bis acht Beamte. Aber wie sieht solch ein Zimmer aus? Man hat den Raum in sechs bis acht von Schränken umftellte Kojen aufgeteilt, so daß in der Mitte nur ein schmaler Gang freibleibt. Und eine solche Koje, gerade so groß, daß Bett und Stuhl darin Platz haben; das ist der Raum, wohin der Beamte sich zurückziehen kann, wenn er das führen will, was man so Privatleben nennt. Das ist der Raum, in dem er seinen Besuch empfängt, das ist der Raum, den er aufsucht, wenn er Ruhe haben will, eine Ruhe, die ständig gestört wird durch die zum Dienst gehenden oder vom Dienst kommenden Kameraden. Mit wieviel Sorgfalt haben die Beamten diese Rojen, ausgeschmückt, um ihnen einen behaglichen Anstrich zu geben! Tapeten an den Wänden und an der Rückseite der Schränke. Bilder. Bunte Kattunportieren vor den Eingängen. Aber schon dieses bißchen Behaglichkeit, das sich die Beamten geschaffen, haben sie aus eigener Tasche bezahlt. Vor dem Fenster ein Tisch. Und an diesem Tisch wird das Koppelzeug geputzt. Hier fißt ein Beamter und näht, dort liest einer Zeilung, ein dritter schreibt eine Karte, ein vierter macht sich zum Dienst fertig. Es ist einfach unmöglich, daß die acht Insassen des Zimmers zusammen an diesem Tische Play nehmen können, ohne sich gegenfeitig zu belästigen. Einer öffnet sein Spind und zeigt hinein. Es ist ein altes Kommißschränkchen, das zum Plazen mit Kleidungsstücken angefüllt ist. Wo sollen wir unser Zivilzeug laffen? Die Schränke sind viel zu flein. Größere aber bekommen wir nicht; wir wüßten auch nicht, wohin wir sie stellen sollten." Ein anderer Beamter zeigt unter die Betten. Dort liegen Kartons und Koffer. Die Mäntel hängen außen an den Schränken. Fahrräder stehen
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Werla hatte die Hand des Jungen genommen und strich mit vorsichtigen Fingern über die dünne Haut. Das Baby schloß endlich die Augen und schlief mit heftigen Atemzügen. Troßdem wagte Annie nicht, es in den Wagen zu legen, aus Furcht, schon durch die vorsichtigste Bewegung den Schlaf zu stören. Sprechen mochten sie nicht. Der Vater mußte an die Worte Frau Guhlmanns denken: zehn Monate und drei Tage nein, soweit war es ja immer noch nicht! Noch hatte man Zeit und Hoffnung. Dies war vielleicht die Krise, die, weil sie aber eintrat, schneller überstanden sein würde. Darum wollte er auch jetzt Annie noch nichts davon erzählen. Der Junge muß gesund werden, grübelte er, ich weiß nicht, ob es nügt, aber ich will endlich Annie gegen über, die mir immer geholfen hat, ein anständiger Mensch fein. Auch heute, wo sie hier mit dem franken Balg figt und auf mich wartet, hat sie über mein spätes Kommen fein Wort verloren. Selbst der Hüne zitterte ja vor feiner Alten, aber er fäuft trotzdem wie ein Loch!
Es begann, in der Küche kalt zu werden. Schwerer, runder Regen praffelte mit harten Fingern gegen das Fenster, im Hof fing sich Wind, faufte irr an den Hauswänden herunter, und setzte sich im leeren Herd heulend fest. Dann wieder lachten Leute irgendwo hinter dünnen Wänden, schlugen hallend Haustüren zu, drehten sich mit dumpfem Geräusch Schlüffel. Ein Köter heulte, hungrig oder liebesfrant. Annie fuhr zusammen wenn Hunde heulen, schreien fie nach Toten, sagt der Bolksmund. Gie preßte, selbst fiebernd, den Körper in ihrem Schoß noch fester, als fönne ihr warmer, lebendiger Leib alles von ihm abwenden, ihm noch einmal alle Lebenssäfte geben. Der Junge war vierzehn Tage vor der Zeit gekommen etwas hatte er also weniger als andere Kinder.
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Und wenn ihm dieses Etwas fürs ganze Leben fehlte? Wenn ihm dadurch ein Teil Kraft und Mart vorenthalten geblieben war? Dann mußte er immer frant sein, vielleicht ein langes und schweres Leben, zwanzig, dreißig verkrüppelte Jahre, vielleicht nur noch Tage oder Wochen, und dann würde es aus sein. Diese flaren, flugen Augen sollten viel leicht nie mehr zu ihr aufblicken! Aber war das nicht beffer als ein Leben, erfüllt von unüberwindlichen Krankheiten? Solange sie dwar, mochte es gehen, fie fonnte sich mit ihrem Herzen und mit der Kraft ihrer Arme schüßend vor seinen Körper stellen aber später einmal, wenn auch sie nicht Sie jaßen eng beisammen, niemand dachte ans Essen. I mehr wäre. Alles Dasein um sie her erzählte, daß Mattheit
Berla legte die triefende Jacke und die Müze ab und beugte sich über das Kind Seine Hand zuckte vor der heißen Stirn Ferdinands zurück. er schüttelte den Kopf und blieb mit hängenden Armen stehen, wo er war.
umher. Und dann sehen Sie sich mal die Beleuchtung an." Ja, es ist wirklich übel. In der Mitte des Zimmers hängt eine fünfundzwanzigferzige Birne und über dem am Fenster stehenden Tisch befindet sich ebenfalls eine nur schwachterzige Lampe. Uit möglich, bei diesem Licht zu schreiben oder zu lesen.
Alle anderen Zimmer bieten dasselbe Bild. In einem Raum steht das Bett eines Beamten dicht neben dem Ofen.
" Ja, diese alten Defen. Die fressen eine Menge Feuerung und wärmen doch nur die engste Umgebung. Bis ans Fenster oder an die Tür dringt die Wärme gar nicht." Einer hockt in einer dieser verdunkelten Kojen, auf dem Stuhl liegen Wörterbücher, auf den Knien das Schreibheft. Und während die anderen Kameraden im Zimmer schwatzen, sich zum Dienst fertigmachen, büffelt dieser Unglückliche Bokabeln. Ohne 3weifel wird der Drang zum Lernen, zur Fortbildung in vielen Beamten durch diese Wohn
M
Wenig Luft, aber etivas Sonne
verhältnisse erstickt. Die Wohlfahrtsräume in der Inspektion Brenz lauer Berg? Es sind zu ebener Erde liegende, unfreundliche Kans tinenräume. Alle zu tlein. Von der Straße aus tann man hereinblicken. Hat der Beamte gegessen, nimmt er sein Bested, taucht es in eine Schüssel heißen Wassers und wischt es an einem ver dreckten Handtuch ab. Es wäre wohl sicher nicht mit großen Une fosten verknüpft, wenn das„ Schanzzeug" nach Gebrauch durch die in der Kantine beschäftigten Frauen einer gründlichen Reinigung unterzogen würde.
Ein freundlicheres Bild.
Kommt man von hier aus in die gegenüberliegenden Unterfunftsräume der Inspektion Linden( Unterkunft Minister Grzesinski), fällt einem sofort ein großer Gegensatz auf. Hier hat man in den 3immern eine andere Raumeinteilung getroffen als in der Inspektion Prenzlauer Berg . Man hat, um die Beamten mehr zum Gemeinschaftsleben zu erziehen, aus einem Zimmer zwei gemacht, einen Aufenthalts- und einen Schlafraum. Die Betten stehen dicht
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und Kraftlosigkeit zum Untergang, zum Bettel und zur Abhängigkeit vom Mitleid anderer verurteilt waren. Krüppel und Dumme finden in der Welt nur Hohn und Prügel. Das durfte nicht Ferdinands Schicksal werden aber noch weniger würde sie es ertragen fönnen, wenn ihr das Kind jetzt ge nommen würde. Dann wäre es aus, das wußte sie bestimmt. und dem Mann würde sie noch überflüssiger erscheinen als zu der Zeit ihrer Krantheit ihre Tage hätten feinen Sinn mehr, ihr Tun fein Ziel und keine Freude.
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Wenn Annie Werla mit den Möglichkeiten ihres eigenen Lebens je das Wort Liebe begriff, dann geschah es um ihres der Liebe zum Manne war sie so wenig Kindes willen fähig, wie Tausende ihrer Art, die bereit sind, sich zu opfern um des Opfers willen, die für einen Mann hungern und betteln, stehlen und sorgen können und doch nicht wissen: ist es aus Liebe?
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Es mochte zwei Uhr geworden sein, schlafend saß Annie auf dem Stuhl sie schlief weiter, als Bert sie auf das Bett legte und das Kind, das sich nicht rührte, warm im Wagen verpackte. Er troch endlich selbst übermüdet unter die Decke.
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Annie erwachte im ersten Schimmer des Tages, dessen Licht sich leise hinter den angeschmutzten Vorhängen verriet, fie mußte eine Weile mit suchenden Bupillen gegen die Decke ftarren, ehe sie sich ihres Atems bewußt ward dann sprang sie schnell mit bloßen Füßen zum Wagen hinüber und fand das Kind wimmernd, tränenüberströmt, in Abständen von Minuten grünliche Galle erbrechend. Es sah furchtbar aus, die Frau schrie, topflos geworden, und wußte nichts zu tun, als den kleinen Kopf des Jungen in ihre Hand zu stüßen. Sie schrie, als fühle sie wieder jene Schmerzen, die sie einoder zweimal im Krankenhaus zwangen, anhaltende wehe Laute auszustoßen. Jetzt wurde Werba mach, verschlafen wollte er fragen: ,, Aber Annie, es ist doch nicht.
Mitten im Saz tam er zur Besinnung, erhob sich und blickte nicht weniger ratlos auf das Baby, dessen Körper sich in Stößen wand, es hob und senkte die Arme. Im Dämmerschatten des Zimmers schienen sich fleine Totenarme so zu bewegen, hilfeflehend. Ein irrfinniges, grauenhaftes und unmenschliches Spiel wurde mit dem hilflosen Geschöpf getrieben. ,, Soll ich zum Arzt
Die Mutter verstand langsam und nickte unter heftiger weinen: Ja, ja doch, so lauf..
( Fortsetzung folgt.)