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Beilage

Donnerstag, 23. Oktober 1930

25 Jahre Berliner   Berufsschule

Eine kritische Betrachtung

Wir veröffentlichen diesen Beitrag, ohne uns mit thm in allen Einzelheiten zu identifizieren.

Am 1. Mai 1905, also vor 25 Jahren, wurde in Berlin   die heutige Berufsschule als Pflichtfortbildungsschule ins Leben gerufen. Trotzdem es zur Nacheiferung anregende Vorbilder in den schon zahlreich vorhandenen, rein fachlich eingestellten Schulen der Industriebezirke im Rheinland  , im Ruhrgebiet  , in Magdeburg   usw. gab, wurde die Schule im alten Berlin   als allgemeinbildende Schule aufgebaut. Die Arbeitgeberverbände ( Innungen) stellten sich gegen diese Schulen. Bei den Opfern an Zeit wünschten sie eine mehr fachliche Einstellung, eine für die Gewerbe im Endeffekt wertvollere Auswirkung des Unterrichts. Die Arbeiter schaft stimmte diesem Streben zu, soweit nicht egoistische Sonder interessen der Arbeitgeber vorlagen. Auch die im Jahre 1911 vom preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe erlassenen Be­stimmungen über Einrichtung und Lehrpläne der gewerblichen und der kaufmännischen Berufsschulen", nach welchen der Beruf des Schülers in den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts zu stellen ist, vermochten an der Sachlage wesentlich nichts zu ändern. Man tam dem gewünschten Arbeitsschulgedanten nicht näher.

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Die Berliner   Berufsschule bildet heute mit ihren rund 107 000 Schülern und ihren 1231 hauptamtlich und 530 nicht planmäßig auftragsweise vollbeschäftigten Lehrenden einen bedeutenden Faktor des Wirtschaftslebens Berlins   und durch die Einbeziehung| des Unterrichtes in Leibesübungen der Volksgesundheit. Nach dem Etat 1929/30 benötigte das Berliner   Berufsschulmesen einen städtischen Zuschuß von 10 206 860 Mart und einen staatlichen Zuschuß in Höhe von 1 765 000 Mart.

Mehr Werkstattbetrieb!

Objektiv betrachtet, befriedigt die Entwicklung der Berliner  Berufsschule wenig, besonders wenn man an die bedeutende Zeitspanne von 25 Jahren denkt. Zwar wurde im neuen Staat der äußere Ausbau mit Erfolg betrieben, doch ist im inneren Betriebe nur wenig Fortschrittliches zu finden. In bezug auf die Organisation und die innere Ausgestaltung der Schulen war zweifelsfrei mehr zu leisten. Durch die Schaffung der Einheits­gemeinde Groß- Berlin war der Verwaltung breitester Spielraum für die Durchführung eines großzügig angelegten Auf- und Ausbaues gegeben. Während das kaufmännische Schulwejen als durch aus mustergültig und die Entwicklung des Haushaltungsschulwesens ais gut bezeichnet werden können, läßt die Ausgestaltung des gewerblichen Schulwesens zu wünschen übrig. Eine großzügig angefaßte Organisation, die Bildung von reinen Fach- und Berufs­schulen mit Werkstattbetrieb, ist durchaus notwendig. Mit dem Hin und Herschieben einzelner Berufsgruppen wie es jahre. lang betrieben wurde ist es nicht getan. Die Bildung besonderer Schulen für die Maler, für die Holzarbeiter, für das keramische und Glasgewerbe( einschließlich Glaser), und die Zusammenfassung vieler noch verstreut untergebrachter Berufe ist dringend zu fordern. Ein Einblick in die Schulen zeigt, daß zu den schwersten Bersäumnissen

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die nicht rechtzeitig erfolgte Abstellung des Raum­

Der Abend

Shalausgabe des Vorwärts

Eine Mufterbücherei

Die Sozialwiffenschaftliche Studienbibliothek in Wien  

Die Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek bei der Kammer| fasserkatalog es dem fremden Besucher in fürzester Zeit ermöglicht, für Arbeiter und Angestellte ist die jüngste öffentliche Bibliothek in sich durch die mehr als 100 000 Bände umfassende Bibliothek hin­Wien. Sie wurde 1921 gegründet. Ihren Grundstock bilden drei durchzufinden. große Bibliotheken, die ihr durch Schenkung zur Verwaltung an­vertraut wurden: die Bibliotheken von Anton Menger  , Engel­ bert Pernerstorfer   und Bittor Adler. Diese drei Biblio­theken enthalten ganz bedeutende Bestände, die sich nicht nur auf das Gebiet der Sozialwissenschaften beschränken. Im Laufe der Jahre machten der Parteivorstand der österreichischen Sozialdemo= kratie, die Gewerkschaften und auch eine Reihe von Einzelpersonen der Bibliothek weitere Legate. Außerdem stehen der Leitung der Bibliothek heute von der Kammer der Arbeiter und Angestellten etwa 55 000 m. für laufende Neuanschaffungen pro Jahr zur Verfügung, die die gesamte Thematik der Sozialwissen­schaften erfassen: Soziologie, Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie, Philosophie, Sozialgeschichte usw.

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" Die Sozialwissenschaftliche Studienbibliothet," so heißt es in dem 1926 erschienenen Katalog zur Geschichte des Sozialismus in Erst- und Originalausgaben", ist die einzige ihrer Art in der Re­publif Desterreichs; außer ihr gibt es im deutschen   Sprachgebiet nur noch die Bibliotheken des Frankfurter   Instituts für So­zialforschung und des Archivs der Sozialdemokrati­schen Partei Deutschlands   in Berlin  , im Auslande vor allem das Marg Engels- Institut in Moskau  ."

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Nach welchem Prinzip ist nun diese Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek in ihren Bücherbeständen orientiert? Das läßt sich grundsätzlich leicht sagen. Die Bibliothek will der Erforschung der Geschichte und Systematik des sozialen Lebens dienen. Weitläufiger wäre es, anzugeben, aus welchen Wissenschaftsgebieten demnach Bücher angeschafft wurden. Ich will konkrete Beispiele an­geben. Ich suche z. B. für gewisse Forschungszwecke nach Texten von französischen   Nationalökonomen des 18. und frühen 19. Jahr­hunderts, deren Entlegenheit man daraus entnehmen möge, daß sie 3. B. das Handwörterbuch der Staatswissenschaften nicht verzeichnet. Ganilh, Billegardelle, Bergasse: hier sind sie vertreten. Ganilh, Billegardelle, Bergasse: hier sind sie vertreten. Ich finde aber auch eine reichhaltige Literatur auf dem Gebiete des Wohn- und Siedlungswesens. Erstausgaben von Marg und Engels, reiches Material zur Geschichte der 1. Internationale und zur Kommune erwähne ich, weil es hier zu meinem unmittelbaren Umgang gehörte. Es erstiert ein ausgezeichneter in Zetteln geord­neter Sach tatalog, der im Verein mit einem vollständigen Ber:

Die Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek ist teine Institu­tion der österreichischen Sozialdemokratie; sie ist, wie gesagt, eine öffentliche Bibliothek und kann deshalb nicht ohne weiteres mit unserem Parteiarchiv verglichen werden. Auch die Mittel, die für Neuanschaffungen zur Verfügung stehen, sind un­gleich größere. Sie werden der Bibliothek durch die Arbeiter­kammer zur Verfügung gestellt, die ihrerseits durch Beiträge der Arbeitnehmer erhalten wird. Ein bequemer, etwas fleiner Lese­saal kann von 45 Personen gleichzeitig benutzt werden. Er ist von 14 bis 21 Uhr geöffnet. Eine elektrische Lüftungsanlage tompensiert die Nachteile des zu kleinen Raumes. Am Vormittag können nur eigens angemeldete Besucher in einem besonderen Arbeitszimmer in der Bibliothek arbeiten; sie werden dann, wie in meinem Falle, auf die entgegenkommendste Weise unterstützt und gefördert. Der Leiter der Bibliothek, der sie aus ihren ersten Anfängen aufgebaut hat, ist Genosse Friz Brügel.

Ich frage mich, was sich für unser Parteiarchin aus dem Studium der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek geminnen ließe. Auf den Unterschied des Anschaffungsfonds habe ich schon hingewiesen. Dennoch, scheint mir, fönnten wir in gewissem Um­fange die Orientierungsbreite der Wiener Bibliothek zum Vorbild nehmen. Gewiß, die Thematik der Sozialwissenschaften ist heute von ungeheurer Breite und nicht zu übersehen. Aber eine Auswahl nach dem Gesichtspunkt des Wesentlichen ist auch von einem beschränkten Anschaffungsfonds aus möglich.

Ferner: Unser Berliner   Parteiarchiv ist nur von 9 bis 16 Uhr geöffnet. Es ist deshalb für viele intereffierte Genossen nicht mög lich, das Archiv zu benutzen. Sollten sich nicht Wege finden lassen, die Benutzungszeit von 16 auf 21 Uhr zu verlängern?

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Man kann nicht einmenden, eine kämpfende Partei und wir braucht müssen heute mehr, denn je eine kämpfende Partei sein feine Bibliothek, die so in die Breite gehe. Ich denke, daß gerade das Gegenteil zutreffend sein sollte. Nur wenn wir die ganze Breite und Tiefe des heutigen sozialen Lebens in seinem Werdezusammen­hang fennen und beherrschen, werden wir Menschen heranziehen, die dieses soziale Leben im Sinne und Geiste unserer Grundsätze gestalten können. J. P. Mayer.

Dom Wesen der Psychoanalyse

mangels gehört, durch die eine zeitgemäße Ausstattung, befonders Referat über die Tagung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft  

Die Schaffung von Werkstätten unmöglich wird. Anerkennend hervor­zuheben ist das Bestreben der gegenwärtigen Schulverwaltung, einen einheitlichen Aufbau des gewerblichen Schulwesens durch die jetzt erfolgte Eingliederung der sogenannten Wahlschulen und der früheren Innungsfachschulen in die Berufsschulen zu erreichen.

In bestimmten Kreisen wird von der großartigen Entwicklung des Berliner   Berufsschulwesens gesprochen. Zahlenmäßig stimmt dies wohl. Vergleicht man aber Einrichtungen anderer Städte mit denen Berlins  , so wird es recht deutlich, wie Berlin  , das die Möglichkeit der allergrößten Berufsteilung bietet, und somit den besten beruflichen Ausbau der Schulen gestattet, meit zurücksteht. Es ist für die jetzige Schulverwaltung sicher keine leichte Aufgabe, die Felgen der früher gemachten Fehler namentlich bei der jetzigen Finanznot zu überwinden. Nur bei Bewilligung größerer Mittel tann hier wirklich etwas getan werden.

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Die Ausbildung der Lehrer

Die Schuldgründe liegen nicht allein bei der städtischen Schul­verwaltung. 1. a. brachten die vom Staate verfügten Spar­maßnahmen( Erhöhung des Arbeitsmaßes der Lehrer, Erhöhung der Klassenfrequenzen) einen starken Rückschlag. Auch die nicht ganz zweckmäßige Ausbildung der Lehrer an den Instituten wirkt hemmend auf die Entwicklung der Schulen. Es fehlt hier die praktisch- wissenschaftliche Arbeit und Vertiefung in Werkstätten und Laboratorien. An den Arbeitsschulen unterrichten heute noch fast durchweg rein wissenschaftlich vorgebildete Diplom­handelslehrer. Wie soll es da möglich sein, den rein theoretisch ein­gestellten Unterricht in einen die Schüler fesselnden Werk unterricht umzuwandeln! Für die Fachkurse und für den Fach­unterricht sind noch heute Praftifer ohne weitere pädagogische Borbildung die geeigneteren, durch Gewerbelehrer nicht zu ersetzenden Lehrer. Für einen Werkstattunterricht an der Berufsschule mangelt es an praktisch ausreichend vorgebildeten Lehrkräften.

Ein weiterer Grund für die wenig befriedigende Entwicklung scheint auch darin zu liegen, daß aus der Praxis stammende Beamte ins preußische Ministerium für Handel und Gewerbe bisher als Mitarbeiter nicht berufen wurden. Fach­männer der Pädagogik allein können gewerbliche Schulen nicht auf­bauen. Nur gemeinsame Arbeit mit den Gewerben und der Arbeiter schaft kann hier Befriedigendes schaffen. Theorie und Praxis haben sich zu ergänzen. Nicht Kampf, sondern Berständigung fördert. Bei einer solchen gemeinsamen Arbeit wäre es taum möglich gewesen, eigentlichen Nebenfächern wie der Fachkunde den Charakter von Haupt gebieten des Unterrichts zu geben. Es bedarf keiner näheren Erflärung, daß Fachkunde nur ein Nebenfach des Fach­unterrichts, also fein selbständig für sich bestehendes Haupt­unterrichtsgebiet sein kann. Erfunden und wissenschaftlich Bertiefen fann man nur an Hand vorliegender Arbeiten, die in Versuchs-, Demonstrations oder Uebungswerkstätten hergestellt sind. Deshalb gehören in die Berufsschule Wertstätten, nicht Klaffen zimmer, und praktische Arbeit, nicht reine Theorie.

Mängel der Schulleitung

Die Leitung der Berufsschulen liegt zum Teil in den Händen berufsfremder Direktoren( unter etwa 50 Direktoren stellen sind nur drei mit aus der Praxis stammenden Berufsschul­fachmännern Ingenieuren besetzt, während auswärts 50 Broz. her Leitungsstellen Fachleuten übertragen wurden). Unter den fünf

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nüchternen, unerschrockenen und fruchtbaren Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und ihren Aufgaben. Ob diese Auseinandersehung nun auf Grund einer materialistischen oder idealistischen Welt­anschauung erfolgt, hängt nicht mehr von der Psychoanalyse av. Materialismus und Idealismus sind ja nur die beiden Seiten, die sich in der Kur zeigen; denn wie das Seelische und Geistige durch das Triebhajte, so wird auch umgekehrt das Triebhafte durch geistige Afte beſtimmt. Auf jeden Fall haben wir durch e Psychoanainje Enttäuschungsmöglichkeiten verloren. Aber ist das nicht vielleicht eher ein Gewinn, der uns mit neuer Liebe zur Welt und zum Leben erfüllen kann?

Die zweite Tagung der Deutschen Psychoanalytischen[ des allmächtigen Willens und führt ihn zu einer Gesellschaft in Dresden   beschäftigte sich zunächst mit der Frage: Ist die Psychoanalyse eine Weltanschauung?" Sie wurde von Dr., Carl Müller- Braunschweig  ( Berlin  ) tlar und eindeutig verneini, Freud und seine Schüler haben sich immer dagegen gesträubt, daß die Psychoanalyse durch weltanschauliche Aspekte gestört wird. Weltanschauung, das sind diejenigen Grund­jäte und Ueberzeugungen, nach denen man Welt und Leben gestalten will, fann wohl auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgebaut sein; niemals aber fann eine Wissenschaft die Weltanschauung ersetzen. Zwar scheint es so, als ob die psychoanalytische Wissenschaft gewisse Wertungen voraussetze; behandelt sie doch als Therapie die Menschen von dem Gesichtspunkt einer, normalen" Triebentwicklung aus. Aber dies ist teine Wertnorm, teine fordernde Norm, sondern wenn man von ,, normalen" Entwicklungs­prozessen spricht, so ist das lediglich ein aus der Beobachtung der Wirklichkeit entnommener Idealty pus, der sich in der Wirklich feit aber nirgends 100prozentig vorfindet. Und ebensowenig wie als Wissenschaft ist die Psychoanalyse als Heilkunst eine Welt­anschauung. Das Ziel der psychoanalytischen Therapie ist nicht das eines 100prozentigen Rormalmenschen, sondern es ist das Ziel dieser Therapie nur, den Menschen zu einem Optimum( best möglichster Ausbildung) von Leistungs- und Genuß fähigkeit zu bringen. Die Psychoanalyse erfordert auch keine besondere Synthese( Zusammenfassung), weil das Synthetische schon im Menschen darin liegt und nicht erst von außen her an ihn herangebracht werden muß.

Trotz alledem kann aber die Psychoanalyse weltanschauliche Wirkungen auslösen. Wer die Psychoanalyse aus Wissen­schaft oder Behandlung am eigenen Leibe kennengelernt hat, den wird sie bescheidener machen, als er gewesen ist, bescheidener, aber auch ehrlicher. Die Psychoanalyse befreit den Menschen DON der hochmütigen Ueberschätzung

städtischen Schulräten befindet sich nicht einer aus der gewerblichen Pragis. Jahrelang hat als Oberschulrat ein früherer Studienrat gewirkt, den das Berufsschulwesen bis zum letzten Tage seiner Tätigkeit fremd blieb. So fonnte der eigentliche Grundgedanke, eine Schule der Arbeit für die arbeitende Jugend auf­zubauen, bisher nicht verwirklicht werden. Unter der jetzigen Leitung der Schulverwaltung erfolgte die Zusammenfassung der Berufs-, Wahl- und Fachschulen. Durch diesen Schritt ist es möglich geworden, in den Schulbeiräten unter Mitwirkung von Fachleuten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern Lehrpläne und Aufbau umzugestalten. Schulleiter, die mit diesen Schulbeiräten zusammen richt Arbeit leisten können, sind sobald wie möglich zu entfernen. der weitere Ausbau hat festliegend unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsschulgedankens zu erfolgen.

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Hoffen wir, daß unsere Berufsschule sich bis zu einem weiteren Jubiläum zu der von Arbeiterschaft und Gewerbe getragenen Schule entwickelt, daß Arbeiterschaft und Gewerbe dann das tun werden, was heute unterblieb: die Aufforderung, in aller Deffentlichkeit zu zeigen, was die Schule leistet, was für die arbeitende Bevölkerung und im Interesse der Gewerbeförderung getan wird. Dies wäre ein würdiger Dank für die Stadt und für alle Mitarbeiter an diesem großen Werf. Hermann Radzyk.

einer

Am Schlusse der Tagung zeigte uns Dr. Erich Fromm  ( Heidelberg  ), wie sich die Psychoanalyse auf die Soziologie anwenden lasse. Die Psychoanalyse kann der Soziologie sehr viel, aber nicht alles geben; denn die bisherige reine Bewußtseins­soziologie hat natürlich ihren vollen Wert neben der Soziologie des Unbewußten behalten. Der wichtigste Fortschritt der Psycho­analyse auf soziologischem Gebiet ist, daß sie den Unterschied zwischen einer Personal psychologie und überwunden hat. Sozialpsychologie grundsätzlich Freud sieht die psychische Entwicklung des Einzelindividuums be­stimmt durch die Auseinanderiezung mit der Gesellschaft. Ilm­gekehrt ist aber Freud nicht in den. Fehler verfallen, daß es eine Massenseele gebe. Das Massenverhalten ist Verhalten der einzelnen, nur daß der einzelne in der Masse unter anderen psychologischen Bedingungen steht. Die Triebkraft der Sexualtriebe( im weiteren Sinne, also nicht nur als genitale Serualität ver­standen) wird zum nicht geringen Teil in gesellschaftliche, außer= familiäre Bindungen jublimiert( verfeinert). Jede gesellschaftliche Ordnung beruht also ganz wesentlich auf einer derartigen, soge­nannten libidinösen( lustbetonten) Bindung der in der Gesellschaft zusammengeschlossenen Menschen, einer Bindung, die freilich für jede. Ordnung verschieden ist. Die Menschen können die vielen Ber­zichte, die ihnen das reale Leben aufzwingt, nur dann aufbringen, wenn ihnen in der Gesellschaft andere libidinöse Befriedigungen zum Ausgleich bleiben. Fromm erläuterte das an den beiden sozialen Erscheinungen des Strafrechts und der Kriege und ging schließlich noch auf den sehr interessanten Zusammenhang der Religions­psychologie mit der psychoanalytischen Soziologie ein.

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Ein Sondergebiet psychoanalytischer Soziologie behandelte in einem ganz vorzüglichen Referat Rechtsanwalt Dr. Staub, der über Psychoanalyse und Strafrecht" sprach. Er zeigte, wie auch noch in unserer modernen" Zivilisation die Strafe ihren Charakter als Sühne und Rache behalten habe und jetzt erst die ersten schwacheen Ansätze zu einer wirklichen grundsätzlichen gesellschaftlichen Reform dieser mittelalterlichsten aller sozialen In­ftitutionen sichtbar werden. Eine derartige Reform stößt natürlich heute noch auf starken Widerstand im Unbewußten der meisten Menschen, die in der Gesellschaft gewisse gefühlsmäßige Ansprüche an das Strafrecht stellen. Der soziologische Zweck der Kriminal­politik, das ist die wirklich wirksame Bekämpfung der Kriminalität, leidet natürlich in hohem Maße unter den affektiven( gefühls­mäßigen) Ansprüchen der Gesellschaft( und übrigens auch des Richters!). Die Vorschläge, die Staub dann am Schlusse seines Referats zur Reform des materiellen Strafrechts und des Straf­prozeßrechts machte, wären wert, dem Ministerium und dem Par­lament noch beizeiten vorgelegt zu werden, Ewald Bolm,