Kategorie der ungelernten Arbeiter eingereiht; aber Hunger tut weh, und wenn es immer und immer wieder nichts mit irgendwelcher Tätigkeit werden will, dann versuchen sie eben hier ihr Heil. Be- gehrter sind allerdings jene routinierten Hausfrauen, die das Ganze gleich richtig anzupacken wissen und so von Anfang an der Arbeit- geberin Vertrauen genießen; man will auch kein« zu jungen Kräfte— ganz im Gegenteil zu allen anderen Arbeitsmöglich leiten. Tragisch, wie uberall. ist auch hier das Los der Alten, und es kommen Frauen, die die Sechzig schon überschritten haben, immer noch nach dem Nachweis; sie wollen arbeiten, nein besser, sie müssen' noch arbeiten! Aber wer nimmt sie? Wer iraut ihnen noch gute Leistungen zu? Altes Eisen, das man beiseite wirft! Höchstens die Reinemachefrauen in den Betrieben, wo sie alt geworden sind, haben noch Existenzberechtigung. Viel körperliche Anstrengung und eine stabile Konstitution erfordert die Haushaltarbeit: da heißt es schuften in Staub und Dreck, der in Hals und Lunge kriecht— man denke nur an jene Reinemache- frauen, die Maurer- und Malerschmuh fortzuschaffen haben; an- strengend und oft gefährlich sind die Kletterübungen beim Fenster- putzen, oft arbeiten die Frauen hier mit chemischen Mitteln, wie Salzsäurx zum Aetzen, Oleum zum Reinigen der Fensterbleche usw. Und wie sieht es mit ihrem gesundheillichen Schutz aus? Bei regel- mäßiger, fortlaufender Beschäftigung hat der Arbeitgeber wohl die Verpflichtung der Krankenversicherung , und sofern es sich um Betriebe handelt, wird diese auch eingehalten. Nicht ganz so korrekt geht es in manchen Privathaushalten zu. Dann gibt es aber die große Mehrzahl jener nur gelegentlich und ganz kurzfristig arbeitenden Frauen, der sogenannten„unständig Beschäftigten', die gänzlich ungeschützt sind. Stürzen sie von der Leiter oder oerbrennt sie eine Säure, dann sind sie eben Gesundheit und Arbeit los. * Mit der organisatorischen Erfassung dieser Gruppe von Arbeits- kräften hapert es ganz besonders, da die Reinemachefrau im allge. meinen Berufsleben eigentlich eine isolierte Stellung einnimmt. Man zählt heute im Gesamtverband ungefähr 4300 organisierte Reinemachefrauen, was an der Riesenzahl dieser Berufsangehörigen gemessen— eine feststehende Ziffer läßt sich hier überhaupt nicht angeben— oerschwindend wenig ist. Daß die Not unter den Reine- machefrauen sehr groß ist, erhellt aus der Tatsache, daß laut Statistik des Landesarbeitsamtes Brandenburg vom 30. September d. I. 10 230 arbeitslos« Reinemachefrauen gemeldet sind. Rechnet man hierzu die große, noch stetig anwachsende Zahl jener Frauen, die nur ganz kurzfristige, gelgentliche Arbeit leisten, dann kommt schon eine recht stattliche Summe Arbeitsuchender heraus.
Widerspruchsvolle Anklägerin. Die seitsam? Wendung im Frenzel-Prozeß. Nach der Mittagspause wurde am gestrigen Sonnabend vnter großer Spannung aller Prozehbeteiligtcn Gertrud Frenze! vernommen, die übrigens erst in der nächsten Woche dem Zeugen höhne gegenübergestellt werden soll. Der Vorsitzende fragte die Zeugin, ob sie sich soweit erholt habe, daß sie wieder aussagen könne und richtet« dann ganz plötzlich die Frage an sie: Nun, Fräulein Frenze!, haben Sie heute morgen die Zeitungen gelesen? Gertrud: Nein, ich habe keine Zeitung gelesen. In letzter Zeit stand ja auch nichts mehr über den Prozeß in den Blättern. Vors.: Sie haben also nicht gelesen, was sich am Freitag hier abgespielt hat? Gertrud: Nein. Vors.: Dann muß ich Ihnen sagen, daß gestern hier ein wichtiger Zeuge vernommen worden ist. Gertrud: Ach, den Höhne kenne ich ja gar nicht. Vors.(schnell einfallend): Na, hören Sie mal, Sie erzählen mir eben, daß Sie nichts in den Zeitungen gelesen haben, woher wissen Sie denn, daß das Gericht gestern den Zeugen Höhne vernommen hat. Gertrud: Mein Vormund, Herr Dr. Stappenbeck, hat mir das erzählt. Vors.: Was hat er Ihnen denn alles erzählt? Gertrud: So allerhand. Vors.: Jetzt sagen Sie uns mal die Wahrheit, Zeugin. Gertrud: Herr Dr. Stappenbeck hat mir die Zeitungen vorgelesen. Gertrud wurde dann der Zeugin Frau Herpel gegenüber- g e st e l l t. Frau H. war die Logiswirtin des Angeklagten in Fürftenwcrder, wo Frenze! seine Jagd hatte. Gertrud hatte be- kanntlich erzählt, daß während des Aufenthalts in Fürstenwerder im Hause der Frau Herpel der Angeklagte sich an ihr oergangen habe. Die Wirtin sei aufmerksam geworden und habe nachts mit einer Kerze in' das Zimmer hineingeleuchtet. Zeugin Herpel: Das, was mir hier vorgehalten wird, stimmt auf keinen
Alsdorf , 25. Oktober. Die llebersührung der Opfer der Grubenkatastrophe nach dem Kirchhof erfolgte in geschlossenem Zuge, nachdem die letzten Särge auf die riesigen Lastkraftwagen geladen worden waren. Unter dem Läuten der Totenglocke und den klängen des Chopinschen Trauermarsches setzte sich der endlose Zug um 11.15 Uhr in Bewegung. Auf den Straßen, die der Zug passierte, herrschte eine lautlose Stille. hinter den unter der Last von kränzen und Blumen fast zusammenbrechenden Wagen, die den Zug eröffneten, folgte die Geistlichkeit, dahinter in ununterbrochenem Zuge die Wagen mit den sterblichen Ueberresken der so jäh aus dem Leben Gerissenen, dazwischen wieder Blumen und Tausende von kränzen. Zur Seite die Bergknappen mit schwarzumflorlen Lichtern. Der Regen, der zu Beginn der Trauerfeier herniedergeströmt war, hatte inzwischen aufgehört und die Herbstsonne brach durch die Wolken, als Wagen nach Wagen an den gesenkten Fahnen der Der- eine und Abordnungen aus dem ganzen Reiche und an der viel-
tausendköpfigen Menge- vorbeifuhr. Vierzig ganz große Lastkrast- wagen waren notwendig, um allein die 150 Alsdorscr Toten zur letzten Ruhestätte zu bringen. In Reihen neben- und hinter- einander waren die Särge aufgestellt. Die brennenden Schein- werfer der Wagen waren mit Trauerflor verhängt. Hinter den Wagen folgten die Angehörigen: alte Mütterchen, von ihren Kindern geführt. Eltern, die die Söhne, Frauen, die ihre Männer, Kinder, die ihre Väter verloren haben, einfache Leute alles, eine un- übersehbare Menge. Nach endlos scheinender Zeit kommen die Toten aus Schaufenberg und Hellersdorf unter Vorantritt der Beamten und der Belegschaft des Eschweiler Bergwerkvereins , die engen Freunde und Mitarbeiter der Toten, die Kameraden, die zum Tell unter eigener höchster Lebensgefahr ihre verunglückten Freund« aus der Grube geborgen hatten. Die Alsdorfer Toten wurden nach dem eigens für sie angelegten Friedhof gebracht, die vo» Schaufenberg und Hellersdorf in ihre Heimatorte.
80000 Vtenfehen gaben den folen SiergarbeUem durch Bilsdorfs Straßen Iclstes QeleU.
Fall. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß ich jemals zur Nachtzeit das Zimmer der Iagdherren betreten habe. Ein solcher Bor - gang, wie ihn Fräulein Frenze! schildert, wäre mir in meinem Leben nicht aus dem Gedächtnis geschwunden. Im übrigen hat Gertrud niemals im Zimmer des Baters geschlafen, sondern stets in meinem Zimmer. Vors.: Nun, Fräulein Frenze!, Sie haben das gehört. Wie ist das, haben Sie wirklich Frau Herpel im Zimmer des Vaters gesehen, wie sie mit einer Kerze in den Raum hineingeleuchtet hat? Gertrud(nach langem Zögern): Ich habe aber«inen Schatten gesehen und ich habe auch gesehen, daß Frau Herpel«in Licht in der Hand gehalten haben muß. Dann wurde Pfarrer Schenk nochmals vom Gericht oer- nommen. Vors.: Herr Pfarrer, haben Sie an Gertrud, als sie auf dem Gut Maltershausen als Haustochter weilte, Briefe ge- schrieben? Zeuge: Das weiß ich nicht mehr. Zu einem schweren Zusammenstoß kam es dann, als Rechtsanwalt Dr. Brandt den
Pfarrer Schenk über gewisse Punkte seines Ehelebens befragte. Der Zeuge wollte anfangs die Antwort verweigern, mußte jedoch auf Veranlassung des Vorsitzenden sich dann zu den Dingen äußern. Die Verhandlung wird am M o n t a g v o rm i tta g fort- gesetzt werden. Am Dienstag oder Mittwoch wird Gertrud Frenze! den Zeugen Höhne und Pieper gegenübergestellt, während am Montag ihre Konfrontation mit der Mutter und der Schwester Hilde stattfinden soll. Die Aerztliche Bertragsgemeinschaft Groß-VerNn(Wirtschaftliche Abteilung des Groß-Berliner Aerztebundes) E. L. ersucht uns mit- zuteilen:„Es ist unwahr, daß in der Wirtschaftlichen Abteilung des Groß-Berliner Aerztebundes Unreg'elmäßigkeiten vor- gekommen find. Wahr ist vielmehr, daß die Kassensührung, die regelmäßig von der Revision Treuhand A.-G., Berlin W. 8, Charlottenstraße 35 a, revidiert wird, stets in bester Ordnung gefunden worden ist.'
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Annie begriff zunächst wenig von den Worten, sie hörte die halblaute, tröstende Stimme der Schwester— nach der Spannung der letzten zwanzig Stunden hätte sie aus der Stelle«inschlafen können, besonders, wenn sie das Gleichmaß der Laute noch lange hören sollte— dann riß es sie hinan, ihre Hände preßten sich auf das Haar, sie stand steil, größer als sie eigentlich war, und sprach, tonlos, hart, anklagend, gegen alle und alles:„Ein guter Mensch, Schwester? Was nützt das? Sie erzählen das nur, damit ich ruhig bin, damit ich noch einmal still halte und auch dies hinnehme, wie es der— den Ihr Gott nennt, bestimmt hat? Ich soll davon- schleichen und Kummer fressen, Tage und Nächte. Ein guter Mensch! Und wenn er ein Dieb, ein Mörder, ein Halunke geworden wäre— wenn er nur lebte, Schwester! Nein— Sie wissen nicht, was es heißt, tot zu fein! Begreifen Sie denn: nun lacht er nicht mehr, niemals lernt er sprechen, kann seine Hände nicht bewegen, seinen Kopf nicht wenden, er kann nicht trinken und nicht atmen, nicht sehen, nicht schreien— tot. Begreifen Sie das? Sie wissen es nicht, sagen Sie, es ist schwer, sich das vorzustellen, und wenn man es tausendmal sieht? Bor Monaten lag ich hier im Kranken- haus da habe ich ihn geboren, es war nur ein einziger Schrei— dann lebte er. Die Wochen kamen, wo ich im Fieber lag. Mein Mann hurte mit einer Fremden in meiner Wohnung, in meinem Bett. Aber das Kind war da und ich wurde langsam gesund und kroch nach ein paar Wochen, halb fertig, wieder in meiner Wohnung umher. Man er- zählte mir die Geschichte von dem Mädel und ich nahm es hin, vergaß auch das nach wenigen Wochen, denn ich hatte das Kind! Verstehen Sie mich nun?"
„Liebe Frau Werla, ich verstehe Sie doch— bitte, glauben Sie mir, ich kann ermessen, was es heißt.. „Nichts können Sie ermessen, gar nichts." Annie schrie es ihr ins Gesicht. Dies haben Sie nicht gelitten! Sie haben kein Kind geliebt und können es auch gar nicht, weil es nicht das Ihre ist. Ich ahnte alles, vom ersten Tage an— was habe ich darangegeben, es zu verhüten! Ich hätte mich verkauft mein Blut gegeben, ich würde es jetzt tun, wenn ich etwas ungeschehen' machen könnte. Oh, mein Gott— Schwester, Schwester— ich will zu dem Jungen, wo ist er? Ich will ihn sehen, ich will ihn auf den Arm nehmen, bevor man ihn einscharrt wie einen Stein oder ein Stück Holz." Die Schwester führte Annie am Arm hinüber ins Haupt- gebäude, die Frau konnte jeden Augenblick zusammenbrechen, es war mehr Tragen und Schleifen, als Gehen, aber sie er- reichten die Tür. Annie wartete auf einer Bank. Man be- dürfe eines Ausweises für die Leichenhalle, erklärte die Schwester— und dieses Wort— dieses furchtbare Wort, diese Marter der Hölle in vier Silben, war dem jungen Mädchen gewohnt und alltäglich, als sage sie Speisekammer oder Kartoffelbrei— das Wort, so leer hingejagt, brannte Annie erneut Furcht und Grauen ins Hirn: die unabänder- liche Gewißheit, ihr Kind lebe nicht mehr und werde nicht leben— Eifenkälte und welker Hauch des Lebens. Und Schwester Fina kam zurück mit leeren Händen: „Frau Werla— es geht heute nicht— es ist bedauerlich, daß Sie den Brief nicht bekommen haben, darin steht, daß Sie bis elf Uhr.. Warum durfte eine Mutter ihr totes Kind nur bis elf Uhr sehen? Das konnte Annie nicht begreifen. Sie sagte heftig:„Ist denn jeder Mensch hier wahnsinnig? Ich war doch arbeiten, ich gehe um sieben aus dem Haufe. Wir sind keine reichen Leute— wären wir's, brauchte ich mein Kind doch nicht hierher zu geben. Wie soll ich um elf Uhr kommen?" „Gewiß, id) verstehe das alles— es liegt nicht in meiner Macht, gegen die Vorschriften zu handeln. Die Schlüssel sind nicht zu bekommen. Ich habe bei Professor Klopp fragen lassen— es läßt sich nicht machen, Frau Werla. Sehen Sie doch ein, daß wir guten Willens sind." Da ging diese Frau schon— wie sie ging! Fina er- innerte sich, auf dem Theater einmal die Darstellerin emer
Mutterrolle gesehen zu haben. Ja, richtig, deren Sohn war im Kriege gefallen, und so am Mechanismus eines grauen Körpers hatte die sich vorwärts bewegt, immer weiter, bis sie auf einem Platz eine Rotte hungernder Menschen traf. Schreie hatten die Masse aufgerüttelt— und so sollte, nahm man das Dichterische für die Wahrheit— damals die Revolution entstanden fein. Hiertz dachte Schwester Fina, die«in wenig mehr wußte, als ihres Amtes war, und zufällig auch ein kleines bißchen mehr überlegte, könnte«ine andere Revolution entstehen, eine Revolution der Mütter! Wo immer eine kleine Leiche gerade fein mochte, der Besuch der Mutter war wichtiger als jedes klinische Studium— und wenn die Frauen, deren Kinder hierher kommen können, alle, alle wüßten, welches Leid dieser da geschehen war, und wenn sie spürten, welcher Schimpf im Namen der Wissenschaft und des Fortschritts zur Hilfe kommender einem Weibe getan ward, dann müßten sie doch kommen! Zu Tausenden, und die Tore einrennen und eine kleine arme Leiche fordern— sie herunterreißen vom Sezier- tisch, damit jene, die Mutter, die Wunden küsse, die man noch dem toten Leibe angetan zum besten der Menschheit... Das war nicht und würde nicht sein, und die Arbeiterin schrie nicht nach ihrem Recht. Sie trug auch noch diese Last über den Instanzenweg, gebeugt, zerdrückt und beiseite ge- schoben. Die Schwester sprang ihr nach:„Frau Werla, ich sollt- Ihnen noch vom Professor sagen, morgen vor elf möchten Sie kommen. Dann können Sie sicher zu Ihrem Jungen..." „Holzschnitzerei im Dom", schoß es Fina durch den Kopf. grausam und traurig, hart und milde, zerbrochen und so— groß— das war keine Frau mehr— wie andere. Verkörperte sich so das Leid aller Welt? Mit diesen Augen, Tränen waren nicht darin, und sie weinten viel schwerer ohne welche. Was sollte man nur mit der Reglosen beginnen? Die Oberin würde wieder indigniert sagen:„Ihr Mitleid will sich immer am falschen Ort auswirken, Schwester Fina. Jedem hergelaufenen Menschen glauben Sie helfen zu müssen— derweil sind Kranke ohne Aufsicht!" Da lief sie schon, das Kleid flatterte hart und leinen um ihre Beine— sie hossie, noch vor dem Auslauchen der Oberin zurück zu sein.(Fortsetzung folgt.)