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Nr. 501 47. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

An der Stätte der Trauer

Die Liste des Grauens: 262 Opfer!

Alsdorf , 24. Oktober. ( Eigenbericht.) Im Laufe des Freitagnachmittag haben die inter bliebenen ihre Toten, die in der Waschkaue der Zeche Anna I würdig aufgebahrt liegen, aufsuchen können. Es ist erschütternd, die Vorbereitungen für die am Sonnabend stattfindende Trauerfeier mit ansehen zu müssen. Ganz Alsdorf ist eine Stätte der Trauer.

Am Sonnabend werden die Trauerfeierlichkeiten durch Gottes: bienste in der katholischen und evangelischen Kirche eingeleitet. Die Gemeindevertretung von Alsdorf hält um 8.45 Uhr eine Trauerfißung ab. Um 10 Uhr nimmt die Trauerfeier im Bechengebäude, die auch durch Rundfunk verbreitet wird, ihren Anfang. Es werden sprechen, Generaldirektor Westermann vom Eschweiler Bergwerksverein , ein Vertreter der Arbeiter, der Reichs arbeitsminister, der preußische Handelsminister und Geistliche der drei Konfessionen. An der Trauerfeier können nur die nächsten Angehörigen, Vertreter der Behörden, der Organisationen, der Betriebsvertretungen in beschränkter Zahl teilnehmen. Den freien Bergarbeiterverband wird der erste Vorsitzende, Reichstagsabg. Genosse Husemann vertreten.

In der Totenhalle

Im Laufe des Freitag wurde noch ein Bergmann im unter­irdischen Betrieb tot aufgefunden. Ebenfalls wurde unter den Schuttmaffen des eingestützten Fördergerüftes noch ein weiterer Bergmann geborgen. Im Krankenhaus sind zwei weitere Berg­Inappen ihren schweren Berlegungen erlegen. Somit weist die Totenliste von Alsdorf nunmehr 262 Opfer auf.

Unter den Trümmern des eingestürzten Berwaltungsgebäudes murde Freitag mittag nicht die Markenkontrolle, sondern die Kartothet gefunden. Damit können nun noch nicht genaue An­gaben über die Zahl der Eingefahrenen gemacht werden, sondern es fann lediglich, wenn die Kartothek freigelegt ist, der Familienstand, Geburtstag usw. der Bergleute eingesehen werden. In dem Ver­maltungsgebäude befanden sich zur Zeit des Unglücks auch drei Bergleute aus der Nachtschicht, die vor der Lohnabteilung auf ihren Reftlohn warteten. Zwei von ihnen sind jetzt unter den Trümmern geborgen worden.

Das furchtbarste Bild bietet augenblicklich die Wasch­faue von Anna I", in der nunmehr alle Toten gesammelt in den Särgen aufgebahrt sind. Vor dem großen Altar in der Mitte liegen schon viele Kranzspenden, darunter auch Kränze ausländischer Grubenverwaltungen. Auf jedem Sarg liegt ein Kranz des Eschweiler Bergwerfvereins. In einzelnen Gruppen, nach Ge­meinden geordnet, sind die Toten hier aufgebahrt. Die Angehörigen werden von Sanitätern hereingeführt und zu ihren Toten gebracht. Immer wieder Immer wieder brechen Frauen mit lauten Wehrufen zusammen.

Trauergeläut in Berlin .

Kirchenbehörden Berlins werden am Sonnabend vormittag in der Auf Grund eines einmütigen Beschlusses der evangelischen Zeit von 10 bis 10.15 Uhr aus Anlaß der Beijegung der Gruben­opfer in Alsdorf die Glocken sämtlicher Berliner Kirchen läuten.

Sonnabend, 25. Oftober 1930

dem jungen Mädchen und dem Geistlichen handelte. Vors.: Hat Gertrud Frenzel Ihnen den Namen dieses Geistlichen genannt? Beuge: Das hat sie nicht getan. Ich wollte ihr anfangs auch keinen Glauben schenken, aber Gertrud miederholte daraufhin nachmals, daß zwischen ihr und dem Geistlichen intime Beziehungen beständen. Ich zweifelte schließlich nicht mehr, zumal das junge Mädchen behauptete, 19 Jahre alt zu sein, eine Angabe, die, wie ich später hörte, unrichtig mar.

Dann wurde der Chauffeur Rost aus Maltershausen per­nommen, der befundete, daß er Gertrud und ihre Freundin etwa achtzehnmal abends heimlich zum Tanzvergnügen gefahren habe. Der Zeuge erflärte, er habe beobachtet, daß der Landwirt Höhne fich mit Gertrud anläßlich des Tanzvergnügens in Wölmsdorf lange Beit unterhalten habe.

Die Aussage des Jeugen Höhne hatte im Gericht die größte Ueberraschung hervorgerufen.

Der Staatsanwalt Dr. Stargard fragte den Zeugen Höhne wieder­holt, ob er mit irgend jemandem vorher über den Prozeß gesprochen habe. Der Zeuge verneinte das jedoch.

Gertrud trieb sich nachts herum.

Sehr intereffant verlief auch die Bernehmung des Inspektors Pieper, der in Maltershausen auf dem Zimmermannschen Gut

Frankreichs und Englands Arbeiter frauern mit uns tätig war. Der Zeuge erflärte einleitend, es fei ihm bekannt ge­

Beim Bundesvorstand des ADGB. sind von den französischen Das Telegramm der Franzosen lautet: und englischen Gewerkschaften Beileidstelegramme eingegangen.

Tief erschüttert durch die Katastrophe von Aachen , drückt die CGT. im Namen der französischen Arbeiterklasse ihr auf­richtiges Beileid aus und bittet, den Familien der Opfer und dem Bergarbeiterverband ihr brüderliches Mitempfinden zu über mitteln. gez.: Jouhaux."

In dem Telegramm der Engländer. heißt es: Im Auf­trage des Generalrats des Gewerkschaftskongresses, der die Gewerk­schaftsbewegung Großbritanniens repräsentiert, drücken wir unseren deutschen Genossen unser tiefstes Mitgefühl aus. Eine Katastrophe solcher Art muß die Gewerkschaften aller Länder mächtig bestärken in ihrem unablässigen Streben um das Höchst maß von Schuh aussetzen in der Erfüllung der verschiedenen Dienste, von denen die

mesen, daß Gertrud sich viel herumgetrieben habe. Rechts­anwalt Dr. Brandt: Was verstehen Sie unter Herumtreiben?" 3euge: Das Mädchen ist abends nach 9 Uhr im Dunkeln ausgerückt und die halbe Nacht fortgeblieben. Gertrud hatte stets ihre Heim­lichkeiten, so bat fie mich von Anfang an, ich solle ihr alle Briefe, die an sie gerichtet waren, aus der Post herausnehmen und sie ihr zustecken. Mit der Zeit lernte ich die Handschriften auf den an sie gerichteten Briefen genau tennen. Als ich ihr eines ,, Na, hat Dein Freund wieder mal geschrieben?" lachte sie und sagte: Na, hat Dein Freund wieder mal geschrieben?" lachte si: und sagte: Ja, Gott sei Dank, endlich." Diese Mitteilungen, die in schroffem Widerspruch zu den bisherigen Aussagen Gertrud Frenzels stehen, veranlaßte das Gericht, Gertrud erneut zu laden.

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für die Arbeiter gegen die schweren Gefahren, denen fie fich täglich Eine Stadt überflutet.

Existenz der Gesellschaft abhängt."

Der französische Außenminister Briand hat namens der französischen Regierung durch den französischen Botschafter der Reichsregierung anläßlich des Grubenunglücks in Alsdorf fein Beis leid übermitteln lassen.

Der Liebesbrief des Pfarrers.

Sensationelle Wendung im Frenzel- Prozeß- Gertrud in übelstem Licht.

Gestern sind in Potsdam eine Anzahl Zeugen aus Maltershausen, wo Gertrud Frenzel auf dem Gut der Zimmermannschen Eheleute als Haustochter tätig war, ver­nommen worden, deren Bekundungen die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin Gertrud auf das schwerste er­schüttert haben.

Einleitend wurden einige Hausangestellte und Schornsteinfeger vernommen, die bei Frenzel tätig waren und die übereinstimmend befundeten, daß ihnen niemals etwas Verdächtiges aufgefallen sei. Dann wurde der wichtigste Zeuge des Tages, der Landwirt Reinhold Höhne aus Bölmsdorf vernommen, der Gertrud Frenzel 1929

Walter A. Persich

25]

Vielleichte

morgen..

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Und weiter die Rede ein Schrei: ,, Bielleicht ist es schon tot! Begreifft du- Bert- vielleicht hat es feinen Atem­zug mehr im Leib und ist starr und kalt und sein Mund ist still und es fennt feine Schmerzen mehr. Nein- nein- halte mich nicht fest nein-" Sie war aufgesprungen und rang an der Küchentür mit ihm. ,, Nein, du, laß mich, ich muß zu ihm. Ich muß es wissen! Fühlst du denn nicht diese Angst? Du hast kein Herz mehr, selbst nicht für dein Kind! Geh doch morgen zur Arbeitgeh nur, viele Stunden bin ich allein. Stehe an der Maschine, hole dir eine Blut­vergiftung, stirb und dann laß mir Bescheid schicken: der Junge ist tot und der Mann ist auch tot! Und um mich her ist die ganze Welt. Die lebt weiter und hält nicht eine mi­nute den Atem an, weil eine Frau allein ist!"

15.

Schließlich war Werla gegangen. Es bestand wenig Aus­sicht, daß er seine richtige Bahn noch erwische, so sehr hatte er sich verspätet. Die Männer glauben immer, mit trost reichen Worten etwas Ordentliches zu tun. Dabei rühren fie nur mit plumpen Fingern an die Wunden. Weshalb hatte er eigentlich soviel geredet? Wenn er des guten Ausgangs fo ficher war, wie er angab, hatte er denn nötig. ihr immer wieder zu sagen, sie müsse vernünftig sein? Männer sind eben nur Bäter, nichts weiter. Das Unglüd ihrer Kinder macht sie traurig, aber es vernichtet sie nicht.

Annie hatte sich jedenfalls vorgenommen, sich bis gegen ein Uhr, nicht früher und nicht später, auf der Reinmacheftelle aufzuhalten und nach dem Kind zu sehen. Um diese Zeit mußten die Stationsärzte zu erreichen sein, daß mußte fie. Sie mürde sich heute nicht wieder abspeisen lassen, und sollte sie die Türen mit aller Kraft auseinanderschieben, die Schwester zur Seite stoßen und den Weg erzwingen.

Der Portier ließ die Entschlossene wortlos passieren

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Bollkommen vernichtet. Hunderte von Toten. New York , den 24. Oftober.

Wie aus Megifo- Stadt gemeldet wird, ist die Stadt Alamo durch ein verheerendes Hochwasser völlig vernichtet worden. Hunderte von Menschen haben in den hochgehenden Fluten den Tod gefunden. Außer Alamo ist auch die Stadt Tugon im Staate Veracruz durch die Ueberschwemmung schwer heimgesucht worden. Militärische Hilfe ist aus Tampico angefordert worden.

Schiffbrüchiger gerettet.

gebrochen.

Oslo , 24. Oktober.

gelegentlich eines öffentlichen Tanzvergnügens im Gasthaus 3m Meere treibend aufgefunden.- Dampfer mitten durch­seines Neffen kennengelernt hatte. Mein Neffe hatte mich gebeten, ihm im Geschäft zu helfen und so beobachtete ich die Gertrud, die zunächst ziemlich gedrückt im Saal stand. Ich sprach das junge Mädchen an und fragte im Verlauf der Unterhaltung, ob sie etwa Liebeskummer habe. Gertrud wollte erst nicht mit der Grache heraus, wurde dann aber zutraulicher und erzählte mir, sie habe eine unglückliche Liebe, denn ihr Geliebter, zu dem fie in nahen Beziehungen stehe, sei ein Pfarrer. Mein Erstaunen war sehr groß, da ich aus dem Gespräch den Eindruck haben mußte und auch heute noch habe, daß es sich um ein sehr enges Liebesverhältnis zwischen

Bei Christiansund wurde am Freitag ein Boot im Meere treibend aufgefunden, in dem sich ein völlig erschöpfter Mann befand. Es handelte sich um den zweiten Steuermann des Osloer Dampfers Kong Ragnar". Er berichtete, daß der Dampfer in der Nacht gestrandet und mitten durchgebrochen sei. Er sei über Bord gesprungen und habe sich schließlich retten können. Nach einer weiteren meldung sind noch acht Mann der Besatzung gerettet worden. Sieben Mann werden noch vermißt.

ihr Gesicht war Drohung und Qual, sie ging an ihm vorüber, Eine andere Schwester brachte ein Kind auf dem Arm einfach und selbstverständlich, niemand hätte sie aufhalten herein und setzte es in einen hohen Stuhl, der vorn zu­können, und ehe er denken konnte, war sie im Garten vergeriegelt wurde. Erst, als sie gehen wollte, schien sich ,, Fina" schwunden. Mochte sie... solche gehen nur zu Toten, und zu besinnen. Sie hüpfte erregt der Kollegin nach. die kann man nicht wegschicken. ,, Schwester Alberta , bleiben Sie bitte zehn Minuten bei den Kindern?"

Da war der Pavillon.

Heute benutzte Annie den zweiten Eingang, den zum Tagesraum, und darin war etwas von der Sonne dieser Tage und ihrer Müdigkeit. Kinder saßen um einen Tisch mit Bilderbüchern, beschäftigten sich mit Bauflögen, bunte Papp­stücke, kleine Bälle flogen zur Erde und es war alles voll von ihrem Sprechen, Lachen, Lallen. Wirklich, eines weinte auch in der Ecke- das hielt vor der Frau, die jo große Augen hatte, inne. Es stand auf, tam näher, Annie merkte es nicht, da sie die Schwester suchte. Das Kleine zerrte sie am Rock.

Du", sagte eine helle Stimme,., du Frau, bring Lena zu Mammi, Lena ist traurig, Lena will doch sooo dern zu Mammi und tann da nich hinfinden... Die Tränenja, sie waren wieder da, als Annie sich herabbeugte und den Kopf des Mädels streichelte.

Ich kann auch nicht hinfinden, Lena. Morgen kommt deine Mammi hierher, sie hat es mir gesagt. Spiel nur mit den andern." Bom Saal her fam eilig eine Schwester, die

eine Fremde im Vorraum gesehen hatte.

,, Der Zutritt ist doch verboten, bitte, gehen Sie!" rief fie schon von weitem.

Ich möchte zu meinem Jungen", erklärte Anni leise. Die Schwester, eine von den ganz jungen, fast noch ein Kind, fragte, und ihre Stimme wurde gut: Auf unserer Station? Da ist doch nur ein Fall- gewesen... wie heißt er denn?"

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Ferdinand Werla... ,, Ach so..."

Das waren zwei mutlose Worte, und der Mund der Schwester jah nicht so aus als wenn er noch einen Laut her geben fönne.

Ein Mädel rief meinerlich: Tester Fina-er nimmt mir die Teine weg...

Die beiden Frauen wußten nicht, was sie miteinander beginnen sollten. Der Wunsch der Pflegerin, ihr zu helfen und die offenbare Unmöglichkeit, es zu tun, sprach sich deut­lich in der ganzen Haltung des Mädchens aus. Sie ordnete mit einer Hand etwas auf dem Tisch und blickte die Frau immer wieder an.

,, Ich habe im Saal zu tun..."

Ja ich muß aber einen Augenblic frei sein. Dies ist Frau Werla, die Mutter des Knaben, der gestern..." ,, Ach so lautete die gedehnte Antwort,., aber nicht lange, bitte!"

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Alle schienen hier zu wissen, was mit dem Jungen ge­schehen war, nur sie, die Mutter, hatte keine Ahnung. Wollte schehen war, nur sie, die Mutter, hatte keine Ahnung. Wollte man sie nun zu ihm bringen?

Sie mußte wohl endlich folgen, die freundliche Schwester martete zwischen den Schiebetüren. Man sah mit einem Blick die Reihen der Kinderbetten, nahm noch heftigeren Chloroformgeruch auf und befand sich sogleich in einem zimmerartigen Gelaß an dessen Wänden trist Instrumenten­und Medikamentenschränke standen. Die junge Schwester schloß die Tür und bat Annie, auf dem einzigen Stuhl Plaz zu nehmen. Dann stand das kleine blonde Ding wieder mit hängenden Armen vor ihr, ohne eine Ahnung, was man mit der Mutter beginnen könne. Schwester, bitte bitte jagen Sie mir, was ist geschehen? Warum führen Sie mich nicht zu meinem Jungen?"

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Haben Sie heute morgen feinen Brief bekommen?" Heute? Nein. Ich bin um acht Uhr fortgegangen." ,, Liebe Frau Berla es war nicht möglich, das Kind zu retten. Ich habe selbst bis zum letzten Augenblick an seinem Bettchen gesessen gestern abend ist es ganz still eingeschlafen. Ich hatte es eben vorher noch gut ins Kissen es schlief- und als ich seine Hand fühlte, war gelegt fie schon falt. Bitte Frau Berla, denken Sie daran, wie­viele Kinder wir als Schwestern zum letzten Male sehen all dies Furchtbare ist uns schon Gewohnheit geworden, wir wissen nicht mehr, was es heißt, wenn ein Mensch stirbt. und dennoch hätte ich Ihren kleinen Jungen so gern gesund Er war so flein und hatte so viel Geduld mit gesehen feinen Schmerzen, wie faum ein Erwachsener. Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, ich dachte mir immer, er müsse, wenn er gefunde, ein guter Mensch werden..."

( Fortsetzung folgt.)

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