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Richard Hueljenbeck: Das Grauen

Die Flucht aus dem russischen Stacheldraht hatte uns aufs äußerste erschöpft. In vollkommen abgerissenem Zustand langten wir in Schanghai an. Unsere Bemühung, von den Konsulaten oder sonstigen deutschen Einrichtungen wesentliche Hilfe zu erlangen, blieb erfolglos. Wir faßen sozusagen auf der Straße in einem un­bekannten fremdsprachigen Land, das zwar eine schöne Philosophie, sonst aber wenig Verständnis für Habenichtse hat.

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Während wir von den Brotfrumen lebten, die den Gästen des Balast- Hotels zwischen die Beine fielen allwo wir uns mit den Hunden und chinesischen Bettlern darum balgten ging der Krieg. den Weg alles Irdischen. Nie hätten wir geglaubt, länger leben zu können als das Ungeheuer, das feuerspeiend Europa und die Welt fest umschlungen hatte. Ein Blick in die alliierten Zeitungen, wenn ich ihn getan hätte, würde einem den Mut auf Jahre haben nehmen fönnen. Diese Schreiblinge schienen nichts sehnsüchtiger zu wünschen, als daß noch unsere Enkel sich den Schädel einschlügen. Aber er ging zu Ende der Krieg, der Wahnsinn, das große Untier. Wir saßen in Schanghai auf den Treppenstufen des Balast- Hotels und ver­nahmens mit Staunen. Nun würden wir die Heimat, um die wir so viel bange Lieder gesungen hatten, wieder sehen. Wir würden auch China , das Land der schönen Philosophie und des großen Hungerns verlassen, zwar erheblich magerer als wir vorausgesehen, aber nicht ohne die Zuversicht, mit der man noch einmal ein ganzes Leben anfangen kann.

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Im Dezember 1919 schon saß ich als blinder Passagier in einer Ladelucke des Dampfers Cressy, eines kanadischen Schiffes, das von Schanghai nach Vancouver fahren sollte. Ich war durch die Trink­bekanntschaft mit einem Matrosen der Cressy hier hineingeraten und hoffte so recht und schlecht, mehr schlecht als recht das amerikanische Festland zu erreichen. Was dort sein würde, konnte nur der Teufel wissen. Mir war es gleichgültig; ich hatte meinen Kurs auf Deutsch­ land gerichtet und hoffte fest, eines Tages dort anzukommen. Es war natürlich eine verfluchte Unverschämtheit, furz nach dem Waffenstillstand als blinder Passagier auf ein feindliches Schiff zu gehen, aber Fred, mein Trinffreund, hatte mir den Cressykapitän als solche Seele von Mensch geschildert und meine Sehnsucht, weiter: zukommen, war so groß, daß ich alles in Kauf nehmen wollte. Was fonnte mir passieren? Einige Monate in einem fanadischen Ge fängnis figen? Immer noch besser als unter diesen hungernden Gelblingen und dann wenigstens einige tausend Kilometer der Heimat näher.

Mein Plaz zwischen Maschinenteilen, Wollsäcken und Sperr­hölzern war nicht der beste; ich nächtigte in einer Kiste, die aus irgendeinem Grunde leer und wie eine Hundehütte an einer Seite mit verschiebbarem Deckel versehen war. Fred wollte mich hin und wieder besuchen; es gab eine Tür, die meinen Laderaum mit dem Zwischendeck verband. Das Zwischendeck hatte nicht sehr viele Bassagiereturz nach dem Krieg fühlten wenig Menschen Lust, zwischen Erdteilen hin- und herzufahren und Fred glaubte, es würde möglich sein, sich dort zu tun zu machen. Dabei wollfe er mir eine Flasche Wein, frisches Wasser oder sonst welche Dinge geben, die meinen Dauerproviant notwendig ergänzten.

Es war nicht leicht, in dieser Luft zu atmen; im Schein meiner traurigen Kerze sah man die Staubteile und Sackfäden in der Luft schweben. Ich hustete. Das flang in der Einsamkeit komisch. Wenn ich aber den Atem anhielt, fonnte ich das Wasser gegen die Schiffs­cand fchlagen hören. Die ersten Tage brachte ich ganz gut hin. obwohl ich schrecklich unter meiner dunklen Einsamkeit und unter Langeweile litt; aber dann begann ich meine Lage als sehr be­drückend zu empfinden. Wie sollte ich das zwanzig Tage aushalten? Nach vier Tagen fam Fred und brachte mir eine Flasche Rotwein. Er meinte, ich folle die Nase steif halten, es gebe so etwas wie

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wie ein Gespenst unter ihnen erschiene? Trotz Freds Versicherungen würde der Kapitän mich in Eisen legen lassen. Es hätte ja auch sein können, daß er abergläubisch war und mich für einen der Toten hielt, die hier so sorgsam verpadt lagen. Dieser letzte Gedanke hiel: mich auf; ich wollte mir den Fall noch einmal überlegen. Ich machte den gleichen mühsamen Weg zurüd und faß in meiner Bretter­behausung, vor mir den Unterleutnant Herrn Gayle, dessen Ge­schichte ich mir auszumalen begann. Er wird, dachte ich, in Irkutsk im Hospital gelegen haben. Ich kenne diesen Ausschank; da gibt es Läuse und Flöhe soviel wie man haben will und alle lauern darauf, das Fleckfieber zu verbreiten. Du bist sicher an Fleckfieber ge= storben, Gayle, sagte ich. Ich rede vor mich hin, ich schlug mir gegen die Stirn. War ich irrsinnig? Hatten die tagelange Absperrung im Dunkeln, die Luft, die Nähe der Toten mich wahnsinnig gemacht?

Sächsische Herbstklage

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In Friehling hadr mich frgäddert, ach war das scheen, ach war das sieß. Nu awr schdeht dr Wald endbläddert, endbläddert is mei Baradies.

Dr Wald war nämlich unser Zeige, wie guhd mier mit enander warn, besondersch enne alde Eiche

hat unser ganzes Glick erfahrn. In ihren dunklen, fiehlen Schadden da hat sichs nämlich abgeschbielt, doch wo de Eichen Eicheln hadden, da hat sich alles abgefiehlt.

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Mei Liebsder schbrach: Nu heeßds frzichden, in Wald fenn mier jetzt nich mehr gehn, dr Herbstwind daht de Beime lichden, da kennden uns de Flieger sehn.

R. France:

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W. Appelt.

Ich stieß langgezogene Schreie aus, taumelte und schlug aufs Gesicht. Dann fühlte ich, wie ich bewegt wurde. Jemand zog mich an den Beinen. Dann war es wieder am Kopf. Man schien es böse mit mir vorzuhaben; eine wilde Gleichgültigkeit pacte mich. Der halbe Irrfinn ließ mich schreien: Ich will es euch geben, ihr verdammten Gerippe, tommt nur her, sag ich euch, tommt nur mal ran, wenn ihr Mut habt..." Schließlich wurde mir klar, daß die See das Schiff hin- und herschaufelte. Der Sturm, von dem Fred ge= sprochen hatte, schien nun da zu sein. Die eisernen Schiffsplatten und das Gebälk begannen zu ächzen; ein unheimliches Konzert machte meine Lage fürchterlicher. Ein Bündel Taue löste sich und fiel frachend auf einen Sarg. Die folgenden Stunden waren die schreck­lichsten meines Lebens. Zwischen Bewußtlosigkeit, gellenden Schreien und Fieberschauern wälzte ich mich umher.

Ich fand mich wieder im Hospital des Schiffes. Fred stand vor mir und erklärte, der Kapitän habe gesagt, er würde beide Augen zudrücken. Er könne sich vorstellen, wie einem zumute sei, der unter allen Umständen die Heimat wiedersehen wolle.

überall ziemlich gleichmäßig auf der ganzen Erde. im Europa des Westens so gut wie in Rußland , in Aegypten mie in China gefunden werden, läßt sich meines Erachtens nur durch einen ausgedehnten vorgeschichtlichen Welthandel erklären. Feuersteine waren offenbar ein Handelsartikel allerersten Ranges, wie es später auch Bernstein und Bronze waren.

Der Feuerstein hat nämlich die Eigenschaft, durch einfaches Zurechtschlagen rasiermesserscharfe Kanten zu erhalten. Der Mann der Borzeit hat sich denn auch sicher Jahrtausende hindurch mit Feuersteinen rafiert, wie es der Australier heute noch tut, soweit er nicht eine gefundene Glasscherbe als wertvolles Besitztum schäßt. Diese Klingenbildung macht den Feuerstein für die mannigfachsten Hantierungen geeignet. Man schliff und polierte erst später, und dafür eignete fich dann nicht mehr der fieselhaltige Feuerstein , sondern weit besser eine Anzahl quarzhaltiger Gesteine, wie Granit, Syenit, Nephrit, Serpentin. Die jüngere Steinzeit bediente sich fast nur noch solcher Werkzeuge, und in diesem Stadium der Kultur iſt man heute auch im Paradiesland am Korallenmeer angelangt. Man verwendet genau die gleichen schwarzen, glänzend polierten Hämmer, die grünen Serpentinbeile, wie in Europa vor Jahrtausenden, ja, man schäftet sie sogar in gleicher Weise, nur mit dem sehr natür­lichen Unterschiede, daß der Europäer dazu Lederriemen brauchte, der Südseeinsulaner dagegen Palmenbast, weil er ja teine einheimischen Bierfüßler kennt, aus deren Haut man Leder machen könnte.

Aus Fischgräten werden an den Küften des Stillen Ozeans genau fo Angelhafen gemacht wie einst an den Ufern des Bodensees. Große

Vorgeschichtlicher Welthandel Berlauftermuschein werden als Kraßer verwendet; ganze Berge

Das beliebteste Werkzeugmaterial des Menschen der älteren Steinzeit waren der Feuerstein und die Knochen. Seltener wurden andere Steinarten, Fischgräten, Muscheln und Geweihe verwendet. Ganz sicher gab es auch damals wie heute noch zahllose Holzgeräte. Daß man so selten welche findet, beruht nur auf der Verweslichkeit des Holzes. Unter günstigen Erhaltungsbedingungen jedoch, z. B. haltene Hämmer, Leitern, Fackeln und dergleichen in großer Zahl in den bayerisch- salzburgischen Bergwerken, hat man trefflich er= aus den ältesten vorgeschichtlichen Zeiten gefunden.

Weshalb der Mensch gerade auf den Feuerstein verfiel? Feuer­steine sind an sich kein häufig vorkommendes Material. Sie finden fich nur unter bestimmten Umständen in alten Meeresablagerungen, dann allerdings gewöhnlich massenhaft. Daß Feuersteingeräte aber

von Schalen von Muscheln, die zur Nahrung dienten, häufen sich auf den Kokoseilanden ebenso auf, wie sie seit vorgeschichtlicher Zeit am dänischen Strande liegen. Holzgeräte gleich dem Gezähe der Salzburger Bergwerke werden allenthalben verwendet. Ja, um die Wiederkehr des gleichen bis zur Vollendung zu treiben, malen die australischen Aboriginals" auf Baumrinde und Felswänden mit Rötel und Schwarz in gleicher Weise Figuren, Herden und Jäger, entdeckt worden sind. wie sie in den spanischen und französischen Höhlen der Steinzeit

Wer dazu geeignet ist, kann aus diesen Tatsachen eine Art Ent­widlungszugang der Menschheitsgeschichte herauslesen. Man kann sich eigentlich diesem Zwange gar nicht entziehen, und die Vor­geschichtsforschung wird dieser Tatsache weit mehr Beachtung schenken müssen, als sie es heute noch tut.

Sturm; es fönne auch ein Zaitun fein. Gins wie das andere Gerdland: Die Straße der verlorenen Hoffnungen

würde ja davon sei er überzeugt einen Mann wie mich, der ich in den Schüßengräben zweier Erdteile gefämpft hätte, nicht weiter aus der Haut fahren lassen.

In meiner Sack- und Mottengruft standen etwa ein Dutzend längliche Risten, über deren Verwendung ich mir bisher keinerlei Gedanken gemacht hatte. Sie waren viel niedriger als die Kiste, in der ich meine Behausung aufgeschlagen hatte. Eine, die am Kopf­ende meiner Lagerstatt ganz in der Nähe war, benutzte ich als Ab­legeort, baute meine tröpfelnde Kerze darauf, verwahrte dort Taschenmesser, Streichhölzer, einige alte deutsche Zeitungen, die ich in Schanghai aufgetrieben hatte, und meinen Korttrinkbecher, eine selbstgeschnitte Erinnerung an das russische Gefangenenlager. Während der ersten Tage, als ich mit nichts anderem beschäftigt war, als mich an die ungewohnte Umgebung anzupassen, sah ich nicht, daß alle diese Kisten die gleiche Form hatten. Sie waren durchweg etwa zwei Meter lang, einen halben Meter breit und lagen fest auf dem Schiffsboden. Sie ließen sich nur mit größter Mühe beiseite rücken; ich versuchte es einmal und war überzeugt, daß in ihnen schwere Maschinenteile transportiert wurden.

Kurz nachdem Fred mir seine unwillkommene Mitteilung über das nahende Wetter gebracht hatte, machte ich aber eine Entdeckung, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich saß gerade auf der Kiste, die an den Kopf meiner Lagerstatt rührte, im Reitsiz; ich ließ die Beine baumeln und stieß die Abfäße, so als hätte ich wirk­lich ein Pferd unter mir, der Kiste in die Seite. Das gab einen hohlen Ton, der meine Aufmerksamkeit erregte. Irgendein Gedanke leitete mich, den ich mir nicht aussprechen konnte; Neuginde, die von Angst beflügelt war, ließ mich sogleich aufstehen. Dabei fiel meine Kerze um und ich brauchte einige Zeit, bis ich sie wieder angezündet und auf den Kistendeckel neben mein Taschentuch und den Kort­becher gesetzt hatte. Aber dann sah ich etwas...

Auf der Seite der Kiste, die meinem Lager abgewandt war, flebte ein kleines Schild und auf diesem Schild stand mit Schreibmaschine geschrieben der Name eines Menschen, da stand L. V. Cayle und als Bestimmungsort Battleford, eine Stadt in Kanada . Wäre mir noch ein Zweifel gekommen, hätte ich ihn unterdrücken müssen, als mein Auge auf das Wort Second Lieutnant fiel. In dieser Kiste lag also der kanadische Unterlieutenant 2. V. Gayle; er reiste in seine Heimatstadt Battleford zurück, aber ohne eigenes Dazutun. Er hatte wahrscheinlich bei den Russen gefämpft oder zu der Armee gehört, die die Alliierten gegen die russische Revolution geschickt hatten. Nun war er tot, einen Schritt von mir lag er unter einem dünnen Holz­deckel mit gefalteten Händen; er hatte dort gelegen die vier Tage schon, während deren ich mein Dasein hier notdürftig zu fristen juchte. Das Grauen fiel mich an, ich zitterte, ich hätte schreien mögen; aber ein noch schrecklicherer Gedanke preßte mir die Kehle zu. Lagen in allen diesen fänglichen Kisten tanadische Soldaten, die tot in die Heimat zurückbefördert wurden? Es war anzunehmen; es mar nicht nur anzunehmen, sondern absolut sicher. Ich hatte mir darüber keine falschen Borstellungen zu machen. Ich war' allein mit einem Dutzend Gefallener, Toter, Maffatrierter, vielleicht an der Best oder an den schwarzen Pocken elend Verreckter. Es gab nur eine Möglichkeit: sofort den Raum verlassen.

Ich Metterte über die Särge, die in meiner Nähe standen, und näherte mich der Falltür, die in die Auswanderertlaffe führte. Was würden die guten Leute für ein Gesicht machen, wenn ich plötzlich

Durch die Friedrichstraße ergießt sich ein Strom von Menschen lange Straße liegt grau in grau und Gefährten. Es ist ein regnerischer Vormittag, und die ganze Rochstraße ist alles auf Filmindustrie eingestellt. Vor den Portalen Vom Halleschen Tor bis zur der Niederlassungen der amerikanischen Firmen parken bombastische Luguslimousinen, denen schöne Stars und feifte Herren entstiegen find... Dies alles, die grellen Filmplakate mit den Lächelmasten, der chaotische Lärm der rumpelnden Lastwagen, der rafselnden Autobusse, das Bellen der Autohupen und die Schaufenster, angefüllt mit den überdimensionalen Photos gefeierter Stars, dies alles steht in einem seltsamen Kontrast zu den fümmerlichen Destillen, in denen um diese Vormittagsstunden die Filmkomparsen sich Stelldichein geben.

Das sind die ewig- naiven, findlich- gläubigen Menschen, die hier stundenlang vor ihrem Becher Bier sizen und schweigen, weil sie fich nichts mehr zu sagen haben. Das sind die Filmkomparsen, die jeden Morgen, Tag für Tag, hoffend und mutgeschwellt die Büros der Aufnahmeleiter betreten, um sich wenige Stunden später ent­mutigt, schlaff, mit einem müden entsagenden Lächeln auf den ver­brauchten Gesichtern hier in diesen Destillen zu treffen. Das ist das Heer des Filmproletariats, das in diesen Ausmaßen überhaupt feine Existenzberechtigung hat. Die gehen durch den regnerischen Vor­mittag, ziellos, blicklos, die wollen ,, Rhabarber" murmeln und ent­fesselte Boltsmasse" darstellen, die wollen im grellen Lichtkegel der Jupiterfonnen stehen, und fizen in diesen trüben Lokalen, die früh um Vier für die Markthallenleute der Lindenhalle geöffnet werden, in den verräucherten Statistenkafés an der Kochstraße, warten auf das große Glück und verzweifeln...

Aus den Querstraßen, die in die Friedrichstraße münden, bewegt sich manch seltsamer Zug von Menschen ohne Hoffnung. Aus der Besselstraße beispielsweise... Hier ist die städtisch konzessionierte Artistenbörse untergebracht. Die alten Transvestiten in schlampiger Frauenkleidung, die als Damendarsteller" in drittrangigen Homo­segueülentingeltangels aufgetreten sind, die Zwergclowns, die man noch vor Monaten in einem großen Zirkus bei ihren Späßen beobachten konnte, die abgebauten Schulreiterinnen, Trarabums­tomiter und Spaßkanonen, sie alle kommen entmutigt, müde, ver­zweifelt aus dem Nachweis und bilden den Stamm der Expreß­Mottastuben. Auch hier herrscht atembeklemmendes, nerven­zermürbendes Schweigen. Jeder kennt die Leidensgeschichte des anderen, jeder hat selbst genug zu tun mit seinen eigenen Sorgen, seinen eigenen Leiden

Der rasselnde, lärmende Verkehr der Straße geht weiter, die Machthaber der Filmindustrie in ihren pompösen Büros haben feine Ahnung davon, was eine oder zwei Etagen unter ihnen, im fleinen Café, ungesprochen von Auge zu Auge geht Die Autos rasen Dorbei. Die Menschen hasten. Aber bereits an der nächsten Ede stößt man auf einen anderen Trupp abgewiesener, unbrauchbarer Menschen, auf eine andere Kategorie enttäuschter und verlorener Hoffnungen. Ein Ballhaus hat nach Bardamen inseriert, und nun ziehen ihrer vierzig, fünfzig überflüssiges Neppmaterial!- weiter ihre Straße. Die aufgeschwemmten, gedunsenen Gesichter mit den Enallig- rot gemalten Mündern, mit dem gefrorenen Animierlächeln, den wafferstoffblonden Rigellöckchen, angetan mit einer schäbigen, liederlichen Eleganz, die Gesichter der Bardamen sind so bar aller

Hoffnung, daß man sich gar nicht wundert, als eine einem langsam am Bürgersteig entlang fahrenden Herrenfahrer ein nedisches Ruß­händchen zuwirft. Hunger tut weh!

vorbei an den Dielen der Jägerstraße, aus deren geöffneten Türen Vorbei an den riesigen Cafépalästen an der Leipziger Straße, die Utensilien nächtlicher Kreischfröhlichkeit, Unrat des grauen Tages, gefegt werden, vorbei an den Faktoten der Lurusprostitution, Baffage! Hier, in der Rumpelkammer der Weltstadt, stehen junge Männer, zerlumpt und zerrissen, mit einem fümmerlichen Aufwand vermeintlicher Koketterie herausgepußt, stehen da und warten auf einen Freier. Diese jungen Männer, die hier stehen, um einem geilen Luftmolch ihren Körper zu verkaufen, sind bestimmt nicht homosexuell, bestimmt nicht durch Veranlagung, Erziehung oder gar Ueberfättigung für gleichgeschlechtliche Liebe" prädisponiert, find nicht zu vergleichen mit den geschminkten Buhlherrchen unterm Bülowbogen. Sie haben Hunger, find jung und haben ihre Hoff­nungen ad acta gelegt. So stehen sie in der Durchgangsstraße, in der Passage, die vom Viertel der mit kapitalsschweren Ausländern bevölkerten Lurushotels in die Gegend der allnächtlich, automatisch einen Freier.,. betriebenen Amüfiermaschinerie führt, sie stehen und warten auf

junger Mädchen mit Stadtkoffern. Auf den ersten Blick denkt man: Weiter! An der Weidendammer Brücke steht eine Gruppe Töchterpensionat, so gefittet tuscheln sie, so unauffällig lehnen sie am Geländer. Erst als man näher tommt, merkt man: sie zählen Geld, jeder framt einige Groschen aus der Tasche. Girls sind das, die als Figurantinnen in einer Revue ihre jugendschönen Körper, thre wollten. Auch sie sind um eine Hoffnung ärmer, denn auch in jungem, Brüste, und Bäuche und Beine, nackter als nadt Schau spielen lassen blühendem Mädchenfleisch herrscht ein Üeberangebot... Sie framen ihre Groschen hervor und legen zusammen, dann gehen sie in eine Konditorei im Quartier latin der nördlichen Friedrichstraße. Sie fizen da vor ihren Windbeuteln hinter der blanken Spiegelscheibe gelingt ihnen dies Lächeln nicht. Es ist sehr scheu, sehr mädchenhaft. und lächeln, wenn ein Trupp junger Männer vorbei kommt. Roch Wie lange noch?

Am Oranienburger Tor befindet sich ein Café, das nachts schwül und sinnlich beleuchtet ist. Jetzt aber ist es Vormittag, und, er­müdet von dem langen Weg durch die ganze Friedrichstraße, vom Halleschen bis zum Oranienburger Tor, tritt man ein. Es ist alles ganz solide und bürgerlich auf Bormittags- Lauffundschaft hergerichtet.

Nur hinten, wo die Mokkakojen sich befinden, brennt ein schwüles Licht. Zufällig muß man da vorbei, denn der Telephonautomat befindet sich hinten, und man sieht in einer dieser molligen Liebes­nester ein einsames Mädchen figen, das sich schminkt und pubert und einem wintt... Das ist das Gespentische: die bürgerliche Konditorei im Borderraum ist angefüllt mit fatten Menschen und gescheiterten Eriftenzen, mit Spießern und Vormittags- Gents, Studenten und paar Mädels Dom Chor. Hinten aber, in dem Liebeslaubenparadies brennt ein einsames rotes Aempelchen, sizt ein einsames, junges Mädchen und schminkt und pudert sich und lockt und... ach!

Dann geht man hinaus. Man hat die Friedrichstraße mit anderen Augen gesehen, die Friedrichstraße, die Straße der ver­lorenen Hoffnungen... Dann schwingt man sich auf den Autobus,