Morgenausgabe
Nr. 513
A 258
47.Jahrgang
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Sonnabend 1. November 1930
Die
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Zuchthaus für Bombenleger Der Machampf in Defterreich.
Schwere Strafen im Altonaer Terroristen Prozeß
Alfona, 31. Oktober.
3m Bombenlegerprozeß wurde heute abend das Urteil geprochen. Es erhalten Hofbefizer Claus Heim sieben Jahre Zuchthaus, Schriftsteller Herbert Bold sieben Jahre Zuchthaus, Midels zwei Jahre und sechs Monate Gefängnis, kunstmaler Schmidt fünf Jahre und sechs Monate Zuchthaus, Hofbefizer Rathjens ein Jahr Zuchthaus. Kraftwagenführer Wiberg ein Jahr und drei Monate Gefängnis, Kaufmann Johnsen fünf Jahre und drei Monate Zuchthaus , Geschäftsführer Weschte sechs Monate Gefängnis und 50 Mark Geldstrafe, Gastwirt Matthes 50 Mart Geldstrafe, Landwirt Hennings fünf Jahre und drei Monate Zuchthaus , Landwirt Vid sechs Jahre Zuchthaus, Landwirt Beder fünf Jahre und drei Monate Zuchthaus, Weichensteller Mahute ein Jahr Zuchthaus, Kaufmann Rieper ein Jahr und drei Monate Zuchthaus, Candwirt Holländer vier Monate Gefängnis, Landwirt£ uhmann fünf Jahre Zuchthaus, Landwirt Belsen vier Jahre und vierzehn Tage Gefängnis, Hofbefizer Wilhelm Hamtens 500 Mark Geldstrafe an Stelle von zwei Monaten Gefängnis, Rehling, Frau Holländer und Bruno von Salomon find freigesprochen worden
Die Urteilsberründung.
Sie deden sich bis ins einzelne hinein und ergänzen fich gegenseitig, wo Lücken vorhanden sind. Die Verhandlung hat nichts ergeben, was Zweifel an der Richtigkeit der Geständnisse auffommen laffen
fönnte.
Es bleibt noch die Frage offen, ob das Sprengstoffgefez in Anwendung zu bringen sei. Auch diese Frage hat das Schwurgericht Gesez nur auf politische Attentate anwendbar sei, muß bejaht. Die Auffassung der Berteidigung, daß dieses nachdrücklich zurüdgewiesen werden. Die Anwendbar. feit steht außer jedem Zweifel, denn das Gesetz will anerkannter maßen Sprengstoffverbrechen ahnden, ohne Rücksicht auf die
Motive.
Die Anschläge des Jahres 1929 laffen überhaupt keinen 3weifel, daß alle Beteiligten genau mußten, was fie taten, und daß fie die Absicht hatten, Schaden anzurichten. Daß Menschenleben nicht zu beklagen waren, daß den Angeklagten somit nicht die schwersten Strafen nach dem Gesetz zudiktiert werden alle Anschläge verhältnismäßig glüdlich ablaufen ließ. Ihr Bermußten, danten sie lediglich einem gütigen Geschic, das dienst war es auf keinen Fall.
Ein übergefeßlicher Motstand, wie er weiter von ber Berteidigung behauptet wurde, tann nicht als vorliegend erachtet werden, denn wenn auch die Not überaus schwer auf der Landwirtschaft lastet, so steht doch fest, daß die Regierung feines wegs untätig gewesen ist, sondern vielerlei getan hat, um der Landwirtschaft ihre Eriftenz zu sichern.
>> Sämtlichen Angeklagten wird die Untersuchungshaft voll an gerechnet.
In Anbetracht der Höhe der erkannten Strafen werden die Angeklagten Bold, Bid, Luhmann und Beder fofort in Haft genommen
Niedergang der Chriftlichsozialen.
Von Friedrich Austerlitz - Wien .
Die Wahltämpfe gehen in dem fleinen Desterreich nie geruhsam vor sich, und eine so bescheidene Stelle das Barlament im Boltsbemußtsein auch einnimmt: eine Neuwahl des Nationalrats erregt doch immer die Leidenschaften. Es ist ein Machtkampf in den größten Maßen, und die Frage, die in diesen Wahlen entschieden werden wird, ist keine andere und feine geringere als die ob Desterreich den Weg einer demokratischen Republit einhalten und fortschreiten soll oder ob es eine Beute reaktionärer und faschistischer Anschläge wärts zu stoßen und das bisherige Kräfteverhältnis zu ihren werden darf. Würde es den ,, Antimargisten" gelingen, vorGunsten beträchtlich zu verschieben, so könnte der Faschismus, der seit drei Jahren in Desterreich herumschleicht, den offenen Vormarsch beginnen; gelingt es aber, ihm entscheidend Halt zu gebieten und die Partei, die sich ihm immer unverhüllter ergibt, die Christlich sozialen, zu schlagen, so wird der Heimwehrsput, der die Menschen hierzulande seit Jahr und Tag narrt, bald verfliegen.
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Unnertennbar hatte die Heimwhr im Herbst des vorigen Jahres den Blan, die angespannte Lage durch einen Handmentarischen Demokratie durch einen Butsch ein Ende zu bestreich zur Lösung" zu bringen der politischen und parlareiten. Aeußerlich trat die Absicht in der Form einer Repision" der Verfassung auf. Aber daß damals die Heimwehr als Generalissimus den bewährten Putschisten Babst hatten und überhaupt in dem Geiste diefes Butchstrategen erzogen sind, hat ihre Begeisterung nach Berfassungs a n de= Im Anschluß an die Verkündung des Urteils verlas der Bor. rungen vormeg ameifelhaft gemacht. Und da fie unausfibende die ausführliche Begründung, in der es u. a. heißt: Die gesezt mit ihren Waffenbeständen proßen, so mar es schon im Angeklagten haben im wesentlichen geschwiegen. Das war ihr gutes vorigen Jahr nicht unflar, was die legte und wirkliche AbRecht das ihnen feinen Nachteil bringen durfte; aber sie müssen ficht der ganzen Heimwehrbewegung ist: eine Situation herüberführt, ihr Schweigen darf nicht als Schuldbekenntnis gewertet werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, den frühe. beizuführen, in der die normale Bolitit versagt, sich dann ren Geständnissen, welche die Angeklagten mit Ausnahme irgendwo der Staatsgewalt zu bemächtigen, in den Wirbel Don Heim und Rehling in der Boruntersuchung abgelegt haben, der tonterrevolutionären Bewegung die Machtmittel des Staates Heer und Gendarmerie hineinzureißen, und so hält das Schwurgericht sie für überführt. Die Ver einen Augenblick der Ueberrumpelung, einen Augenlesbarkeit der Protokolle ist von feiner Seite in 3weifel gezogen Die Taten, die mit diesem Urteil inre gefeßliche Sühne blid der Hilflosigkeit der Gegenfräfte zu benügen, um die worden, aber trotzdem hat das Gericht reiflich geprüft und gefunden, gefunden haben, stellten den Höhepunkt jener gegen den Staat faschistische Umwälzung durchzusetzen. Dieser Plan ist der daß alle Protofolle rechtmäßig zustande gefom gerichteten Bewegung unter den schleswig - holsteinischen Land- Heimwehr aber gründlich mißlungen: die Arbeiterklasse hat men sind. Die Angriffe gegen dieselben sind unberechtigt. Nachleuten dar, die von den Nationalsozialisten gefliffentlich ge= gewiesen ist nur ein Fall, bei dem entgegen den Vorschriften der schürt worden war. Obwohl die Nationalsozialistische Partei fo wilde, por nichts zurückschredende Entes verstanden, die Gegenträffe zu mobilisieren und hat eine Untersuchungsrichter einem Verteidiger die Anwesenheit gestattet nach der Verhaftung der Bombenleger sie abzuschütteln ver- chlossenheit ahnen lassen, daß der Heimwehr und ihren hat. Das Gericht hat die Geständnisse geprüft und ist zu tem fuchte, ist sie mit der Schuld für die Attentate belastet, und Gönnern nichts übrig blieb, als den großen Plan abzuSchluß gekommen, daß sie der Wahrheit entsprechen. die Berurteilten sind ihre Opfer! blasen und sich mit Paragraphen einer Verfassungsrevision zu begnügen, deren antidemokratischer Gehalt zwar nicht zu verkennen ist, die aber in der Gesamtentwicklung eines Landes doch geradezu nichts bedeutet. Anstatt des Pabst tam Schober zur Regierung, und aus den Umsturzplänen wurde ein landläufiges Regieren, das zwar schlechte Gesetze, aber nicht einmal eine Alleinherrschaft der bürgerlichen Parteien brachte. Das Fiasko der Heimwehr , die sich zu einem großen Sprunge angeschickt hatte, endete finnfällig darin, daß Pabst, der Desterreich erobern wollte, aus Desterreich abgeschafft wurde.
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Erfolge der Arbeiterregierung.
Im Unterhaus und bei einer Nachwahl.
Condon, 31. Oktober. ( Eigenbericht.) Die Labour- Regierung erzielte in der Adreßdebatte des Unterhauses einen ersten nicht zu unterschätzenden Erfolg. Im Auftrage der unabhängigen Arbeiterpartei hatte Jowett einen Antrag eingebracht, der das Bedauern befunden sollte ,,, daß die Thronrebe feine sozialistischen Vorschläge zur Bekämpfung der Wirtschaftsfrise und zur Reorganisation der Industrie enthalte". Der Antrag murde gegen elf Stimmen unabhängiger Arbeiterparteiler abgelehnt
Einen zweiten großen Erfolg bedeutet der Beschluß des Landwirtschaftsrates. In dieser Tagung, die sämtliche Wirtschaftsfachverständigen umfaßt, wurde der Gesetzesvorschlag der Regierung zur Reorganisation des Agrarmarktes einstimmig gut geheißen
Die Nachwahl von Süd- Paddington.
London , 31. Oktober. ( Eigenbericht.) Seit 1885 ist das Mandat von Süd- Paddington bei London ununterbrochen im Besitz der Konservativen, die es stets ohne Gegenfandidaten als sichere Domäne buchen konnten. Der Tod des
Mandatsinhabers erforderte die Neuwahl.
Schon die Kandidatenaufstellung zeigte eine
heillofe Jerfahrenheit in den konservativen Reihen. Zum Schluß standen sich drei konservative Kondidaten gegenüber, und es bedurfte langer Auseinandersetzungen mit ihnen, bis das tonservative Hauptquartier endlich wußte, wen es den Wählern als offiziellen Kandidaten empfehlen sollte. Die zmei anderen fonfervativen Gegenspieler meigerten sich, zurückzutreten. Einer von ihnen, der frühere Admiral Taylor, warf sich dem Reichszölner und Zeitungsfönig Beaverbroof in die Arme. Ein heißer Wahlkampf fente ein, bei dem der Pressefönig seine gefamte Breffe mobil machte und vor feinen Kosten zurückschreckte. Taylor murde gewählt mit 11 209 Stimmen gegen 10 280 Stimmen des
offiziellen tonservativen Kandidaten Lidiard; die konservative Frau Stewart hat nur 494 Anhänger sammeln fönnen.
Der wahre Sieger dieser Wahl ist jedoch die Labour- Party. 3um ersten mal beteiligte sie sich an der Wahl in dieser tonservativen Hochburg.
Die Arbeiterkandidatin Dorothy Ewans erhielt 7944 Stimmen. Kein Wunder, daß dieses glänzende Ergebnis, als es Freitagmittag im Unterhaus bekannt wurde, die freudigste Ueberrajchung in den Labour- Reihen hervorries. Macdonald strahlte. Es ist ein großer Prestigeerfolg für die Arbeiterpartei und ein Beweis, daß das großzügige Regierungsprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosig feit und der Wirtschaftskrise einen neuen Auftrieb in die Arbeiter bewegung gebracht hat. Den Konservativen reißt das Wahltefultat sämtliche am Parteiförper schwelenden Wunden auf, die tags zuvor in der konservativen Parteifizung mit verpflastert worden waren. Die Preffelords, erholt und gestärkt, werden von neuem das Haupt Baldwins fordern und ihre Reichszollagitation mit doppelter Wucht aufleben laffen.
Selbst die konservativen Blätter jagen von dem Donnerstagsieg Baldwins, es zeige weniger Vertrauen der Partei zu dem Führer als Mißtrauen gegen die Breffepiraten. Sie werden jetzt mit Süd- Paddington aufwarten und der Kampf um die Parteiführung wird morgen schon mit neuer Wucht entbrennen. Inzwischen geht die Labour Party ihren Weg, und der Ausfall der Wahl hat deutlich gezeigt, daß er trotz aller widrigen Umstände vorwärts führt, wenn unentwegt auf das Ziel zu gesteuert wird.
Bulgarische Amnestie. Anläßlich der Königshochzeit wurden 430 Gefangene, darunter 100 politische, begnadigt Bei etwa 1500 Befangenen wurde pie Strafe zum Teil um die Hälfte herab gefeßt Die Stommunisten hatten ihren eingeferferten Parteifreunden Sie Weisung gegeben, auf jede Begnadigung zu verzichten; alle begnadigten Kommunisten haben die Amnestie angenommen
Aber das Gift schwärt noch im Körper, und wenn auch eine ernstliche Putschgefahr beseitigt ist, so ist dafür die faschistische Beunruhigung sozusagen chronisch geworden, und zwar dadurch, daß sich die größte bürgerliche Partei, die christlich soziale, der Heimwehr verschrieben hat. Daß eine so große Partei wie es die Christlichsozialen sind, eine Partei auch von geschichtlicher Wirksamkeit, ihre eigene Basis aufgibt, auf ihr Eigenleben verzichtet, davon leben will, daß sie sich einer fremden Bewegung unterordnet, daß ist ohne 3weifel ein moralischer Niedergang. Aber der moralische Niedergang, den die Christlichsozialen auf sich nehmen, soll den politischen Niedergang verhindern, den die Chriftlichsozialen fürchten. Die schlichte Wahrheit ist, daß sich die Christlichsozialen nicht trauen, sich auf sich selbst zu verlassen, daß sie die begründete Vorstellung haben, von der Sozialdemokratie überrannt zu werden, daß sie aufhören werden, die große, sozusagen allösterreichische Partei zu sein und den Vorrang an die Sozialdemokratie abtreten werden müssen. Der Werbekraft des Klerikalismus mißtrauend, der auf die Dauer selbst in einem reinkatholischen Land zur Parteibildung nicht ausreicht, und schlechthin unvermögend, eine demokratische Linie einzuhalten, wie das deutsche Zentrum wenigstens verfucht, hat Seipel den Antimargismus“ erfunden der nichts anderes ist als die Aufpeitschung aller bürgerlichen Instinkte gegen die Arbeiterklasse, als die Raillierung aller an der ungestörten Erhaltung der bürgerlich- fapitalistischen Ordnung interessierten Menschen und Barteien zu einer einigen Front gegen die Partei der Arbeiter. Und so erfor fich Seipel die Heimwehr zum Sturm. Die Heimwehr ist aus mannigfachen Ursachen entstanden, und ihre Ausbreitung dankt sie wie alle diese Formationen, an denen ja auch in Deutschland kein Mangel ist, nicht zum menigsten dem Umstand, daß sich die guten Deutschen , die so lange für das Militär geschwärmt haben, die Welt ohne Uniform nicht vorstellen können; aber